Lebensdaten
1684 – 1731
Geburtsort
Prag
Sterbeort
Prag
Beruf/Funktion
Herrschaftsbesitzer ; Unternehmer ; Ständepolitiker ; Reichsgraf
Konfession
katholisch
Namensvarianten
  • Waldstein, Johann Joseph Graf von
  • Valdštejna, Jan Josef z
  • Waldstein, Johann Graf von
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Zitierweise

Waldstein, Johann Graf von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz138592.html [27.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Ernst Joseph (1654–1708, kath.), Geh. Rat u. Kämmerer, 1708 böhm. Oberstlandhofmeister, S d. Ferdinand Ernst (1624-1656, kath.), Dipl., ksl. Gesandter b. Westfäl. Friedenskongreß, ksl. Bevollmächtigter f. Böhmen, Reichshofrat, Geh. Rat, 1652 Oberstlandkämmerer, Appellationsger.präs. (s. Gesandtenporträts), u. d. Eleonore Gfn. v. Rottal (1629–55, kath.);
    M Maria Anna (1651–87), T d. Christoph Johann Gf. Kokorzowecz v. Korzowa (Kokořovská z Kokořova) ( 1662), u. d. Eva Katharina Markwart v. Hradek (Markvart z Hrádku) (* 1635);
    Ur-Gvv Maximilian (1598 / 1600–55, ev., um 1620 kath., 1] Katharina Gfn. v. Harrach zu Rohrau, 1599–1640, 2] Maria Polixena v. Talmberg, 1599–1651, 3] Maximiliana v. Salm-Neuburg, 1608–83), ksl. Offz., Kämmerer, Oberststallmeister, Oberstkämmerer in Wien (s. Gen. 1);
    Gr-Ov Johann Friedrich (1642–94), 1675 / 76 Ebf. v. Prag (s. Gatz II);
    B Franz Joseph Oktavian (1680–1722, Maria Margaretha Czernin v. Chudenitz, 1689–1725), Oberstlandkämmerer, 1710 / 11 u. 1715 kgl. LTkommissar in Böhmen, Obersthofrichter v. Böhmen, Geh. Rat, 1719–22 Landeshptm. v. Mähren;
    Prag 1706 Eleonore (1687–1749), Hofdame d. Ksn. Amalie Wilhelmine (v. Braunschweig-Lüneburg), Dame d. Sternkreuzordens, T d. Karl Ernst Gf. v. Waldstein (1661–1713), E d. Maximilian (s. o.), u. d. Maria Theresia Gfn. v. Losenstein (1666–1719);
    3 T (1 früh †) Maria Theresia (1707–56, Josef Wilhelm Fürst zu Fürstenberg, 1699–1762), Eleonore (1708–23).

  • Biographie

    W. verbrachte seine Kindheit auf dem Familienschloß Münchengrätz (Mnichovo Hradiště), in der Residenz des Prager Ebf. Johann Friedrich Reichsgf. v. Waldstein in Dux (Duchcov) sowie im Prager Palais und erhielt standesgemäßen Privatunterricht. Um 1702 studierte er möglicherweise an der Univ. Prag Jura. 1703 zum böhm. Kämmerer ernannt, ging W. auf Kavalierstour nach Italien. 1704 wurde er für volljährig erklärt und übernahm das ihm bereits 1694 zugefallene Erbe seines Großonkels und Paten Johann Friedrich mit den Fideikommißherrschaften Dux und Oberleutensdorf (Horní Litvínov). Die ihm 1707 zugesprochene Reichshofratswürde trat er ebenso wenig an, wie er die ihm 1714 zuerkannte Anwartschaft auf das Amt des Landesjägermeisters von Böhmen realisierte. Vielmehr widmete sich W. nach dem Tod seines Vaters 1708 der Verwaltung des umfangreichen Familienbesitzes, darunter seitdem auch Pürglitz (Křivoklát) mit Unhoscht (Unhošt’) und Neu-Straschitz (Nové Strašecí), Nischburg (Nižbor) und Lana (Lány). Seit 1709 ließ er in seiner Residenz Dux das Schloß mit der Waldsteinschen Familiengalerie, ausgestaltet mit Fresken und Gemälden von Wenzel Lorenz Reiner (1689–1743), sowie die Stadt mit ihren Kirchen und dem Hospital ausbauen. Religiöse Stiftungen verbanden sich dabei mit seinem künstlerischen Mäzenatentum. Insgesamt kam es auf seinen Besitzungen zum Neu- und Umbau von mehr als 20 Kirchen und von mehreren Schlössern, die nicht nur aristokratischer Repräsentation, sondern v. a. der Verwaltung seines Besitzes dienten.

    Geprägt von rational-merkantilem Wirtschaftsdenken, verband W. die Strukturierung und Erweiterung der eigenen Herrschaftsverwaltung mit unternehmerischer Initiative. Als Waldbesitzer in der Nähe Prags und der mittelböhm. Eisenhütten intensivierte er seine Forstwirtschaft und den Holzhandel bis nach Sachsen. In Nischburg führte er die bestehende Eisenhütte fort. Die dort 1709 erweiterte Waffenmanufaktur und ein 1713 in Dux gegründetes ähnliches Unternehmen wurden aus wirtschaftlichen Gründen nach wenigen Jahren aufgegeben. Nach diesen ökonomischen Rückschlägen baute W. seit 1715 in Oberleutensdorf eine der ersten Wolltuchmanufakturen des Habsburgerreichs auf, die für Jahrzehnte zu einer der erfolgreichsten und größten Fabriken Böhmens und zu einem Muster der Proto-Industrialisierung wurde. Als vorbildlich gilt dabei die Verbindung von unternehmerischer Perspektive, neugestalteter Arbeitsorganisation, hohem Kapitaleinsatz, neugeschaffener weitreichender Marktbeziehungen und der Fürsorge für die Arbeiter. Neben dem Ankauf von Produktionsmitteln aus den Niederlanden, der Anwerbung von niederl. und engl. Fachleuten und dem Einkauf von billiger span. Wolle basierte die Produktion auf der lokalen Webereitradition und einer arbeitsteiligen Beschäftigung bzw. Qualifizierung der Beschäftigten. Verbunden wurde dies mit einem Konzept zur lokalen Entschuldung von Gemeinde und Bewohnern sowie einer niedrigen Abgabenquote,|was zu einem raschen Wachstum des Unternehmens sowie des Markt- bzw. Industrieorts Oberleutensdorf führte. Nach weiterer Expansion unter W.s Erben ging das lange prosperierende Unternehmen infolge der Konkurrenz durch Tuchfabriken in Reichenberg (Liberec) im frühen 19. Jh. ein. Seit 1715 engagierte W. sich auch erfolgreich in adligen Konsortien zum Abbau von Eisen, Quecksilber und Gold in Svatá bei Beraun (Beroun) und in Eule (Jílové) bei Prag; nach 1718 nutzte er sein Recht zur Prägung von Golddukaten in der Prager Münzstätte.

    Obwohl die Waldsteins über Jahrhunderte zu den bedeutendsten Adelsfamilien Böhmens gehörten, hatten seit Albrecht v. Wallenstein (1583–1634) erst wieder W.s Vater und älterer Bruder höchste Ämter in der Landesverwaltung Böhmens übernommen. Seit 1718 Geheimer und 1720 Wirklicher Geheimer Rat, wurde W. 1720 auch Beisitzer des Großen Landgerichts. Im selben Jahr übernahm er das Amt des Oberstlandmarschalls und eines Statthalters von Böhmen, was er beides bis zu seinem Tode ausübte. Bereits 1721 und erneut 1727 / 28 vertrat er den König als Kommissar auf dem Landtag. 1723 war er an der Organisation der böhm. Krönungsfeierlichkeiten von Ks. Karl VI. in Prag beteiligt. Durch seine Frau, eine vormalige Hofdame der Kaiserin, pflegte er enge Kontakte zum Herrscherhaus und konnte mehrfach habsburgische Familienmitglieder auf seinen Besitzungen empfangen. Als Mitglied und seit 1722 Präsident des böhm. Merkantil- bzw. Kommerzkollegiums förderte er die ökonomische Entwicklung Böhmens. Seine verwaltungsorganisatorischen und wirtschaftlichen Interessen brachten ihn nicht nur in Kontakt zu Theoretikern des Merkantilismus, sondern auch zu Praktikern wie dem Beamten Johann Christoph Bořek, später Reichsgf. Johann Christoph Borek Dohalsky v. Dohalitz (1695–1768). In der Forschung wird W. aber v. a. als Entrepreneur im Sinne Joseph Alois Schumpeters (1883–1950) und frühe Unternehmerpersönlichkeit gewürdigt. Nach dem Tod seines älteren Bruder Franz Joseph 1722 übernahm er als Familiensenior bzw. Vormund die Verwaltung der Fideikommißherrschaften Münchengrätz (Mnichovo Hradiště ) in Böhmen und Trebitsch (Třebíč ) in Mähren. Er wurde damit nicht nur der reichste Vertreter seiner Familie, sondern einer der wohlhabendsten und „größten böhmischen Aristokraten der Barockzeit“ (Hrbek, 2009, S. 131).

  • Auszeichnungen

    |Oberstlanderbvorschneider v. Böhmen (1722).

  • Werke

    W Designatio Iconographica Oberlevtensdorfenses Pannarias Officinas Vvlgo Fabricas Penicilli arbitrio Representans, 1728.

  • Literatur

    |L. Schlesinger, Zur Gesch. d. Ind. v. Oberleutensdorf, in: Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Dt. in Böhmen 3, 1865, S. 131–48;
    J. Richter, Materialien z. Gesch. d. Duxer Manufakturen, ebd. 71, 1933, S. 119–45 u. 228–51;
    A. Přibram, Das böhm. Commerzcollegium u. seine Thätigkeit, 1898;
    R. Lill, Oberleutensdorf,1923;
    A. Klíma, Über d. größten Manufakturen d. 18. Jh. in Böhmen, in: MÖStA 12, 1959, S. 143–61, hier S. 147–50;
    ders., Economy, Industry and Soc. in Bohemia in the 17th-19th Centuries, 1991;
    H. Freudenberger, The W. Woolen Mill, 1963;
    G. Otruba, Anfänge u. Verbreitung d. böhm. Manufakturen bis z. Beginn d. 19. Jh., in: Bohemia, Jb. 6, 1965, S. 230–331, hier S. 273 f.;
    ders., Lost Momentum, Austrian Economic Development 1750s1830s, 2003, S. 210–15 u. passim;
    P. R. Pokorný u. P. Preiss, Václav Vavřinec Reiner, Zámek Duchcov, valdštejnská rodová galerie [Wenzel Lorenz Reiner, Gem. u. Fresken im Bereich d. Schlosses Dux u. d. Ahnengal. d. W.-Geschl.], 1992;
    P. Mat’a, Komisaři k českému zemskému sně mu (1627–1740) [Die böhm. LT.kommissare (1627–1740)], in: J. Mikulec u. M. Polívka (Hg.), Per saecula ad tempora nostra, Sborník prací k šedesátým narozeninám prof. Jaroslava Pánka [Sammelschr. mit Arbb. z. 60. Geb.tag v. Prof. J. Pánek], Bd. 1, 2007, S. 309–18, hier S. 316;
    J. Hrbek, J. J. v. W., Ein adliger Untern. im barocken Böhmen, in: Z. Röhsner (Hg.), Wallenstein u. noch viel mehr, 850 J. Fam. W., 2009, S. 117–31;
    J. Wolf u. a., Duchcov [Dux], 2013, S. 168–77;
    J. Hrbek, Barokní Valdštejnové v Čechách 1640–1740 [Die W.s d. Barockzeit in Böhmen], 2013;
    Zedler 52, 1747, Sp. 1513 f.;
    Wurzbach 52, 1885, S. 225 f.;
    Ottův slovník naučný 26, 1907, S. 342.

  • Autor/in

    Robert Luft
  • Zitierweise

    Luft, Robert, "Waldstein, Johann Graf von" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 323-324 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz138592.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA