Lebensdaten
1788 – 1857
Geburtsort
Schloß Lubowitz bei Ratibor (Oberschlesien)
Sterbeort
Neiße (Oberschlesien)
Beruf/Funktion
Dichter
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118529390 | OGND | VIAF: 7399816
Namensvarianten
  • Eichendorff, Joseph von
  • Eichendorff, Joseph Carl Benedikt Freiherr von
  • Florens (Pseudonym)
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Orte

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Zitierweise

Eichendorff, Joseph Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118529390.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Adolf (1756–1818), auf Lubowitz, Tost-Peiskretscham, Radoschau, Slavikau u. Sedlnitz (Mähren) (v. den Gütern gingen in den Notjahren nach 1806/07 die meisten verloren), Landesältester, S des Joh. Jos. Dominicus Anton, auf Deutsch-Krawarn u. Kauthen, u. der Johanna v. Salisch;
    M Caroline (1766–1822), T des Carl Wenzel Frhr. v. Kloch, auf Lubowitz u. Radoschau, Major a. D., u. der Maria Eleonora v. Hayn;
    B Wilh. (1786–1846), begann wie Joseph als Dichter, entsagte aber, obwohl hochbegabt, früh der lit. Tätigkeit (vgl. s. Gedicht an Joseph „Bruder, an die alten Zeiten“, in: Joseph v. E., sämtliche Werke, 1864, I, S. 105 f.), seit 1813 in österr. Diensten, k.k. Wirklicher Gubernialrat u. Kreishauptmann in Trient;
    Schw Luise s. (2);
    Breslau 7. April 1815 Luise (1792–1855), T des Joh. Nepomuk v. Larisch, auf Niewiadom u. Pogrzebin, u. der Helene v. Centner;
    2 S, 3 T, u. a. Hermann (1815–1900), preußischer Geh. Reg.rat, Vf. der 1. Biogr. u. Hrsg. der „Sämtlichen Werke“ s. V;
    E (S des Herm.) Carl (1863–1943), hat sich Verdienste u. die E.-Forschung erworben durch Begründung des „Romantischen (später: Eichendorff-) Alm. Aurora“ (seit 1929), durch Herausgabe einer E.-Bibliogr. in der HKA, Bd. 22, u. zahlr. Aufss. z. Biogr. E.s u. zur Textüberlieferung. Mit W. Kosch bearb. er die E.-Biogr. von Hermann v. E. (³1923). Er ergänzte vor allem die familiengeschichtlichen Nachrr. (genealogische Tafel in HKA, Bd. 11 [Tagebücher 1908] u. Aurora 12, 1943).

  • Biographie

    E.s Vater erwirbt durch seine Heirat neben Radoschau Schloß Lubowitz, in herrlichem Park über der Oder gelegen, wo der Dichter geboren wurde und dessen landschaftliche und gesellige Eindrücke sein Leben und Dichten bestimmen. Sein später ins Menschliche und Religiöse erweiterter und vertiefter Begriff der Heimat hat hier seinen bildmäßigen und gefühlshaften Grund. Das von dem Erzieher vermittelte aufklärerische Bildungsgut wurde von E., zum Teil gegen die Absicht seiner Umgebung, aus eigenem Antrieb erweitert durch Lektüre der Volksbücher und des Matthias Claudius. Die vorhandene religiöse Richtung seines Gemütes wurde deutlicher und für das ganze Leben bestimmend durch innigen Umgang mit dem Neuen Testament, vor allem der Leidensgeschichte Jesu.

    Mit dem Bruder Wilhelm zusammen bezog er 1801 das Katholische Gymnasium (mit Sankt Josephs Konvikt) in Breslau, das ihm vor allem der aus der Barockzeit überlieferten Tradition der Gymnasien entsprechend, praktische Berührung mit Theater- und Musikaufführungen einbrachte. Daneben trat der Besuch der öffentlichen Theater- und Musikveranstaltungen. Neben Kotzebue lernte er hier Goethe, mehr noch Schiller und Lessing (Emilia Galotti) kennen, und in der Oper neben den Italienern Mozarts Zauberflöte, die seinem späteren Novellenstil Atmosphäre und musikalische Gliederung vermittelte.

    Diese Breslauer Zeit, wie die voraufgehenden Lubowitzer Jahre und die sich seit 1805 anschließende Universitätszeit in Halle und Heidelberg hat der alte E. selbst mit verklärender und stilisierender Hand in seinem Erinnerungswerk „Erlebtes“ (Deutsches Adelsleben am Schluß des 18. Jahrhunderts, Halle und Heidelberg, geschrieben 1856/57) dargestellt. Halle|war damals ein Hauptort klassischer und romantischer Geistigkeit durch seine Lehrer (für E. vor allem der klassische Philologe F. A. Wolf, der romantische Naturphilosoph Hendrik Steffens und F. Schleiermacher), durch des Kapellmeisters Friedrich Reichardt romantisch-geselliges Haus auf dem Giebichenstein und durch das benachbarte Lauchstädter Theater, das durch Schillers und Goethes gelegentliche Anwesenheit und die Aufführung ihrer Werke Weimar und die neue romantische Welt als eine Einheit gegenwärtig machte. In den Hallischen Ferien unternahmen die Brüder eine Wanderung durch den Harz, die sie bis ans Meer und vermutlich zu M. Claudius führte. – Im Frühjahr 1807 reisten die Brüder E. aus der Heimat über Mähren, Brunn, Regensburg, Nürnberg nach Heidelberg, um dort ihre juristischen Studien fortzusetzen. Von den Juristen machte Thibaut Eindruck auf den Dichter; daneben der Calderon- und Tasso-Übersetzer P. J. D. Gries, der Altertumsforscher und Mythologe F. Creutzer, vor allem aber J. Görres, der im Bunde mit Arnim und Brentano, an deren Unternehmungen „Des Knaben Wunderhorn“ und „Zeitung für Einsiedler“ (April-August 1808) er tätigen Anteil nahm, der Stimmführer der neuen, auf der Erfahrung der eigenen sprachlichen, künstlerischen und sittlichen Vergangenheit ruhenden Bewegung war. Zu Görres hat sich E. zeitlebens als zu seinem großen Lehrer und Erwecker bekannt. Ihm verdankt er das Bewußtwerden seiner inneren Antriebe, die Verbindung seiner dichterischen und menschlichen Strebungen mit den Bewegungen der damaligen Zeit, und er erfuhr von ihm die Macht des Geistigen, Inneres und Äußeres in einem Kraftfelde zu vereinen.

    An der Zeitschrift der Heidelberger Romantik hat E. nicht mitgearbeitet; es steht zu vermuten, daß er Brentano überhaupt erst später in Berlin persönlich kennenlernte. Die ersten dichterischen Versuche E.s stehen im Zusammenhang seiner Freundschaft mit dem Lyriker O. H. Graf von Loeben, dessen Art er schon nach kurzer Zeit als seinem Wesen und seiner dichterischen Grundrichtung unzuträglich ansah. Der schmachtende Poet des Wiener Salons in „Ahnung und Gegenwart“ ist ein ironisierendes Abbild Loebens. Von Heidelberg aus besuchten die Brüder im Frühjahr 1808 Paris, wo E. für Görres, der damals an den „Teutschen Volksbüchern“ arbeitete, auf der Nationalbibliothek altdeutsche Handschriften durchsah. Nach neuem kurzem Aufenthalt in Heidelberg wurde im Sommer 1808 der Rückweg über Wien in die Heimat angetreten, wo E. den Vater in der Verwaltung der Güter unterstützte. In diese Zeit fällt die erste Bekanntschaft und Verlobung mit Luise von Larisch, die auf einem benachbarten Gut lebte. Von dichterischen Unternehmungen und Plänen sind zu nennen: Lyrik, vor allem Liebeslyrik an Luise und die Anfänge des Romans „Ahnung und Gegenwart“.

    Der Winter 1809 führte E. die Oder hinab nach Berlin, wo er Loeben wiederbegegnete, mit Brentano und Arnim, intensiv mit Adam Müller verkehrte, Kleist kennenlernte und Vorlesungen Fichtes besuchte. 1810 Rückkehr nach Lubowitz, von da nach Wien, um die juristischen Examina abzulegen. Dahinter steht der durch Görres und Adam Müller geweckte Drang, der sich auch in dem ersten Roman auswirkt, Freiheit und Bindung in ein rechtes Verhältnis zu bringen, das tätige Leben und das innere Ahnen zu vereinen. Ein nur dichterisches Dasein ist für E. schon früh undenkbar gewesen; so war denn auch seine spätere Beamtentätigkeit nicht nur Not und Zwang. E. wohnte mit seinem Bruder im Palais Wilczek in der Herrengasse, in dessen oberem Geschoß der arme junge Grillparzer mit seiner Mutter als noch Unbekannter lebte. Die bedeutendste Begegnung – neben denen mit Adam Müller, C. M. Hofbauer, dem Dramatiker H. von Collin und Th. Körner – war die mit F. Schlegel, seiner Frau Dorothea und deren Sohn, dem Maler Ph. Veit, der später sein Kriegsgenosse wurde. Schlegels Vorlesungen im Winter 1811/12 über die „Geschichte der alten und neuen Literatur“ und Dorotheas kritische Mithilfe bei der Vollendung von „Ahnung und Gegenwart“ sind die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit. Die Veröffentlichung des Romans wurde durch die Kriegsereignisse hinausgeschoben. Er erschien unter Mithilfe von Fouqué 1815 als eine vor dem Kriege geplante, aber noch nach ihm sinnvolle Auseinandersetzung mit den um die Vorherrschaft ringenden inneren Kräften der Zeit.

    An dem Krieg gegen Napoleon nahm E. als Lützowscher Jäger, später als Landwehroffizier mit Unterbrechungen teil, ohne an wesentlichen Kampfhandlungen mitzuwirken. In der Zwischenzeit fand die Hochzeit statt. Familienstand, der Niedergang des väterlichen Besitzes (Lubowitz blieb der Mutter als Witwensitz, danach besaßen E. und seine Geschwister nur noch Sedlnitz) und eigener Antrieb veranlaßten E., die Verwaltungslaufbahn zu beginnen, wozu sich für den Schlesier Preußen am ehesten anbot, obwohl es ihn mehr nach Wien zog. Er begann 1817 als Regierungsreferendar in Breslau, wurde 1819 nach Ablegung der Staatsprüfung in|Berlin Hilfsarbeiter im Kultusministerium unter Altenstein, 1821 in Danzig Konsistorial- und Schulrat, war 1824-31 Regierungsrat in Königsberg, wo der Regierungspräsident und nachmalige Minister Th. von Schön ihm nach anfänglicher Entfernung freundschaftlich nahe trat. 1831 kam er in die Abteilung für katholisches Kirchen- und Schulwesen in das Kultusministerium in Berlin, aus dem er nach dem Tode Schöns wegen Auseinandersetzungen mit dem Kultusminister F. Eichhorn 1844 seine Entlassung nahm, nachdem er schon vorher auf seinen Wunsch beurlaubt worden war. In der Zwischenzeit bearbeitete er auf Veranlassung von König Friedrich Wilhelm IV. die Geschichte der Marienburg. Trotz mancher Schwierigkeit und der Fremdheit, die dem gläubigen Katholiken in den preußischen Ostprovinzen begegnen mußte, hat der adelige Freimut und die selbstverständliche Art, mit der E. seine Überzeugungen vertrat, ihm Achtung und Freundschaft von Vorgesetzten und Kollegen eingetragen. Daß er sich gelegentlich in ein ihm gemäßeres Klima sehnte – ein Versuch, über Görres nach Bayern zu kommen scheiterte –, ist ebenso wahr wie die Tatsache, daß er in seinem Amt einen notwendigen und sinnvollen Dienst sah, den er mit Treue und Wachsamkeit ausübte.

    Die Beamtenjahre E.s waren reich an geselligem und geistigem Verkehr, in Breslau mit dem Historiker F. von Raumer und dem Schriftsteller K. von Holtei, in Berlin mit F. K. von Savigny, A. von Chamisso, F. Mendelssohn-Bartholdy, G. E. Hitzig, an dessen Mittwochsgesellschaft er teilnahm, und wiederum mit F. von Raumer. Im gleichen Zeitraum entfaltete sich E.s Dichtung: es erschienen die Novellen, unter ihnen das Herzstück „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1826); die satirischen Dichtungen, formell und inhaltlich vielfach mit den Erzählungen verbunden und nicht immer streng von ihnen getrennt, ein Zeichen dafür, wie eng Dichten und Zeitsorge bei E. zusammenhingen; die dramatischen Dichtungen, von denen das Lustspiel „Die Freier“ (1833) und das Trauerspiel „Der letzte Held von Marienburg“ (1830) mehr als nur Versuche sind, auch wenn sie nicht ebenbürtig neben die sonstige deutsche dramatische Kunst gestellt werden können. 1837 sammelte E. zum erstenmal seine Gedichte (weitere Auflagen 1843, 1850, 1856) und 1841/42 seine Werke in 4 Bänden, die er Friedrich Wilhelm IV. widmete. Ein weiterer Ertrag dieser mittleren Zeit sind die zeitgeschichtlichen und politischen Aufsätze (teilweise erschienen in den „Vermischten Schriften“, 5. Band: Aus dem literarischen Nachlaß, 1866), anfangend mit seiner unerschrockenen Staatsarbeit von 1818: „Über die Folgen von der Aufhebung der Landeshoheit und der Klöster in Deutschland“.

    Die Jahre nach dem Amtsaustritt verbrachte E. in Danzig, Wien, wo er 1846 gefeiert wurde, ohne daß man den Kern seiner Leistung begriff. Stifter und Grillparzer ist er begegnet, eine nähere Verbindung kam nicht zustande. Von 1847 bis zum Tode seiner Frau 1855 lebte er wieder in Berlin, zwischendurch in Köthen und Dresden, den Sommer oft, wie schon früher, in Sedlnitz verbringend. Nach dem Tode seiner Frau blieb er in Neiße im Hause seiner Tochter, gelegentlich Gast des ihm befreundeten Fürstbischofs Förster von Breslau auf Schloß Johannesberg. In Neiße starb er und wurde er begraben.

    Die literarische Tätigkeit des letzten Lebensabschnittes gliedert sich in Dichtungen (Satirisches und die Versepen historischen Inhalts: Julian, Robert und Guiscard, Lucius), Übersetzungen aus dem Spanischen (Don Manuel, Calderon, Cervantes, die bis 1836 zurückgehen) und die literarhistorischen Arbeiten, vornehmlich Aufsätze in den von Görres begründeten „Historisch-politischen Blättern“ (1847/48), aus denen die drei Bücher hervorgingen: „Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland“ (1847), „Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum“ (1851), „Zur Geschichte des Dramas“ (1854), die er dann 1857 in seiner „Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands“ zusammenfaßte. Diese Arbeiten sind zum Teil im Tatsächlichen (besonders für das Mittelalter) überholt, im Grundsätzlichen aber trotz der Überbetonung des Gehaltlichen gegenüber der Gestalt von eminenter Bedeutung, vor allem, wenn man sie im geistigen Zusammenhang ihrer Zeit sieht. Der alte E. kehrt zu den Anfängen zurück; nur daß sich ihm, was in seinem Jugendroman vereint war, in verschiedene Schichten auseinanderlegt: Dichtung und Zeitkritik. Wachsamkeit und Sorge haben zunehmend sein Werk bestimmt; selbst in der Mitte des Lebens ist sein „Taugenichts“ keine poetische Auflösung der Wirklichkeit, vielmehr das Sinnbild eines Dichtertums, dem die Stimmen aus der Tiefe den Sinn des Daseins verraten, eingekleidet freilich in die lösende Form des Märchens.

    E. bedeutet Ende, Kritik und Überwindung der Romantik. Das unterscheidende, gliedernde, sichtende Element auch in seiner Dichtung ist stärker als man es früher sah. Deshalb gehören die religiösen Gedichte, die|Zeitlieder und die Satiren voll zu seinem Werk. Wenn man den schmalen Grund seiner Dichtung betont hat, so ist es wahr, wenn man bedenkt, daß E.s Einsträngigkeit und Einfachheit sich über Spannungen und Gegensätzen aufbaut und das Ergebnis von Verantwortung und Treue ist. Vom Wortschatz angefangen bis zu der Darstellung von Landschaft und Menschen wird Gegensätzliches zu einem einheitlichen Ton mit Kraft und Grazie zusammengefügt: Ahnung und Gegenwart, Ideal und Wirklichkeit, Heimat und Fremde, Freiheit und Bann, Nacht und Morgen, Zeit und Ewigkeit.

    Die literaturgeschichtliche Bedeutung E.s als des Überwinders der Romantik läßt sich vereinheitlichend so zusammenfassen: Die Verbindung der Nacht des Novalis (als der schöpferischen Zeit) und Brentanos (als Zeit der Bedrohungen) mit dem Morgen Gottes, der allein ihr Sinn und Lösung verleihen kann; die Verwandlung der romantischen Lyrik (Brentano, Tieck) aus zauberhaftem Klang und Bild in Bekenntnis, Ordnung und Sinn, ohne daß dabei die Sinnlichkeit der Erscheinung verloren ginge; das Hinüberführen des National- und Vorzeitgefühls ins Menschliche und Christliche. Heimat, Vaterland und „gute alte Zeit“ sind mehr als Ort der Herkunft und Grund des Gefühls, sie werden zum Ort des rechten Stehens in der Ordnung Gottes; die Wertung des Dichters als eines, der auf Grund tieferer Ahnung das im Dasein eingeschlossene „Lied“, aus seinem kreatürlichen Stummsein in das Wort hin befreit und öffnet und damit dem Sinn dieses Daseins auf Gott hin Stimme verleiht.

    E. selbst hat in seiner Schrift über die neuere romantische Poesie und gekürzt in der Geschichte der Literatur seine Stellung gegenüber der späten Romantik abgegrenzt. Statt einer ästhetischen, die lebendige Kirche in poetische Symbolik und Mythologie auflösenden, sich in mittelalterlichem Rüstzeug und mystischer Überschwenglichkeit darstellenden Romantik fordert er realistische Weltansicht, geistige Auffassung der Liebe und inniges Verständnis der Natur. Emanuel Geibel, Annette von Droste-Hülshoff und Adalbert Stifter gelten ihm als Zeugen einer neuen „der Schule entwachsenen“ romantischen Dichtung.

  • Werke

    Des Frhrn. J. v. E.s Werke, 4 T., 1841/42 (P, erste Gesamtausg.), unveränd. Neudruck 1842; J. Frhrn. v. E.s Sämtl. Werke, hrsg. v. Hermann v. E., 1864 (P);
    Vermischte Schrr., 5 Bde., 1866/67 (enthaltend d. literarhist. u. hist. Schrr. u. Einzelnes aus d. Nachlaß);
    Sämtl. Werke, hist. krit. Ausg., begr. v. A. Sauer u. W. Kosch, hrsg. v. W. Kosch u. H. Kunisch, 1908 ff. (HKA);
    zahlr. neuere Auswahlausgg. zuletzt v. W. Rasch, J. v. E., Werke in 1 Bd., 1955;
    J. Frhr. v. E., Neue Gesamtausg. d. Werke u. Schrr. in 4 Bänden, hrsg. v. G. Baumann u. S. Grosse, I, II, 1957, III, 1958; v. d. lit. Nachlaß, früher in Berlin (Preuß. Staatsbibl.) u. Neiße (E.-Mus. in E.s Sterbehaus) sind d. Berliner Mss. erhalten geblieben, das übrige ist seit d. 2. Weltkrieg verschollen; daraus:
    H. Meissner, Gedichte aus d. Nachlaß d. Frhr. J. v. E., 1888;
    R. Pissin, Jos. u. Wilh. v. E.s Jugendgedichte, 1906;
    F. Castelle, Ungedr. Dichtungen E.s, 1906;
    H. Schulhoff, Jugendgedichte E.s aus d. Schulzeit, 1915;
    A. Potthoff, 5 Zwischenspiele v. Cervantes (nach d. Hs.), 1924;
    H. Pöhlein, Die Memoirenfragmente J.s v. E., in: Aurora, 1929, S. 83-117;
    Die unvollendete Novelle „Der Unstern“ war bisher nur in e. als Teil e. autobiogr. Darstellung angesehenen Kap. „Von meiner Geburt“ bekannt (HKA 10, S. 373 ff.), dazu P. Stöcklein, in: Hochland 45, 1952/53, S. 255 ff. u. 284 ff.; zum Berliner Nachlaß: F. Uhlendorff, in: Aurora 14, 1954, S. 21 ff.

  • Literatur

    ADB V; Vollst. Bibliogr. bis 1924:
    Karl v. E., Ein Jh. E. Lit., in: HKA 22, 1924; Nachträge
    v. F. Ranegger u. H. M. Meyer, in: Aurora;
    vgl. ferner Goedeke VIII, S. 178-96;
    Kosch, Lit.-Lex.;
    Körner u. Eppelsheimer. – Zss. wichtig f. d. E.-Forschung: E.-Kal., hrsg. v. W. Kosch, 19 Bde., 1910-29;
    Der Wächter, hrsg. v. dems. seit 1918;
    Aurora, Ein romant. Alm., begr. v. Karl v. E. u. E. Dyroff, später hrsg. v. K. Schodrok, 1-12, 1929-43, in neuer Folge u. d. T. Aurora, E.-Alm., hrsg. v. dems., 1953 ff.Biogrr.: Hermann v. E., in: Sämtl. Werke I, 1864, später selbständig, bearb. v. Karl v. E. u. W. Kosch, ³1923;
    H. Brandenburg, J. v. E., Sein Leben u. sein Werk, 1922 (P);
    P. Stöcklein, in: Gr. Deutsche III, 1956, S. 100-16 (P). – A. Schöll, Über d. Schrr. E.s, in: Wiener Jb. d. Lit. 75 u. 76, 1836, Neudruck in: HKA 3, S. 351-450 (Gesamtwürdigung, heute noch wichtig);
    J. Nadler, E.s Lyrik, ihre Technik u. ihre Gesch., in: Prager Dt. Stud. 10, 1908;
    ders., in: Schles. Lb. II, 1926, S. 184-94 (W, L);
    F. Strich, J. v. E., in: Dichtung u. Zivilisation, 1928;
    W. Emrich, E., Skizze e. Ästhetik d. Gesch., in: Germ.-roman. Mschr. 27, 1937, S. 192-207;
    ders., Begriff u. Symbolik d. Urgesch. in d. romant. Dichtung, in: DVjS 20, 1942, S. 273-304;
    R. Schneider, Der Pilger, 1940 (f. E.s Weltgefühl);
    ders., Vom Gesch.bewußtsein d. Romantik, Drei Essays, 1951;
    J. Kunz, E., Höhepunkt u. Krise der Romantik, 1951;
    W. Kohlschmidt, Die symbol. Formelhaftigkeit von E.s Prosastil, in: Form u. Innerlichkeit, 1955, S. 177-209;
    F. Bollnow, Das romant. Weltbild b. J. v. E., in: Die Sammlung VI, 1951, H. 8 u. 9;
    W. Höllerer, Schönheit u. Erstarrung, Zur Problematik d. Dichtung E.s, in: Der Deutschunterricht, 1955, H. 2, S. 93 ff.;
    P. Requadt, E.s Ahnung u. Gegenwart, ebd., S. 79 ff.;
    R. Alewyn, Eine Landschaft E.s, in: Euphorion 51, 1957, S. 42-60;
    E. Hock, E.s Dichtertum, in: Wirkendes Wort 8, 1958, S. 155-66 (L);
    E. Schwarz, Der Taugenichts zw. Himmel u. Exil, in: Etudes Germaniques 12, Lyon 1957, S. 18-33;
    G. Paulines, Etat actuel des études sur E., ebd., S. 13-17. – Zu d. literarhist. Schrr.: R. Schindler, E. als Literarhistoriker, Diss. Zürich 1926;
    F. Ranegger, Die innere Vorgesch. v. E.s|literarhist. Tätigkeit, in: Lit. Jb. d. Görresges. 1929, S. 141-77;
    ders., in: Aurora 13, 1953, S. 44 ff.;
    H.-E. Hass, E. als Literarhistoriker, in: Jb. f. Ästhetik u. allg. Kunstwiss. 2, 1954. – Zu B Wilh.: Jos. u. Wilh. v. E.s Jugendgedichte, 1906, dazu F. Uhlendorff, in: Euphorion 15, 1908, S. 268 ff., ferner Aurora 5, 1935, S. 58 ff.

  • Porträts

    Ölbild v. F. Kugler, 1832 (bis 1945 im E.-Mus. in Neiße), Abb. in: Gr. Deutsche im Bild, 1937, u. Rave; Kreidezeichnung v. dems. (danach zeitgen. Kupf.), 1832, Abb. in Bongs goldene Klassikerbibl. I, o.J.; Radierung v. Ed. Eichen, 1840, Titelbild zu d. „Werken“ 1841/42;
    Stahlstich, 1857, Titelbild zu „Sämtl. Werke“, 1864 (Altersbild). Als bestes Altersbild ist v. d. Fam. E. e. zeitgenöss. Handzeichnung genannt worden, Abb. in: Aurora 15, 1955.

  • Autor/in

    Hermann Kunisch
  • Zitierweise

    Kunisch, Hermann, "Eichendorff, Joseph Freiherr von" in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 369-373 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118529390.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Eichendorff: Joseph, Freiherr v. E., stammte aus einem altadelichen, im 14. Jahrhundert schon in Magdeburg und in der Mark Brandenburg angesessenen Geschlechte der Yken- oder Eykendorpe. Während des dreißigjährigen Krieges war Jakob v. E., kaiserlicher Oberst, durch Heirath in den Besitz des Gutes Deutsch-Krawarn im Kreise Ratibor gelangt; sein Neffe und Erbe Hartwig Erdmann wurde Stammvater der katholischen oberschlesischen Linie. Der Vater des Dichters, Adolf, erhielt 1784 durch seine Gemahlin die Güter Lubowitz und Radoschau bei Ratibor und erweiterte durch Erbschaft und Kauf seinen nicht unbedeutenden Grundbesitz in Schlesien und Mähren, wo ihm Sedlnitz im uhländchen gehörte.

    Joseph, der zweite seiner Söhne, wurde am 10. März 1788 in Lubowitz geboren und bis 1801 im elterlichen Hause erzogen. Seine von einer geistreichen und schönen Mutter ererbten Anlagen nährten der Aufenthalt und das Umherschwärmen in der schönen Gegend, sowie die leidenschaftliche Lectüre von Reisebeschreibungen, Romanen und alten Volksbüchern, später des Wandsbecker Boten und der Bibel. Frühzeitig äußerte sich sein dichterisches Talent in poetischen Versuchen. Im Herbst 1801 trat Joseph mit seinem um 2 Jahre älteren Bruder Wilhelm in das Convict des katholischen Gymnasiums zu Breslau und beide blieben auch nach Beendigung ihres Gymnasial-Cursus 1804 noch ½ Jahr daselbst, bis sie zum Studium der Jurisprudenz 1805 die Universität Halle bezogen. Dort hörten sie Wolf, Schleiermacher, Steffens, der sie besonders fesselte. Im folgenden Jahre verließen sie die Universität kurz vor ihrer Auflösung und kehrten nach Lubowitz zurück, wo sie bis zum nächsten Frühjahr in lustigem Studententreiben verweilten, wie nahe ihnen auch die Kriegsereignisse in der Belagerung des nicht entfernten Kosel traten. Im Frühjahr 1807 begaben sich beide nach Heidelberg und traten hier in Verbindung mit Brentano, v. Arnim, dem Grafen Loeben und vor allem mit Görres, der damals eine zauberhafte Gewalt ausübte über alles, was ihm nahe kam. Joseph hat später den Geist und das Leben auf jener Universität in seinem Aufsatze: „Halle und Heidelberg“ selbst geschildert, freilich unter dem Einflusse späterer Anschauungen. An den Sammlungen der Volksbücher und des Wunderhorns betheiligten sich beide Brüder;“ auch ihre ersten Dichtungen wurden damals durch die Bemühungen des Grafen Loeben in Ast's Zeitschrift für Kunst und Wissenschaft veröffentlicht, die Josephs unter dem Pseudonym Florens. Nach einem Ausfluge nach Paris Ostern 1808, wo Joseph für Görres altdeutsche Handschriften verglich, kehrten sie von Heidelberg schon im Juli über Regensburg und Wien nach der Heimath zurück. Hier standen sie dem Vater bei der Bewirthschaftung der Güter bei, Joseph gewann jedoch noch Zeit genug für seine dichterischen Arbeiten. Damals begann er seinen ersten Roman: „Ahnung und Gegenwart“, der freilich erst 1811 vollendet und 1815 gedruckt wurde. Im Herbst begaben sich die Brüder auf Einladung des Grafen Loeben halb zu Fuß, halb zu Wasser auf der Oder nach Berlin und hörten u. a. Fichte, wurden aber durch eine schwere Erkrankung Josephs bis zum März dort festgehalten. Nachdem sich letzterer im folgenden Jahre mit der geistvollen und auch dichterisch begabten Anna Victoria v. Larisch auf Pogrzebin verlobt hatte, wandte er sich mit Wilhelm nach Wien, um dort Staatsdienste zu suchen, wofür sich in Preußen damals keine Aussichten boten. Dort wurde das Haus Friedrichs v. Schlegel für sie die Stätte eines reichen litterarischen Verkehrs und Schlegel's Stiefsohn, der Maler Philipp Veit, ihr innigster Freund. Als beide Brüder ihre Staatsprüfungen glänzend abgelegt hatten und Joseph eben im Begriff stand eine Anstellung zu erhalten und sich zu vermählen, erging der Aufruf des Königs von Preußen am 3. Februar 1813. Da kehrte Joseph ohne seinen Bruder nach Schlesien zurück und trat mit Ph. Veit ins Lützow’sche Freicorps; seines Lebens an der Elbe und im Spreewald gedenkt er in einem an die Lützow’schen Jäger gerichteten Liede. Gleichwol verließ er das Corps während des Waffenstillstandes im Juli, besuchte flüchtig Eltern und Braut und eilte über Dresden nach Böhmen. Von dort aus überwies man ihn im October als Officier ins 17. schlesische Landwehrregiment, dessen 3. Bataillon die Besatzung von Torgau bildete, nachdem sich dies übergeben. Der traurige Dienst in der fürchterlich verwüsteten Festung bestimmte ihn nach dem ersten Pariser Frieden den Abschied zu nehmen. Am 14. April 1814 fand endlich in Breslau die lang verschobene Vermählung statt, dann begab sich das junge Ehepaar nach Berlin. Aber Napoleon's Rückkehr von Elba rief den Gatten von neuem unter die Waffen. Mit seinem Regiment, dem 2. der oberrheinischen Landwehr, nahm er zwar nicht mehr am Kampfe, doch noch am Einzuge in Paris Theil, blieb bis Ende des Jahres 1815 bei den Besatzungstruppen und kehrte erst im folgenden Jahre in die Heimath zurück. Im December 1816 trat er bei der königlichen Regierung in Breslau als Referendar ein und verlebte hier mit Friedrich v. Raumer und K. v. Holtei glückliche Jahre. Der Tod des Vaters 1818 zog den Verlust aller schlesischen Besitzungen der Familie nach sich, denn der Glanz des alten Hauses und die schweren Lasten des Krieges hatten die Güter mit Schulden überlastet, daß sie allmählich verkauft werden mußten, so auch Lubowitz 1823 nach dem Tode der Mutter; nur Sedlnitz in Mähren blieb als Lehngut ihm und seinen 3 Brüdern gemeinsam. Im Jahre 1819 bestand er die große Staatsprüfung in Berlin, wurde dann als Hülfsarbeiter im Cultusministerium beschäftigt, 1820 als Schulrath, 1821 als Regierungsrath in Danzig angestellt. Eine Denkschrift über die Verbesserung des katholischen Kirchenwesens in Westpreußen, die er dem Minister v. Altenstein vorlegte, fand bei diesem gerechte Würdigung. Gleiche Beachtung wurde seiner Thätigkeit zu Theil, die er für die Wiederherstellung des Ordenshauses zu Marienburg entwickelte, Auf Veranlassung des ihm befreundeten Oberpräsidenten v. Schön wurde er 1824 als Oberpräsidialrath nach Königsberg versetzt, wo er im anregenden Verkehr mit den bedeutendsten Männern der Stadt, aber viel beschäftigt lebte und darum seine poetische Thätigkeit sehr beschränken mußte. Im J. 1831|wurde er als Rath in der katholischen Abtheilung des Kultusministeriums beschäftigt und wußte sich mit seinem Chef v. Altenstein auch während der schwierigen Verhältnisse der Kölner Wirren in gutem Einvernehmen zu halten; erst unter v. Raumer 1840 wurde ihm seine Stellung so verleidet, daß er seine Entlassung forderte. Zunächst erhielt er diese zwar nicht, sondern ging im Auftrage der Regierung nach Danzig, um die Geschichte der Wiederherstellung des Ordenshauses zu schreiben. Er that dies ohne seiner eigenen regen Betheiligung mit einem Worte zu gedenken. In Danzig blieb er auch nachdem ihm sein Abschied aus dem Staatsdienste 1845 endlich geworden war, bis zum Herbst 1846; die Sommermonate Pflegte er im anmuthig gelegenen Sedlnitz zuzubringen, wo er 1845 zum letzten Male mit seinem Bruder Wilhelm zusammentraf. Von Danzig ging Joseph nach Wien und wurde hier mit Ehren überschüttet; aber im März 1848 trieben ihn die Vorboten der Revolution erst nach Köthen, dann nach Dresden, wo er im Lincke’schen Bade in großer Zurückgezogenheit wohnte, mit ihm der Convertit Lebrecht Drewes, dessen Gedichte er 1849 herausgab. Die Jahre von 1850—1855 brachte er seiner Studien wegen wieder in Berlin zu; sein gastfreies Haus war dort der Sammelplatz zahlreicher Freunde und Gesinnungsgenossen. Auf einer Besuchsreise bei ihrer Tochter in Neiße starb im J. 1855 seine Gattin, und dies bewog ihn, seinen Wohnsitz in Neiße zu nehmen. Dort bewohnte er das Landhaus St. Rochus, überlebte aber seine Lebensgefährtin nur um 2 Jahre. Er starb 1857 am 26. November und liegt auf dem Friedhofe vor dem Jerusalemer Thore begraben. Ihn überlebten 2 Söhne, Hermann, königl. Regierungsrath in Aachen, und Rudolf, königl. Hauptmann in Liegnitz, sowie eine 1858 verstorbene Tochter, Therese Besserer von Dahlfingen.

    Als Dichter und Schriftsteller gehört v. E. der romantischen Schule in ihrer späteren Entwicklung an. Außer mit den schon oben erwähnten Gliedern derselben berührte er sich besonders noch in Berlin mit Fouqué. Alle Romantiker überragt er als Lyriker; als solcher gehört er zu den Lieblingsdichtern unseres Volks; durch musikalische Composition haben die größten Meister der Neuzeit (Mendelssohn, Schubert, R. Franz u. A.) einem großen Theil seiner Lieder weiteste Verbreitung und bleibendes Gedächtniß gesichert. Ihre Eigenthümlichkeit läßt sich vielleicht am besten damit bezeichnen, wenn wir sie eine Wiedergeburt des alten Minnegesangs nennen. Wie dieser seinen beschränkten Vorrath an Gefühlsstimmungen mit Natureindrücken stets in unmittelbarste Verbindung setzt und in einfachen, aber allgemein anklingenden Lauten kund gibt, so ist auch bei E. diese Verknüpfung mehr als bei irgend einem andern Dichter der Neuzeit Grundschema der meisten Lieder. Doch was im Minnegesang oft als todte Formel und hergebrachte Fassung erscheint, ist hier wahre und lebendige Empfindung und mit dem Hauptgedanken innigst verflochten. Die Natur ist dem Dichter der nie versiegende Born, aus dem er seine Kraft schöpft und beständig erneuert, und zu dem er aus den verbildeten und krankhaften Zuständen der Gesellschaft immer wieder zurückkehrt. Die Sehnsucht nach ihr, die Flucht zu ihrer Einfachheit und Reinheit aus der Lüge der Welt und der Zeit, daher auch das Wandern und müßige Schlendern im duftigen Walde oder auf Bergeshöhen sind ihm stehende Themata. Daneben sucht der seiner Kirche treu ergebene Katholik für die kalte Glaubensleere und die Verirrungen der Gegenwart Rettung und Heilung im ungeheuchelten Glauben und der frommen Hingabe an seine Kirche. Den lieben Gott soll der Dichter nur in sich walten lassen und aus frischer Brust treulich singen, so räth er; was wahr in ihm sei, werde sich dann auch gestalten; alles andere sei ein erbärmlich Ding. Ja er verurtheilt in demselben Liede (An die Dichter) auch manche Genossen seiner Schule, wenn er ausruft: „O klingelt, gleißt und spielet|nicht mit Licht und Gnade so ihr erfahren; zur Sünde macht ihr das Gedicht.“ Durch Tiefe und Innigkeit des Gefühls reiht sich der Cyklus: „Auf meines Kindes Tod“ an das schönste an, was in dieser Weise gedichtet worden ist. Lieder anderer Gattung, so die Soldatenlieder und Romanzen treten hinter den Naturliedern zurück. Was die Form betrifft, so erlaubt sich E. mancherlei Freiheiten, die hie und da zu Härten werden, z. B. einen ungemessenen Gebrauch des Apostrophs (man vergleiche u. a. die späte Hochzeit), ganz entgegengesetzte Versmaße treten in demselben Liede auf und stören den rhythmischen Fluß u. a m. Im allgemeinen jedoch ist die Sprache leicht und fließend und schmiegt sich dem Text so wohllautend an, daß außer ihrem Inhalt auch die Sangbarkeit es ist, was unsere Künstler immer von neuem zum Componiren dieser Lieder einladet. — Minder günstig ist das Urtheil über die übrigen Zweige seiner dichterischen Thätigkeit, die Romane, Novellen und Dramen. Mit Recht wird hier vermißt, was er in seiner Lyrik gerade so entschieden fordert, die Wahrheit; denn auch der Dichter darf die Wirklichkeit nicht so vernachlässigen, daß die Unmöglichkeit seiner erfundenen oder die Unrichtigkeit seiner historischen Stoffe so augenfällig hervortreten, wie dies so oft bei E. geschieht. Aber wie alle derartige Producte der romantischen Schule sind diese Geschichten nicht geschaffen für ernste Betrachtung; nur die Phantasie, das Gemüth und den Witz des Dichters muß der Leser unbefangen auf sich wirken lassen, um einen proetischen Genuß zu erzielen. Kritische Analysen vertragen diese Figuren, Zustände und Vorgänge durchaus nicht. Unter jener Voraussetzung mag allerdings die gerühmteste seiner Novellen „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1826) durch die Schilderung des vergnügten zwecklosen Umhertreibens ihres Helden in der Welt auf eine gleichgestimmte Jugend noch heute einen behaglichen Eindruck machen; den ernsten Leser werden nur die zum Theil trefflichen eingestreuten Lieder fesseln, während die an seine Phantasie gestellten Zumuthungen allenthalben den Eindruck stören. Größeren Umfangs sind der in der Gewitterschwüle der Jahre 1810 und 11 geschriebene Roman „Ahnung und Gegenwart“ und die spätere, offenbar nach Wilhelm Meister angelegte Novelle „Dichter und ihre Gesellen“ (1834). In beiden findet dieselbe Häufung von Personen und Abenteuern, dasselbe dunkle Empfindungsleben, die gleiche Lösung statt, denn der Hauptheld tritt dort ins Kloster, hier in den geistlichen Stand. Die Frische der Erzählung, manche prächtige Einzelheiten, das lustige romantische Treiben und die Gestalten mit viel Gemüth, doch wenig Verstand können die Mängel der Anlage nicht ersetzen. Der Roman soll viele jener Zeit entnommene Personen enthalten; jetzt sind dieselben schon nicht mehr recht zu erkennen. Mit größter Naivetät verlegt der Dichter in der Novelle „Der Glücksritter“ seine im dreißigjährigen Kriege spielende Geschichte in die Studentenwelt der Universität Halle (!). Mit mehr Glück ist der Zeitgeist der französischen Revolution im „Schloß Durande" festgehalten. Das „Marmorbild" hat eine christliche Tendenz; die süßen Täuschungen der antiken Götterwelt zerschellen wie in der Sage vom Venusberge an der christlichen Idee. Einen ähnlichen Gedanken verfolgt der im späteren Alter (1853) noch gedichtete Romanzen-Cyklus „Julian“, wie die letzte epische Dichtung „Robert und Guiscard“ (1855) gegen die Principien der französischen Revolution gerichtet ist. — Auch im Drama hat sich v. E. mehrfach versucht. Seine beiden Trauerspiele „Ezelin von Romano“ (1828) und „Der letzte Held von Marienburg“ (1838) bezeugen sein gestaltendes Talent, haben jedoch keine Verwendung auf den Bühnen gefunden. Das lyrische Element und die Reflexion herrschen in ihnen vor, die Helden sind zwar kräftig angelegt, entbehren jedoch in der Ausführung der Energie. Am besten beweist das Lustspiel „Die Freier“ des Dichters Befähigung fürs dramatische Gebiet. Frei von aller Romantik, frisch und bühnengerecht angelegt ist es wol|nur wegen seines etwas verbrauchten Motivs (Verkleidungen) und allzu gewöhnlichen Verlaufs von der Bühne ausgeschlossen geblieben. „Meierbets Glück und Ende. Tragödie mit Gesang und Tanz“ (1828) ist eine scherzhafte Parodie auf den Cultus von Walter Scott, und das dramatische Märchen „Krieg den Philistern“ (1828) ein satirisch witziges Spiel in der Weise von Tieck's „Prinz Zerbino“. — Seine romantische Richtung führte v. E. der älteren spanischen Litteratur zu, aus welcher er den „Grafen Lucanor“ des Don Juan Manuel und eine Anzahl geistlicher Schauspiele von Calderon (1846 und 1853) in schöner begeisterter Sprache nachdichtete.

    Wenn v. E. in seinen dichterischen Leistungen die Tendenzen seiner Romantik durchaus mit Milde und Liebenswürdigkeit an den Tag gibt, so ist es ihm doch damit voller Ernst. Er hat namentlich seit seinem Zerwürfniß mit der preußischen Regierung seine katholischen Anschauungen in einer Reihe von kritischen und literarhistorischen Studien ernst und entschieden, wenn auch ohne Bitterkeit und Parteihaß dargelegt. Es gehören dahin die Schriften: „Ueber die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland", 1847; „Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältniß zum Christenthum“, 1851; „Zur Geschichte des Dramas“. 1854, und endlich seine „Geschichte der poetischen Litteratur Deutschlands“, 1857 und 1861. E. wendet sich darin nicht allein gegen das Princip des Protestantismus, sondern auch gegen die ältere Romantik. Die Reformation gilt ihm durch ihr Princip „der revolutionären Emancipation der Subjectivität, welche die Forschung über die kirchliche Autorität, das Individuum über das Dogma setzt“ als Quelle der Zerfahrenheit unserer Litteratur. Von diesem Standpunkt aus durchmustert er dieselbe bis auf Goethe. Der deutsche Geist fand, wie E. glaubt, in ihr auch auf den höchsten Stufen ihrer Entwicklung kein Genüge und keine Ruhe. Die Romantiker übernahmen es die unbefriedigte und hungernde Nation mit nahrhafterer Kost zu versehen; aber sie faßten ihre Aufgabe, die zur Hälfte eine ethische war, vorzüglich nur als ästhetische und nahmen für die sichtbare lebendige Kirche oft nur die poetische Symbolik derselben, eine neue christliche Mythologie. Das religiöse Element löste sich endlich ganz von der Phantasie, aus der Zerklüftung wird völlige Zerrissenheit und endlich zerplatzt diese Romantik wie eine prächtige Rakete nach kurzer Beleuchtung der nächtlichen Gegend. Der Pöbel lacht und die Gebildeten reiben sich von der Blendung die Augen und gehen gleichgiltig wieder an ihre alten Geschäfte. Dieser falschen Romantik setzt E. nun die seinige, die wahre entgegen. Sein Bekenntniß faßt er zusammen in den Worten: „es sei eine der Schule entwachsene Romantik, die das verbrauchte mittelalterliche Rüstzeug ablegt, die katholisirende Spielerei und mystische Ueberschwenglichkeit vergessen und aus den Trümmern jener Schule nur die religiöse Weltansicht, die geistige Auffassung der Liebe und das innige Verständniß der Natur sich herübergerettet hat.“ In dieser Allgemeinheit dürfte freilich auch die protestantische Dichterwelt dies neuromantische Bekenntniß unterschreiben. — Die Gedichte Eichendorff's erschienen gesammelt Berlin 1837 bei Simion, seitdem in wiederholten Auflagen; die gesammten Werke ebenda 1842 in 4 Bänden. Die vollständigste Ausgabe ist die bei Voigt und Günther, Leipzig 1866 in 6 Bänden, doch enthält sie nicht die wissenschaftlichen Schriften. Diese erschienen in Paderborn bei Schöningh 1866, 4 Bände, nebst einem 5. Bande „Aus dem litterarischen Nachlasse“. Ein genaues chronologisches Verzeichniß der Gedichte gibt Goedeke im Grundriß. Das Leben des Dichters ist im 1. Bande der Voigt’schen Ausgabe sehr ausführlich beschrieben. Zur Genealogie des Geschlechts vgl. Augustin Welzel, Geschichte des edlen und freiherrlichen Geschlechts v. E. Ratibor 1876.

    Wilhelm, Freiherr v. E., der ältere Bruder und in der Jugend stetige Begleiter des vorigen, geb. 14. Septbr. 1786 zu Lubowitz, trat nach seiner Trennung von jenem 1813 in österreichische Dienste, wurde Gubernialrath und Kreishauptmann von Trient und starb am 7. Jan. 1849, im Begriffe seine Entlassung zu nehmen, zu Innsbruck. Die aus seinen jüngeren Jahren stammenden Gedichte sind in Zeitschriften zerstreut und nicht gesammelt worden.

  • Autor/in

    Palm.
  • Zitierweise

    Palm, Hermann, "Eichendorff, Joseph Freiherr von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 5 (1877), S. 723-728 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118529390.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA