Lebensdaten
1893 – 1960
Geburtsort
Wels (Oberösterreich)
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Politiker ; Wirtschaftsexperte ; Diplomat
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 120150700 | OGND | VIAF: 50049558
Namensvarianten
  • Neubacher, Hermann Friedrich
  • Neubacher, Hermann
  • Neubacher, Hermann Friedrich
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Zitierweise

Neubacher, Hermann, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd120150700.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus oberösterr. Förster- u. Jägerfam.; zu d. Vorfahren gehört Hieronymus, Anführer d. Protestanten im Salzkammergut während d. Gegenreformation;
    V Hermann, Lehrer;
    M Cäzilie Mühlbacher;
    1920 Karoline Anna Maria Löschnig (1898–1989) aus Marburg/Drau, T d. niederösterr. Landesobstbauinsp. Josef Leschnik (* 1872) aus St. Johann am Draufeld u. d. Stefanie Hren (* 1872) aus Rein (Steiermark);
    1 S Hermann Josef (1923–1942, ⚔), 2 T Aglaya (* 1921, 1) Alfred de Chapeaurouge, Diplomat, * 1907, aus Hamburg. 2] Dr. Kurt Egert, * 1913, Exportkaufm., 3] Leo Gf. Spaur, * 1904, auf Flavon u. Valèr, Vers.dir. in Innsbruck), Monika Elisabeth (* 1932, Dr. Alfons Huber, 1914–85, Prof. f. Gynäkol. in Wien, E d. Alfons Huber, 1834–98, Historiker, s. NDB IX).

  • Biographie

    Nach der Absolvierung des Stiftsgymnasiums Kremsmünster studierte N. – mit kriegsbedingter Unterbrechung – Forstwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur in Wien (1919 Dipl.-Ing., 1920 Dr.-Ing.). 1921-34 gehörte er dem Vorstand der „Gemeinwirtschaftlichen Siedlungs- und Baustoffanstalt“ (Gesiba) in Wien an, seit 1924 als deren Generaldirektor. Damit wesentlich am kommunalen Wohnungsbau des „Roten Wien“ beteiligt, schuf er sich auch als (Re-)Organisator von Industriebetrieben, Banken und Siedlungsgenossenschaften einen Namen als Wirtschaftsfachmann mit guten Kontakten zur Sozialdemokratie. 1928-33 war der kunstsinnige N. auch Präsident des „Österreichischen Werkbundes“.

    Politisch großdeutsch eingestellt, war N. 1925 Gründungsmitglied und bis 1935 Obmann des „Österreichisch-Deutschen Volksbunds“, der größten Organisation der Anschlußbewegung in Österreich. Auch in anderen Organisationen dieser Zielrichtung nahm er Führungspositionen ein. Als glühender Vertreter des deutsch-österr. Zollunionsplans bekämpfte er die franz. Politik und arbeitete auch publizistisch auf ein wirtschaftlich verschmolzenes „Mitteleuropa“ bis zu den „unteren Donaustaaten“ hin. Noch im Frühjahr 1933 für Regierungsfunktionen im Gespräch, schloß sich N., der zunächst Mitglied des Steirischen Heimatschutzes war, bald der verbotenen NSDAP an. Als enger Vertrauter des späteren Reichsstatthalters Arthur Seyss-Inquart (1892–1946) gehörte er zum „gemäßigten“, nichtterroristischen Flügel des österr. Nationalsozialismus. Seit 1935 war er mehrfach wegen NS-Betätigung in Haft, wofür ihm 1944 der „Blutorden“ verliehen wurde. 1937 ging er als Berater der IG-Farben für südosteurop. Fragen nach Berlin.

    Am 13.3.1938 wurde N., der das Vertrauen Görings genoß und von Hitler geschätzt wurde, zum Bürgermeister der Stadt Wien ernannt. Unter N. erfolgte die rasche Gleichschaltung und „Entjudung“ der Stadtverwaltung, doch setzte er sich für eine von fachlichen und ordnungsstaatlichen Grundsätzen getragene Kommunalpolitik ein und bemühte sich um einen Ausgleich mit der (traditionalen) Beamtenschaft. Ehemalige Sozialdemokraten, die vom „Ständestaat“ entlassen worden waren, ließ er wieder einstellen („Aktion Neubacher“). Dennoch machte er sich zum Gehilfen von Hitlers ambivalenter Politik, die einerseits die Vormachtstellung Wiens auf österr. Gebiet brechen wollte, andererseits eine „neue Blüte Wiens“ verhieß (Stadtgebietserweiterung 1938, Siedlungsprogramme). Von Wien aus, das er als „Hamburg des Ostens des Großdeutschen Reiches“ verstand, schaltete sich N. auch in die südosteurop. Außen- und Wirtschaftspolitik des Reiches ein. Im Herbst 1938 stand er mit engl. und deutschböhm. Kreisen, die einen deutsch-brit. Ausgleich anstrebten, in Kontakt. Radikale Wiener NSDAP-Führer und sein schärfster Konkurrent, Reichskommissar Josef Bürckel (1895–1944), suchten ihn jedoch unter verschiedenen Vorwänden, so auch wegen seiner früheren Kontakte zu Sozialdemokraten und Juden, zu diskreditieren. Nachdem Wiens Stellung (Ostmarkgesetz v. 14.4.1939) stark geschwächt worden war, mußte N., der bereits im Frühjahr von Bürckel „kaltgestellt“ worden war, das Bürgermeisteramt am 14.12.1940 aufgeben.

    Schon im Januar 1940 wurde N. vom Auswärtigen Amt zur Sicherung der rumän. Erdöllieferungen als „Sonderbeauftragter für Wirtschaftsfragen bei der Deutschen Gesandtschaft“ nach Bukarest entsandt. Damit begann für ihn eine neue Karriere als einer der einflußreichsten Diplomaten und Wirtschaftspolitiker auf dem Balkan. N. setzte für das Reich günstige Verträge über rumän. Erdöl- und Getreidelieferungen durch und vermittelte in den bürgerkriegsartigen Konflikten 1940/41. Nachdem sein Sonderauftrag im Januar 1941 auf die gesamten Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands mit Südosteuropa ausgedehnt worden war, machte N. durch Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen und kluge Mäßigung, auch durch politischen Druck die südosteurop. Wirtschaften für die deutsche Rohstoffpolitik nutzbar. Im Sommer 1941 war er von Göring dafür ausersehen, ein Reichskommissariat für die Ölwirtschaft in den besetzten sowjetruss. Gebieten zu übernehmen, ein Plan, der am Widerstand der Wehrmachtsführung und letztlich am ausbleibenden Sieg scheiterte. Stattdessen wurde N. im Oktober 1942 zum Sonderbeauftragten des Deutschen Reiches für wirtschaftliche und finanzielle Fragen in Griechenland ernannt, wo sich seine Aufgaben auf die Eindämmung der Hyperinflation und der katastrophalen Hungersnot konzentrierten. Im August 1943 wurde er Sonderbevollmächtigter des Auswärtigen Amtes für den Südosten (Serbien, Montenegro, Albanien und Griechenland). Geisel- und Judenerschießungen auf dem Balkan bezeichnete er als kontraproduktiv für die innere Stabilität bzw. für eine systematische „Arisierung“.

    Im Mai 1945 begab sich N., aus Wien kommend, in Tirol in amerik. Kriegsgefangenschaft. Im Nürnberger Prozeß sagte er als Zeuge zum Fall Ernst Kaltenbrunner aus. danach als Entlastungszeuge im Belgrader Prozeß gegen General Dragoljub Mihailović. Im Anschluß daran wurde er selbst im August 1951 von einem jugoslaw. Militärgericht zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, jedoch nach Intervention des Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes im November 1952 vorzeitig entlassen. 1954-56 diente N. Kaiser Haile Selassie als Berater und Verwaltungskommissar der Stadtverwaltung in Addis Abeba. Wieder zurück in Österreich, war er bis zu seinem Tod als Berater für die Austrian Airlines und verschiedene Industrieunternehmen tätig; seit 1959 war er Vorstandsvorsitzender der Wienerberger Ziegel werke. – N., der von sich sagte, er habe seine „politischen Motive immer aus der Außenpolitik“ im Sinne großdeutscher Vorstellungen bezogen, verstand es, dank seines ehrgeizigen Strebens nach sozialem Aufstieg und seiner hervorragenden fachlichen, organisatorischen und diplomatischen Fähigkeiten im Laufe seines Lebens unterschiedlichen politischen Regimes fast naht- und mühelos zu dienen. Insofern stellte N., der ganz wesentlich zum wirtschaftlichen und diplomatischen Funktionieren des Dritten Reiches beitrug, ein Element der Kontinuität zwischen den Epochen dar.

  • Werke

    Die forstl. Rente, Ein krit. Btr. z. Reinertragsproblem in d. Forstwirtsch., Diss. Wien 1919 (ungedr.);
    Die Organisationen f. d. österr.-dt. Zusammenschluß, in: F. G. Kleinwaechter u. H. v. Paller (Hg.), Die Anschlußfrage, 1930, S. 605-17;
    Kampf um Mitteleuropa, 1932;
    Am 9. April 1938 wurde vom Erker d. Wiener Rathauses d. Tag d. Großdt. Reiches verkündet, Die Begrüßung d. Führers durch d. Bgm. d. Stadt Wien, Dr.-Ing. H. N. [u. dessen Erwiderung), 1938;
    Sonderauftrag Südost 1940-1945, Ber. e. fliegenden Dipl., 1956, ³1966 (P);
    Die Festung der Löwen, Äthiopien v. Salomon bis z. Gegenwart, 1959.

  • Literatur

    P. E. Schramm, in: FAZ v. 18.7.1960;
    H. Zillich, H. N. u. d. Wiener Schiedsspruch, in: Südostdt. Vj.bll. 9, 1960, S. 204-08;
    H. R. Ritter jr., H. N. and the German Occupation of the Balkans, 1940–1945, Diss. Univ. of Virginia 1969;
    ders., H. N. and the Austrian Anschluss Movement, 1918–1940, in: Central European Hist. 8. Nr. 4, 1975, S. 348-69;
    W. Rosar, Dt. Gemeinschaft, 1971;
    G. Botz, Wien u. Osteuropa nach d. Anschluß, Die Rolle d. Wiener Bürgermeisters in d. nat.soz. Außenpol. d. J. 1938, in: Österr. Osthh. 16, 1974, S. 113-22;
    ders., NS in Wien, 1988;
    H. Slapnicka, Oberösterr., Die pol. Führungsschicht 1918–38, 1976, S. 194 f.;
    P. Broucek, Ein Gen. im Zwielicht, II/III, 1983/88;
    H. Fleischer, Im Kreuzschatten d. Mächte, Griechenland 1941-1944, 2 Bde., 1986;
    W. Posch, Die Österr. Werkbundbewegung, in: Geistiges Leben im Österr. d. Ersten Rep., 1986, S. 279-312;
    B. F. Pauley, Der Weg in d. NS, 1988;
    I. Ackerl u. F. Weissensteiner, Österr. Personenlex. d. Ersten u. Zweiten Rep., 1992;
    F. Czeike, Hist. Lex. Wien, IV, 1995;
    F. M. Rebhann, Die braunen Jahre, 1995. |

  • Quellen

    Qu Tagblatt-Archiv, Arbeiterkammer Wien; Akten z. dt. Auswärtigen Pol., Serie D u. E; Der Prozeß gegen d. Hauptkriegsverbrecher vor d. Internat. Mil.ger.hof, 1947 ff.; Privatslg. Gerhard Botz, Wien.

  • Porträts

    Fotos im Österr. Inst. f. Zeitgesch. u. in d. Österr. Nat.bibl., Wien.

  • Autor/in

    Gerhard Botz
  • Zitierweise

    Botz, Gerhard, "Neubacher, Hermann" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 92-93 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd120150700.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA