Lebensdaten
1652 – 1729
Geburtsort
Eschwege
Sterbeort
Kirchhain (Hessen)
Beruf/Funktion
mystisch-spiritualer reformierter Theologe
Konfession
reformiert
Normdaten
GND: 122263006 | OGND | VIAF: 13186252
Namensvarianten
  • Horch, Heinrich
  • Horche, Heinrich
  • Horch, Heinrich
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Orte

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Zitierweise

Horche, Heinrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd122263006.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Die Fam. stammte aus Gröningen;
    V Georg, Hofbäcker, zeitweise hess. Offizier;
    M Anna Baum;
    1691 Anna Catharina ( 1732), T d. Hospitalvogts Leonhard Eckhard in Heina;
    7 K.

  • Biographie

    Der offenbar begabte, aber zugleich ungewöhnlich sensible H. fiel durch übermäßige geistige Anstrengung schon mit 16 Jahren in eine schwere Krankheit. 1670 studierte er Theologie in Marburg und seit 1671 am reformierten Gymnasium illustre in Bremen unter dem Einfluß von Theodor Under Eyck. Vielleicht wurde er durch ihn zur Pflege der pietistischen Kleinkreise (Konventikel) angeregt, die später so hohe Bedeutung für ihn gewannen. 1674 als begeisterter Anhänger der cartesianischen Philosophie nach Marburg zurückgekehrt, studierte er Medizin und Physik und besuchte als Begleiter eines jungen Grafen auf dessen Bildungsreise Danzig, Frankfurt/Oder und Leiden. Wieder erkrankt, begann er in Eschwege mit privaten Andachtsübungen im Kreise Gleichgesinnter (philadelphische Gemeinden). 1683 wurde er Diakonus an der Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg, wo er den Verdacht erregte, Chiliast zu sein, 1685 Pfarrer und Hofprediger in Kreuznach. 1686 erwarb er auf den Rat Speners die theologische Doktorwürde in Heidelberg, wurde 1687 3. Pfarrer an der Heilige-Geist-Kirche in Heidelberg, 1689 Pfarrer in Frankfurt/Main, 1690 Professor der Theologie an der Hohen Schule in Herborn.

    Es entsprach H.s Empfindsamkeit, daß er zum Schwärmertum neigte: Träume, Visionen, Hexenvorstellungen, Spukgeschichten, apokalyptische Erwartungen bewegten und quälten ihn. Durch den ebenfalls apokalyptischen Fanatiker Balthasar Christoph Klopfer wurde er von der Verwerflichkeit des äußeren Kirchentums überzeugt, das einem ernsten christlichen Wandel nur gefährlich und schädlich werden könne. 1697 trennte er sich ausdrücklich von der Kirchen- und Schulordnung, indem er seine Beteiligung an dem Herborner theologischen Examen aufkündigte. Durch Visionen war er vom baldigen Untergang der beiden reformierten theologischen Bildungsstätten Heidelberg und Herborn überzeugt. Schon seit 1689 hatte er in Frankfurt/Main, später in Herborn die gesetzliche Wiedereinführung der urchristlichen Bräuche gefordert, wie den sitzenden Empfang des Abendmahls, das wieder zur Mahlzeit werden müsse, und die Aufhebung der monologischen Predigt im Gottesdienst. Später trat dazu die Verwerfung der Kindertaufe. Im November 1697 wurde er trotz der Fürsprache des Stadtrats, der Zünfte und der ganzen Gemeinde von seinem Amt als Professor und Pfarrer in Herborn suspendiert und 1698 entlassen.

    Er ging zunächst nach Offenbach/Main, wo ihm Graf Johann Philipp von Isenburg-Büdingen Asyl bot. 1699 wandte er sich in seine Heimat Eschwege, wo er großen Zulauf fand und Eva von Buttlar gewann. Noch im gleichen Jahre begab er sich nach Marburg/Lahn und nahm die Grafen Wittgenstein für sich ein. Weiter wanderte er nach Kassel und wieder nach Herborn. Da er sich den Befehlen der Obrigkeit nicht fügte, wurde er im November 1699 auf dem Marburger Schloß gefangengesetzt, verfiel zeitweilig dem Wahnsinn und unternahm Selbstmordversuche. 1700 wurde er aus der Haft entlassen und nach Eschwege verbannt. Von dort schrieb er im Dezember 1700 nach einem neuen Wahnsinnsanfall einen Reuebrief an Landgraf Carl von Hessen-Kassel und an seinen Herborner Kollegen Hildebrand, wurde aber nicht wieder ins Amt eingesetzt, obwohl er die Trennung von der Kirche als Unrecht bekannte, allerdings bei der Ablehnung der Kindertaufe blieb. Hochmann von Hochenau gehörte zu seinen Bewunderern.

    Die hessische Pietistenverfolgung seit 1702 trieb ihn zu dem Plan, nach Pennsylvanien auszuwandern, doch gab er ihn wieder auf, weil ihm seine Frau nicht folgen wollte. Er wandte sich zu Johann Wilhelm Petersen, mit dem er sich 1715 über den Chiliasmus heftig stritt. Nach häufig wechselndem Aufenthalt, besonders in Eschwege, Berleburg und Kassel begab er sich, mit einem Jahrgehalt seines Landesherrn ausgestattet, nach Kirchhain bei Marburg und brachte 1712 die Marburger „Mystische und Profetische Bibel“ heraus, eine knappe Paraphrase einer eigenen Übersetzung unter Aufnahme der mystischen Tradition, insbesondere wohl der Weigelschen und Jakob Böhmeschen Überlieferung (zum Beispiel der androgyne Urmensch). Die Absicht ging dahin, „den Buchstaben des Gesetzes und der Geschichte durch Erklärung der äußeren Schriftbilder nach dem Geist Christi auf den innern Menschen zu richten“. In der allegorischen Deutung der Apokalypse des Johannes erblickte er die Gemeinde von Thyatira in der Reformation, die von Sardes im kirchlichen Pietismus, die von Philadelphia in der nächsten Zukunft, zu deren Werkzeug er sich und die Seinen für berufen erachtete. Die Marburger Bibel wurde die Vorläuferin der etwa 10mal so ausführlichen Berleburger Bibel und begründete den pietistischen Typus der „Bibelwerke“, das heißt der fortlaufenden erbaulichen Erklärung der gesamten Bibel, nicht nur einzelner hervorgehobener Lieblingsschriften.

  • Werke

    u. a. Echo od. Gegenschall auf d. groben Irrtümer, 1700;
    Maranatha od. Zukunft d. Herrn zu Gericht u. s. herrl. Reiche, 1700;
    Philadelphia, das ist Bruderliebe unter d. rechtschaffenen Gläubigen in d. sog. luth. u. ref. Gemeinden, 1712;
    Die philadelph. Versuchungsstunde in Anfang d. sog. Ewigen Evangeliums (Petersens), 1715.

  • Literatur

    ADB 13;
    C. F. L. Haas, Lebensbeschreibung d. berühmten Dr. H. H. aus Hessen, 1769 (P);
    M. Goebel, Gesch. d. christl. Lebens in d. rhein.-westphäl. Kirche II, 1852;
    H. Hochhuth, Gesch. u. Entwicklung d. philadelph. Gemeinden, in: Niedners Zs. f. d. hist. Theol. 29, 1865, S. 171-299;
    ders., H. H. u. d. philadelph. Gemeinden in Hessen, 1876;
    H. Renkewitz, Hochmann v. Hochenau (1670–1721), 1935;
    N. Thune, The Behmenists or the Philadelphians, 1948, S. 15-17, 126 f. (zeigt, daß H. den Bemühungen Jane Leades u. d. engl. Böhmeschüler vorausging).

  • Autor/in

    Martin Schmidt
  • Zitierweise

    Schmidt, Martin, "Horche, Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 623-624 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd122263006.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Horch: Heinrich H., separatistischer Mystiker, am 12. Decbr. 1652 zu Eschwege in Niederhessen geboren, hatte in Marburg und Bremen Theologie und Medicin studirt und am letzteren Orte von dem reformirten Pietisten Theod. Untereyk (s. d. Art.) die erste Anregung zum Beginne eines von dem äußeren Kirchenthum abgewendeten inneren religiösen Lebens empfangen. Nachdem er bereits an verschiedenen Orten (Heidelberg, Kreuznach, Frankfurt a/M.) als reformirter Pfarrer fungirt hatte, wurde er 1690 als Professor der Theologie und Pfarrer nach Herborn berufen, wo er mit einem sehr rührigen separatistischen neuen Propheten, dem gräfl. solmsischen Kanzlisten Balth. Christoph Klopfer zu Breitenstein in Verkehr trat und bald in der Stadt und deren Umgegend einen zahlreichen Anhang fand. Doch traten seine separatistischen Tendenzen erst seit 1697 (noch ehe der lutherische Separatismus des Gottfried Arnold in Gießen bekannt geworden war) hervor, als sich H. des wegen seines maßlosen Treibens|in Haft gebrachten Klopfer annahm und nun die Theilnahme am kirchlichen Gottesdienst, die ohne Untertauchung verrichtete Taufe, sowie die ohne Liebesmahl verrichtete Abendmahlsfeier verwarf. Von dem Grafen von Nassau-Dillenburg erst (1697) fuspendirt, dann (1698), weil er (neben den im Reiche anerkannten drei Confessionen) „quartam speciem religionis christianae fovire“, seiner Aemter entsetzt, irrte nun H. 10 Jahre lang umher, bald hier und bald dort vor Versammlungen predigend. In Eschwege, wo er unter großem Zulaufe (der zum Theil weit her kam), predigte, brachte er zuerst die nachher so berüchtigt gewordene Eva v. Buttlar (Bd. III. 654) und deren späteren Zuhälter Winter aus Eschwege auf die Wege des Separatismus. In Marburg wußte er die ganze gräfl. wittgensteinische Familie für sich zu gewinnen, und in Kassel, wo ihn Landgraf Karl unter seinen Schutz nahm, trat er mit dem eben aus der Schweiz gekommenen Separatisten Samuel König, sowie mit dem ebenfalls separatistisch gesinnten Pfarrer Heinr. Reitz zu Homburg v. d. Höhe in Verbindung, mit denen er im Herbst 1699 nach Herborn zurückging und dort auf dem Rathhause Versammlungen hielt. Doch wurde er im November desselben Jahres auf das Schloß in Marburg in Haft gebracht. Hier befiel ihn 6 Monate später der tobsüchtigste Wahnsinn, in welchem er sich wiederholt entleiben wollte, so daß der vielbesprochene Mann nun plötzlich der Gegenstand allgemeinen Mitleids und selbst öffentlicher Fürbitte ward. Doch genas er bald wieder und am 12. Juli 1700 wurde er seiner Haft entlassen und nach Eschwege verwiesen. Hier sah H. endlich ein, daß er auf Irrwegen wandelte, sprach daher in Briefen, die er im December 1700 an den Landgrafen Karl, 1702 auch an den Grafen von Nassau richtete, seine Reue aus und erklärte öffentlich seine Rückkehr zur reformirten Kirche durch Theilnahme an deren Abendmahlsfeier. Uebrigens blieb H. seinen Gedanken von der Notwendigkeit einer Reform der verderbten Kirche, von dem 1000jährigen Reiche und von dem mystischen Sinn des Schriftworts treu, was durch die von ihm in Gemeinschaft mit dem geistlichen Inspector Scheffer zu Berleburg 1712 herausgegebene „Mystische und prophetische Bibel“ oder „Marburger Bibel“ bewiesen wird. Die letzte Zeit seines Lebens (1708 bis 29) brachte er mit einem jährlichen Gnadengehalte in Marburg und Kirchhain zu.

    • Literatur

      Vgl, Hochhuth, H. Horch und die philadelphischen Gemeinden in Hessen. Gütersloh 1876.

  • Autor/in

    Heppe.
  • Zitierweise

    Heppe, Heinrich, "Horche, Heinrich" in: Allgemeine Deutsche Biographie 13 (1881), S. 124-125 unter Horch [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd122263006.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA