Lebensdaten
1837 – 1918
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Sankt Petersburg
Beruf/Funktion
Turkologe ; Orientalist
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 119238535 | OGND | VIAF: 41890397
Namensvarianten
  • Radlov, Vasilij Vasil'evic
  • Radloff, Wilhelm
  • Radlov, Vasilij Vasil'evic
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Zitierweise

Radloff, Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119238535.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Wilhelm, Polizei-Kommissar in B., preuß. Reserveoffz.;
    1858 Pauline-Auguste Fromm ( 1899);
    1 S, 2 T.

  • Biographie

    R. begann 1854 das Studium der Philosophie und Philologie in Berlin, wo seine akademischen Lehrer Franz Bopp (1791–1867) und Heymann Steinthal (1823–99) (Sprachwissenschaft), Wilhelm Schott (1802–89) (Orientalistik, Altaistik) sowie Carl Ritter (1797–1859) (Geographie) waren. Eine linguistische Ausbildung erfuhr er auch in Halle bei dem Indogermanisten August Friedrich Pott (1802–87). Früh konzentrierten sich R.s Interessen auf oriental. Sprachen (v. a. Türkisch, Mongolisch, Mandschu, Arabisch, Persisch, Hebräisch, Chinesisch u. Russisch). Gleich nach der Promotion in Jena (1858) ging er nach St. Petersburg. Um türk. Sprachen in unmittelbarem Kontakt mit einheimischen Türkvölkern zu studieren, nahm er 1859 eine Stelle als Deutsch- und Lateinlehrer an der Bergakademie in Barnaul (Altai-Gebirge) an, wo er bis 1871 wirkte. Hier begann seine wissenschaftliche Tätigkeit, deren Grundlage zehn Reisen durch Sibirien und Turkestan (1859–71) bildeten. In intensiver Feldforschung trieb R. zwei große Projekte voran: Sammlung und Erforschung von Literatur und Sprache der Türkvölker v. a. des russ. Staatsgebiets. Die Ergebnisse schlugen sich in seinen „Proben der Volkslitteratur“ (1866-1907) und in seinem „Versuch eines Wörterbuches“ (1893-1911) nieder. Mit diesen Werken wurde R. zu einem der wichtigsten Gründungsväter der Turkologie. Er studierte jedoch nicht nur Sprachen, sondern alle Phänomene der geistigen und materiellen Kultur der von ihm untersuchten Ethnien.

    Da R. nur einen dt. akad. Grad besaß, war es ihm verwehrt, an einer russ. Universität zu lehren. 1872-83 war er in Kazan und Ufa Inspektor der muslim. Schulen der Tataren, Baschkiren und Kasachen des Kazaner Gouvernements. Nicht zuletzt durch seine engagierte Tätigkeit (u. a. Errichtung von Lehrerbildungsseminaren) kam es dort zu einer Belebung von Kultur und Bildung (Presse, Bücher, Reformbewegungen). Auch in diesen elf „pädagogischen Jahren“ veröffentlichte R. mehrere wissenschaftliche Werke, u. a. seine „Phonetik“ (1882). 1884 gab er die Tätigkeit in Kazan auf und übersiedelte nach St. Petersburg. 1884-1907 unternahm er mehrere Reisen und leitete wissenschaftliche Expeditionen der Russ. Akademie der Wissenschaften, u. a. zum Orchon-Gebiet (1891) und nach Turfan (1898). 1894 wurde R. zum Direktor des anthropologischen und ethnographischen Museums der Akademie in St. Petersburg gewählt. In den „Petersburger Jahren“ seit 1884 wandte sich R. neben Studien zu den lebenden Türksprachen mehr und mehr den älteren türk. Sprachen und Literaturen zu, wie den alttürk. Runen-Inschriften der Mongolei, dem karahanidischen (R.: uigurischen) islam. Kutadgu Bilig oder dem altuigurischen buddhist. Goldglanz-Sūtra. Viele seiner Arbeiten zu diesen Themen führten zu Auseinandersetzungen mit der „Berliner Schule“ der Turkologie um Wilhelm Bang-Kaup (1869–1934). Im Zuge des Stalinismus wurde R.s Name seit 1937 für einige Jahre tabu, da man ihn postum zum dt. Spion erklärte.

    Von bleibendem Wert sind – neben R.s Reiseberichten – die linguistischen Untersuchungen in der „Phonetik“, die selbstaufgenommenen Texte turkophoner Volksliteratur in den „Proben“ und die entsprechenden Wörtersammlungen im „Versuch“: Es handelt sich z. T. um die einzigen bekannten Quellen türk. Sprachen des 19. Jh. Die Einbeziehung auch älterer Türksprachen in den „Versuch“ ist jedoch mißlungen, wie überhaupt R.s Publikationen zum vorislam. und islam. Alttürkisch heute überholt sind. Mag sein Konzept einer Gesamtturkologie auch gescheitert sein, bleiben seine Verdienste doch unbestritten.|

  • Auszeichnungen

    Dr. h. c. (Dorpat 1868);
    Mitgl. d. Russ. Ak. d. Wiss., St. Petersburg (1884);
    Orden Pour le mérite f. Wiss. u. Künste (1908).

  • Werke

    Proben d. Volkslitteratur d. türk. Stämme Süd-Sibiriens, Bde. 1-4, 1866-72;
    Proben d. Volkslitteratur d. nördl. türk. Stämme, Bde. 5-7, 1885-97;
    Proben d. Volkslitteratur d. türk. Stämme, Bde. 8-10, 1899-1907 (gleichzeitig als Textbde. [Bd. 1-10] u. Übers.bde. [Bd. 1-6, 9-10] publiziert;
    Reprint d. Übers.bde. 1-6 [dt.] u. 9-10 [russ.] sowie d. Textbde. 7-8, 1965 [hierzu K. H. Menges, in: Ural-Altaische Jbb. 43, 1971, S. 130-32];
    Reprint d. Textbände 1-2 [Bd. 1 mit e. Einl. v. D. Sinor], 1967);
    Neuausg. v. Bd. 5 (Text u. Übers.) d. „Proben“ v. A. T. Hatto, The Manas of W. R., 1990;
    Vgl. Grammatik d. nördl. Türksprachen, 1. Theil [mehr nicht ersch.]: Phonetik d. nördl. Türksprachen, 1882-83;
    Aus Sibirien, Lose Bll. aus d. Tagebuche e. reisenden Linguisten, 2 Bde., 1884, ²1893, Reprint 1968, türk. Übers. v. A. Temir, 1954-57;
    Versuch e. Wb. d. Türk-Dialecte, 4 Bde., 1893-1911 (Reprint [mit e. Einl. v. O. Pritsak] 1960;
    Reprint 1963;
    dt. Index hierzu: A. v. Gabain u. W. Veenker, „Radloff“, Index d. dt. Bedeutungen, 4 Bde., 1969-72);
    Die alttürk. Inschrr. d. Mongolei, 1894–99, Neudr. 2 Bde., 1987;
    Ṭišastvustik, Ein in türk. Sprache bearb. buddhist. Sūtra, 1910 (mit A. v. Staël-Holstein), Reprint 1970;
    Kuan-ši-im Pusar, Eine türk. Übers. d. XXV. Kap. d. chines. Ausg. d. Saddharmapuṇḍarīka, 1911, Reprint 1970;
    Suvarṇaprabhāsa (sutra zolotogo bleska), 2 Bde., 1913 (mit S. E. Malov), Reprint 1970;
    Uigurische Sprachdenkmäler, hg. v. S. E. Malov, 1928, Reprint 1972.

  • Literatur

    A. Temir, in: Oriens 8, 1955, S. 51-93;
    ders., Türkoloji tarihinde W. R. devri, 1991 (Bibliogr., P);
    Tjurkologičeskij sbornik 1971, 1972;
    Türk Dili Bd. 56, Nr. 444 (Dez. 1988);
    H. Eren, Türklük bilimi sözlüğü, Bd. 1, 1998, S. 262-69 (P).

  • Autor/in

    Jens Peter Laut
  • Zitierweise

    Laut, Jens Peter, "Radloff, Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 96-97 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119238535.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA