Lebensdaten
1818 – 1889
Geburtsort
Glarus
Sterbeort
Lichtenegg
Beruf/Funktion
Gutsbesitzer ; Arzt ; Zoologe ; Anthropologe ; Naturforscher ; Sprachforscher ; Forschungsreisender in Südamerika ; Reiseschriftsteller ; Diplomat
Konfession
katholisch?
Normdaten
GND: 119315130 | OGND | VIAF: 95162009
Namensvarianten
  • Tschudi, Jakob von
  • Tschudi, Johann Jakob von
  • Tschudi, Jakob von
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Tschudi, Johann Jakob von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119315130.html [28.03.2024].

CC0

  • Biographie

    Tschudi: Johann Jakob v. T., Amerikaforscher, geboren am 25. Juli 1818 zu Glarus, am 8. October 1889 auf seinem Landsitz Jakobshof in Niederösterreich. Sohn eines angesehenen Kaufmanns und einer verständigen, energischen Mutter, die nach dem frühen Tode des Vaters die Erziehung ihrer sechs Kinder zugleich mit dem in Liquidation getretenen Geschäft leitete, erhielt er seinen ersten Unterricht in einer Privatschule seiner Vaterstadt, wo Oswald Heer ihn lesen lehrte. In Zürich, wo er erst auf dem Gymnasium, dann auf der Universität seine Studien fortsetzte, hatte er dort u. a. zu Lehrern den Ornithologen Schinz und die Philologen Orelli und Fäsi, während auf der Universität besonders Oken und Schönlein dem früherwachten Sammeleifer und der Vorliebe für naturgeschichtliche und Reisewerke eine wissenschaftliche Richtung zu geben wußten. Hervorragende Naturforscher, die damals in Zürich wirkten, wie F. Arnold, O. Heer, der ältere Escher v. d. Linth gehörten zu den Lehrern des jungen T., dem sich früher als gehofft, die Möglichkeit einer überseeischen Studienreise darbot, als er zur Vollendung seiner zoologischen Studien Agassiz in Neuchâtel aufsuchte und dort das Anerbieten empfing, auf dem Schiffe eines Genfer Hauses die Westküste Südamerikas zu besuchen. Das Neuchâteler Museum übernahm die Ausrüstung des Reisenden, der seine Sammlungen dahin abliefern sollte, und dieser begab sich nach Leiden, wo er besonders bei Schlegel arbeitete, und nach Paris, wo er mit Strauß-Dürkheim und dem Herpetologen Bibron näher verkehrte; daneben trieb er medicinische Studien. Als erste Frucht der zoologischen Arbeiten erschien 1837 die Monographie der schweizerischen Echsen und 1838 „Die Classification der Batrachier“, denen kleinere herpetologische Arbeiten vorangegangen waren. Im Februar 1838 trat T. auf dem Schiffe „Edmond“ von Havre aus die Reise an, die unter mannichfach ungünstigen Umständen um das Cap Hoorn nach Chiloe, Valparaiso und endlich Callao führte, wo das Schiff mitten in den ersten chilenisch-peruanischen Krieg gerieth|und seinem Zweck entfremdet wurde. Für T. hatte dies die Folge, daß er fast mittellos ans Land gesetzt wurde und zu Fuß den Weg nach Lima mitten durch die chilenischen Eroberer zurücklegen mußte. Er entschloß sich in Peru zu bleiben, reiste nach Jauja mit der Absicht die Puna und die tropischen Waldgebiete des Ostabhanges zu durchforschen. Die Seereise hatte einige Studien über pelagische Vögel gezeitigt, die erst spät (1856 eine Arbeit über den Albatroß) veröffentlicht wurden. Nun zog T. in Begleitung eines deutschen Matrosen zuerst in die Montanas de Vitoc, dann in den Urwald des Tsuntsosgebietes, wo er in selbsterrichteter Blockhütte sieben Monate sammelte und beobachtete. Um sich auf eigene Füße zu stellen, machte er in Lima das medicinische Baccalaureat und prakticirte an verschiedenen Orten der Puna und der Sierra. 1841 warf ihn ein Typhus darnieder, dessen Folgen er in der Ruhe einer Seereise am besten überwinden zu können glaubte. Er schiffte sich in Callao nach Bordeaux ein, besuchte seine Heimath und dann die Universitäten von Berlin und Würzburg; dort bereitete er mit Hülfe von Cabanis, Erichson und Troschel die Herausgabe der „Untersuchungen über die Fauna peruviana“ (St. Gallen, 5 Bde.), 1844 bis 46, vor, in deren Einleitung T. eine interessante Physiognomik von Peru gab, und trat besonders mit Johannes Müller, dessen er stets mit Verehrung gedachte, und A. v. Humboldt in Berührung. Um die südamerikanischen Schätze des Hofnaturaliencabinets kennen zu lernen, begab er sich nach Wien, wo er sich besonders eng mit Endlicher befreundete und arbeitete mit A. Wagner in München die dortigen südamerikanischen Sammlungen durch. 1845 und 1846 erschien in St. Gallen sein schilderndes Werk: „Peru. Reiseskizzen aus den Jahren 1838—42“ (2 Bde.) und 1851 das von T. gemeinsam mit seinem Freunde D. Mariano de Rivero herausgegebene Bilderwerk: „Antiguëdades Peruanas“. Diesem war schon die ländliche Ruhe von Jakobshof zu Gute gekommen, in die sich T. 1848 zurückzog und in die er, der Naturfreund und leidenschaftliche Jäger, immer wieder zurückkehrte. 1849 hatte er sich mit einer Tochter des Malers L. Schnorr v. Carolsfeld verheirathet. Dieser Ehe entsproß als einziges Kind der Kunstgelehrte Hugo v. T. (geb. 1851). Im Herbst 1857 unternahm T. seine zweite Reise nach Südamerika, zu der er sich in Hamburg einschiffte. Von Rio de Janeiro führte sie ihn über Juiz de Tora, wo er den verdienten Halfeld besuchte, nach Ouropreto und Diamantina, wo er längere Zeit mineralogischen und geologischen Studien widmete. Dann drang er in das Quellengebiet des Mucury vor und besuchte auf der Rückreise nach Rio die Colonien Philadelphia und Leopoldina. Nachdem er die Provinz Sao Paulo bereift hatte, begab er sich über Paranagua nach Montevideo und Buenos Aires und machte im tiefen Winter den Andenübergang über Catamarca von Molinas nach Atacama. Von Mollendo ging er nach Valparaiso und San Jago, wo er im Museum und im Verkehr mit Männern, wie Philippi, Segeth, Domeyko einige Wochen verbrachte. Dann ging er nach Norden, besuchte Arica und trat von Tacna aus die Reise nach dem Hochlande über den Paß von Tacora an. Längere Zeit verweilte er in Oruru und seiner minenreichen Umgebung, kehrte dann über La Paz, Tiahuanaco und Puno nach der Küste zurück und trat von Arequipa die Heimreise über den Isthmus an. Kaum zurückgekehrt, erhielt er 1859 vom schweizerischen Bundesrath die Anfrage, ob er sich einer gemischten Commission anschließen wolle, die im amtlichen Auftrage die Lage der schweizerischen Colonisten in Brasilien untersuchen sollte. Er lehnte die Theilnahme an der Commission ab, die er für zweckwidrig hielt, erklärte sich aber bereit, eine diplomatische Sendung nach Brasilien zu übernehmen, und wurde darauf als außerordentlicher Gesandter der Schweiz beim|Kaiser von Brasilien beglaubigt. Zum dritten Mal schiffte er sich 1860 nach Südamerika ein. Die 35tägige Reise auf einem Segelschiffe von Havre nach Rio gab ihm Muße, die Acten seiner Sendung noch einmal zu studiren. Uebrigens hatte er sich auf seiner zweiten Reise eingehend mit den Verhältnissen einiger Colonien bekannt gemacht und darüber bereits 1858 in der Allgemeinen Zeitung ziemlich eingehende Berichte veröffentlicht. Ebenso hatte er schon 1856 der peruanischen Regierung den Plan einer Musterpflanzung und Ackerbauschule vorgelegt und 1857 (in der Allg. Ztg.) mehrfach gegen die Schütz’schen Coloniepläne (s. Schütz zu Holzhausen A. D. B. XXXIII, 133) sich ausgesprochen. Vom Kaiser und seinen Ministern entgegenkommend empfangen, bereiste er nach und nach alle wichtigeren Colonieen, zuerst die schwierigste, die von Sao Paulo. Im November 1860 ging er in die Provinz Espiritu Santo, wo er sich besonders mit Leopoldina beschäftigte, und nach dreimonatlichem Aufenthalt in Rio de Janeiro im Februar 1861 in das südliche Coloniengebiet, wo er Joinville und Blumenau eingehend studirte. Nachdem er noch einen Consularvertrag zwischen der Schweiz und Brasilien abgeschlossen hatte, kehrte er anfangs 1862 nach Europa zurück und erstattete an den Bundesrath einen eingehenden Bericht, der dem Druck übergeben wurde. Man gewinnt den Eindruck, daß T. nicht bloß mit Eifer, sondern auch mit Sachkenntniß und Tact an seine schwierige Aufgabe herangetreten sei. Die außerordentlich häufigen und heftigen Klagen vieler Ansiedler, die unter Halbpacht-(Parceria-)Verträgen sich niedergelassen hatten, konnten nicht alle gestillt werden. T. wußte schon im voraus, daß die in den letzten 50er Jahren gewissenlos betriebene und begünstigte Auswanderung aus der Schweiz nach Brasilien eine Menge schlechter Elemente hinüberbefördert hatte, denen nicht zu helfen war. Doch hatte er die Befriedigung, daß er persönlich eine Anzahl verworrener Verhältnisse zwischen Grundbesitzern (Fazendeiros) und Colonisten ordnen oder doch die brasilianische Regierung von der Unvermeidlichkeit der Verbesserung überzeugen konnte. Es ist Thatsache, daß nach seiner Sendung die Klagen der Colonisten in der schweizerischen Presse fast verstummten. T. legte nach seiner Heimkehr nach Jakobshof die Erfahrungen seiner südamerikanischen Reisen in dem fünfbändigen Werke „Reisen durch Südamerika“ nieder (1866—69), nachdem er schon früher einzelne Abschnitte monographisch in den Ergänzungsbänden I (1860) und III (1862) der Geographischen Mittheilungen, nämlich die Andenreise 1858 von Cordoba bis Cobija und die eingehende Beschreibung der Provinz Minas Geraes, veröffentlicht hatte. 1866 ernannte ihn der schweizerische Bundesrath zu seinem Geschäftsträger in Wien und 1872 zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister. 1883 legte er sein Amt nieder, erbittert durch Angriffe der demokratischen Partei im Nationalrath und in der Presse. Er schrieb diesen die Untergrabung seiner Gesundheit zu. Aber rastlos wie immer — er hat selbst das „Nunquam otiosus“ der Leop.-Carol. Akademie, der er als „Ulloa" angehörte, als seinen Wahlspruch bezeichnet — warf er sich von neuem auf das Studium der Ketschuasprache; dem 1852 veröffentlichten zweibändigen Werke über die Kechuasprache (Sprachlehre, Sprachproben und Wörterbuch) ließ er 1884 den „Organismus der Khetsuasprache“ folgen. 1875 hatte er in den Denkschriften der Wiener Akademie „Ollanta, ein altperuanisches Drama aus der Ketsuasprache“ veröffentlicht und 1885 erschien „Die geographischen Namen in Peru, ein onomatologischer Beitrag". 1891 veröffentlichte die Wiener Akademie in ihren Denkschriften die letzte Arbeit Tschudi's „Culturhistorische und sprachliche Beiträge zur Kenntniß des alten Peru“. Von kleineren Arbeiten Tschudi's nennen wir, unter Beiseitelassung zahlreicher Kritiken über medicinische, geographische und jagdliche Bücher, noch: „Ueber die Ureinwohner von Peru“ (1844 in Müller's Archiv|und den Monatsberichten der Ges. f. Erdkunde zu Berlin); „On the old Peruvians“ (Edinburgh New Phil. Journal); „Conspectus Mammalium, Avium, Reptilium quae in Rep. Peruviana reperiuntur“ (Wiegmann's Archiv 1844 u. 45); „Die Verugas“ (Wunderlich's Archiv 1844); „Ueber einen Avarenschädel“ (Wiegmann's Archiv 1845); „Die geographische Verbreitung der Krankheiten in Peru“ (Oesterr. Med. Zeitschr. 1846); „Die Familie der Ecpleopoda“ (1847); „Wiens Octobertage. Eine historische Monographie der Revolution von Z ..“ (1849); „Die Huanulager an der peruanischen Küste“ (Denkschr. der Wiener Akademie 1850); „Zur Geschichte der Missionen in Südamerika" (Wiener Kirchenztg. 1852); „Ueber Bananen" (Wiener Med. Zeitschr. 1852); „Hernando de Magellanes“ (Weltall 1854); „Beobachtungen über Irrlichter“ (Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1858); „Wild und Jagd in Brasilien“ (Jagdzeitung 1859); „Ueber einige elektrische Erscheinungen in den Cordilleren von Südamerika“ (Sitzungsber. der Wiener Akademie 1859); „Ueber ein meteorisches Phänomen“ (ebd. 1859); kurze Mittheilungen über seine zweite Reise nach Südamerika (ebd. 1859); jagdliche Beiträge im Brockhaus’schen Conversationslexikon seit 1865. Seit 1857 hat T. Dietrich aus dem Winkell's „Handbuch für Jäger“ in umgearbeiteten Auflagen mehrmals herausgegeben.

    Tschudi's wissenschaftliche Thätigkeit war zuerst auf die Zoologie gerichtet, der er als Sammler, Systematiker und Beobachter des Thierlebens auf seiner ersten Reise und nach der Rückkehr von ihr genützt hat; daran schlossen sich die anthropologischen und ethnographischen Arbeiten, die durch seine erste Reise angeregt wurden und ihn bis zu seinem Ende begleiteten. In diesen wie jenen zeigt sich kein schöpferischer Denker, aber ein fleißiger Ordner und Beschreiber. Sein großes Bilderwerk über die peruanischen Alterthümer war bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse der großen Ausgrabungen von Reiß und Stübel das Grundwerk für die Kenntniß altperuanischer Kunst; seine ethnographischen und sprachwissenschaftlichen Arbeiten über Peru werden noch lange als Standwerk gelten; auch noch in dem Werk über die zweite südamerikanische Reise findet man ethnographische Schilderungen, z. B. der Botokuden, die für ihre Zeit genau sind. Die Geographie verdankt T. keine neuen Entdeckungen, aber seine beiden Reisewerke haben die Kenntniß Südamerikas wesentlich gefördert Als Reisender und Reisebeschreiber ist er den strengen Forderungen nachgekommen, die er in der interessanten Vorrede zu seinem zweiten großen Reisewerk aufgestellt hat. Er war körperlich und geistig ausdauernd und beweglich, er hatte eine unbestechliche Wahrheitsliebe und einen offenen Blick für die Natur und die Menschen, der am sichersten die praktischen Verhältnisse, besonders die wirthschaftlichen und staatlichen, erfaßte. Darum wird auch das letzte Reisewerk Tschudi's das Hauptwerk über die Colonien in Brasilien und überhaupt eine wichtige Quelle für die wirthschaftlichen, socialen und politischen Zustände Brasiliens in den 50er und 60er Jahren bleiben. An wissenschaftlichen Verdiensten steht T. unter den deutschen Südamerika-Reisenden nicht bloß hinter Humboldt, sondern auch hinter dem Prinzen von Wied zurück; und seine einfache, oft etwas trockene Schilderungsweise liegt von der Stilkunst eines Pöppig weit ab; der Werth seiner Werke ist hauptsächlich in der Zuverlässigkeit der Berichterstattung und im gefunden Urtheil zu suchen; und der Leser wird durch die Empfindung der starken Persönlichkeit des Verfassers gewonnen.

    • Literatur

      Eigene Aufzeichnungen Tschudi's, die bis zum Ende der 80er Jahre reichen. Wesentlich darauf ist der Nekrolog in dem Bericht über die Math.-Naturw. Classe der k. k. Akademie der Wissenschaften gegründet. — Kürzere Nekrologe mit Bildniß in der Illustr. Ztg. vom 9. Nov. 1889 und in der Deutschen Rundschau f. Geographie, Jan. 1890.

  • Autor/in

    Friedrich Ratzel.
  • Zitierweise

    Ratzel, Friedrich, "Tschudi, Johann Jakob von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 38 (1894), S. 749-752 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119315130.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA