Lebensdaten
1840 – 1912
Geburtsort
Löwenberg (Schlesien)
Sterbeort
Jena
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 117003646 | OGND | VIAF: 51785831
Namensvarianten
  • Liebmann, Otto

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Zitierweise

Liebmann, Otto, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117003646.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Wilhelm Otto (1806–71), Kammerger.assessor, Mitgl. d. Nat.verslg. in Frankfurt, seit 1849 Stadtger.rat in Berlin, S d. Univ.aktuars Carl Friedrich in Leipzig u. d. Erdmuthe Eleonore Jud;
    M Bertha Rosalie (1817–48), T d. Friedrich Wach, Dr. med., Landphysikus u. prakt. Arzt in Merseburg;
    München 1871 Julie Christine (1842–1920), T d. Karl Friedrich Neumann (1793–1870), Prof. d. armen, u. chines. Sprache u. d. Länder- u. Völkerkde. in München (s. ADB 23), u. d. Caroline Schmidtmüller;
    K, u. a. Heinrich (s. 2).

  • Biographie

    Nach seiner Schulausbildung in Berlin, Schulpforta und Halle studierte L. seit 1859 Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften in Jena, Leipzig und Halle. In Jena waren es Kuno Fischer und Carl Fortlage, die ihm Kant als die Krönung der neueren philosophischen Entwicklung nahebrachten. In Leipzig prägten Gustav Fechner und Wilhelm Drobisch die mathematisch-naturwissenschaftliche Seite seiner Denkweise. Beeindruckt war L. außerdem vom Historiker Heinrich v. Treitschke. Er wurde 1864 auf Grund der Arbeit „De Philosophandi Methodo Commentatio Germanice et Latine conscripta“ zu Halle-Wittenberg promoviert.|1866 habilitierte er sich in Tübingen, wo er seit seiner Umsiedlung 1864 als Privatgelehrter in freundschaftliche Beziehung zu dem Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer und dem Mathematiker K. Neumann trat. Im Krieg gegen Frankreich war er Freiwilliger (Vier Monate vor Paris, 1871, ²1896). 1872 wurde er ao. Professor in Straßburg (o. Professor 1878), 1882 folgte er einem Ruf als Nachfolger Fortlages an die Univ. Jena, wo er bis 1911 wirkte. Jede seiner Vorlesungen, so berichten die Zeugnisse dieser Zeit, sei ein kleines Kunstwerk gewesen, wovon seine Abhandlungen ein beredtes Bild geben.

    Die Werke seiner Tübinger und Straßburger Zeit lassen den nachhaltigen Eindruck seiner Jenaer Kantstudien erkennen. In der temperamentvollen Schrift „Kant und die Epigonen“ (1865, ²1912), die zusammen mit F. A. Langes „Geschichte des Materialismus“ (1865) dem Neukantianismus den Weg ebnen sollte, greift L. die gesamte nachkantische Philosophie von Fichte bis Schopenhauer als spekulativen Dogmatismus an und fordert die Rückkehr zu Kant. Bei aller Kritik am Buchstaben des historischen Kant ist für L. der Geist der Transzendentalphilosophie unsterblich. Ihn gelte es neu zu begreifen, zu begründen und gegen einen empirischen Kantianismus zu verteidigen. L. sieht in ihm einen höheren Standpunkt im Denken, dessen bahnbrechende Einsicht im Ausgang allen Wissens von der „Urtatsache“ des Bewußtseins liegt, als dem, „was aller Wissenschaft und ihrem Objekte ewig zu Grunde liegt“ (Gedanken und Tatsachen II, 1904). Die Grundbedingung der ganzen empirischen Welt ist allein im „typischen Bewußtseinssubjekt der menschlichen Gattungsintelligenz“ als Vorstellungsgehalt gegeben. Nach L. erkennen wir die Welt nur so, wie unser Erkenntnisvermögen organisiert ist.

    Die Erfahrung des So-Seins der Wirklichkeit zeigt uns niemals eine Notwendigkeit im Sein. Wir können diese nur erschließen, indem wir das Sein deuten, „interpolieren“. Erst die „theoretischen Interpolationsmaximen der Erfahrungswissenschaft“ (Die Klimax der Theorien, 1884, ²1914) bringen Sinn und Ordnung in die ansonsten zusammenhanglosen Bewußtseinserscheinungen. Reine Erfahrung ist eine „doktrinäre Fiktion“, denn Erfahrung ist ein Geschenk des Verstandes. Ein Faktum ist nur wirklich, weil es gesetzlich ist. Das Verstandesgesetz aber ermöglicht einen Einblick in die „Logik der Tatsachen“, in eine „zeitlose Weltlogik“ und „objektive Weltvernunft“ (Zur Analysis der Wirklichkeit, 1876, ⁴1911), auch wenn sie nur für eine absolute Weltintelligenz voll durchschaubar wäre. In diesem Hinausgreifen über das Erfahrbare auf einen innersten Kern, ein bleibendes Wesen des Universums, kommt L. der Grundidee des spekulativen Idealismus, dem er zeitlebens die Anerkennung versagt, am nächsten.

    Bei aller naturphilosophischen Spekulation hält L. daran fest, daß alle Gedanken über einen Logos in der Genesis der Welt nie mehr als die Art und Weise bezeichnen, wie sich das absolut Reale für unsere diskursive Intelligenz repräsentiert. Seine „Kritische Metaphysik“ ist keine apodiktische Wissenschaft, sondern hypothetische Erörterung menschlicher Vorstellungen über Grund, Wesen und Zusammenhang aller Dinge. Ihre Begriffe sind keine ontologischen Dogmen, sondern Ausdruck logisch konsequenter Interpretation der Erfahrung. Mit kritischer Vorsicht bringt L. gegen den Darwinismus die totgesagte „Lebenskraft“ wieder zur Geltung. Er versteht darunter nicht einen apriorischen Begriff, sondern eine „Begriffslücke“, ein rätselhaftes Plus, das in der organischen Natur zum Mechanismus und Chemismus hinzuzudenken ist, um ein formloses Aggregat der Erscheinung in eine bedeutungsvolle Gestalt zu verwandeln. Der blinde Naturmechanismus der wirkenden Kräfte steht im Dienst einer Naturlogik, denn die Technik der Natur reicht bis in die idealen Werturteile des Geistes. Ist aber die Vernunft selbst Naturprodukt, so muß die Natur Vernunft haben, im Kern etwas dem menschlichen Logos Analoges.

    L. hat Kants Kurs der Transzendentalphilosophie durchgehalten und kann daher als der „treueste aller Kantianer“ (Windelband) bezeichnet werden. Er hat Kants Philosophie zu einer kritischen Metaphysik weitergeführt und über eine formale Erkenntnistheorie hinaus gezeigt, daß die kritische Methode eine Diskussion auch der inhaltlichen Fülle des Wirklichen verlangt. Fertige Lösungen und Antworten, vor denen L. selbst eine „heilige Scheu“ besitzt, kann seine Philosophie nicht geben, wohl aber die Möglichkeit eröffnen, sich innerhalb der Grenzen der Vernunft auf den Reichtum der Welt und das Denken einzulassen. Sein Lebenswerk besteht in der lebendigen Darstellung und selbständigen Weiterführung der kantischen Grundgedanken.

  • Werke

    Weitere W Über d. individuellen Beweis f. d. Freiheit d. Willens, 1866;
    Über d. objectiven Anblick. 1869;
    Über phil. Tradition, 1883;
    Gedanken u. Tatsachen, 2 Bde., 1882-1904;
    Weltwanderung,|1899 (Gedichtslg.);
    I. Kant, 1904. - W-Verz.:
    H.-L. Ollig, Der Neukantianismus, 1979.

  • Literatur

    Festh. z. L.s 70. Geb.tag, = Kant-Studien 15, 1910 (mit Btrr. v. W. Kinkel, W. Windelband, E. Adickes, H. Falkenheim, H. Driesch, R. Hönigswald, B. Bauch, F. Medicus, O. Weidenbach, P);
    B. Bauch, Vorwort u. Anhang z. Neuausg. v. „Kant u. d. Epigonen“, 1912;
    R. Eucken u. B. Bauch, in: Kant-Stud. 17, 1912, S. 1-8;
    A. Meyer, Über L.s Erkenntnislehre u. ihr Verhältnis z. Kantischen Philos., Diss. Leipzig 1916;
    B. Schmeier, Die Ethik O. L.s, Diss. Jena 1920;
    K. Rathke, Erkenntnistheorie, Transzendentalphilos. u. krit. Metaphysik v. O. L., Diss. Rostock 1924;
    M. Wundt, Die Philos. an d. Univ. Jena, 1932, S. 457-84;
    H.-L. Ollig, Der Neukantianismus, 1979, S. 9-15;
    Ziegenfuß;
    Überweg IV.

  • Autor/in

    Peter Müller
  • Zitierweise

    Müller, Peter, "Liebmann, Otto" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 506-508 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117003646.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA