Lebensdaten
1889 – 1964
Geburtsort
Klein-Welzheim bei Seligenstadt
Sterbeort
Frankfurt/Main
Beruf/Funktion
Sozialwissenschaftler ; Publizist
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118733699 | OGND | VIAF: 3265960
Namensvarianten
  • Michel, Ernst
  • Michel, E.

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Zitierweise

Michel, Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118733699.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1861–1938) aus Sörgenloch (Rheinhessen), Lehrer u. Rektor in Bensheim/Bergstraße;
    M Therese Uftring (1867–1949) aus Kahl/Main (Unterfranken);
    1) 1913 Katharina Kauffmann (1889–1946), Lehrerin aus Welschen (Baden), 2) 1946 Hildegard Edel; 3) 1950 Nelda Lauchenauer (* 1912);
    7 K.

  • Biographie

    Die Befreiung des Katholizismus aus den Verengungen des Kulturkampfes beschäftigte M. schon während seiner Schulzeit am Humanistischen Gymnasium in Bensheim. Er identifizierte sich mit den reformkath. Positionen der Monatsschrift „Hochland“, die seit 1902 von Karl Muth herausgegeben wurde. Nach dem Abitur 1908 studierte M. in Heidelberg und München Germanistik, Geschichte und Philosophie und wurde 1914 mit einer Dissertation über „Die anthropogeographischen Anschauungen Montesquieus“ bei Alfred Hettner in Heidelberg promoviert. Der 1. Weltkrieg unterbrach seine Karriere als Wissenschaftler und Lektor bei den Verlagen Diederichs in Jena und Teubner in Leipzig. Ohne Begeisterung leistete er 1915-18 Militärdienst in den Vogesen und in Galizien.

    Nach verschiedenen reformpädagogischen Projekten und Veröffentlichungen holte ihn 1921 Eugen Rosenstock-Huessy als Dozent an die neu gegründete Akademie der Arbeit in Frankfurt/Main. Diese verstand sich als Arbeiterhochschule mit Hausrecht in der Universität und sollte Arbeiter, Angestellte und Beamte auf Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsaufgaben der jungen deutschen Demokratie vorbereiten. Vom zentralen Begriff des Volkes her entfaltete M. den Gedanken der Kooperation in der Industriegesellschaft. Die Arbeiter sollten sich als Träger eines neuen geistigen Lebens bewähren, um die Klassenspaltung zu überwinden, die sich auch im Wissenschaftsbetrieb manifestierte.|Aufgrund seiner Tätigkeit als Dozent wurde M. 1931 zum Honorarprofessor für soziale Betriebslehre und Sozialpolitik an der Univ. Frankfurt ernannt.

    In den 20er und 30er Jahren machte sich M. einen Namen als engagierter kath. Publizist. Er nutzte dazu die von Friedrich Dessauer reichsweit herausgegebene Rhein-Mainische Volkszeitung, die im deutschen Katholizismus vor allem deshalb Profil gewann, weil sich die jungen Redakteure aus dem Glauben heraus dezidiert politisch für die Republik und besonders für die Integration der Arbeiter in den neuen Staat einsetzten. Es erschienen exponierte Meinungsartikel zur Profilierung des Zentrums als eigenständige politische Partei, die auch ein Wirtschaftsprogramm vertreten sollte, statt nur die kirchlichen Interessen in der Bildungs- und Familienpolitik; dies und die Stellungnahme für die Fürstenenteignung beim Volksbegehren 1926 sowie die unbefangene Verwendung sozialistischen Vokabulars brachten der Zeitung den Modernismusvorwurf seitens der Amtskirche ein. Die bischöflichen Ordinariate stützten sich dabei auch auf Beiträge von M., der nicht müde wurde, die Eigenständigkeit des Laien in politischen Fragen gegenüber dem Machtanspruch der Kirche zu betonen. So bekannte er sich gegenüber Heinrich Mertens als Sozialist, als dieser 1929 das an der SPD orientierte „Rote Blatt der kath. Sozialisten“ gründete. Zum Entsetzen der reformkatholischen Kreise in Deutschland wurde M.s vieldiskutierte Aufsatzsammlung „Politik aus dem Glauben“ (1926) von der Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt.

    Im Untergang des Rechtsstaates kämpfte M. früher als andere gegen die Totalitätsansprüche der neuen Massenideologie des Nationalsozialismus und für die Verteidigung der Volksfreiheit. Vergeblich wehrte er sich gegen die Schließung der Akademie der Arbeit im Februar 1933 und seine Zwangspensionierung aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933. Als freier Mitarbeiter konnte er noch eine Zeitlang im Feuilleton der Frankfurter Zeitung schreiben und dabei durch Klassikerzitate und Themenwahl seine Distanz zum Nationalsozialismus indirekt kenntlich machen. 1938-40 ließ sich M. am Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie in Berlin zum „Behandelnden Psychologen“ ausbilden. In Frankfurt eröffnete er später eine Privatpraxis als Psychotherapeut. Manche Arbeiten der Kriegs- und Vorkriegszeit konnten erst verspätet in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erscheinen, in der M. beruflich nicht mehr richtig Fuß fassen konnte. Aus den Veröffentlichungen ragen die in vier Auflagen erschienene „Sozialgeschichte der industriellen Arbeitswelt“ (1947) und das Buch „Ehe“ (1948) heraus. Letzteres wurde von den kirchlichen Behörden ebenfalls auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Die faktische Rehabilitierung seiner „Politik aus dem Glauben“ und z. T. auch seiner personal begründeten Ehemoral erfuhr M. erst kurz vor seinem Tod durch das Zweite Vatikanische Konzil. In dem Dekret über das Laienapostolat und in der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute tauchen Formulierungen über die Eigengesetzlichkeit der „Ordnung irdischer Dinge“ auf, für die M. als Vordenker gelten kann.

  • Werke

    u. a. Kirche u. Wirklichkeit, Ein kath. Zeitbuch, 1923;
    Von d. kirchl. Sendung d. Laien, 1934 (Revidierte Neuausg. u. d. T. Das christl. Weltamt, 1962);
    Adolf Kolping, 1937;
    Der Partner Gottes, 1946;
    Goethes Naturanschauung im Lichte seines Schöpfungsglaubens, 1946;
    Renovatio, Zur Zwiesprache zw. Kirche u. Welt, 1947;
    Sozialgesch. d. industriellen Arbeitswelt. Ihre Krisenformen u. Gestaltungsversuche, 1947, ⁴1961;
    Ehe, Eine Anthropol. d. Geschlechtsgemeinschaft, 1948 (erweitert ²1950);
    Rettung u. Erneuerung d. personalen Lebens, 1951;
    Gläubige Existenz, 1952;
    Der Prozeß „Gesellschaft contra Person“, 1962.

  • Literatur

    B. Lowitsch, Der Kreis um d. Rhein-Main. Volksztg., 1980 (W-Verz., L);
    ders., E. M. (1889-1964), in: J. Aretz, R. Morsey, A. Rauscher (Hrsg.), Zeitgesch. in Lb. V, 1982, S. 223-38 (P);
    F. Focke, Die Idee e. christl. Sozialismus in d. kath.-soz. Bewegung u. ind. CDU, Diss. Bochum 1980;
    W. Dirks, Der Samariter u. d. Mann aus Samaria, Vom Umgang mit d. Barmherzigkeit, 1985;
    ders., Vorläufer E. M., in: Orientierung 6, 1986;
    P. Schnitzer (Hrsg.), E. M. – Erinnerungen 1889-1917, in: Gesch.bll. Kr. Bergstraße 22, 1989, S. 229-54 (P);
    B. Haunhorst, „Pol. aus d. Glauben“ – zur pol. Theol. E. M.s, in: H. Ludwig, W. Schroeder (Hrsg.), Sozial- u. Linkskatholizismus, 1990, S. 101-29;
    Kosch, Lit.-Lex³;
    Internat. Soziologenlex., hrsg. v. W. Bernsdorf u. H. Knospe, I, ²1980.

  • Autor/in

    Bruno Lowitsch
  • Zitierweise

    Lowitsch, Bruno, "Michel, Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 444-445 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118733699.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA