Wild, Sebastian

Lebensdaten
vor 1525 – nach 1583
Geburtsort
Augsburg
Sterbeort
Augsburg
Beruf/Funktion
Schneider ; Meistersinger ; Dramatiker ; Lehrer
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 129217514 | OGND | VIAF: 67539581
Namensvarianten

  • Wild, Sebastian

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Zitierweise

Wild, Sebastian, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd129217514.html [15.12.2025].

CC0

  • Wild, Sebastian

    | Meistersinger, Dramendichter, * vor 1525, nach 1583 Augsburg. (evangelisch)

  • Genealogie

    Eltern unbek.;
    N. N., dt. Schulhalterin in A.

  • Biographie

    In den Steuerbüchern der Stadt Augsburg ist W., von Beruf ursprünglich Schneider, zwischen 1540 und 1583 als steuerpflichtig ausgewiesen, im Band von 1590 hingegen nicht mehr registriert (StadtA Augsburg, Rep. Nr. 154, 162, 163). Wäre die vermutete, quellenmäßig aber nicht belegbare Identifizierung mit einem 1545 erstmals erwähnten Leonhard bzw. Seb. Lenhart Wild zutreffend, so hätte W. als Schulhalter einer dt. Schule in Augsburg gewirkt. 1547 und 1550 erscheint er in einer Chronik der Augsburger Meistersinger-Gesellschaft (Staats- u. Stadtbibl. Augsburg, 4° Cod. Aug. 218) als Mitglied mit dem ehrenvollen Titel eines Dichters, in dessen Haus zeitweise öffentliche Konzerte (Singschulen) abgehalten wurden. Auch ein Meisterlied (ebd.Stadtbibl.Cod.Aug., Nr. 35) des Notars und Homer-Übersetzers Johannes Spreng (1524–1601), der W. unter die zwölf ältesten Singer rechnete, kennzeichnet seine herausgehobene Stellung.

    W. zählte zu den produktivsten Augsburger Meistersingern des 16. Jh. Überliefert sind 31 Lieder, die – soweit datiert – aus den Jahren 1553–73 stammen. Zudem erfand W. 13 Töne, die in seinem Liederzyklus „Die histori der zerstörung Jerusalem“ (Bayer. Staatsbibl. München, cgm 5103, fol. 180r–199v) vereinigt sind. W.s Melodien fanden bei zeitgenössischen wie späteren Meistern im süddt.-österr. Raum großen Nachhall: Hans Sachs (1494–1576) bediente sich 1555 seines „Gekrönten Tons“. Eigens auf W. verwies die „Tabulatur undt ordnung der Singer in Steyer“ (1562), und noch zu Beginn des 17. Jh. waren seine musikalischen Schöpfungen in Nürnberg beliebt. In seinen Liedern behandelte W. geistliche Themen (Gott, Christi Geburt, Opfertod u. Auferstehung, Heilsgesch.), die er mit regelmäßigen Ermahnungen zu Gottvertrauen und Gotteslob oder zu Buße und Bekehrung verband. In weitaus geringerer Zahl finden sich weltliche Lieder, die Stoffe aus der historischen Überlieferung (Iosephus, Herodot) zum literarischen Gegenstand machen.

    W. spielte eine wichtige Rolle im Theaterleben Augsburgs. Neben Hans Sachs gehörte er in den 1560/70er Jahren zu den meistgespielten Autoren auf der Meistersingerbühne im Tanzhaus. 1566 brachte er in Augsburg eine fast 1000 Seiten umfassende Sammlung „Schöner Comedien und Tragedien“ zum Druck, die zwölf lehrhaft-moralisierende Stücke vereint. Dramatische Bearbeitung erfuhren im 1. Teil Stoffe aus Bibel, Legendentradition (Tragedj v. dem Keiser Tydo [Titus]) und populär-kanonistischer Literatur (Belial), während der 2. Teil mit einer Fabel von Äsop und drei Prosaromanen (Sieben weise Meister, Magelone, Ks. Octavian) weltliche Stoffe präsentierte. Die größte Wirkung im süddt.-österr. Raum erlangte W.s 1565 erstmals aufgeführtes Passions- und Osterspiel, das mit dem „Augsburger Passionsspiel“ (15. Jh.) aus dem Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra die Grundlage des ältesten Oberammergauer Spieltextes (1662) bildete.

  • Werke

    |[Der] Römische[n] u. Theutsche[n] Ks. thaten unnd Leben (Bayer. Staatsbibl. München, cgm 960), Textabdr. in: M. P. Burk (Hg.), Eine R. Röm. Ks. n. e. höchstseltenen Kunstalterthum, 1791, S. 22–48;
    Ausgg.: J. Tittmann, Schauspiele aus d. 16. Jh., Bd. I/2, 1868, S. 209–45 (Der Doktor mit d. Esel);
    A. Hartmann, Das Oberammergauer Passionsspiel in seiner ältesten Gestalt, 1880, S. 101–83 (Passions- u. Osterspiel);
    M. Knedlik (Hg.), Das Passionsu. Osterspiel (1566), 2019.

  • Literatur

    |ADB 42;
    M. Radlkofer, Der Augsburger Meistersinger S. W. u. sein Anteil am ältesten Text d. Oberammergauer Passionsspiels, in: Bayerland 11, 1900, S. 140–43, 153–55, 165 f. u. 171 f.;
    W. Brandl, S. W., e. Augsburger Meistersinger, 1914;
    F. Schnell, Zur Gesch. d. Augsburger Meistersingerschule, 1959;
    H. Gier, Das Oster- u. Passionsspiel in Augsburg, in: Das Passionsspiel, einst u. heute, 1988, S. 50–65;
    M. Knedlik, „Auff das jr nutz darauß empfangen …“, Das prot. Passions- u. Osterspiel (1566) d. S. W., in: G. van Gemert u. M. Knedlik (Hg.), Museion Boicum oder bajuwar. Musengabe, 2009, S. 31–55;
    ders., Aneignung durch Transformation, Zu d. prot. Passionsdramen v. Hans Sachs u. S. W., in: Bayer. Jb. f. Volkskde. 2019, S. 115–24;
    B. Jahn, Schultheater jenseits v. St. Anna, Versuch e. Annäherung an d. Theaterspielpraxis d. dt. Schulen in Augsburg am Bsp. v. S. W.s Dramenslg., in: G. M. Müller (Hg.), Humanismus u. Renaissance in Augsburg, 2010, S. 217–33;
    D. Metz, Das prot. Drama, 2013;
    K. Vogelgsang, S. W., Ein Meistersinger u. vorbrechtischer Großdramatiker aus Augsburg, in: Schwäb. Poetry-Slam (Schwabenspiegel, Jb. 2016), 2017, S. 62–68;
    M. Gürth, Interkonfessionelle Aushandlungen im prot. Drama, Ma. Traditionslinien d. geistl. Spiels im Bibeldrama d. Ref.zeit, 2020, S. 176–243 u. 328–60;
    C. Daiber u. E. Huwiler, Text, Performance, and the Production of Religious Knowlegde, The Protestant Passion Play and the Catholic Saint Play, in: Forum modernes Theater 32, 2021, S. 198–214;
    H. Brunner u. B. Wachinger (Hg.), Rep. d. Sangsprüche u. Meisterlieder d. 12. bis 18. Jh., XIII, 1989;
    XVI, 1996;
    Augsburger Stadt|lex.;
    MGG²;
    Killy1+2;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Vf.-Lex. Frühe Neuzeit VI, 2017, S. 573–80 (W, L).

  • Autor/in

    Manfred Knedlik
  • Zitierweise

    Knedlik, Manfred, "Wild, Sebastian" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 128-129 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd129217514.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Wild, Sebastian

  • Biographie

    Wild: Sebastian W., Meistersänger und Dramatiker des 16. Jahrhunderts. Er stammte aus Augsburg und gehörte der dortigen Meistersängerschule an. Er wird im Cod. Augustan. 1280 zum Jahr 1547 und 1550 genannt. Er erfand zwei Meistertöne: „Die kurze Nachtweis“ und „die Jungfrauweis“ in 13 reimigen Gesetzen. Seine Lieder stehen in dem dritten der Kolmarer Liederhandschrift (herausgegeben von K. Bartsch 1862, Bibliothek des litterar. Vereins in Stuttgart, Nr. 68) beigegebenen Manuscripte (Münchener Cod. germ. 4999). Als Dramatiker erscheint er mit einer 1566 in Augsburg von Mattheus Francke gedruckten Sammlung von 12 Dramen: „Schöner Komedien und Tragedien zwölff.“ In der vom 1. Januar 1566 datirten Widmung an den edlen und ehrendesten Herrn Melchior Lincken, Bürger zu Augsburg, unterzeichnet er sich als „Mitbürger daselbst". Er trieb erst das Schneiderhandwerk, dann wurde er Schulmeister. Er wollte, daß die Jugend sich in der Aufführung seiner Spiele übe, denn aus solcher Uebung folge die Stärkung des Gedächtnisses. Er habe sich zwar, sagt er, guter deutscher verständiger Worte und Meinung befleißigt, aber es sei doch unmöglich, in einem solchen Werk es einem Jeden recht zu machen, da er nur ein „schlechter Leye" sei. Von seinen Dramen behandeln 7 biblische Stoffe, die theils dem Alten, theils dem Neuen Testament entnommen sind. Das erste handelt von der Geburt Christi; es ist ein Weihnachtsspiel, das die Geschichte Jesu von der Verkündigung Mariä an bis zum Auftreten des zwölfjährigen Jesus im Tempel darstellt; das zweite behandelt die „Versteinigung Stephan:“ (aus der Apostelgeschichte Cap. 6—8). Dann folgt „Der Passion und die Aufferftehung Christi“. Dies Spiel soll 1569 in Berlin aufgeführt worden sein. Wiedergedruckt ist es in Aug. Hartmann, Das Oberammergauer Passionsspiel in seiner ältesten Gestalt, Leipzig 1880, S. 101—198. Hartmann, der den ältesten Text des Oberammergauer Spieles nach der im Besitze der Familie Lang befindlichen Handschrift eines Spielbuches von 1662 herausgegeben hat, führt den Nachweis, daß das Oberammergauer Spiel aus Wild's Spiele und dem dem 15. Jahrhundert angehörenden Spiele von St. Ulrich und Afra zusammengefügt worden ist. Das vierte Drama: „Der Belial führt ein recht mit|Christo“ ist eine dramatische Parabel, in der der Kampf der Hölle mit Christus, dem Zerstörer des höllischen Reiches, als ein Rechtsstreit dargestellt ist. Das fünfte: „Der Junger Gefengknus“ (aus Apostelgeschichte Cap. 5) behandelt die Gefangennahme des Petrus und Johannes und ihre Befreiung aus dem Gefängniß. Das Spiel wurde 1618 zu Augsburg durch Valentin Schönigk wieder gedruckt. Aus dem Alten Testament ist entlehnt „Der Nabott im 3. Buch Regum am 21.“ und „Das Gesetz Mose und vom guldin Kalb nach Exodus c. 20—33". In keinem dieser Spiele ist dramatisches Geschick zu spüren. Dasselbe ist von den weltlichen Spielen zu sagen, denen ältere novellistische Stoffe zu Grunde liegen. Es sind folgende fünf: 1. „Vom krancken Keyser Thito“, 2. „Vom Keyser Octauiano“, 3. „Die schön Magelona vnnd Ritter Peter", 4. „Die siben weysen Maister (von des Keysers Pencyanus son)“, 5. „Der Doctor mit dem Esel vnnd Spiegel der Welt“. Dieses auf orientalischen Ursprung zurückzuführende Spiel wurde in Augsburg durch Valentin Schönigk wieder gedruckt und ist von Tittmann, Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert, I, 201—245 neu herausgegeben worden. Schon Joachim Greff (s. A. D. B. IX, 624) hatte 1537 die Geschichte von dem Bauer, seinem Sohn mit dem Esel, die es Niemand recht machen können, in dem Drama Mundus behandelt.

  • Literatur

    Wagenseil, Bericht von der Meister-Singer-Kunst, 1697 S. 534 und 535. —
    Lier i. d. Allg. Zeitung 1884, 241—245. —
    Goedeke, Grundriß II, 250, 252, 383. —
    Holstein, Zeitschr. f. deutsche Philologie XVIII, 207 ff. —
    Bolte, Märkische Forschungen 18, 213.

  • Autor/in

    H. Holstein.
  • Zitierweise

    Holstein, H., "Wild, Sebastian" in: Allgemeine Deutsche Biographie 42 (1897), S. 490-491 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd129217514.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA