Lebensdaten
1881 – 1973
Geburtsort
Prag
Sterbeort
Berkeley (Californien, USA)
Beruf/Funktion
Jurist
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118561219 | OGND | VIAF: 31998356
Namensvarianten
  • Kelsen, Hans
  • Kelsen, Frantisek
  • Kelsen, H.
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Zitierweise

Kelsen, Hans, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118561219.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Adolf (1850–1907), aus Brody/Galizien u. P., Fabr. (Lampen u. Kronleuchter) in Wien;
    M Auguste Löwy (1860–1950), aus Neuhaus/Böhmen;
    1912 Margarethe (1890–1972), T d. Ferdinand Bondi u. d. Bertha Prager;
    2 T.

  • Biographie

    K., der seit seiner Kindheit in Wien lebte, maturierte 1900 am Akademischen Gymnasium, studierte sodann Rechtswissenschaft an der Universität Wien, wo er 1906 zum Dr. iur. promovierte. 1911 habilitierte er sich an der Wiener Juridischen Fakultät mit dem umfangreichen – seine „Reine Rechtslehre“ begründenden – Werk „Hauptprobleme der Staatsrechtslehre“. Er unternahm es damit, unter dem Einfluß des Neukantianismus, insbesondere Cohens, einen kritischen Rechtspositivismus zu begründen, der als Gegenstand der Rechtswissenschaft das positive Recht als – kraft einer angenommenen „Grundnorm“ – geltende und von der Rechtswissenschaft zu beschreibende Normenordnung betrachtet. Mit dieser Festlegung des Betrachtungsgegenstandes knüpft K. an den älteren Positivismus an, der ebenfalls die positiv gesetzten (nicht von übermenschlichen Autoritäten erlassenen) effektiven sozialen Regelungen mit Zwangscharakter als Gegenstand der Rechtswissenschaft annahm. K. steht jedoch auf dem Standpunkt, daß letzte Werte der wissenschaftlichen Erkenntnis verschlossen sind und daher auch die sich durchsetzenden (effektiven) sozialen Regelungen nur dann als Normen (das heißt als gesollt) betrachtet werden können, wenn man ein solches „Gesolltsein“ dieser Regelungssysteme voraussetzt oder annimmt. Deshalb ist die Grundnorm keine gesetzte Norm, sondern eine bloße Annahme (Fiktion, Hypothese). Sie verleiht dem Gegenstand, der betrachtet werden soll, erst seinen normativen Charakter. Wollte man auf die Grundnorm verzichten, so gäbe es den für eine Rechtswissenschaft als normative, dogmatische Wissenschaft kennzeichnenden Gegenstand nicht. Man könnte nur mehr Machtverhältnisse beschreiben, das heißt eine Art Soziologie betreiben, keine Normwissenschaft. Die zu betrachtende Ordnung unterscheide sich nicht von dem, was eine Rechtslehre als „Staat“ erfassen kann. K. leugnet die Möglichkeit soziologischer oder politologischer Betrachtung nicht, trennt sie jedoch streng von der rechtswissenschaftlichen Beschreibung des Rechts mit Begriffen, die eine allgemeine Rechtslehre zur Verfügung zu stellen hat und aus welchen insbesondere der Zentralbegriff K.s, die Rechtsnorm, hervorgehoben sei. An der Fortentwicklung seiner Lehre, der es vor allem um den Wissenschaftscharakter der Rechtswissenschaft geht, hat K. sein ganzes|Leben hindurch gearbeitet. Insbesondere hat er sich wiederholt mit den Versuchen einer Naturrechtsbegründung kritisch auseinandergesetzt. Das war für seine wissenschaftliche Position vor allem deshalb wichtig, weil die Naturrechtslehren ja versuchen, Normen aus der „Natur“ abzuleiten, das heißt daß eine normative Wissenschaft, ohne eine grundlegende Annahme (Grundnorm) möglich wäre. In eingehender Weise – von einer Betrachtung der Lehren der griechischen Staatsphilosophie bis zu Auseinandersetzungen mit verschiedenen Spielarten neuerer Naturrechtslehren ausgehend – hat K. immer wieder gezeigt, wie die Naturrechtslehren vielfach mit Leerformeln arbeiten, vor allem aber immer wieder an der logischen Unmöglichkeit scheitern, aus der Natur (einem „Sein“) Normen, das heißt ein „Sollen“, abzuleiten.

    K.s Lehre übt nicht nur in Europa, sondern insbesondere auch in Südamerika und Japan erhebliche Wirkung aus. K., der 1917 außerordentlicher und 1919 ordentlicher Professor an der Universität Wien wurde, an der er bis 1930 lehrte, konnte einen bedeutenden Schülerkreis, die „Wiener Schule“ der Rechtstheorie, um sich versammeln, aus welcher Adolf Merkl und Alfred Verdroß hervorgehoben seien. Gleichgerichtete Bestrebungen verfolgte Franz Weyr, der erste bedeutende wissenschaftliche Partner K.s, mit seiner „Brünner-Schule“.

    1918-20 arbeitete K. an der Kodifikation einer österreichischen Bundesverfassung, zu deren Zustandekommen (1920), insbesondere an der Verwirklichung einer ausgebauten Verfassungsgerichtsbarkeit, er maßgeblich beitrug. Bis 1929 war er auch als Richter am österreichischen Verfassungsgerichtshof tätig. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Arbeiten zum österreichischen Verfassungsrecht. Nach Lehrtätigkeiten an den Universitäten Köln (1930–33) und Prag (1933–38) und am „Institut Universitaire des Hautes Etudes“ in Genf emigrierte K. 1940 in die USA, wo er nach Lehrtätigkeiten an der Harvard Law School Professor an der kalifornischen Universität Berkeley wurde. K. hat auch eine Reihe von völkerrechtlichen, soziologischen und politologischen Arbeiten verfaßt. Von den völkerrechtlichen Arbeiten seien jene zum Recht der Vereinten Nationen, von den soziologischen die Bemühungen um eine Abgrenzung zwischen Natur und Gesellschaft, von den politologischen jene zur Theorie der Demokratie des Marxismus und Bolschewismus hervorgehoben.

    Die zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten K.s wurden vielfach übersetzt, so daß Publikationen in 24 Sprachen vorliegen. Er wurde oftmals, so zum Beispiel durch die Verleihung von 11 Ehrendoktoraten und einer Reihe von Festschriften und Gedenkschriften und die Errichtung des Hans Kelsen-Institutes in Wien als Stiftung der Republik Österreich geehrt. Sein Einfluß auf die Rechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts wird von niemand übertroffen.

  • Werke

    u. a. Hauptprobleme d. Staatsrechtslehre entwickelt a. d. Lehre v. Rechtssatze, 1911, ²1923;
    Allg. Staatslehre, 1925;
    Die phil. Grundlagen d. Naturrechtslehre u. d. Rechtspositivismus, 1928;
    Das Problem d. Souveränität u. d. Theorie d. Völkerrechts, 1928;
    Vom Wesen u. Wert d. Demokratie, 1920, ²1929;
    Reine Rechtslehre, 1934, ²1960;
    Gen. Theory of Law and State, 1945;
    Society and Nature, 1946;
    The Law of the United Nations, 1950;
    Principles of Internat. Law, 1952. -Verz. d. über 600 W zuletzt
    in: Festschr. f. H. K. zum 90. Geb.tag, hrsg. v. Merkl, Marcic, Verdroß u. R. Walter, 1971 (Porträt).

  • Literatur

    W. Ebenstein, Die rechtsphil. Schule d. Reinen Rechtslehre, 1938;
    R. Parker, The Pure Theory of Law, in: Vanderbilt Law Review 14, 1960, S. 211 ff.;
    R. A. Métall, H. K., Leben u. Werk, 1969 (P);
    R. Walter, Der gegenwärtige Stand d. Reinen Rechtslehre, in: Rechtstheorie I, 1970, S. 69 ff.;
    R. Dreier, Sein u. Sollen, Bemerkungen z. Reinen Rechtslehre K.s, in: Juristenztg., 1972, Nr. 11/12;
    S. Strömholm, in: Tidsskrift for Rettsvitenskap 86, 1973;
    N. Achterberg, H. K.s Bedeutung in d. gegenwärtigen dt. Staatslehre, in: Die öff. Verwaltung, 1974, S. 445 ff.;
    N. Ukai u. R. Nagao, H. K., Tokyo 1974;
    U. Klug, Prinzipien d. Reinen Rechtslehre, H. K. z. Gedächtnis, 1974;
    N. Ukai, Die Wiener Rechtstheoret. Schule, in: Hist. of Development of Modern Law in Japan 7, 1975;
    W. Ott, Der Rechtspositivismus, 1976.

  • Porträts

    Zeichnung v. M. Hausmann-Pisko, 1926;
    Phot. (alle Wien, Nat.bibl.).

  • Autor/in

    Robert Walter
  • Zitierweise

    Walter, Robert, "Kelsen, Hans" in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 479-480 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118561219.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA