Lebensdaten
1868 – 1958
Geburtsort
Artern/Unstrut
Sterbeort
Stuttgart
Beruf/Funktion
Publizist, Lebensreformer ; völkischer Ideologe
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 123891094 | OGND | VIAF: 42757024
Namensvarianten
  • Ungewitter, Gottlob August Richard
  • Ungewitter, Richard
  • Ungewitter, Gottlob August Richard
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Zitierweise

Ungewitter, Richard, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd123891094.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus alteingesessener Arterner Handwerkerfam.;
    V Emil (1835–1921), Uhrmachermeister in A.;
    M Anna Friederike Engelhardt (1841–99);
    1 Schw Helene (⚭ Oskar Fladrich, 1874–1952, Zahnarzt);
    1897 Pauline (Paula) Christiane (1871–1953), aus Nagold, T d. Christian Finkbeiner (1832–80), u. d. Caroline Catharina Bauer (1839–1910); kinderlos;
    N Arno Alfred Fladrich (1901–81), Kunsttischler, Fachschriftst.

  • Biographie

    Nach dem Besuch der Bürgerschule in Artern begann U. 1882 eine Gärtnerlehre in Eisleben und setzte seine Ausbildung an der Gartenbauschule in Rötha bei Leipzig fort. In der Folgezeit arbeitete er in verschiedenen Gärtnereien, schließlich als Kontorist in Samenhandlungen. Sein Berufsweg führte ihn kurz vor 1900 nach Stuttgart, wo U. dann bis zu seinem Lebensende wohnte.

    Publizistisch aktiv wurde U. zu Beginn der 1890er Jahre, u. a. im „Nordhäuser Anzeiger“ mit Beiträgen etwa zum Skisport und vornehmlich zu gartenbaulichen Themen. In dieser Zeit wandte er sich dem Antisemitismus zu (Mitgl. d. Dt.-Soz. Partei 1894) und begann, sich mit Naturheilkunde und den Forderungen der Lebensreformbewegung zu beschäftigen. U. wurde strikter Nichtraucher, Antialkoholiker, Vegetarier und Rohköstler. Aus dieser Beschäftigung, v. a. mit den Theorien des Ernährungsreformers Gustav Simons (1861–1914), resultierte 1902 die Gründung einer rasch gescheiterten „Simonsbrotfabrik“ durch U., der anschließend für kurze Zeit als Vertreter für Feuerlöscher tätig war. Mit dem zwischen 1908 bis 1922 mehrfach aufgelegten Buch „Diätetische Ketzereien“ profilierte sich U. als Ernährungsreformer.

    Weitere Bekanntheit erwarb U. als führender Vertreter und streitbarer Popularisator der sich etablierenden Nacktkulturbewegung. 1903 erschien seine Schrift „Wieder nackt gewordene Menschen“, 1906 in dem von U. im selben Jahr in Stuttgart gegründeten „Verlag von Richard Ungewitter“ der Bestseller „Die Nacktheit in entwicklungsgeschichtlicher, gesundheitlicher, moralischer und künstlerischer Beleuchtung“ (P, letzte Ausg. 1933, Nachdr. d. Ausg. 1907/13 1979, finn., estn., russ. u. engl. Überss. 1907, 1913, 2005), dem bis Mitte der 1920er Jahre weitere einschlägige Schriften folgten. U. war davon überzeugt, durch Vegetarismus und Nacktkultur seine sozialen, gesellschaftlichen und religiösen Vorstellungen von Natürlichkeit und eine auf die Zukunft angelegte Erneuerung der dt. Gesellschaft verwirklichen zu können.

    Neben seiner Tätigkeit als Autor von Büchern und Broschüren sowie als Beiträger in einer Reihe lebensreformerischer, antisemitischer und völkischer Zeitschriften widmete sich U. der Sammlung, Organisation und Vernetzung lebensreformerischer und völkischer Kräfte. Er stand dabei in engem Kontakt mit Karl Vanselow (1876–1959) und dessen „Verein für Sexualreform“ sowie mit Max Ferdinand Sebaldt (1859–1916) und dessen Berliner sexualreligiöser-leistungsaristokratischer „Wissenschaftlichen Nacktloge A.N.N.A.“ (Aristokratische Nudo-Natio Allianz). 1906 rief U. in Stuttgart mit der „Vereinigung für hygienische, ethische und ästhetische Kultur“ einen losen Zusammenschluß seiner Anhänger ins Leben, den er 1908 in den überregionalen, bis zum Ende der 1920er Jahre nach Österreich, in die Schweiz und die Tschechoslowakei sowie bis nach London und St. Petersburg expandierenden und in seiner Hochphase wohl an die 1000 Mitglieder zählenden „Bund für Erneuerung, Loge des Aufsteigenden Lebens“ (seit 1919 Treubund f. Aufsteigendes Leben e. V.) überführte. In dem von ihm autokratisch geführten (Treu-)Bund verband U. seine lebensreformerischen Anschauungen mit völkischen, antisemitischen und rassenhygienischen Überzeugungen, indem der (Treu-) Bund nur Deutsche „germanischer Abkunft“ aufnahm und von den in erster Linie aus dem Mittelstand rekrutierten Mitgliedern neben abstinenter und vegetarischer eine konsequente Lebensführung im „rassenhygienischen Sinne“ sowie ein Eheverständnis im „züchterischen Sinne“ einforderte.

    U. ist der bedeutendste Vertreter und Ideologe der Lebensreform innerhalb der völkischen Bewegung. Wie die Agitationen dieser und der Mehrheit der altvölkischen Ideologen fanden auch U.s Agitation und die 1914 aus den „Vertraulichen Mitteilungen“ des Treubunds hervorgegangene Zeitschrift „Aufsteigendes Leben“ 1933 ihr Ende. In diesem Jahr wurde der Treubund zwangsläufig Mitglied im NS-Dachverband „Kampfring für völkische Freikörperkultur“. U.s nacktreformerische Schriften waren bis 1935 verboten. Seine Ernennung zum Ehrenführer des „Bundes für (Dt.) Leibeszucht“ 1938 mit einem Ehrensold ist als Verschieben auf ein „institutionelles Abstellgleis“ (B. Wedemeyer-Kolwe) zu bewerten. Nachdem 1944 Verlag, Wohnung und Bibliothek ausgebombt und seine Bücher 1945 von den Alliierten indiziert worden waren, trat U. in den 1950er Jahren letztmals und ohne Resonanz publizistisch an die Öffentlichkeit.

    U. war mit einer Gesamtauflage von rund 300 000 Exemplaren einer der erfolgreichsten Publizisten der Lebensreform und erlangte zumal vor dem 1. Weltkrieg infolge seiner über die Medien bekannt gemachten Gerichtsprozesse um öffentliche Nacktheit weite Bekanntheit. Im ersten Drittel des 20. Jh. zählte er zu den einflußreichsten Aktivisten der Nacktkulturbewegung und des lebensreformerischen Flügels der völkischen Bewegung, indem er die Freikörperkultur mit naturheilkundlichen, ernährungsreformerischen, rassenhygienischen, menschenzüchterischen sowie antisemitischen, antikath., antifeministischen und weiteren völkischen Paradigmen vor dem Hintergrund einer pessimistischen Gegenwartsdiagnose mit dem Ziel verband, die Grundlagen für eine völkische Volksgemeinschaft zu schaffen.

  • Auszeichnungen

    A Mitgl. u. a. d. Dt.bunds, d. Dt.völk. Schriftst.verbands, d. Reichsverbands gegen d. Soz.demokratie, d. Verbands gegen d. Überhebung d. Judentums, d. Reichshammerbunds, d. Dt.völk. Schutz- u. Trutzbunds, d. Guido-v.-List-Ges., d. Ordo Novi Templi u. d. German. Glaubens-Gemeinschaft;
    Ehrenmitgl. d. Dt. Verbands f. Freikörperkultur (1953).

  • Werke

    W u. a. Nackt, Eine krit. Stud., 1909, 81.–90. Tsd. 1921, finn. Übers. 1910;
    Kultur u. Nacktheit, Eine Forderung, 1911;
    Nacktheit u. Kultur, Neue Forderungen, 1913, letzte Ausg. 1922 (P);
    Rassenverschlechterung durch Juda, 1919;
    Dtld.s Wiedergeburt durch Blut u. Eisen, 1919, Nachdr. 2006 (Hg.);
    Der Zusammenbruch, Geschichtl. Tatsachen d. Pol. v. Bismarck bis Liebknecht, […], 1919, 12.–16. Tsd. 1923;
    Nacktheit u. Aufstieg, Ziele z. Erneuerung d. dt. Volkes, 1920, letzte Ausg. 1922;
    Unsere rass. Grundlage, 1920;
    Rettung oder Untergang d. dt. Volkes, Nur für Dt.geborene!, 1921;
    Die Qu. unserer Krankheit u. d. Weg z. Gesundheit, 1922;
    Aus Judenknechtschaft z. Freiheit empor!, 1923;
    Nacktheit u. Moral, Wege z. Rettung d. dt. Volkes, 1925;
    Aus Entartung z. Rassenpflege, Ein Weckruf in zwölfter Stunde, 1934;
    Denkschr. z. Impfung, 1938;
    Rettet d. dt. Kinder, 2. Denkschr. z. Impfung, 1949;
    Der Untergang d. Menschheit oder Umkehr v. falschen Wege, Eine Warnung, 1950, 2. erw. Aufl. 1954.

  • Literatur

    L U. Schneider, Nacktkultur im Ks.reich, in: Hdb. z. „Völk. Bewegung“ 1871–1918, hg. v. U. Puschner, W. Schmitz u. J. H. Ulbricht, 1996, S. 411–35;
    A. Schmölling, Lebensspuren e. Lichtkämpfers, Aus Schaffen u. Werk v. R. U. (1868–1958), Lebensreformer u. Pionier d. Freikörperkultur, in: Aratora 12, 2002, S. 16–49 (P);
    B. Wedemeyer-Kolwe, „Der neue Mensch“, Körperkultur im Ks.reich u. in d. Weimarer Rep., 2004;
    M. Möhring, Marmorleiber, Körperbildung in d. dt. Nacktkultur (1890–1930), 2004; St. Breuer, Die Völkischen in Dtld., Ks.reich u. Weimarer Rep., 2008

  • Autor/in

    Uwe Puschner
  • Zitierweise

    Puschner, Uwe, "Ungewitter, Richard" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 642-643 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd123891094.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA