Lebensdaten
1880 – 1964
Geburtsort
Schleinz (Niederösterreich)
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Mathematiker
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 117381861 | OGND | VIAF: 108919719
Namensvarianten
  • Tietze, Heinrich Franz Friedrich
  • Tietze, Heinrich
  • Tietze, Heinrich Franz Friedrich
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Tietze, Heinrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117381861.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Emil (1845–1931), Dr. phil., geol. Dir. d. k. k. Geol. Reichsanstalt in Wien, unternahm 1873–75 Forsch.reisen n. Persien, 1879 geol. Aufnahmen v. Bosnien, 1881 v. Montenegro, 1873 Mitgl. d. Geogr. Ges., 1896–1900 Vizepräs., 1900–08 Präs., 1931 Ehrenpräs., 1883 Mitgl. d. Leopoldina, 1905 HR (s. Pogg. III, IV, VI; Henze, Entdecker; ÖBL), S e. Fabr. in Breslau;
    M Rosa (1859-n. 1931), T d. Franz Rr. v. Hauer (1822–99), Dir. d. k. k. Geol. Reichsanstalt in|Wien (s. ÖBL; NDB VIII);
    Schw Hildegard (* 1882, Wilhelm Petrascheck, 1876–1967, Prof. f. Geol., Paläontol. u. Lagerstättenlehre an d. Montanuniv. Leoben (s. NDB 20*);
    Dresden 1907 Leontine Ernestine Adele Anna Marie (Rufname: Lo) (1880–1963), Schw d. Wilhelm Petrascheck (s. o.), T d. Wilhelm Petrascheck (1844–1900), Braumeister in Nusle b. Prag, u. d. Anna Fischer;
    Adoptiv-T Anna Tietze-Mandl (1914–1985).

  • Biographie

    Nach der Matura 1898 am Landstraßer Gymnasium in Wien nahm T. das Studium der Mathematik, Physik und Astronomie an der Univ. Wien auf. Dieses wurde durch den Militärdienst unterbrochen und danach für zwei Semester an der Univ. München fortgesetzt, bevor T. 1902 nach Wien zurückkehrte. Seine wichtigsten Lehrer in Wien waren die Mathematiker Gustav v. Escherich (1849–1935), Franz Mertens (1840–1927) und Wilhelm Wirtinger (1865–1945) sowie in München der Mathematiker Alfred Pringsheim (1850–1941) und der Astronom Hugo v. Seeliger (1849–1924). In Wien wurde er 1904 mit einer von v. Escherich und Mertens beurteilten Dissertation „Über Funktionalgleichungen, deren Lösungen keiner algebraischen Differentialgleichung genügen können“ zum Dr. phil. promoviert. Er setzte seine Studien in Göttingen fort, wo er David Hilbert (1862–1943) und Hermann Minkowski (1864–1909) hörte. Nachhaltige Wirkung auf T.s mathematische Entwicklung übte Wirtinger aus; dessen Gedankenkreis entsprang die 1907 der Univ. Wien vorgelegte Habilitationsschrift „Über die topologischen Invarianten mehr-dimensionaler Mannigfaltigkeiten“, in der T. die später zu großer Bedeutung gelangten Linsenräume einführte. Die Arbeit gehört in den Bereich der Topologie, das Hauptarbeitsgebiet T.s. Nach Abschluß der Habilitation im Aug. 1908 wurde T. Privatdozent an der Univ. Wien und 1910 als ao. Professor an die Dt. TH in Brünn berufen (1913 o. Prof.). Seine Tätigkeit wurde durch den Kriegsdienst 1914–18 unterbrochen. Im Juni 1918 nahm er die Vorlesungen in Brünn wieder auf, folgte aber bereits ein Jahr später dem Ruf auf die Nachfolge von Max Noether (1844–1921) als o. Professor an die Univ. Erlangen. Nach fast zweijähriger Vakanz wurde T. 1925 Nachfolger von Aurel Voss (1845–1931) an der Univ. München. Zusammen mit den kurz zuvor berufenen beiden anderen mathematischen Lehrstuhlinhabern, Oskar Perron (1880–1975) und Constantin Carathéodory (1873–1950), bildete T. das „Münchner Dreigestirn“, eine „besondere Blütezeit [der Mathematik in München], gepaart mit einer bemerkenswerten Selbständigkeit unter den Einflüssen des Nationalsozialismus“ (Toepell). 1950 wurde T. emeritiert, blieb aber fast bis zu seinem Tod in mathematischer Forschung und Lehre tätig. T.s Doktoranden waren u. a. Hermann Lorenz Künneth (1892–1975), der Pate der Künneth-Formel in der algebraischen Topologie, Georg Aumann (1906–80) und Karl Seebach (1912–2007).

    Ausgehend von dem berühmten Vierfarbenproblem, das erst 1976 endgültig gelöst wurde, aber viele mathematische Entwicklungen angestoßen hatte, befaßte sich T. nach der Dissertation mit Fragen der kombinatorischen Topologie. Ein erstes wichtiges Ergebnis T.s ist die Erkenntnis von der Existenz beliebig vieler sich gegenseitig in einer Fläche berührender konvexer Gebiete im dreidimensionalen Raum, während sich in der Ebene höchstens vier Gebiete gegenseitig in einer Linie berühren können. Dann konnte er zeigen, daß für die Färbung von Landkarten auf dem Möbiusband sechs Farben notwendig sein können, aber auch immer ausreichen. Diese Überlegungen führten ihn später zur Knotentheorie. Während des 1. Weltkriegs begann er, sich mit Fragen der Allgemeinen Topologie zu beschäftigen. Er bewies die erste Form des heute nach ihm benannten Fortsetzungssatzes und entwickelte Trennungsaxiome, die heute zum Standard der Allgemeinen Topologie gehören. Daneben bearbeitete T. erfolgreich andere mathematische Fragen. Zu nennen sind v. a. die Zahlentheorie (Kettenbrüche, Gitterpunkte), Gruppentheorie (Darstellung einer Gruppe durch Erzeugende und Relationen, Tietze Transformationen) und die der Angewandten Mathematik zuzurechnende Populationsgenetik, für die er mit dem Hardy-Weinbergschen Gesetz eine mathematisch präzise Herleitung angab, sowie die Popularisierung mathematischer Probleme durch öffentliche Vorlesungen und durch das wiederholt aufgelegte Werk „Gelöste und ungelöste mathematische Probleme aus alter und neuer Zeit“ (2 Bde., 1949, ⁷1980, niederl. 1961, engl. 1964).

  • Auszeichnungen

    A Orden f. tapferes Verhalten u. vorzügl. Dienstleistung v. d. Feinde (1917);
    Vors. d. Dt. Math.-Vereinigung (1925);
    Geh. Reg.rat (1928);
    o. Mitgl. d. Bayer. Ak. d. Wiss. (1929, Sekretar d. math.-naturwiss. Kl. 1934–42);
    korr. Mitgl. d. Österr. Ak. d. Wiss. (1959);
    Bayer. Verdienstorden (1959).

  • Werke

    W etwa 120 Originalarbb., u. a. Über d. Problem d. Nachbargebiete im Raum, in: Mhh. f. Math. u. Physik 16, 1905, S. 211–16;
    Über Funktionalgleichungen, deren Lösungen keiner algebraischen Differentialgleichung genügen können, ebd., S. 329–64 (Diss.);
    Über d. topolog. Invarianten mehrdimensionaler Mannigfaltigkeiten, ebd. 19, 1908, S. 1–118 (Habil.schr.);
    Über d. raschesten Kettenbruchentwicklungen reeller Zahlen, ebd. 24, 1913, S. 209–|42;
    Einige Bemm. über d. Problem d. Kartenfärbens auf einseitigen Flächen, in: Jber. d. Dt. Math.-Vereinigung 19, 1910, S. 155–59;
    Über Funktionen, d. auf e. abgeschlossenen Menge stetig sind, in: Journ. f. d. reine u. angew. Math. 145, 1915, S. 9–14;
    Btrr. z. allg. Topologie I, Axiome f. versch. Fassungen d. Umgebungsbegriffes, in: Math. Ann. 88, 1923 S. 290–312;
    Über d. Schicksal gemischter Populationen n. d. Mendelschen Vererbungsgesetzen, in: Zs. f. angew. Math. u. Mechanik 3, 1923, S. 362–93;
    Beziehungen zw. d. versch. Zweigen d. Topol., in: Enc. d. Math. Wiss., III, 1. 2, art. AB 13, 1930, S. 141–237 (mit L. Vietoris);
    Systeme v. Partitionen u. Gitterpunktfiguren I-IX, in: SB d. Bayer. Ak. d. Wiss. 1940, S. 23–54, 69–166, u. 1941, S. 1–55 u. 165–91;
    Ein Kap. Topol., Zur Einf. in d. Lehre v. d. verknoteten Linien, 1942;
    Nachlaß: Archiv d. Dt. Mus., München.

  • Literatur

    L G. Aumann, in: Jb. d. Bayer. Ak. d. Wiss. 1964, S. 197–201;
    L. Vietoris, in: Alm. d. Österr. Ak. d. Wiss. 114, 1964, S. 360–77;
    F. Vogel, in: Jber. d. Landstraßer Gymn. Wien 1969/70, S. 20–30;
    O. Perron, in: Jber. d. Dt. Math.-Vereinigung 83, 1981, S. 182–85;
    K. Jacobs u. K. Seebach, Verz. d. unter H. T. angefertigten Diss. u. Verz. d. Veröff., ebd., S. 186–91;
    R. Einhorn, Vertreter d. Math. u. Geometrie an d. Wiener Hochschulen, 1900–40, 1985;
    M. Stoermer, Die Bayer. Ak. d. Wiss. im Dritten Reich, in: Acta Historica Leopoldina 22, 1995, S. 89–109;
    M. Toepell, Mathematiker u. Math. an d. Univ. München, 1996;
    H. Reitberger, The Contributions of L. Vietoris and H. T. to the Foundations of General Topology, in: Handbook of the Hist. of General Topology I, 1997, S. 31–40; D. Beck, Der Math. H. T. 1880–1964, 2011 (W, L
    , P);
    Pogg. V, VI;
    Lex. bed. Math.;
    Erlanger Professoren III;
    Complete DSB.

  • Porträts

    P Photogr., 1919 (Erlangen, Univ.archiv); Photogrr., o. J. (Augsburg, Privatarchiv Karl-August Keil).

  • Autor/in

    Rudolf Fritsch
  • Zitierweise

    Fritsch, Rudolf, "Tietze, Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 275-277 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117381861.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA