Lebensdaten
1818 – 1883
Geburtsort
Trier
Sterbeort
London
Beruf/Funktion
Theoretiker des Sozialismus ; Sozialphilosoph ; Gesellschaftstheoretiker
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118578537 | OGND | VIAF: 49228757
Namensvarianten
  • Marx, Karl
  • Các Mác
  • Ka er Ma ke si
  • mehr

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Zitierweise

Marx, Karl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118578537.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Hirsch (seit 1814 Heinrich) Mordechai (seit 1808 Marx, 1777–1838), Justizrat, Rechtsanwalt in T., S d. Rabbiners Meir Halevi gen. Marx Levy (ca. 1743–1804) u. d. Chaja (Eva) (1754–1823, T d. Rabbiners Moses Lwow 1788);
    Urur-Gvv Josua Herschel Lwow (1693–1771), Gelehrter, Rabbiner in Schwabach, Landesrabbiner v. Brandenburg-Ansbach;
    M Henriette (1788–1863), T d. Kaufm. Isaak Pressburg (ca. 1747–1832) u. d. Kaufm.-T Nanette Cohn (ca. 1764–1833);
    Bad Kreuznach 1843 Jenny (1814–81), T d. Joh. Ludwig v. Westphalen (1770–1842), preuß. Reg.rat in T., u. d. Caroline Heubel (1780–1856);
    Gvv d. Ehefrau Philipp v. Westphalen (1724–92), geh. Staatssekr. d. Hzg. v. Braunschweig; Schwager Ferdinand v. Westphalen (1799–1876), 1850-58 preuß. Innenmin.; - 2 S (früh †), 4 T (1 früh †), u. a. Jenny (1844–83, Charles Longuet, 1839–1902, Redakteur, Journalist, franz. Kommunarde), Laura (1845–1911, Übersetzerin, Paul Lafargue, 1842–1911, Kommunarde, Abg. während d. 3. Republik), Eleanor (1855–98, Mitarbeiterin v. Friedrich Engels, lebte zus. mit Edward Aveling, 1849–98, Schriftsteller); unehel. S Frederick Demuth (1851–1929), Mechaniker in L.;
    E Jean Longuet (1876–1938), Bgm. v. Châtenay b. Paris, 1906-36 Sozialist. Parlamentsabg.;
    Ur-E Robert-Jean Longuet (* 1901), Journalist, Biograph M.s.

  • Biographie

    M. unternimmt, anknüpfend an die von Hegel entwickelte dialektische Methode und die klassische brit. Nationalökonomie von Adam Smith und David Ricardo, den Versuch, die Emanzipationsbewegung der Arbeiterklasse von einer utopischen auf eine wissenschaftliche theoretische Grundlage anzuheben. Schon früh mit radikaldemokratischen Ideen vertraut, gelangt er unter dem Eindruck der Misere verarmter Weinbauern und städtischer Arbeiter sowie der Lektüre der utopischen Sozialisten (Saint-Simon, Fourier, Owen) zur entschiedenen Kritik der bürgerlichen Eigentumsordnung und des sie sichernden Staates.

    Die Eigenart der kritischen Theorie M.s und ihre Entwicklung kann man am bündigsten in Anknüpfung an eine These von Karl Korsch charakterisieren als eine Entwicklung von der philosophischen Kritik Hegels im Sinne der Linkshegelianer zur materialistischen (von Ludwig Feuerbach angeregten) Kritik der Hegelschen Philosophie einschließlich ihrer linken Variante und schließlich zur Kritik der politischen Ökonomie. Von der Philosophiekritik zur Kritik der Politik und zur Kritik der Ökonomie als der „Basis“ der politischen und rechtlichen Verhältnisse – so zeichnet sich die Entwicklung des M.schen Denkens ab. Schon früh geht es M. aber nicht nur darum „zu erkennen“, sondern die Verhältnisse zu verändern. Sein Verzicht auf eine akademische Laufbahn ist daher nicht nur durch äußere Umstände bedingt, sondern entspricht auch seinem auf praktische Wirksamkeit hindrängenden Temperament. Dennoch überwiegt im ganzen die Bedeutung der theoretischen Arbeit, die M. bis an sein Lebensende in Bann hält.

    Obwohl M. und seine Geschwister erst 1824 getauft wurden, dürfte auch vorher eine Unterweisung in der jüdischen Religion im Hause Marx nicht stattgefunden haben. M.s Vater, der 1816 oder 1817 – wohl um in seiner anwaltlichen Tätigkeit weniger behindert zu sein – zum Protestantismus übergetreten war, vertrat einen aufgeklärten Deismus; offensichtlich hat es ihn keine Überwindung gekostet, seinen Glauben zu wechseln. Nach seiner politischen Überzeugung war Heinrich Marx liberal, ohne deshalb gegen die preuß. Monarchie Stellung zu beziehen. Während der Vater den jungen M. mit der franz. und deutschen Aufklärung vertraut machte, lernte dieser im Hause seines späteren Schwiegervaters v. Westphalen Homer, Shakespeare und die Romantiker kennen; auch interessierte sich dieser höchste preuß. Verwaltungsbeamte in Trier für den Saint-Simonismus, von dem M. durch ihn erstmals gehört haben dürfte.

    M. wurde offenbar bis zu seinem 12. Lebensjahr daheim von seinem Vater und einem befreundeten Buchhändler unterrichtet. Fünf Jahre lang, bis zum Abitur, besuchte er dann das Trierer Gymnasium, dessen Rektor Hugo Wattenbach (1767–1848), ein aufgeklärter und liberaler Lehrer der alten Sprachen und der Philosophie, seit 1832 (nach dem Hambacher Fest) verdächtigt wurde, radikale politische Ansichten zu vertreten, und polizeilich überwacht wurde. Einen ersten Einblick in die Denkart des 17jährigen M. ermöglichen die drei Abituraufsätze in Latein, Religion und Deutsch. Im Lateinaufsatz sollte die Frage beantwortet werden, ob man das Prinzipat des Augustus mit Recht zu den glücklichsten Zeiten des röm. Reiches rechne. M.s wohlwollende Charakterisierung des aufgeklärten Herrschers, dessen mildes Regiment die Bürger nicht habe bemerken lassen, daß ihnen die Freiheit genommen war, weist noch kaum Merkmale einer kritischen Geschichtsbetrachtung auf. Im Religionsaufsatz, der der rationalistischen Religiosität des Vaters entsprochen haben dürfte, wird „die Vereinigung der Gläubigen in Christo“ ganz als Ausdruck einer perfekten uneigennützigen Moralität im Geiste praktischer Menschenliebe gedeutet. Im Deutschaufsatz „Betrachtungen eines Jünglings bei der Wahl seines Berufs“ moralisiert der Abiturient M., wie es dem Geist seines Milieus und seiner Zeit entsprach. Nur ein Satz wird gern aus diesem Aufsatz zitiert, in dem sich schon so etwas wie das Bewußtsein der sozialen Bedingtheit unserer Existenz ausdrückt: „Unsere Verhältnisse in der Gesellschaft haben einigermaßen schon begonnen, ehe wir sie zu bestimmen imstande sind“. Freilich setzt er im darauffolgenden Absatz den Gedanken mit einem Hinweis auf die individuelle „physische Natur“ fort, die der freien Berufswahl Schranken setze, und erwähnt die unterschiedlichen Talente. Als Prinzip für eine verantwortliche Berufswahl gilt ihm schließlich, den „Stand“ zu wählen, „in dem wir am meisten für die Menschheit wirken können“, denn dann „genießen wir keine arme, eingeschränkte, egoistische Freude, sondern unser Glück gehört Millionen, unsere Taten leben still, aber ewig wirkend fort, und unsere Asche wird benetzt von der glühenden Träne edler Menschen“. Was der 17jährige M. im August 1835 niedergeschrieben hat, kann als Maxime seines späteren Lebens und Wirkens durchaus ernst genommen werden. Der brennende Ehrgeiz und das früh sich zeigende mächtige Selbstbewußtsein des von den Eltern bewunderten Sohnes stellt sich in den Dienst der Sache der Menschheit, die in der „Emanzipation der Arbeiterklasse“ konkretisiert wird.

    Zunächst aber ging M. zum Studium der Rechtswissenschaft, wie es der Vater wünschte, nach Bonn. Zuvor hatte er sich heimlich mit „dem schönsten Mädchen von Trier“, Jenny, der Schwester seines Schulfreundes Edgar v. Westphalen, verlobt. Erst sieben Jahre später konnte er heiraten, nachdem seine Braut den heftigen Widerstand vor allem ihres reaktionären Halbbruders Ferdinand v. Westphalen, des späteren preuß. Ministers, überwunden hatte. In Bonn studierte M. neben der Jurisprudenz auch Literatur und begann romantische Gedichte zu verfassen, die er seiner Braut widmete und später selbst sarkastisch beurteilt hat. Wegen nächtlichen Lärms verbrachte er einen Tag im Karzer. Im Winter 1836 ging er an die „Arbeitsuniversität“ Berlin.

    Berlin war damals das „Zentrum des Hegelianismus“, und M. wurde, nachdem er sich zunächst gegen diese Philosophie „gewehrt“ hatte, schließlich in ihren „Bann gezogen“, wie er in seinem berühmten Brief an den Vater im November 1837 bekennt. Neben dem hegelianischen Juristen und Demokraten Eduard Gans, bei dem er „Kriminalrecht“ hörte, besuchte M. auch die Kollegien des konservativen Vertreters der historischen Rechtsschule Friedrich Carl v. Savigny. Vor allem aber wurde M. durch seinen Freund Adolf Rutenberg (1808–69) in einen Kreis von „Junghegelianern“ eingeführt, in dessen Mittelpunt der radikale Theologe und Religionskritiker Bruno Bauer stand. In diesem Kreis wurden aus der Hegelschen Philosophie sowohl religionskritische als vor allem auch entschieden demokratische Folgerungen gezogen. Ein anderes Mitglied dieses sog. „Doctor-Clubs“ war Karl Friedrich Köppen (1808–63), der seine Schrift „Friedrich der Große und seine Widersacher“ (1840) seinem Freund M. widmete. Köppen entwickelte sich politisch rasch von einem Anhänger einer aufgeklärten konstitutionellen|Monarchie zum entschiedenen Republikaner und Sozialisten. 1848/49 war er am Aufbau einer Arbeiterorganisation in Berlin beteiligt.

    Während M. im Brief an den Vater über den Versuch eines „Systems“ der gesamten Rechtswissenschaft berichtet, der schließlich gescheitert sei und ihn zu intensiver Beschäftigung mit Hegel veranlaßt habe, war der Vater über die großen Geldausgaben und die geringen Fortschritte des Sohnes in Richtung auf einen Abschluß der Studien und eine Beamtenkarriere beunruhigt. Nach dem Tode des Vaters im Mai 1838 fühlte sich M. von der Rücksicht auf diesen in der Wahl seines Studienfachs entbunden. Angeregt und ermuntert durch seinen damaligen Freund Bruno Bauer, faßte er eine akademische Tätigkeit ins Auge und entschloß sich, im Fach Philosophie zu promovieren. Dabei wählte er als Thema „Die Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“. Die Epoche der Philosophiegeschichte, die sich an Aristoteles anschließt, erscheint ihm (wie anderen Junghegelianern) als ein Analogon zur Situation seiner eigenen Zeit nach dem Tode Hegels und dem Zerfall der Hegelschen Schule. Die „Vorarbeiten“ zur Dissertation, die zum größten Teil erhalten sind, geben einen guten Einblick in die Arbeitsmethode von M., die er auch später – etwa bei der Beschäftigung mit ökonomischen Fragen – beibehielt. M. exzerpierte gründlich und flocht in seine Exzerpte eigene Reflexionen ein. Auf der Grundlage solcher Hefte entwarf er dann seine Arbeit.

    Die Dissertation und die Vorarbeiten entsprechen weithin der Auffassung der Linkshegelianer, die Hegel seine Versöhnung mit der Religion und den bestehenden politischen Verhältnissen zum Vorwurf machten. Dennoch wird dessen System als Abschluß einer historischen Epoche anerkannt und bewundert. Nunmehr aber wendet „die Philosophie, die zur Welt sich erweitert hat, sich gegen die erscheinende Welt“ (MEW Erg.-Bd. 1, S. 215). Diese Wendung kann aber sowohl in einem Rückzug aufs Private wie in einer revolutionären Infragestellung der politischen Verhältnisse bestehen. „Die epikureische, stoische Philosophie war das Glück ihrer Zeit; so sucht der Nachtschmetterling, wenn die allgemeine Sonne untergegangen ist, das Lampenlicht des Privaten“ (S. 219). Auf die „stoische, skeptische und epikureische Philosophie“ sei aber Rom gefolgt. Die Götter der alten Welt seien gestorben, „und die neue Göttin hat unmittelbar noch die dunkle Gestalt des Schicksals …“ (S. 217). Man kann diese Andeutungen – zumal die Briefe von Bruno Bauer an M. dafür sprechen – auf die Erwartung einer bevorstehenden politischen Umwälzung in Deutschland beziehen, die im kritischen Denken der Junghegelianer gleichsam vorweggeahnt wird. Der die Natur mit Leben versehende Atheismus des Epikur wird von Marx – ganz im Sinne seines Freundes Bauer – als Befreier begrüßt und gegenüber dem mechanistischen Denken des Demokrit herausgestellt. Die Vorrede zur Dissertation schließt mit dem Epikur-Zitat „Gottlos aber ist nicht der, welcher mit den Göttern der Menge aufräumt, sondern der, welcher die Vorstellungen der Menge den Göttern andichtet“ (S. 262). Auf zwei weitere Zitate folgt – gleichsam als Motto – der Äschylos-Satz „Prometheus ist der vornehmste Heilige und Märtyrer im philosophischen Kalender“ (S. 263).

    Obgleich ihm Bauer empfohlen hatte, seine Arbeit bei Georg Andreas Gabler (1786–1853), dem Nachfolger Hegels auf dessen Berliner Lehrstuhl, einzureichen, der ihn sicher – als Nachwuchs-Hegelianer – fördern werde, wandte sich M. an den Literaturhistoriker Oskar Ludwig Bernhard Wolff (1799–1851) in Jena, der mit Heine befreundet war und mit Vertretern des „Jungen Deutschland“ in Verbindung stand. Wolff beriet als Dekan M. in protokollarischen Fragen, erhielt das Manuskript am 6.4.1841 und stellte schon am 15.4. – in absentia des Kandidaten – das Doktordiplom aus. M. hatte sich offenbar einer mündlichen Prüfung nicht stellen müssen.

    Bruno Bauer, der sich nach dem Tod von Eduard Gans (1839) und der Berufung von Friedrich Julius Stahl auf dessen Lehrstuhl in dem immer reaktionärer werdenden Milieu der Berliner Universität nicht mehr halten konnte, war vom preuß. Kultusminister Altenstein nach Bonn versetzt worden. Da dort die beiden theologischen Fakultäten gegenseitig die „liberaleren“ Professoren in der jeweils anderen Fakultät unterstützten, versprach sich Bauer günstige Chancen für seine eigene religionskritische Position. In seiner Auseinandersetzung mit der ev. Orthodoxie und mit dem konservativen Zeitgeist hoffte er auf die Unterstützung durch seinen Freund M. Nach dessen erfolgreicher Promotion legte er ihm daher die „Nostrifikation“ durch die philosophische Fakultät in Bonn nahe. Außerdem riet er M. davon ab, sein Vorwort mit dem erwähnten Prometheus-Wort zu beenden. Er müsse, bevor ihm die venia legendi erteilt worden sei (die seinerzeit mit der Promotion verbunden war), sich einiger Zurückhaltung befleißigen. Einmal auf dem Katheder, werde er dann frei reden können. M. ging schließlich nach Bonn, u. a. auch, um gemeinsam mit Bauer eine neue radikale Zeitschrift herauszugeben, die „Archiv des Atheismus“ heißen sollte. Im Oktober 1841 wurde Bauer jedoch durch die preuß. Regierung die Lehrbefugnis entzogen. Damit hatten sich auch die Chancen von M. auf eine Lehrtätigkeit an einer preuß. Universität zerschlagen. Er wandte sich fortan der journalistischen Tätigkeit zu, um seiner lang geplanten Ehe eine materielle Grundlage geben zu können.

    Abgesehen von zwei von seinen Berliner junghegelianischen Freunden im „Athenäum“ veröffentlichten Gedichten hatte er noch nichts publiziert. Auch die Vorbereitung einer Druckfassung der Dissertation erschien M. jetzt – nachdem die akademische Perspektive hinfällig geworden war – sinnlos. Eine Mitarbeit von M. an der satirisch-ironischen Schrift Bruno Bauers „Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen“ (1841) ist zumindest wahrscheinlich. Die Fortsetzung in Gestalt einer ähnlichen Publikation über die Hegelsche Ästhetik sollte er zum größeren Teil verfassen, aber nachdem die „Posaune“ nicht nur verboten, sondern auch der Rest der Auflage vernichtet worden war, zerschlug sich auch diese Möglichkeit. Bauer und M. wollten mit solchen Schriften den Nachweis führen, daß Hegel im Grunde seines Herzens „Linkshegelianer“ gewesen war. Sie taten das in Gestalt einer fiktiven Polemik, die angeblich von einem entrüsteten Vertreter der ev. Orthodoxie stammte. Die „Posaune“ traf den „Ton“ dieser Kreise so gut, daß selbst der liberale Sympathisant der Linkshegelianer Arnold Ruge sich zunächst täuschen ließ.

    Im Laufe des Jahres 1841 hatte eine Gruppe von rhein. Bürgern – unter ihnen Ludolf Camphausen und Gustav Mevissen – auf Aktienbasis die „Rheinische Zeitung“ gegründet, die als liberales und aufgeklärtes Gegengewicht gegen die klerikale „Kölnische Zeitung“ fungieren sollte. Sogar der preuß. Regierungspräsident Carl v. Gerlach hatte Aktien des Blattes gezeichnet, das sich anfangs des preuß. Wohlwollens erfreute. Als erster Chefredakteur war der Nationalökonom Friedrich List vorgesehen, der jedoch seinen Anhänger Gustav Höfken für die Stellung empfahl, die er selbst krankheitshalber nicht übernehmen könne. Doch Höfken enttäuschte den Aufsichtsrat der Zeitung, weil er sich allein auf die Förderung des Zollvereins und der Handelspolitik konzentrierte. Bereits im Januar 1842 schied Höfken wieder aus. M., der sich von Bonn aus als Mitarbeiter betätigt hatte, empfahl seinen Freund Rutenberg, der sich ebensowenig bewährte, so daß faktisch eine Zeitlang Moses Heß, der bereits damals einen utopischen Kommunismus vertrat, die Leitung des Blattes innehatte.

    Zu einer einheitlichen und kraftvollen Redaktionsarbeit kam es jedoch erst, als M. selbst im Oktober 1842 die Leitung der Zeitung übernahm. Zuvor waren von ihm eine Anzahl von Artikeln über die Verhandlungen des 6. Rhein. Landtags anonym („von einem Rheinländer“) erschienen. Einen Artikel über den „Kölner Religionsstreit“ verbot die Zensur. Berichte über die Landtagsdebatten zum „Holzdiebstahlgesetz“ erschienen im Herbst, gleichfalls anonym. Die Artikelfolge erregte Aufsehen. M. kritisierte die – durch seine Zusammensetzung erklärliche – schwächliche Position des Rhein. Landtags, der lediglich eine Milderung, nicht die allein für ein freies Gemeinwesen angemessene Abschaffung der Zensur gefordert hatte. Im Unterschied zur Gleichsetzung der Pressefreiheit mit der allgemeinen Gewerbefreiheit betont M.: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. Dem Schriftsteller, der sie zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die äußere, die Zensur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe“ (MEW Bd. 1, S. 71). In seiner Behandlung der Debatten über das Holzdiebstahls-Gesetz arbeitete M. die Konsequenz der Durchsetzung des kodifizierten bürgerlichen Eigentumsrechts am Wald einschließlich des am Boden liegenden Holzes und dessen Widerspruch gegenüber dem Gewohnheitsrecht der ärmeren dörflichen Bevölkerung heraus und skizzierte ansatzweise eine Kritik des Privateigentums. In Artikeln über die Not der Moselbauern machte er ebenfalls auf die Bedeutung der ökonomischen Verhältnisse aufmerksam. Auch wenn er durchaus noch auf dem Standpunkt des entschiedenen demokratischen Reformers steht und vor allem den extremen Überschwang der Berliner Junghegelianer als gegenproduktiv ablehnt, bahnt sich doch schon die Entwicklung zum Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft und der politischen Ökonomie an. In der Beurteilung eines neuen Ehescheidungsgesetzes kommt dagegen noch deutlich der Hegelsche Standpunkt zum Ausdruck. Aufgabe des Gesetzgebers ist es – nach M. – das „sittliche Wesen“ der Ehe aus ihrem Begriff abzuleiten|und dort, wo die realen Verhältnisse diesem Begriff nicht mehr entsprechen, die Tatsache der Auflösung der Ehe durch die rechtliche Scheidung zu beurkunden.

    Unter M.s Leitung entwickelte sich die „Rheinische Zeitung“ zum führenden Oppositionsblatt im Rheinland. Die Regierung, die anfänglich die Neugründung begünstigt hatte, war schon seit der Redaktionstätigkeit Rutenbergs gegen das Blatt eingestellt und verschärfte ständig die Zensur. Vermutlicher Auslöser für das schließliche Verbot der Zeitung war ein Artikel, der Rußland als Hauptstütze der reaktionären preuß. Außenpolitik angriff und eine verärgerte Reaktion der russ. Regierung zur Folge hatte. Weder der Austritt von M. aus der Redaktion und die von ihm selbst ausgehende „Denunziation“, er sei der Spiritus rector der radikalen Tendenz des Blattes gewesen, noch mehrere Eingaben der Aktionäre hatten Erfolg. Am 31.3.1843 erschien die letzte Nummer mit einem Gedicht von Georg Herwegh: „Wir ließen kühn der Freiheit Fahne wehen, und ernst tat jeder Schiffmann seine Pflicht. War drum vergebens auch der Mannschaft Spähen: Die Fahrt war schön und sie gereut uns nicht … Daß uns der Götter Zorn hat nachgetrachtet, es schreckt uns nicht, daß unser Mast gefällt. Denn auch Kolumbus ward zuerst verachtet, und endlich sah er doch die Neue Welt.“

    Ruge und Herwegh beabsichtigten, in Zürich ein neues Organ der deutschen linken Demokraten herauszugeben, und M. sollte sich ihnen anschließen. Schließlich plante er zusammen mit Ruge die „Deutsch-Franz. Jahrbücher“, die – im Ausland gedruckt und frei von Zensur – die Tradition der Hallischen und der Deutschen Jahrbücher fortsetzen sollten. Die preuß. Regierung suchte ihn durch das Angebot, Chefredakteur der „Preuß. Staatszeitung“ zu werden, auf ihre Seite zu ziehen. M. aber ging – zusammen mit seiner Frau Jenny, die er im Juni 1843 endlich hatte heiraten können, – im Oktober nach Frankreich, wo er sich u. a. mit Heinrich Heine anfreundete und einen Essay über die „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ und die Auseinandersetzung mit Bruno Bauers Schriften über die „Judenfrage“ für die „Deutsch-Franz. Jahrbücher“ schrieb, die ein einziges Mal 1844 in Paris erschienen. In den Monaten seit seinem Weggang von der „Rhein. Zeitung“ hatte er sich intensiv mit Hegels Rechtsphilosophie, aber auch schon mit der jüngsten Geschichte und mit Rousseau, Tocqueville, Th. Hamilton, G. de Beaumont beschäftigt. Wie üblich fertigte er umfangreiche Exzerpte dazu an. Noch ehe er seine Kritik der Ökonomie entwickelt hatte, entwarf M. die Umrisse einer Geschichtsphilosophie und überwand – unter dem Einfluß von Ludwig Feuerbach – den Idealismus der Junghegelianer.

    In seiner redaktionellen Einleitung zu den „Jahrbüchern“ erklärt Arnold Ruge, da „die deutsche Nation zu stumpf ist, um für die Pressefreiheit den allgemeinen energischen Ruf zu erheben, müssen wir im Auslande schreiben und drucken wie die Franzosen vor ihrer Revolution dies auch gemußt“. Der Textteil wird mit einem Briefwechsel eröffnet, an dem Ruge, Ludwig Feuerbach, Michail Bakunin und M. beteiligt sind. In seinem letzten Brief entwirft M. die Aufgabe, die eine auf politische Wirkung abzielende Kritik sich stellen müsse. Es gehe nicht darum, dogmatisch kommunistische Systeme wie die eines Cabet, Dézamy, Weitling oder sozialistische wie die von Fourier, Proudhon usw. zu propagieren, auch dürfe man sich nicht nur mit „einer Seite, welche das wahre menschliche Wesen betrifft“ (MEW 1, S. 344), beschäftigen, sondern müsse sich auch „um die theoretische Existenz des Menschen … kümmern, also Religion, Wissenschaft etc.“, die das „Hauptinteresse der jetzigen Deutschen bilden“, und sie zum Ausgangspunkt kritischer Überlegungen nehmen. So könne man z. B. den Konflikt zwischen dem ständischen und dem repräsentativen politischen System dahingehend analysieren, daß er als politischer Ausdruck „des Unterschieds von der Herrschaft des Menschen und der Herrschaft des Privateigentums“ verstanden werden könne. Auf diese Weise könne man diese Partei (die des bürgerlichen Repräsentativstaates) zwingen, „übersich selbst hinauszugehen“: „Es hindert uns also nichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will“ (S. 345). „Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen“ (S. 346).|Damit hat M. das Prinzip seines kritischen Vorgehens auch noch für die spätere reife Phase seiner theoretischen Entwicklung angegeben. Es gilt, den kämpfenden Menschen – später präziser dem kämpfenden Proletariat – zu einem angemessenen Bewußtsein ihrer Kämpfe zu verhelfen und damit den Gang der Geschichte zu beschleunigen, „die Geburtswehen einer neuen Gesellschaft abzukürzen“.

    In seiner „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung“ stellt M. die These auf, daß – im Unterschied zu den Franzosen – die Deutschen als theoretisches Volk nur zu einer radikalen Revolution fähig sind, die entsprechend entschieden über das Niveau der politischen und bürgerlichen Revolution hinausgeht. Die Philosophie ist für diese Revolution bereits vorhanden, sie bedarf aber auch eines passiven Elements, das sie allein im Proletariat, einer Klasse mit „radikalen Ketten“ finden kann, in der Ausbeutung und Unterdrückung einen unerträglichen Höhepunkt erreicht haben: „Das gründliche Deutschland kann nicht revolutionieren, ohne von Grund aus zu revolutionieren. Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat. Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie“ (S. 391). Unter der „Verwirklichung“ der Philosophie ist die Befreiung der realen Menschen in ihrer Gesellschaft zu verstehen, welche die Philosophie nur auf eine imaginäre und ideelle Weise (und für einige wenige) zu realisieren vermochte.

    Die kritische Auseinandersetzung mit Bruno Bauers Schriften zur „Judenfrage“ (1843) gehen zwar von einer höchst fragwürdigen Identifikation der jüdischen Religion mit dem ökonomischen Materialismus des Bürgertums aus, treten aber eindeutig für eine Gleichberechtigung der jüdischen Staatsbürger ohne Rücksicht auf ihre religiöse Sonderstellung ein. Das eigentliche Thema, das M. bei dieser Gelegenheit behandelt, ist jedoch der Unterschied zwischen der politischen (bürgerlichen) Revolution und der „menschlichen“ (oder sozialen und proletarischen). Die bürgerliche Revolution führt lediglich dazu, daß sich in Gestalt des Staates die politischen Elemente aus der Gesellschaft zurückziehen und diese ihrer Eigendynamik überlassen wird. Das gilt sowohl für die Wirtschaft wie auch für die Religion und die Wissenschaft. Daher wird nicht der Schacher aufgehoben, sondern die Handelsfreiheit eingeführt, nicht die Religion überwunden, sondern Religionsfreiheit gewährt. Diese Freisetzungen führen also keineswegs zur Abschaffung, sondern im Gegenteil zur Stärkung von Handelsgeist und Religion. Es ist daher widersinnig, wenn Bauer von den Juden die Konversion als Voraussetzung der Zuerkennung von Bürgerrechten fordert. Der bürgerliche Staat teilt die Menschen in abstrakte Staatsbürger, die sich als ideelle „allegorische“ Individuen mit dem Gemeinwesen eins fühlen, und konkrete Bourgeois, die egoistisch ihren partikularen Interessen nachgehen: „Die politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person … erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seinen individuellen Verhältnissen Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine ‚forces propres' als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht“ (S. 370). Was M. hier als Eigenart der politischen Emanzipation (durch die bürgerliche Revolution) beschreibt, ist die „politische Entfremdung“, deren Aufhebung in einem idealen demokratischen Gemeinwesen erhofft wird. Nur wenig später sollte M. noch einen Schritt weiter gehen und die politische (wie die religiöse usw.) Entfremdung auf die sozialökonomischen Verhältnisse zurückführen, so daß alle Arten der Entfremdung letztlich erst durch eine Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Verwandlung der Gesellschaft in eine „freie Assoziation von Produzenten“ überwunden werden können.

    Die „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“, die Friedrich Engels zu den Jahrbüchern beisteuerte, gaben M. den nachhaltigen Anstoß zum intensiven Studium der ökonomischen Klassiker. Der erste Niederschlag dieser Beschäftigung waren die „Pariser Manuskripte“ („Nationalökonomie und Philosophie“ oder auch „ökonomisch-philosophische Manuskripte“), die erst 1932 aus dem Nachlaß veröffentlicht wurden. Hier macht M. umfassende Ausführungen über die „entfremdete Arbeit“, die durch die innerbetriebliche Arbeitsteilung und die lebenslängliche Fesselung der Arbeitenden an Teilfunktionen im Zuge der Industrialisierung auf die Spitze getrieben wird. Da die Vorteile der Arbeitsteilung und Kooperation ausschließlich den Produktionsmittelbesitzern zufließen und der Einsatz von Maschinen immer weniger Anlernzeit erfordert, kommt es zu dem Paradox, daß „der Arbeiter umso ärmer wird, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine umso wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeit produziert nicht nur Waren, sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie überhaupt Waren produziert“ (MEW Erg.bd. 1, S. 511). Das Produkt der Arbeit – damit meint M. in erster Linie die Maschinen und industriellen Anlagen – steht dem einzelnen Arbeiter als „fremde und feindliche Macht gegenüber“. Ganz ähnlich wie Feuerbach den Gottesbegriff als ein unbewußtes Produkt der menschlichen Phantasie bezeichnet hatte, suchte M. das Kapital als entfremdetes Produkt der kooperierenden arbeitsteiligen Arbeit zu erweisen. Und ähnlich wie Feuerbach die „an die Gottheit verschleuderten Eigenschaften“ den Menschen zurückzugeben wünschte, ging es M. um eine Wiederaneignung der entfremdeten und verdinglichten Lebensäußerungen der Arbeiter. Der Arbeiter, der „Knecht seines eigenen Gegenstandes“ (S. 513) geworden ist, kann sich aber nur dadurch befreien, daß er sich – mit allen anderen Produzenten – zum gemeinschaftlichen Subjekt der Produktion macht. Solange das nicht geschieht, sind die arbeitenden Menschen dreifach entfremdet: 1. ist das Produkt ihrer Arbeit ihnen fremd, da es nicht ihnen gehört, nicht ihren Bedürfnissen entspricht, 2. ist die produktive Tätigkeit, die doch für den Menschen Gattungseigenschaft ist, ihnen fremd geworden und wird daher, sobald die äußere Not aufhört, wie eine Pest geflohen, und 3. sind sie damit ihrem Gattungswesen (ihrer Menschlichkeit) entfremdet, da ihre Gattungstätigkeit zum bloßen Mittel für die Fristung ihrer physischen Existenz geworden ist. Daraus folgt aber 4., daß die Beziehungen der Menschen zueinander ebenfalls entfremdet sind; sie nehmen einander nur als „Mittel“ oder auch als „Beschränkung“ wahr, nicht als Ergänzung, Bestätigung, Erweiterung ihres begrenzten Wesens. Da nun aber „die ganze menschliche Knechtschaft in dem Verhältnis des Arbeiters zur Produktion involviert ist“, sind „alle Knechtschaftsverhältnisse nur Modifikationen und Konsequenzen dieses Verhältnisses“ (S. 521). Mit der Aufhebung dieser Knechtschaft, der Emanzipation des Arbeiters, fällt auch die des Kapitaleigners zusammen, denn auch er ist seinem menschlichen Wesen entfremdet, auch wenn er sich in seiner Entfremdung durchaus wohl fühlen kann.

    Im Zusammenhang mit seinem ersten Entwurf einer Kritik der Ökonomie skizziert M. nicht zufällig auch eine „Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt“. Dabei hebt er als positive Leistung Hegels die Entwicklung der Dialektik hervor und stellt zugleich fest, daß Hegel „die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift“ (S. 574). Aber Hegel sieht – infolge seines Idealismus – nicht, daß mit der bloßen „Aufhebung“ ins Bewußtsein die realen Entfremdungsphänomene nicht überwunden werden können. „Die Rückkehr des Gegenstandes in das Selbst“ gilt ihm schon als „Wiederaneignung“ (S. 576). Damit wird der „wirkliche, leibliche, auf der festen wohlgerundeten Erde stehende, alle Naturkräfte aus- und einatmende Mensch“ aber verkannt. Die Wiederaneignung der entfremdeten und vergegenständlichten Kräfte soll ein „durchgeführter Naturalismus oder Humanismus“ sein, der sich „sowohl von dem Idealismus als dem Materialismus unterscheidet“ (S. 577).

    Hegels Philosophie ist – trotz aller Kritik, die an ihr geübt werden muß – ein adäquater Ausdruck der bürgerlichen politischen und sozialen Verhältnisse. Ihr Idealismus oder Spiritualismus entspricht dem Spiritualismus des Citoyen. Dessen bloß imaginäres „Aufheben“ entspricht dem imaginären Aufheben von Religion, egoistischem Schacher usw. durch den Staatsidealismus. Beide Vorgänge lassen die Verhältnisse unverändert bestehen. Ihnen stellt M. „die wirkliche Vergegenständlichung des Menschen“ und „die wirkliche Aneignung seines gegenständlichen Wesens durch die Vernichtung der entfremdeten Bestimmungen der gegenständlichen Welt, durch die Aufhebung, in ihrem entfremdeten Dasein“ gegenüber. „Der Kommunismus als Aufhebung des Privateigentums … ist das Werden des praktischen Humanismus“ (S. 583).

    Die eindrucksvollste Schilderung der sozialen Beziehungen in einer emanzipierten Welt hat M. im Zusammenhang mit einem Exzerpt aus der franz. Übersetzung von James Mills „Elements of Political Economy“ gegeben. Im Gegensatz zu den Beziehungen der Produzenten und Eigentümer in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der sich die Menschen lediglich als „Mittel und Instrument“ für ihre je eigennützigen Zwecke ansehen, hätte in einer „menschlichen“ Produktion „jeder von uns in seiner Produktion sich selbst und den andren doppelt bejaht. Ich hätte 1. in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen, als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegenständliche, sinnlich anschaubare und darum über allen Zweifeln erhabene Macht zu wissen. 2. In deinem Genuß oder Gebrauch meines Produkts hätte ich unmittelbar den Genuß, sowohl des Bewußtseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, also das menschliche Wesen vergegenständlicht und daher dem Bedürfnis eines andren menschlichen Wesens seinen entsprechenden Gegenstand verschafft zu haben, 3. für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen … Unsere Produktionen wären ebenso viele Spiegel, woraus unser Wesen sich entgegenleuchtete“ (MEW Erg.bd. 1, S. 462 f.). Die Struktur dieser idealen Gesellschaft und der in ihr vorwaltenden Beziehungen der Individuen entspricht weithin dem Hegelschen Konzept, nur daß an die Stelle der bloß geistigen Verwirklichung in der politischen Gemeinschaft im „vernünftigen Staat“ eine konkrete und materielle der produzierenden und konsumierenden Menschen getreten ist.

    Während seines Aufenthalts in Paris lernte M. sozialistische franz. Arbeiter kennen, nahm Kontakt zu den Redakteuren des Pariser „Vorwärts“ auf und traf mit P. J. Proudhon zusammen, dem er bei dieser Gelegenheit (vergeblich) die Hegelsche Dialektik klarzumachen versuchte. Engels, den M. während seiner Kölner Redakteurtätigkeit nur flüchtig kennengelernt hatte, kehrte 1844 von einem Aufenthalt in England zurück und veröffentlichte im „Vorwärts“ Artikel über „die Lage Englands“, außerdem arbeitete er an dem Buch „Die Lage der arbeitenden Klassen in England“, das 1845 erschien. Eine enge, freundschaftliche Zusammenarbeit der beiden begann, die bis zum Tode von M. anhielt. Engels, der Kaufmannssohn, sollte, auch um seinen Freund finanziell unterstützen zu können, später in die Firma Ermen & Engels in Manchester eintreten und sich dem „hündischen Kommerz“, wie er es nennt, widmen.

    Erste Frucht der gemeinsamen Arbeit von M. und Engels war „Die heilige Familie, oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Konsorten“, eine kritische Auseinandersetzung mit den linken Hegelianern. Auch wenn der Beitrag von Engels nur relativ geringfügig ist, unterstreicht doch die gemeinsame Verfasserschaft die enge Verbindung der beiden. Das Buch ist zugleich eine erste Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Bruno Bauer und anderen Linkshegelianern wird vorgeworfen, daß sie die Macht des subjektiven Bewußtseins verabsolutieren und annehmen, mit einer bloß verbalen Aufhebung schon die Wirklichkeit verändern zu können. Die soziale Wirklichkeit sei diesen Autoren offenbar nur aus einer noch dazu unkritischen Lektüre von Kolportageromanen bekannt.

    Auf Druck der preuß. Regierung ordnete Anfang 1845 der franz. Innenminister Guizot die Ausweisung der wichtigsten Mitarbeiter des Pariser „Vorwärts“ an. M. ging am 3.2.1845 nach Brüssel, schloß jedoch zuvor einen Vertrag mit dem Darmstädter Verleger Leske über eine zweibändige „Kritik der politischen Ökonomie“ ab. Das Buch erschien allerdings erst 1859 bei Duncker & Humblot, Berlin, die definitive Fassung – das „Kapital“ (Bd. I) – sogar erst 1867 bei dem Verleger Otto Meissner in Hamburg.

    In Brüssel hielt M. Vorträge über ökonomische Probleme vor Arbeitern, organisierte ein Netz von Korrespondenzen mit Chartisten in England und mit franz. und deutschen Sozialisten. Gemeinsam mit Engels arbeitete er an einer zweiten Auseinandersetzung mit linken deutschen Denkern, die ihnen einst nahegestanden hatten: „Die Deutsche Ideologie, Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten, Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten“. Da für das Buch ein deutscher Verleger nicht gefunden wurde, die Hauptsache aber, „Selbstverständigung“, mit dem Abschluß der gemeinsamen Arbeit erreicht sei, überließen die Autoren das Manuskript der „nagenden Kritik der Mäuse“.

    Der erste Teil der „Deutschen Ideologie“ (Feuerbach, Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung) faßt die geschichtstheoretische Position von M. erstmals bündig zusammen. Die materialistische Geschichtsauffassung geht von der Erkenntnis aus, daß „Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen“ keine „eigene Geschichte“ haben. Vielmehr ändern die Menschen, „die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr ändern, mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein“ (MEW 3, S. 26 f.). Die für die deutsche Ideologie so charakteristische Verselbständigung der Bewußtseinsformen (Religion, Philosophie usw.) läßt sich erklären als Konsequenz einer weitgehenden Arbeitsteilung. Erst wenn es eine Klasse gibt, die, von der materiellen Produktion entlastet, sich ganz „geistiger Tätigkeit“ widmen kann, kann auch die Illusion entstehen, als seien es die „Ideen“, die den historischen Prozeß bestimmen. Basis aller politischen Institutionen und Ideologien ist aber die „bürgerliche Gesellschaft“, die Produktion des materiellen Lebens und die von ihr geprägten gesellschaftlichen Beziehungen der Individuen.

    Feuerbach ging noch von der Annahme aus, daß durch eine bloße Bewußtseinsveränderung die gesellschaftliche Wirklichkeit verändert werden könne. Er führt – richtig – religiöse Vorstellungen auf „den Menschen“ zurück, erkennt aber nicht, daß dieser Mensch erst durch die ihn prägenden Lebensbedingungen zu dem geworden ist, der religiöse Vorstellungen entwickelt. An die Stelle der Religionskritik muß daher, wie M. schon in seiner „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ betont hatte, die Kritik der „jetzigen Lebensverhältnisse“, der bürgerlichen Gesellschaft, treten. Auch wenn besondere „Ideologen“ der herrschenden Klasse deren „Gedanken“ ausarbeiten, sind es doch in jeder Epoche die „Gedanken der herrschenden Klasse, … die die herrschenden Gedanken“ sind, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht“ (S. 46). Revolutionäre Gedanken tauchen erst dann in einer Gesellschaft auf, wenn es schon eine revolutionäre Klasse gibt. Damit ist auch die Möglichkeit der sozialistischen Theorie und ihrer Kritik am Kapitalismus „abgeleitet“.

    M. und Engels skizzieren in der „Deutschen Ideologie“ auch schon die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und ihren möglichen Übergang in eine sozialistische. „In der Entwicklung der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktivkräfte und Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktivkräfte mehr sind, sondern Destruktionskräfte (Maschinerie und Geld) - und was damit zusammenhängt, daß eine Klasse hervorgerufen wird, welche alle Lasten der Gesellschaft zu tragen hat, ohne ihre Vorteile zu genießen, welche aus der Gesellschaft herausgedrängt, in den entschiedensten Gegensatz zu allen anderen Klassen forciert wird; eine Klasse, die die Majorität der Gesellschaftsmitglieder bildet und von der das Bewußtsein über die Notwendigkeit einer gründlichen Revolution, das kommunistische Bewußtsein, ausgeht …“ (S. 69). Die bisherigen Revolutionen haben nur die politischen Verhältnisse verändert (und den Produktionsbedingungen angepaßt), die künftige, proletarische soll aber „die Verkehrsform selbst“, d. h. die Art und Weise des Produzierens und Kooperierens bewußt gestalten.

    Im Nachlaß von M. fand Engels „Thesen über Feuerbach“, die aus der Zeit der Redaktion der „Deutschen Ideologie“ stammen und den wesentlichen Unterschied des historischen Materialismus M.s vom Materialismus eines Feuerbach deutlich herausarbeiten. Die dritte These lautet: „Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondieren. Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden“ (S. 6). Damit setzt sich M. von einer verbreiteten Naivität materialistischer Denker ab, die so tun, als stünde man selbst – als Erzieher oder Reformator – außerhalb der Gesellschaft und sei nicht durch sie geprägt. Das Dilemma sucht M. dadurch zu überwinden, daß er dem Akt der Revolution zutraut, zugleich eine „Selbstveränderung“ der Revolutionäre zu realisieren. In der „Deutschen Ideologie“ heißt es hierzu: „Sowohl zur massenhaften Erzeugung dieses kommunistischen Bewußtseins wie zur Durchsetzung der Sache selbst (ist) eine|massenhafte Veränderung der Menschen nötig …, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer Revolution vor sich gehen kann“; die Revolution ist „also nicht nur nötig, weil die herrschende Klasse auf keine andre Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden“ (S. 70).

    Engels, der sich in Paris aufhielt und dort unter deutschen Handwerkern sozialistische Propaganda trieb, schickte M. einen Bericht über Proudhons neueste Arbeit „Système des contradictions“, in der sich – wie M. spöttisch anmerkt – eine ungeschickte Aneignung Hegelscher Dialektik widerspiegelt. M. fühlte sich veranlaßt, gegen Proudhon polemisch vorzugehen. Er verfaßte 1847 eine Schrift mit dem Titel „Misère de la Philosophie“ (eine Anspielung auf Proudhons früheres Werk „Philosophie de la Misère“), in der er Proudhons Versuch, das „Gute“ an der Marktwirtschaft festzuhalten und das „Schlechte“ zu eliminieren, sowie die Meinung, der „Wert müsse allererst konstituiert werden“, scharfzüngig widerlegt. Proudhons kleinbürgerlicher Pseudosozialismus ist fortan sein Hauptgegner in der Arbeiterbewegung.

    Schon 1845, während einer Studienreise nach England, hatten M. und Engels erste Kontakte mit dem in London ansässigen „Bund der Gerechten“ aufgenommen, jetzt – 1847 – lud ein Abgesandter dieses Bundes, Joseph Moll (1813–49), die beiden ein, an der Reorganisation des Bundes teilzunehmen. Für den nächsten Kongreß des Bundes sollte ein „kommunistisches Glaubensbekenntnis“ vorbereitet werden, für das Engels einen ausführlichen Entwurf vorlegte, den M. schließlich zum „Kommunistischen Manifest“ umformulierte, dessen Text ausschließlich auf ihn zurückgeht, auch wenn Engels als Mitautor genannt wird. Am zweiten Kongreß im November nahmen M. und Engels teil und erhielten definitiv den Auftrag, das „Manifest“ zu verfassen. In einer Auseinandersetzung mit dem radikalen Publizisten Karl Heinzen (1809–80), die in der Deutschen-Brüssler Zeitung im Oktober erschien, stellt M. die historische Verspätung der deutschen Bourgeoisie heraus, „die erst in einem Augenblick ihren Kampf mit der absoluten Monarchie beginnt … wo in allen entwickelten Ländern die Bourgeoisie schon im heftigsten Kampf mit der Arbeiterklasse begriffen ist“ (MEW 4, S. 351). Dennoch wissen auch die deutschen Arbeiter – oder sollten es doch wissen, so darf man M. interpretieren –, „daß ihr eigner Kampf mit der Bourgeoisie erst anbrechen kann an dem Tage, wo die Bourgeoisie gesiegt hat … Sie können und müssen die bürgerliche Revolution als eine Bedingung der Arbeiterrevolution mitnehmen. Sie können sie aber keinen Augenblick als ihren Endzweck betrachten“ (S. 352).

    Das „Kommunistische Manifest“ erschien zwar 1848 gerade rechtzeitig zum Ausbruch der Revolution, ist aber in keiner Weise auf diese demokratische Revolution in Deutschland bezogen und hat auch – schon wegen der Beschlagnahme des größten Teils der Auflage – kaum eine unmittelbare Wirkung gehabt. Umso größer war allerdings die Fernwirkung in dem auf sein Erscheinen folgenden Jahrhundert. Kein anderes Werk von M. und Engels hat auch nur annähernd die gleiche Zahl von Übersetzungen und Auflagen erlebt. Während die von Engels verfaßten „Grundsätze des Kommunismus“ sich noch an die bis dahin übliche „Katechismusform“ in 25 Fragen und Antworten halten, entscheidet sich M. „für die historische Form“, d. h. er entwickelt eine Fortschrittstheorie der Geschichte, die sich in die Zukunft hinein in der proletarischen Revolution mit Notwendigkeit vollendet. „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“ (S. 462), mit diesem apodiktischen Satz beginnt der erste Teil des Manifestes, der „Bourgeois und Proletarier“ überschrieben ist. Der in einem hinreißenden Stil geschriebene Text endet mit dem Aufruf „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“. Zunächst wird die ungeheure Dynamik der bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaft eindrucksvoll herausgearbeitet: die Bourgeoisie hat alle „feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse“ (S. 464) zerstört, sie hat die Beziehungen der Individuen auf reine Geldverhältnisse reduziert, einen einheitlichen Nationalstaat und einen Weltmarkt geschaffen, vor allem aber hat sie „in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen“ (S. 467). Damit hat sie die Voraussetzung für eine künftige, klassenlose Gesellschaft hergestellt.

    Die Notwendigkeit einer revolutionären Umwälzung der sozialen Verhältnisse wird durch die periodischen Krisen angezeigt, die „seit Dezennien … die Geschichte der Industrie und des Handels“ charakterisieren. Es sind Krisen ganz neuer Art, die darin zum|Ausdruck kommen, daß mehr Agrar- oder Industrieprodukte vorhanden sind, als durch zahlungsfähige Nachfrage abgenommen werden können. Die Krisen werden durch willentliche Zerstörung von Produkten und Produktionsmitteln überwunden, worin sich der ganze Widersinn der Produktionsweise offenbart. In Gestalt des Proletariats aber erzeugt diese Produktionsweise zugleich ihren eigenen „Totengräber“. Die Proletarier müssen, um sich befreien zu können, die gesamte Klassenherrschaft abschaffen. Durch die große Industrie selbst wird ihre anfängliche Zersplitterung allmählich überwunden. Aus Koalitionen um des bloßen Lohnes willen, entwickeln sich schließlich permanente Zusammenschlüsse, die sich zur politischen Kraft entfalten. So habe in England das Proletariat bereits die Beschränkung der Arbeitszeit auf 10 Stunden täglich durchgesetzt. Die Solidarität der Arbeiter überwindet deren individuelle Konkurrenz.

    Innerhalb der Arbeiterklasse aber treten die Kommunisten für die gemeinsamen Interessen der Arbeiter aller Staaten und „in den verschiedenen Entwicklungsstufen“ des Klassenkampfes für das „Interesse der Gesamtbewegung“ ein. Ziel der anzustrebenden revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft ist die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Klassen, so daß am Ende eine „Assoziation (steht), worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (S. 482).

    Im März 1848 wurde M. wegen seiner politischen Betätigung aus Belgien ausgewiesen. Zuvor schon hatte ihn Ferdinand Flocon namens der provisorischen Regierung in Paris eingeladen, nach Frankreich zurückzukehren. In Paris forderte M. die dort lebenden deutschen Arbeiter auf, an den bevorstehenden Kämpfen des franz. Proletariats teilzunehmen und auf die Bildung einer „Legion“, die in Deutschland die Republik ausrufen sollte, zu verzichten. Im April ging M. zusammen mit Engels nach Köln, um die Leitung der „Neuen Rhein. Zeitung“ zu übernehmen, die bis zum 18.5.1849 erschien. In den Spalten dieser Zeitung und in Reden vor demokratischen und Arbeiter-Vereinigungen unterstützte M. die Linke, übte Kritik an der Schwäche des Paulskirchen-Parlaments und trat immer wieder für einen Krieg gegen das reaktionäre zaristische Rußland ein, das die Hauptstütze der europ. Reaktion sei. Er begriff die Ereignisse von 1848/49 als eine europ. Revolution, die Frankreich, Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen usw. erfaßte.

    Eine Unterstützung der revolutionären Bewegung in Polen und Ungarn hätte im eigensten Interesse deutscher Demokraten gelegen. Die deutsche Bourgeoisie aber erweise sich als unfähig, „eine rein bürgerliche Revolution“ sei in Deutschland offenbar unmöglich. Die Kommunisten sollten sich an den Wahlen beteiligen und die entschiedenen Demokraten unterstützen, bis auch in den deutschen Staaten überall das Ancien Régime gestürzt sei. Im April 1849 druckte die Zeitung Ausführungen von M. über „Lohnarbeit und Kapital“ ab, die einen Abriß seiner Kritik der politischen Ökonomie darstellen. Mit der Niederlage der Revolution war auch das Schicksal der Zeitung besiegelt. Im Sommer 1849 verließ M. Deutschland wieder und ging zunächst nach Paris, wo er jedoch keine Aufenthaltsbewilligung erhielt, so daß er schon am 24.8. Frankreich verließ, um definitiv ins Londoner Exil zu gehen. Abgesehen von gelegentlichen Reisen – zu holländ. Verwandten, nach Trier, nach Berlin zu Lassalle und nach Karlsbad, wo er sich erholen sollte – verließ M. England nicht mehr, wo er relativ ungestört seinen wissenschaftlichen Studien und seiner organisatorischen und publizistischen Tätigkeit nachgehen konnte.

    In einer Reihe von Aufsätzen – „Klassenkämpfe in Frankreich“ (1850), „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (1852) – verarbeitete M. die Erfahrungen der Revolution. In der „Ansprache des Zentralkomitees“ (des Bundes der Kommunisten) „an den Bund“ schilderte er noch einmal die Haltung der Kommunisten gegenüber den verschiedenen Gruppen und Parteien des Bürgertums und der Kleinbürger, deren Aktionen sie so weit unterstützen sollen, wie sie weniger radikale Gruppen überwanden, nicht aber dort, wo sie ihre eignen, beschränkten Ziele durchzusetzen suchten. „Unser Interesse und unsere Aufgabe (ist) vielmehr, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, daß die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und daß wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind“ (MEW 7, S. 247 f.). Irrtümlich nahm M. noch an, daß eine neue, diesmal proletarische Revolution in Frankreich unmittelbar bevorstehe.

    Die Schrift über den „achtzehnten Brumaire“ des Louis Bonaparte versucht eine Antwort darauf zu geben, warum die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Frankreich schließlich zur Restauration des Kaiserreichs geführt hat. Die Ursache erblickt M. in der isolierten und unkultivierten Existenzweise der Mehrheit der ländlichen Bevölkerung Frankreichs, der Parzellenbauern. Diese seien deshalb außerstande gewesen, ihr gemeinsames Interesse organisatorisch – z. B. durch eine Partei – zu artikulieren, und hätten ihre ganze Hoffnung auf Napoleon III. gesetzt, dem der Mythos seines Onkels zum Sieg verholfen habe. Der „Bonapartismus“ wird später in der Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ von M. vor allem als Konsequenz der Verselbständigung des bürokratischen Apparates gegenüber der Gesellschaft interpretiert. Erst durch diese Verselbständigung genügte an der Spitze ein Mann vom Schlage Louis Bonapartes, der sich – gestützt auf eine Truppe von „Lumpenproletariern“ – der Macht bemächtigt hatte. M. und Engels haben mit dem Konzept des „Bonapartismus“, das sie auch auf das Bismarcksche Deutschland anwandten, der späteren Faschismustheorie – z. B. von Leo Trotzki – vorgearbeitet.

    In den folgenden Jahren lebte M. von Zuwendungen seines Freundes Engels und von journalistischen Arbeiten für die „New York Daily Tribune“ (1853 und 1854 je etwa 60 Artikel, dann bis 1862 durchschnittlich etwa 30 Artikel) und andere Zeitungen. In erster Linie beschäftigten M. jedoch seine ökonomischen Studien, für die er in der Bibliothek des British Museum eine Unzahl von Büchern und Broschüren durcharbeitete und exzerpierte. 1859 erschien endlich die erste größere Veröffentlichung „Zur Kritik der politischen Ökonomie (Erstes Heft)“. In den Jahren davor hatte er ein weit umfangreicheres Manuskript (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie) verfaßt, das erst 1939/41 in Moskau aus dem Nachlaß ediert worden ist und interessante Aufschlüsse über die Entwicklung des M.schen Denkens von der stärker philosophischen Position der Frühschriften zur nüchternen Wissenschaftlichkeit des „Kapital“ gibt. In das „Kapital“ sind nur Teilaspekte dieses breit angelegten Werkes eingegangen. In der Veröffentlichung von 1859 werden lediglich einige Grundbegriffe eingeführt, mit denen M. seine Kritik vornimmt: Gebrauchswert, Tauschwert, Ware, Geld. Aufbauend auf der klassischen Ökonomie von Ricardo, entwickelt M. den „objektiven Wertbegriff“ als Vergegenständlichung der in einer Ware enthaltenen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Dieser objektive Wert liegt den Austauschprozessen der Marktökonomie zugrunde, auch wenn durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage die Preise einmal über, ein andermal unter dem Wert liegen können. Eine wesentliche Ergänzung erfahren diese Ausführungen in der Schrift „Lohn, Preis und Profit“ (1865), in der M. die für die politische Agitation zentralen Begriffe der Ware Arbeitskraft, des Mehrwerts und der Mehrwert- und Profitrate entwickelt und dadurch den „ausbeuterischen Charakter“ der „kapitalistischen Produktionsweise“ nachzuweisen sucht.

    Die im „Kapital“ nur umfassender entworfene „Mehrwerttheorie“ läuft auf die folgenden Grundannahmen hinaus:

    Da eigentumslose Personen in einer warenproduzierenden Gesellschaft keine andere Ware anbieten können als ihre eigene „Arbeitskraft“, wird auch diese zur Ware und – wie alle Waren – entsprechend dem zu ihrer Herstellung erforderlichen Zeitaufwand bewertet. Nur der Besitzer von Produktionsmitteln (Maschinen, Rohstoffe, Treibstoffe usw. sowie Geld für Löhne) kann die Ware Arbeitskraft kaufen und „produktiv verwenden“. Während des Arbeitstages, dessen Länge sich durch die relative Stärke der beiden gesellschaftlichen Klassen bestimmt, setzen die Arbeiter dem zu bearbeitenden Rohstoff einen Wert zu, der der Länge des Arbeitstages entspricht. Auf diesen Wert beziehen sich die Preise, zu denen die so erzeugten Waren (vorausgesetzt, daß die Produktionsanlagen dem durchschnittlichen Stand der Technik entsprechen) verkauft werden können. Die Kosten für die Ware Arbeitskraft aber liegen unter diesem Wert. Der „Gebrauchswert“ der Ware Arbeitskraft für ihren Käufer, der allein durch die Länge des Arbeitstages bestimmt wird, unterscheidet sich daher von ihrem Wert. Dieser errechnet sich in bezug auf die Arbeitszeit, die zur Herstellung des „Warenkorbes“ (wie wir heute sagen) der Arbeiterfamilie erforderlich ist. Der Warenkorb unterliegt kulturellen und historischen Veränderungen, ist also keine statische Größe, aber Arbeitskräfte werden nur so lange gekauft, wie sie tatsächlich billiger sind als die mit ihrer Hilfe geschaffenen Waren (solange der Wert der Ware Arbeitskraft unter dem Wert liegt, den sie dem Rohstoff zusetzt). Die „Mehrwertrate“, die an der Oberfläche der ökonomischen Phänomene gar nicht zu sehen ist, besteht im Verhältnis zwischen dem Wert der Ware Arbeitskraft|und dem mit ihrer Hilfe erzeugten Mehrwert. Der Lohnanteil des zur Produktion erforderlichen Kapitals wird von M. auch als „variables Kapital“ bezeichnet. Die Mehrwertrate heißt dann das Verhältnis von Mehrwert zu variablem Kapital (m/v). Davon muß die Profitrate unterschieden werden, wie sie an der Oberfläche der Warenwirtschaft erscheint. Sie besteht im Verhältnis des Mehrwerts zum Gesamtkapital, zu dem außer dem variablen Kapitalanteil auch der Wert der Maschinen, Rohstoffe und Treibstoffe (Kohle, Öl, Elektrizität) gehört, die zum Warenwert entsprechend ihrem Verbrauch („Abschreibung“) beitragen. Die Profitrate liegt daher stets unter der Mehrwertrate.

    Im „Kapital“, von dem M. selbst nur 1867 den ersten Band zuenderedigiert hat, während die folgenden beiden Bände von Engels – auf Grund der M.schen Manuskripte – bearbeitet und ediert worden sind, behandelt M. zunächst (ähnlich wie in den beiden eben erwähnten Arbeiten) die „Produktion“ des Kapitals, im zweiten Band den „Zirkulationsprozeß“ des Kapitals und im dritten den „Gesamtprozeß“. Dazu sollten noch Ausführungen über den Weltmarkt und die Rolle des Staates kommen, sowie eine Klassentheorie, Themen, zu deren definitiver Ausarbeitung M. nicht mehr gekommen ist.

    Für das angemessene Verständnis der M.schen kritischen Theorie ist vor allem das Verhältnis des dritten Bandes zum ersten (und zweiten) wichtig. Sollten nämlich die prinzipiellen theoretischen Ausführungen im ersten Band schon die Realität der kapitalistischen Produktionsweise wiedergeben, stünden sie im eklatanten Widerspruch zu ihr. Da ja die Profitrate mit der Größe des angewandten Einsatzes von Maschinen im Verhältnis zur Arbeit notwendig sinkt, würde das heißen, daß die jeweils rückständigsten (arbeitsintensivsten) Sektoren der Wirtschaft die höchsten Profitraten abwerfen. Die großen Industrieunternehmungen aber müßten sich mit dürftigen Profitraten begnügen. Diesem Einwand begegnet M. mit der Theorie, daß sich in Wahrheit innerhalb einer Volkswirtschaft (und teilweise auch weltweit) die Profitraten zu „Durchschnittsprofitraten“ ausglichen. Dennoch gibt es dann – infolge der immer weiter gehenden Entwicklung der Produktionstechnik und des immer höheren Aufwands für das „konstante Kapital“ (der Maschinenparks) insgesamt eine „tendenziell fallende Profitrate“. Um diese Entwicklung aufzuhalten, erobert die kapitalistische Produktionsweise immer neue Märkte und Investitionsgebiete. Auch die Herabdrückung der Löhne unter den Wert und die Intensivierung der Arbeit dienen diesem Zweck. Auf diese – hier nur angedeutete – Weise stellt M. eine Verbindung zwischen seinem theoretischen Ausgangspunkt und der erscheinenden Wirklichkeit her, wie sie von den von ihm kritisierten „Vulgärökonomen“ allein wahrgenommen wird.

    Im Unterschied zu den Frühschriften bemüht sich M. im „Kapital“ um eine völlig nüchterne, auf jede moralische Kritik verzichtende Darstellung des „Geheimnisses“ der kapitalistischen Produktionsweise. Wenn die Unternehmer die Arbeiter „ausbeuten“, dann geschieht dies auf Grund objektiver Gesetzmäßigkeiten, für die sie nicht moralisch haftbar gemacht werden können. Auf der Oberfläche der Erscheinungen werden nur Äquivalente ausgetauscht: wie jede Ware erhält auch die Ware Arbeitskraft (im Durchschnitt) den Preis, der ihrem Wert entspricht. Der „glückliche Umstand“ für den Käufer dieser Ware liegt aber darin, daß sie die einzige Ware ist, deren Gebrauchswert nicht durch ihren Konsum verschwindet und aufgelöst wird, sondern deren „produktiver Gebrauch“ mehr Wert erzeugt, als sie kostet. Das gilt aber nur für solche Arbeitskraft, die produktiv, d. h. zur Erzeugung von Waren für den Markt eingesetzt wird. Wer sich zu seinem privaten Vergnügen einen Koch oder einen Chauffeur leistet, der kann aus dieser „unproduktiven“ Verwendung der Ware Arbeitskraft keinen Mehrwert ziehen. Den frühen bürgerlichen Ökonomen war dieser Zusammenhang schon völlig klar, und aus diesem Grunde haben sie auch die große Anzahl unnützer Dienstboten der adligen Oberschicht Englands als sinnlose Verschwendung gebrandmarkt.

    Am 28. September 1864 wurde in der St. Martin's Hall in London die „Internationale Arbeiterassoziation“ gegründet, an deren Zustandekommen M. einen entscheidenden Anteil hatte. Seine „Inauguraladresse“ begann M. mit einer Übersicht über die Diskrepanz zwischen dem enormen Wachstum der britischen Wirtschaft und dem, durch offizielle Zahlen belegten. Elend der Arbeiterklasse: „Überall die Massen der Arbeiterklasse tiefer sinkend in demselben Verhältnisse wenigstens als die Klassen über ihnen in der gesellschaftlichen Waagschale aufschnellten“ (MEW 16, S. 9). Aber auch die Gegenwehr der Arbeiterklasse sei nicht ganz erfolglos gewesen. Es gelang, die Zehnstundenbill durchzusetzen und damit „erlag …|die politische Ökonomie der Mittelklasse … der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse“, und die Kooperativbewegung bewies, „daß Produktion auf großer Stufenleiter … ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters)“ möglich ist (S. 11).

    Zugleich wurde aber schließlich erkannt, daß isolierte Einrichtungen von Kooperativfabriken unfähig sind, „das Wachstum des Monopols in geometrischer Proportion aufzuhalten“, aus diesem Grunde sei „politische Macht zu erobern … jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen“ (S. 12). Auch in der internationalen Politik habe sich die größere Progressivität und Friedensliebe der Arbeiterklasse gezeigt. Nur der „heroische Widerstand der engl. Arbeiterklasse“ gegen einen Kriegseintritt Englands auf Seiten der Südstaaten habe Europa davor bewahrt, in eine „transatlantische Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei“ hereingerissen zu werden (S. 13). Auch wenn M. von der Überlegenheit seiner eigenen theoretischen Einsichten überzeugt war, trat er für eine erhebliche Toleranz gegenüber unterschiedlichen Richtungen und Tendenzen innerhalb der „Internationale“ ein. M.s Hoffnung freilich, daß aus dem Sieg der Nordstaaten im amerikan. Bürgerkrieg eine europäische Revolution hervorgehen werde – so wie auf den amerikan. Unabhängigkeitskrieg die franz. Revolution folgte –, sollte sich als ein Irrtum herausstellen. Auf dem europ. Kontinent erblickte M. nach wie vor die Hauptgefahr im reaktionären Zarismus und polemisierte immer wieder gegen eine Kooperation der preuß., brit. oder franz. Regierung mit Rußland. Wiederholt erhob er auch seine Stimme für ein freies Polen, wie denn überhaupt sein Interesse an den poln. Verhältnissen fast so groß war wie das von Engels an den irischen. Während der Jahre 1863/64 entwarf M. eine Reihe von Schriften „gegen das reaktionäre Preußen“ und für ein freies, republikanisches Polen. Diese Entwürfe sind erst 1971 – in Warschau in einer poln.-deutschen Parallelausgabe – veröffentlicht worden.

    M. fungierte in der „Internationale“ zwar nur als „korrespondierender Sekretär für Deutschland“, hatte aber durch seine Freunde einen entscheidenden Einfluß. Trotz seiner im Prinzip betonten Toleranz setzte er sich sowohl mit den Proudhonisten wie auch – nachdem Bakunin eine Art „Geheimorganisation“ innerhalb der „Internationale“ geschaffen hatte – mit dessen Anhängern und Bakunin selbst scharf auseinander. Bakunin warf er vor allem vor, daß er die Slawen, namentlich die slaw. Bauern, als Träger einer künftigen Revolution ansehe und keinen Sinn für die Bedeutung der industriellen Entwicklung und den proletarischen Charakter des Sozialismus habe. Offenbar mißtraute M. einer gewissen Verwandtschaft Bakuninscher Gedanken mit dem von der zaristischen Regierung geforderten „Panslawismus“, den M. für höchst gefährlich hielt.

    Den preuß.-franz. Krieg von 1870/71 kommentiert M. von Anfang an in einem deutschlandfreundlichen Sinne. Die mit einem preuß.-deutschen Sieg kommende Zentralisation der Staatsmacht werde auch zu einer Zentralisation der „deutschen Arbeiterklasse“ führen, und das darauf folgende Übergewicht der deutschen über die franz. Arbeiterbewegung sei zugleich eine Gewähr für das Übergewicht der Marxschen über die Proudhonsche Richtung des Sozialismus. Obwohl er anerkannte, daß es für Preußen ein „Verteidigungskrieg“ war, bekämpfte M. von vornherein die Annexion von Elsaß-Lothringen, die Frankreich notwendig in die Arme Rußlands treiben müsse. August Bebel und Wilhelm Liebknecht griffen diese Kritik im Reichstag auf.

    Mit lebhafter Anteilnahme verfolgte M. die kurze Periode der Herrschaft der Pariser Kommune, an der auch Vertreter der Internationale beteiligt waren. Zwar übte er wiederholt auch Kritik an Einzelmaßnahmen der Kommune, aber nach deren Niederlage, zu der die preuß. Heerführung beigetragen hatte, verfaßte M. eine „Adresse des Generalrats der I.A.A. über den Bürgerkrieg in Frankreich“, in der die Verfassung der Kommune als die „endlich gefundene politische Form der Diktatur des Proletariats“ gefeiert wird. Wichtigste Charakteristika seien: 1. Abschaffung von Bürokratie und stehendem Heer, 2. Wählbarkeit und Abwählbarkeit der Kommunemitglieder, 3. Bezahlung der Angestellten der Kommune mit Gehältern, die nicht über dem Lohn qualifizierter Arbeiter liegen, 4. analoge Organisation der Städte und Bezirke in ganz Frankreich. Die Kommuneverfassung stellte das „gerade Gegenteil des Bonapartismus“ dar, den M. für die unvermeidlich letzte Gestalt der Bourgeoisherrschaft hielt.

    Während der Jahre 1871 und 1872 verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen dem Generalrat der „Internationale“ und den Bakuninisten, und M. informierte über deren „Treiben“, das im Gegensatz zu den Zielen und der Organisationsform der Internationale stehe. Geheime Organisationen ständen „im Widerspruch zu der proletarischen Bewegung, weil diese Gesellschaften, statt Arbeiter zu erziehen, sie autoritären und mystischen Gesetzen unterwerfen, die ihre Selbständigkeit behindern und ihr Bewußtsein in eine falsche Richtung lenken“ (MEW 17, S. 655). Auf dem Kongreß der „Internationale“ im Haag (September 1872) setzten M. und Engels die Verlegung des „Generalrats“ nach New York durch, um ihn auf diese Weise den Einflüssen der Bakuninisten zu entziehen.

    Obwohl M. von Engels ermahnt wurde, die Bände zwei und drei des „Kapital“ fertigzustellen, ließ er sich immer wieder durch aktuelle politische Probleme – wie die Auseinandersetzung mit Bakunin, oder die Kommentierung des „Gothaer Programms“ der vereinigten deutschen Arbeiterpartei (1875) - und durch gelehrte Studien auf allen möglichen Gebieten der Sprachwissenschaft, der Mathematik usw. davon abhalten. Seiner Gesundheit wegen machte er wiederholt Kuren in Karlsbad und engl. Seebädern. Er litt unter Karbunkeln, die heute als psychisch bedingte Krankheiten diagnostiziert werden. Am meisten interessierte er sich für die Entwicklung in Rußland, wo 1872 bereits eine Übersetzung des „Kapital“ erschienen und – nach der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 – die Gesellschaft in Bewegung geraten war. Um die Probleme des Landes besser verstehen zu können, lernte er Russisch. Vera Sassulitsch. eine russ. revolutionäre Sozialistin, fragte an, ob die vielfach noch bestehenden Reste dörflichen Gemeineigentums („Obschtschina“ oder „Mir“) zum Ausgangspunkt einer sozialistischen Entwicklung Rußlands werden könnte. M. antwortete zurückhaltend und betonte die Notwendigkeit einer weit fortgeschrittenen industriekapitalistischen Entwicklung. Sollte allerdings eine sozialistische Revolution in Westeuropa siegen, dann könne vielleicht auch die russ. Revolution an diese gemeinwirtschaftlichen Reste anknüpfen, deren frühere Existenz M. im übrigen in ganz Europa historisch nachwies.

    Die 1875 noch vor dem Vereinigungsparteitag der deutschen Sozialdemokraten verfaßten „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“ kritisieren vor allem die Lassalleanischen Elemente dieses Programms und stellen die wichtigste systematische Äußerung von M. zur Strategie und Taktik der Sozialdemokratie dar. Die Arbeit ist nicht, wie das Programm behauptet, „die Quelle alles Reichtums“, sondern auch die Natur, ohne die es keine Gebrauchswerte gäbe; die „Arbeitsmittel“ sind nicht „Monopol der Kapitalistenklasse“, sondern befinden sich zum Teil im Besitz der Grundeigentümer, die man – so M.s Verdacht – mit Rücksicht auf Lassalles geplantes Bündnis mit den Konservativen unerwähnt gelassen habe. Das Schlagwort von der „gerechten Verteilung des Arbeitsertrages“ ist sinnlos, wenn nicht genau gesagt wird, unter welchen sozialen Voraussetzungen und wie konkret der Arbeitsertrag verteilt werden soll. In jeder Gesellschaft aber müssen vom „unverkürzten Arbeitsertrag“ Abzüge vorgenommen werden, nämlich Beträge für Verwaltung, für öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser, für Arbeitsunfähige usw. Das „gleiche Recht“ in einer sozialistischen Gesellschaft kann nicht mehr bedeuten als die Anlegung des „gleichen Maßstabs“ an alle Arbeitenden. Die Entlohnung wird aber unterschiedlich sein entsprechend der unterschiedlichen Leistung, und sie wird selbst bei gleichem Lohn noch Ungleichheit mit sich bringen – angesichts unterschiedlicher Lebensbedingungen (Kinderzahl, Gesundheitszustand usw.). Erst „in einer höhern Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (MEW 19, S. 21).

    Noch schärfer fällt die Kritik an den politischen Argumenten des Programms aus. So fehle vollständig der Hinweis auf den „gemeinschaftlichen Kampf“ der Arbeiterklassen aller entwickelten Gesellschaften gegen „die herrschenden Klassen und ihre Regierungen“ (S. 24). Ganz abwegig erscheint M. die Rede vom „freien Staat“. „Die Freiheit bestehe (vielmehr) darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln, und auch heutig sind die Staatsformen freier oder unfreier im Maß, worin sie die ‚Freiheit des Staats' beschränken“ (S. 27). Für die Periode des Übergangs von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaft|aber sei „die revolutionäre Diktatur des Proletariats“ notwendig (S. 28). Wenn man aber aus taktischen Gründen nicht einmal die „demokratische Republik“ als Programmpunkt aufnehmen wolle, dann sei es vollends sinnlos, von dem existierenden Staat in Deutschland, der „ein schon von der Bourgeoisie beeinflußter, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus“ sei, Dinge zu verlangen, die nur „in einer demokratischen Republik Sinn haben“ (S. 29). Auch die Behauptung, gegenüber der Arbeiterklasse seien „alle andren Klassen nur eine reaktionäre Masse“ (S. 22), sei irreführend, zumal die Gewinnung der Kleinbauern und Handwerker für den Sieg der Arbeiterbewegung notwendig sei. Die „Randglossen“ wurden 1875 dem Parteikongreß nicht bekanntgegeben, weil sie eine Einigung der Lassalleaner und der eher marxistisch orientierten „Eisenacher“ erschwert hätten. Engels veröffentlichte sie erst 1891 in der „Neuen Zeit“.

    Während seines letzten Lebensjahrzehnts konnte M., dank der regelmäßigen Unterstützung durch seinen Freund Engels, das geruhsame Leben eines Privatgelehrten führen, auch wenn er weiterhin lebhaften Anteil an der Entwicklung der Arbeiterbewegung in Europa und Amerika nahm. Seit dem Pariser Kommuneaufstand von 1871, der von der Weltöffentlichkeit (zu Unrecht) als Werk der „Internationale“ angesehen wurde, war er eine Berühmtheit. Wiederholt wurde er von Zeitungen interviewt, und zahlreiche Zeitgenossen haben Erinnerungen an ihn veröffentlicht.

    Gesundheitlich ging es M. nicht gut. Seit Jahren an Bronchitis, Kehlkopfentzündung und einem „Geschwür in der Lunge“ leidend, suchte er auf Erholungsreisen in Algier, Monte Carlo und an anderen Orten vergeblich Besserung. Nachdem sein geliebter Sohn Edgar 1855, erst achjährig, gestorben war, zeigte sich M. überaus besorgt um das Glück seiner drei Töchter, denen er unbedingt das Schicksal ersparen wollte, das er, der flüchtige und mittellose Revolutionär, seiner Frau zugemutet hatte. Deren Tod Ende 1881 und der Tod seiner ältesten Tochter Jenny Anfang 1883 nahmen dem schon Kränklichen den letzten Lebensmut. Engels sollte nach dem Tod von M.s Frau gesagt haben, der „Mohr“ sei nun auch gestorben („Mohr“ war M.s Spitzname im Familien- und Freundeskreis). Bei M.s Begräbnis auf dem Londoner Highgate-Friedhof gaben nur wenige Freunde und Verwandte dem Toten das letzte Geleit, unter ihnen Engels und M.s Schwiegersöhne, die französischen Sozialisten Paul Lafargue und Charles Longuet (der eine Grußadresse der russ. Sozialisten verlas), sowie Wilhelm Liebknecht, der M. nachrühmte, er habe „die Sozialdemokratie aus einer Sekte … zu einer Partei gemacht … welche schon jetzt unbesiegt kämpft und den Sieg erringen wird“.

    Während der auf M.s Tod folgenden Jahrzehnte setzte sich seine Theorie innerhalb der sozialistischen Bewegung weitgehend durch, in erster Linie in Deutschland, wo vorher die idealistische, radikaldemokratische Sozialismusauffassung Ferdinand Lassalles weit größeren Einfluß gehabt hatte und wo erst 1875 anläßlich des „Vereinigungsparteitages“ von Gotha Ansätze der M.schen kritischen Theorie ins Programm der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (SDAP) aufgenommen worden waren, später auch in Rußland, Frankreich und Italien. Während in den romanischen Ländern und der Schweiz der Anarchismus Proudhons und Bakunins mit ihr konkurrierte, stand in England und den USA die pragmatische, reformistische Konzeption der Gesellschaftsveränderung einer breiten Rezeption der M.schen Theorie im Wege.

    In Rußland wurde M.s „Kritik der politischen Ökonomie“ schon relativ früh in akademischen Kreisen rezipiert. Für die revolutionäre Bewegung wurde sie jedoch erst spät vor allem durch das Wirken Georgij Plechanows und Wladimir Iljitsch Uljanows (Lenin) bedeutsam. Angesichts der industriellen Rückständigkeit Rußlands und beeinflußt durch ältere revolutionäre Traditionen (Bakunin, Tkatschow, Narodnaja Wolja), nahm die marxistische Theorie und Praxis hier ein gänzlich anderes Gesicht an. Die von M. skizzierte Dialektik von Gesellschaftsumwälzung und Selbstveränderung der revolutionären Klasse wurde von Lenin dadurch durchbrochen, daß an die Stelle des kollektiven (zumindest tendenziell eine Mehrheit bildenden) Subjekts „Proletariat“ dessen verselbständigte „Avantgarde“, die im Besitz des richtigen politischen Klassenbewußtseins befindliche Partei, gesetzt wurde. Revolutionäre intellektuelle Minderheiten in anderen, industriell wenig entwickelten Gesellschaften (China, Lateinamerika) haben diesen „Marxismus-Leninismus“ an ihre Bedürfnisse adaptiert. Erfolge derartiger Revolutionen führten in der postrevolutionären Aufbauphase zu erheblichen Schwierigkeiten und totalitären Konsequenzen. Während sich die kapitalistische Produktionsweise im Konkurrenzkampf mit den „real existierenden sozialistischen Staaten“ wohlfahrtsstaatlich reformierte und weiterhin dynamisch blieb, kam es – nach einer Phase beschleunigter planökonomischer Industrialisierung – in der Sowjetunion wie in anderen Ländern zur Stagnation, die im Widerspruch zur These von der höheren Arbeitsproduktivität und dem größeren Wohlstand sozialistischer Gesellschaften steht, von der M. und Engels ausgegangen waren.

    Im kritischen Rückblick erweist sich die planökonomisch-bürokratische Industrialisierung als eine Variante des Entwicklungsprozesses, der sich in anderen Gesellschaften marktwirtschaftlich-kapitalistisch vollzogen hat. In vieler Hinsicht war sie für die Bevölkerung noch schmerzvoller als die mit Massenelend verbundene frühkapitalistische Entwicklung in England. Die M.sche Theorie diente diesem „Ersatz-Kapitalismus“ als Legitimationsideologie. Als solche befindet sie sich zur Zeit in einer tiefen Krise.

  • Werke

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  • Literatur

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  • Autor/in

    Iring Fetscher
  • Zitierweise

    Fetscher, Iring, "Marx, Karl" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 328-344 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118578537.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Marx: Karl M., wurde am 5. Mai 1818 zu Trier geb. Sein Vater, ein getaufter Jude, war Advocat und Bâtonnier des Barreau beim Landgerichte zu Trier. Entsprechend dem Wunsche seines Vaters widmete M. sich ursprünglich dem Studium der Jurisprudenz, ohne jedoch diesem Fache besonderen Eifer zuzuwenden, so daß er auch nie ein juristisches Examen abgelegt hat. Vielmehr beschäftigte er sich hingegen mit Geschichte und Philosophie. Im J. 1842 beabsichtigte er sich als Docent der Philosophie an der Universität Bonn zu habilitiren. Diesen Plan gab er jedoch auf, als man seinem Freunde Bruno Bauer, der als Docent der Theologie in Bonn wirkte, die venia legendi entzog. Er widmete sich nun der schriftstellerischen Thätigkeit und wurde zunächst Redacteur der Rheinischen Zeitung in Köln, legte jedoch die Redaction noch vor der im März 1843 erfolgten Unterdrückung dieser Zeitung nieder. Diese Thätigkeit war für den weiteren Lebenslauf Marx's insofern von großer Bedeutung, als eine Polemik, welche er in der Rheinischen Zeitung gegen die Augsburger Allgemeine Zeitung führte, den ersten Anstoß zu seinen eingehenderen nationalökonomischen Studien gab.

    Bald darauf beginnt das Wanderleben Marx's. Zunächst ging er im Herbst 1843 auf Arnold Ruge's Aufforderung nach Paris, um dort mit diesem gemeinsam die deutsch-französischen Jahrbücher herauszugeben. Von dieser Zeitschrift ist nur ein Doppelheft erschienen. Dasselbe enthält unter anderem zwei|größere Aufsätze von M.: „Zur Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie“ und „Zur Judenfrage“. Der ersterwähnte Aufsatz ist für die Beurtheilung von Marx's Individualität von der größten Wichtigkeit. Schon hier gelangt seine mehr negative Lebensanschauung, seine später immer mehr entwickelte kritische Richtung und endlich seine heilige Ueberzeugung von der unrechtmäßigen Unterdrückung des Proletariats zum Ausdruck. Auch vertritt er schon hier die Ansicht, daß die politische Oekonomie die Grundlage des ganzen übrigen gesellschaftlichen Lebens bildet. Der zweiterwähnte Aufsatz, eine Kritik zweier Schriften von Bruno Bauer, bietet doppeltes Interesse. Einmal hat M. hier religiöse Fragen, die er sonst nur gestreift hat, etwas eingehender behandelt. Er verlangt die Umwandlung des christlichen Staates, in einen atheistischen, einen demokratischen Staat, „der die Religion unter die übrigen Elemente der bürgerlichen Gesellschaft verweist". Nichts desto weniger tritt er keineswegs unbedingt für die Emancipation der Juden ein. Das Hinderniß desselben erblickt er nicht in der Religion der Juden, sondern in ihrem Eigennutz und Schacher. So gelangt er zu dem Schluße: „Die gesellschaftliche Emancipation der Juden ist die Emancipation der Gesellschaft vom Judenthum“.

    Noch ein Aufsatz der „Jahrbücher“ verdient hier Erwähnung. Es ist die Abhandlung Friedrich Engels': „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“. Durch diesen Aufsatz scheinen nicht nur die Anschauungen Marx's mehrfach beeinflußt worden zu sein, sondern er gab auch den ersten Anlaß zu näherem Verkehr mit dem damals in Manchester ansässigen Engels, und damit zu einem Freundschaftsbunde, der bis zum Tode Marx's angedauert hat.

    Anfang des J. 1845 wurde M. von Guizot aus Paris ausgewiesen und ging nach Brüssel, wohin auch Engels übersiedelte. Dieser Aufenthalt in Brüssel, der bis Ende Februar 1848 dauerte, um welche Zeit M. auch hier ausgewiesen wurde, war eine Periode des eifrigsten geistigen Schaffens. Hier entstanden zunächst in Gemeinschaft mit Engels mehrere philosophische Arbeiten: „Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, gegen Bruno Bauer und Consorten“ (1845), dann eine Kritik der damaligen (1845—47) neuesten deutschen Philosophie (Bauer, Max Stirner, L. Feuerbach) und des damaligen deutschen Socialismus. Diese letztere Arbeit ist bisher nicht publicirt worden. Es soll jedoch ein von Engels bearbeiteter Auszug derselben erscheinen. Von größerer Bedeutung ist die 1847 erschienene, von M. allein verfaßte Schrift: „Misère de la philosophie, réponse à la philosophie de la misère de M. Proudhon“. In der scharfen Kritik, welcher M. die ökonomischen Ansichten Proudhon's unterzieht, finden sich in nuce bereits die Grundzüge seines später entwickelten Systemes. So finden wir hier schon die später über Gebühr breitgetretene Arbeitswerththeorie, ebenso die später im „Capital“ so herrlich entwickelten Ansichten über die Bedeutung der Arbeitstheilung, die Maschinen, die Kämpfe der Fabrikanten gegen die strikenden Arbeiter mit Hülfe neuer Maschinen etc. Einen wesentlichen Unterschied jedoch zeigt die „misère de la philosophie“ gegen Marx's spätere wissenschaftliche Arbeiten. In dieser Schrift herrscht noch nicht die absolute Mißachtung aller anderen Nationalökonomen, der M. vielleicht mehr Feinde zu verdanken hat, als seiner extremen Richtung.

    In den Brüsseler Aufenthalt fällt endlich auch der Eintritt Marx's in den „Bund der Communisten“ und damit der Beginn seiner Thätigkeit als Arbeiterführer. Dieser Bund war 1836 in Paris gegründet worden. Während seines dortigen Aufenthaltes hat M. zwar mit den leitenden Persönlichkeiten verkehrt, ohne jedoch in den Bund einzutreten.

    Die Centralbehörde war schon 1840 nach London übersiedelt. Von dieser wurden nun M. und Engels, welche in Brüssel den deutschen Arbeiter-Bildungs-|Verein gegründet hatten, 1846 zum Eintritte in den Bund aufgefordert. Gleichzeitig erklärte die Centralbehörde sich bereit, einen Congreß nach London einzuberufen, auf welchem die Anschauungen jener als Bundesdoctrin proclamirt werden sollten. M. und Engels traten also ein und Anfang 1848 erschien zum ersten Male das von ihnen gemeinsam verfaßte, auf dem Congreße im November 1847 acceptirte „Manifest der communistischen Partei“. Dieses Manifest ist in zahlreichen deutschen, englischen und französischen Ausgaben, außerdem auch polnisch, russisch und dänisch erschienen, Die letzten deutschen Auflagen von 1872 und 1883 sind von den beiden Verfassern, beziehungsweise von Engels allein mit Vorworten versehen, worin das Manifest als in der Hauptsache auch noch jetzt maßgebend bezeichnet ist. Dasselbe ist also nicht nur von Wichtigkeit, weil es in knapper Kürze die Ansichten und praktischen Ziele Marx's darlegt, sondern auch deshalb, weil es wohl mit Recht als das Glaubensbekenntniß der communistischen Partei betrachtet werden kann.

    Das Manifest, ein wahres Meisterstück agitatorischer Geschicklichkeit, schildert zunächst den Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und den Proletariern. Die Bourgeoisie habe zunächst alle „feudalen, Patriarchalen, idyllischen Verhältnisse“ zerstört und an deren Stelle die Herrschaft des Capitales und die freie Concurrenz gesetzt. Die Arbeiter sind zum bloßen Arbeitsinstrument geworden, das von dem Bourgeois der verschiedenen Classen ausgebeutet wird. Vom Beginne seiner Existenz beginnt aber auch das Proletariat seinen Kampf gegen die Bourgeoisie. Die Communisten werden als jene proletarische Partei bezeichnet, welche stets — ohne Rücksicht auf die Nationalität — die Interessen der Gesammtbewegung vertritt.

    Als das Ziel des Communismus wird bezeichnet: Die Abschaffung des Eigenthums, wenigstens des heutigen bürgerlichen Eigenthums, sowie die Abschaffung der Familie, das letztere unter dem Vorwande, daß in der heutigen Bourgeois-Gesellschaft überhaupt keine Familie bestehe. Als concrete Forderungen für die vorgeschrittensten Länder werden folgende zehn Punkte aufgestellt: 1) Expropriation des Grundeigenthums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben. 2) Starke Progressivsteuer. 3) Abschaffung des Erbrechtes. 4) Confiscation des Eigenthums aller Emigranten und Rebellen. 5) Centralisation des Credits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatscapital und ausschließlichem Monopol. 6) Centralisation des Transportwesens in den Händen des Staates. 7) Vermehrung der Nationalfabriken, Productionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plane. 8) Gleicher Arbeitszwang für Alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau. 9) Vereinigung des Betriebes von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmälige Beseitigung des Unterschiedes von Stadt und Land. 10) Oeffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Production etc. etc.

    Es ist dies meines Wissens die einzige Stelle in Marx's Schriften, wo er positive Forderungen aufstellt, während er es sonst beinahe ängstlich vermieden hat, „Recepte für die Garküche der Zukunft zu verschreiben“. Wenngleich nicht angedeutet wird, wie diese Forderungen erreicht werden sollen, so wird doch schwerlich jemand glauben, daß auch nur ein Theil dieser Forderungen, welche die vollständige Umwälzung der Gesellschaft bedeuten, auf friedlichem Wege erreicht werden könnte. Auch die Verfasser des Manifestes haben sich gewiß nicht im entferntesten einer solchen Illusion hingegeben. Dies beweist eine Stelle in dem Abschnitt über das Verhältniß der Communisten zu den übrigen Parteien. „Die Communisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die|bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände". „Sie erklären offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“.

    Das Manifest schließt mit dem Satze: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“, in dem so recht das Princip der Nationalitätslosigkeit zum Ausdrucke gelangt.

    Uebrigens war der „Bund“ in seiner damaligen Gestalt nicht von langer Dauer. Während der Revolutionszeit wurde seine Thätigkeit sistirt, „indem nun wirksamere Wege für die Geltendmachung seiner Zwecke offen standen“.

    M. selbst wurde Ende Februar 1848 auch aus Belgien ausgewiesen. Er begab sich nach Deutschland zurück und gab dort vom 1. Juni 1848 bis 18. Mai 1849 die „Neue Rheinische Zeitung“ heraus. In dieser Zeitung verschonte M. weder das Frankfurter Parlament und die Reichsregierung, noch auch die reactionären Regierungen mit seinen sarkastischen Angriffen. Zweimal vor die Assisen gestellt, wurde er beide Male freigesprochen, bis endlich das Blatt einfach unterdrückt und M. selbst aus Preußen ausgewiesen wurde.

    M. begab sich nun zunächst nach Paris, wol in der Hoffnung, hier die proletarische Bewegung wieder entfachen zu können. Nachdem diese Hoffnung an der Demonstration vom 13. Juni 1849 gescheitert war, wurde M. von Bonaparte zum zweiten Male aus Frankreich ausgewiesen. Er begab sich nach London, wo er von nun an seinen bleibenden Wohnsitz nahm. Hier gab er zunächst, wieder im Vereine mit Engels, der ihm nach der Niederwerfung des badischen Aufstandes gefolgt war, gewissermaßen als Fortsetzung der „Neuen Rheinischen Zeitung“ eine Monatsschrift unter demselben Namen heraus. Dieselbe überlebte aber das J. 1850 nicht. Das letzte Doppelheft erschien im November.

    Schon vor dem Eintreffen Marx's in London hatte sich hier die Centralbehörde des Bundes der Communisten reconstruirt und M. trat selbstverständlich wieder in dieselbe ein. In Folge verschiedener Streitigkeiten fand jedoch am 15. September 1850 eine Spaltung dieser Centralbehörde statt. Die Majorität mit M. und Engels verlegte den Sitz der Centralbehörde nach Köln, während die Minorität, geführt von Willich, sich in London selbständig constituirte. Dem Kölner Bunde wurde durch den Communisten-Proceß von 1852, über welchen M. in der 1853 erschienenen Schrift: „Enthüllungen über den Kölner Communisten-Proceß“, mancherlei Aufklärungen gegeben hat, ein Ende bereitet. Kurz nach der am 12. November 1852 erfolgten Verurtheilung der Angeklagten in diesem Proceße, erfolgte auch die formelle Auflösung des Bundes.

    Durch eine Reihe von Jahren lebte M. nun in London in voller Zurückgezogenheit, theils mit seinen großen wissenschaftlichen Studien, theils als Mitarbeiter an amerikanischen Zeitschriften beschäftigt. Auch „der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ erschien zuerst 1852 in der amerikanischen Monatsschrift „Die Revolution“ (2. Aufl. Hamburg 1869). In dieser Schrift, welche zum Theil schon in anderer Form 1850 in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erschienen war, giebt M. eine Darstellung der Vorgänge in Frankreich während der J. 1848—51. Man würde irren, darin eine eigentliche pragmatische Geschichtsschreibung des Staatsstreiches und seiner Vorbereitung suchen zu wollen. Es ist eine Reihe von Geist und Witz sprühenden Aphorismen, die man viel eher als einen Commentar zur Geschichte dieser Jahre bezeichnen könnte. Was die Tendenz der Schrift anbelangt, so findet nur die proletarische Bewegung vom Juni 1848 Gnade vor den Augen Marx's, während alle, alle übrigen Parteien mit dem gleichen Hohn und Haß behandelt werden. Namentlich spricht aber fast aus jeder Seite ein wahrhaft glühender Haß gegen Louis Napoleon und die Bande vom 10. December.

    Erst gegen Ende dieses Jahrzehnts trat M. wieder in größerem Maße vor die Oeffentlichkeit. Er war durch Karl Vogt in einer ganz unqualificirbaren Weise angegriffen worden und antwortete diesem in dem umfangreichen, 1860 in London erschienenen Pamphlete „Herr Vogt". (Ich übergehe hier vorläufig die „Kritik der pol. Oekonomie“, um dieselbe weiter unten im Zusammenhang mit dem „Capital“ zu besprechen). In glänzender Weise weist M. hier die Angriffe Vogt's zurück. Form und Inhalt des Buches erscheinen aber nur begreiflich, wenn man berücksichtigt, daß M. aufs Aeußerste gereizt worden war. Es wird hier nämlich coram publico die gesammte schmutzige Wäsche der deutschen Emigrantenschaft gewaschen und das ist — sehr viel. Daneben tritt auch hier wieder jene edle Erbitterung gegen den Bonapartismus vielfach in den Vordergrund.

    Wenige Jahre später fand M. Gelegenheit, seine Bemühungen zur Vereinigung der Proletarier aller Nationen mit besserem Erfolge wieder aufzunehmen. Nachdem zuerst 1862 bei Gelegenheit der Londoner Weltausstellung Verbindungen zwischen den englischen und französischen Arbeitern angeknüpft worden waren, fand am 28. September 1864 jenes berühmte Meeting in der St. Martins-Hall statt, auf welchem die Constituirung der „Internationalen Arbeiter-Association“ beschlossen wurde. Auch M. war hier anwesend, obwol er sich an den vorhergehenden Verhandlungen nicht in hervorragendem Maße betheiligt zu haben scheint. Er wurde in das provisorische Comité gewählt und blieb von diesem Augenblicke an bis zur Verlegung des Generalrathes nach New-York unbestritten der Führer und das geistige Haupt der Internationalen Arbeiter-Association, obwol er dem Generalrathe nominell, immer nur als correspondirender Secretär für Deutschland angehört hat. Fast alle Adressen, Proclamationen und anderweitigen Publicationen des Generalrathes während dieser Zeit sind von M. verfaßt, so auch die Inauguraladresse vom 1. November 1864 sowie die Statuten der Internationalen Arbeiter-Association.

    Die erwähnte Adresse, welche die für die Internationale maßgebenden Principien darlegen sollte, zeichnet sich — im Vergleiche mit dem Manifest von 1847 — durch eine gewisse Mäßigung aus. Dieselbe bespricht das Elend der arbeitenden Klassen, welches durch den gewaltigen Aufschwung der Industrie und des Exportes in keiner Weise gemildert wurde. Die englische Zehnstunden-Bill und die Errichtung von Cooperativfabriken mit Beseitigung des Lohnsystems werden als Erfolge der Arbeiter anerkannt und Weiterarbeiten in dieser Richtung empfohlen. Erfolge seien aber nur möglich, wenn die Arbeiter verschiedener Nationalitäten sich gegenseitig unterstützen, woran sie durch die auswärtige Politik der Regierungen gehindert werden. Der Schluß der Adresse ist identisch mit dem des Manifestes von 1847: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“. Wenn also die Inauguraladresse auch in gemäßigterer Form auftritt, der Grundgedanke ist derselbe geblieben wie damals.

    Vermöge der Statuten war die Herrschaft des Generalrathes, d. h. Marx', über die sich immer mehr ausbreitende Internationale Arbeiter-Association eine ziemlich unumschränkte. Die Congresse, welche 1866—69 in Genf, Lausanne, Brüssel und Basel abgehalten wurden, hatten daher eigentlich auch keine andere Bedeutung, als daß die Beschlüsse des Generalrathes durch dieselben bestätigt wurden. 1870 wurde die Propaganda der Internationalen durch den Krieg, wenn auch nicht unterbrochen, so doch gelähmt. Eine um so wichtigere Rolle spielte dieselbe im nächsten Jahre, in welchem ihre Mannschaften zum ersten|Male im Feuer exercirten. So weit ersichtlich, ist allerdings der Ausbruch des Aufstandes in Paris ohne unmittelbares Zuthun des Generalrathes erfolgt. Um so entschiedener ergriff derselbe nach der Niederwerfung des Aufstandes die Partei der Commune. In einer vom 30. Mai 1871 datirten, von allen Mitgliedern des Generalrathes unterfertigten Adresse „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ äußert der Generalrath seine Ansicht über die Commune. Das Schriftstück erinnert in der Darstellung und Schreibweise wesentlich an den „18. Brumaire“. Nur spricht daraus noch mehr Fanatismus und wilder Haß gegen die Bourgeoisie. Während die Regierung von Versailles und ihre Anhänger zu wahren Ungeheuern gestempelt werden, erscheinen die Communards als reine Engel. Gewiß ist auch von Seiten der Regierungstruppen in jenen Tagen viel, sehr viel geschehen, was nicht zu billigen ist. Aber es ist im höchsten Grade bedauerlich, daß ein Mann wie M., der ja nicht nur Arbeiterführer, sondern auch Gelehrter in des Wortes vollstem Sinne war, nicht Ein Wort der Mißbilligung für die Zerstörungsgreuel der Commune gefunden hat.

    Trotzdem bildeten M. und seine Anhänger in gewissem Sinne noch die gemäßigte Partei der Internationalen Arbeiter-Association. Der Russe Bakunin war der Führer der radikalsten Fraction, der Anarchisten. Die Spaltung zwischen den beiden Parteien ging so weit, daß Bakunin und seine Anhänger auf dem Congresse im Haag 1872 ausgeschlossen wurden. Auf demselben Congresse setzte M. es durch, daß der Sitz des Generalrathes nach New-York verlegt werde, um so dem Kampfe mit den Anhängern Bakunin's ein Ziel zu setzen und überdies, weil die öffentliche Fortexistenz der Internationalen Arbeiter-Association in Europa wegen der allgemeinen Verfolgung unmöglich geworden war. Mit dieser Verlegung hört auch die officielle Betheiligung Marx' an der Internationale auf. Dabei blieb er aber der Rathgeber und das wirkliche Centrum der ganzen proletarischen Bewegung, der er auch für lange Zeit die Richtung vorgezeichnet hat.

    Es erübrigt noch die Besprechung der wissenschaftlichen Theorie Marx'. Dieselbe ist niedergelegt in der Schrift „Zur Kritik der politischen Oekonomie“ und in seinem großen Werke „Das Capital“, dessen bisher einziger Band bereits in drei Auflagen erschienen ist (1867, 1873 und 1883). Der zweite Band soll demnächst nach dem hinterlassenen Manuscript von Engels herausgegeben werden.

    M. beginnt seine Darstellung mit der Entwicklung seiner Werththeorie. Die Basis derselben bildet die Anschauung, daß Gebrauchswerth und Tauschwerth nicht nur in keinem directen Zusammenhange stehen, sondern sogar Gegensätze sind. Der Gebrauchswerth erscheint nicht nur als eine Eigenschaft der Waare, sondern wird mit dieser identificirt. Er ist zugleich der stoffliche Träger des Tauschwerthes, d. h. des quantitativen Verhältnisses, der Proportion, worin Gebrauchswerthe gegen Gebrauchswerthe anderer Art ausgetauscht werden. Während der Gebrauchswerth qualitativ sehr verschieden ist, ist der Tauschwerth nur quantitativ wechselnd, indem jede Waare in gleicher Weise die Fähigkeit besitzt, gegen andere ausgetauscht zu werden, und nur die Menge der Waaren, gegen welche sie ausgetauscht wird, verschieden ist.

    Woher entspringt nun der Tauschwerth? Ausschließlich aus der auf die Herstellung einer Waare verwendeten menschlichen Arbeit. Er ist „Arbeitsgallerte, krystallisirte Arbeit“. Die Menge der verwendeten Arbeit wird gemessen nach der Arbeitszeit. Bei der verschiedenen Qualität der menschlichen Arbeit kann jedoch nicht die Arbeitszeit, welche auf jede einzelne Waare verwendet wurde, deren Tauschwerth bestimmen, sondern die zur Herstellung erforderliche Arbeitszeit muß zurückgeführt werden auf eine Durchschnittsarbeitskraft und der Tauschwerth wird bestimmt durch die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Es ist also „die zur Herstellung eines Gebrauchswerthes notwendige Arbeitszeit, welche seine Werthgröße|bestimmt“ (S. 6) *)Ich citire nach der dritten Auflage des „Capitals“.. Der Werth einer Waare wird in der einfachsten Form ausgedrückt durch ihr Werthverhältniß zu einer anderen Waare. Hierbei erscheint die erste Waare als relative Werthform, die zweite, welche der ersten in verschiedener Quantität gleichgesetzt wird, als Aequivalentform des Werthes. Ebenso kann eine ganze Reihe von Waaren untereinander gleichgesetzt werden, oder endlich es kann eine Reihe von Waaren einer bestimmten Waare gleichgesetzt werden. In diesem letzteren Falle, der allgemeinen Werthform, stellen sämmtliche Waaren ihre Werthe einfach dar, weil in einer einzigen Waare und einheitlich, weil in derselben Waare. Die Reihe von Waaren erscheint in der Relativform des Werthes, die eine ihnen gegenübergestellte Waare in der Aequivalentform. Wird nun eine specifische Waarenart immer in der Aequivalentform gesetzt, so wird diese „zur Geldwaare oder functionirt als Geld“ (S. 38). Das Geld dient so zunächst als Maßstab des Werthes der anderen Waaren. „Der Werthausdruck einer Waare in Gold — x Waare A = y Goldwaare — ist ihre Geldform oder ihr Preis“ (S. 65). M. findet also keinen wesentlichen Unterschied zwischen Werth und Preis, sondern erblickt im Preise eben nur eine besondere Ausdrucksform des Werthes, die in Geld. Die Function des Geldes bleibt nicht auf die Werthmessung beschränkt. Vielmehr vermittelt dasselbe zunächst auch in der Gestalt der Münze die Circulation, dient also als Circulationsmittel. Weiter wird das Geld auch Schatzbildungsmittel und Zahlungsmittel. Im Welthandel endlich streift das Geld seine Formen von Münze, Scheidemünze und Werthzeichen wieder ab und wird in der Form von Barren Weltgeld.

    Die wichtigste Function des Geldes ist aber seine Verwendung als Capital. M. unterscheidet in der Waarencirculation zwei verschiedene Formen, nämlich den Umtausch von Waare gegen Geld, um mit diesem andere Waaren zu kaufen (W — G — W), und den Ankauf von Waaren in der Absicht, diese Waaren wieder gegen Geld zu verkaufen (G — W — G). Worin liegt aber nun die ökonomische Begründung dieser Circulationsprocesse, da ja immer nur Maaren von gleichem Werthe gegen einander ausgetauscht werden können? Bei der ersten Form W — G — W haben die beiden Endglieder allerdings gleichen Tauschwerth, aber verschiedenen Gebrauchswerth, und in der verschiedenen Nützlichkeit derselben für das betreffende Wirthschaftssubject liegt auch die wirthschaftliche Begründung des Tauschprocesses. Wie aber bei der zweiten Form? Endglieder derselben sind beiderseits Geldsummen von gleichem Gebrauchswerth. Soll nun jemand überhaupt eine Veranlassung haben, einen derartigen Tauschproceß einzugehen, so müssen die Tauschwerthe der Endglieder verschieden sein. Die Formel muß sich also so gestalten: G — W — G + G. Woher stammt nun dieses Plus? Dasselbe kann nur auf die Weise entstehen, daß jemand eine Waare kauft, deren Werth sich unter seinen Händen vermehrt. Eine solche Waare ist aber einzig und allein die Arbeit. In dieser Verwendung des Geldes nun zum Ankauf von Arbeit mit der Absicht, das Arbeitsproduct wieder zu verkaufen, erblickt M. die Capitaleigenschaft des Geldes. Also nicht das Geld als solches, noch weniger sachliche Productionsmittel, sondern eben diese Verwendung des Geldes erscheint ihm als Capital. Das Capital ist ihm ein „gesellschaftliches Productionsverhältniß“, ein „historisches Productionsverhältniß“. (Lohnarbeit und Capital, Separatabdruck aus der neuen Rheinischen Zeitung, Breslau 1880.)

    Im Capital unterscheidet M. einen constanten und einen variablen Bestandtheil, je nachdem das Geld zur Beschaffung von Productionsinstrumenten oder zum Ankaufe von Arbeitskraft verwendet wird. Constant nennt er den ersten Theil deshalb, weil sein Werth im Productionsprocesse nicht vermehrt wird. Auf|den Werth des Productes geht nur so viel vom Werth des constanten Capitals über, als an Rohstoffen, Arbeitsinstrumenten etc. verbraucht wird. Anders beim Variablen Capital. Der Werth der Arbeitskraft wird bestimmt durch die zu ihrer Reproduction nothwendigen Lebensmittel, bzw. durch die zur Production derselben nothwendige gesellschaftliche Arbeitszeit. Indem nun der Capitalist nur diesen Werth für die Arbeitskraft bezahlt, die Arbeitskraft aber in weiterem Maße ausbeutet, erzielt er einen Mehrwerth, ein Surplus, welches er sich aneignet, ohne einen berechtigten wirthschaftlichen Anspruch darauf zu haben. Der Arbeitstag zerfällt in zwei Bestandtheile, deren einer den Werth der Arbeitskraft reproducirt, während der andere Mehrwerth producirt.

    Dieser Mehrwerth nun kann wieder ein absoluter oder ein relativer sein. „Durch Verlängerung des Arbeitstages erzielter Mehrwerth ist absoluter; der Mehrwerth dagegen, der aus Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Veränderung im Größenverhältnisse der beiden Bestandtheile des Arbeitstages entspringt, ist relativer Mehrwerth“ (S. 312). Während nun die Production des absoluten Mehrwerthes eine verhältnißmäßig einfache ist und in dem beständigen Bestreben des Capitalisten gipfelt, den Arbeitstag über das nothwendige Maaß zu erweitern, ist die Production des relativen Mehrwerthes eine um so mannigfaltigere. Die Theilung der Arbeit, die Einführung und Verbesserung von Maschinen, die Einführung von Vorrichtungen, durch welche der Arbeiter gezwungen wird seine Arbeitskräfte mehr anzuspannen, kurzum alle Institutionen, welche eine erhöhte Productivität der Arbeit bezwecken, erzielen gleichzeitig eine Vermehrung des relativen Mehrwerthes. Hier in der Schilderung des Kampfes um die Länge des Arbeitstages, noch mehr aber wol in der Darstellung des Einflusses verbesserter Productionsmethoden und neuer Maschinen auf die Zustände der arbeitenden Klassen zeigt sich M. als unübertroffener Meister, sowol in der Beobachtung als in der Erklärung der beobachteten Erscheinungen und in der Art der Darstellung.

    Der von den Capitalisten lucrirte Mehrwerth wird theilweise als Revenue zur Befriedigung seiner Bedürfnisse, zum größeren Theile aber wieder als Capital verwendet, das wieder Mehrwerth erzeugt. Hierdurch erklärt sich dann das stete Anschwellen, die Accumulation des Capitals. Woher stammt aber der ursprüngliche Stoff des Capitals? Bei der Schilderung des ursprünglichen Accumulationsprocesses des Capitals unterscheidet M. zwischen landwirthschaftlichem und industriellem Capital. Das landwirthschaftliche Capital soll entstanden sein durch Expropriirung des Landvolkes, indem das alte Gemein- und Feudaleigenthum in absolutes Privateigenthum und so der Bauer in einen Lohnarbeiter umgewandelt wurde. Die industriellen Capitalisten hingegen sind zum kleinsten Theile aus Zunftmeistern etc. entstanden, während die Hauptmenge des industriellen Capitals dem Wucher, der Ausbeutung der Colonien und dem Protectionssysteme mit seinen directen staatlichen Unterstützungen seine Entstehung verdankt.

    Wohin soll nun die stetig wachsende Accumulation des Capitals endlich führen? M. deutet seine Ansicht hierüber mit den Worten an: „Die Centralisation der Productionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer capitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des capitalistischen Privateigenthums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriirt.“ (S. 790).

    Wenngleich die Darstellung Marx' stellenweise etwas einseitig ist, wenngleich die Basis seiner Theorie, die Werttheorie, vielfach angreifbar ist, so werden doch auch seine entschiedensten Gegner nicht bestreiten können, daß er zur Klarstellung der Entwicklungsgesetze der Volkswirthschaft viel, sehr viel, ja vielleicht mehr als alle neueren Nationalökonomen beigetragen hat.

    • Literatur

      Die Vollendung seines großen Werkes wurde durch den Tod Marx' unterbrochen. Schon Ende der siebziger Jahre begann der bis dahin sehr rüstige Mann zu kränkeln. 1881 starb seine Gattin, eine Schwester des ehemaligen preußischen Ministers v. Westphalen, mit welcher er in sehr glücklicher Ehe gelebt hatte. Von diesem Schicksalsschlage hat er sich nie wieder erholt. Nachdem er in südlichen Klimaten Linderung seiner körperlichen Leiden gesucht hatte, kehrte er etwas gekräftigt im Herbste 1882 nach London zurück. Da starb im Januar 1883 seine älteste Tochter, die mit Longuet, dem Redacteur der Pariser „Justice“, vermählt war. Dieser Schlag warf ihn von neuem aufs Krankenlager und am 14. März 1883 verschied er sanft in seinem Armsessel.

      Er hinterließ noch zwei Töchter; die ältere ist die Gattin Laforgué's, eines Führers der revolutionären Pariser Arbeiterpartei; die jüngere, Eleanor M., wurde von ihm in Gemeinschaft mit seinem alten Freunde Engels mit der Ordnung seines litterarischen Nachlasses betraut.

  • Autor/in

    G. Groß.
  • Zitierweise

    Groß, Gustav, "Marx, Karl" in: Allgemeine Deutsche Biographie 20 (1884), S. 541-549 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118578537.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA