Lebensdaten
1766 – 1852
Geburtsort
Kleinniedesheim bei Worms
Sterbeort
Hornau bei Frankfurt/Main
Beruf/Funktion
Staatsmann ; Schriftsteller
Konfession
reformiert
Normdaten
GND: 119061600 | OGND | VIAF: 25404498
Namensvarianten
  • Gagern, Hans Christoph Ernst Freiherr von
  • Gagern, Hans Freiherr von
  • Gagern, Hans Christoph Ernst Freiherr von
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Gagern, Hans Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119061600.html [17.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Karl (1743–1825), auf Niedesheim, pfalz-zwei-brück. GR u. Obersthofmeister, Ritterrat, S d. Joh. Frdr. (1716–46), auf Tribbevitz/Rügen, franz. Kapitän, u. d. Marg. Eleonore v. Usedom;
    M Esther (1742–83), T d. preuß. Majors Frdr. v. La Roche Frhr. v. Starkenfels, auf Monsheim u. Erbesbüdesheim;
    Mannheim 1793 Karoline gen. Charlotte (1776–1851, kath.), T d. kurpfälz. Hofkammerrats Frdr. Frhr. v. Gaugreben (1738 bis 83) in Düsseldorf u. d. Balduine Freiin v. Scharffenstein;
    7 S (ref.), 3 T (kath.), u. a. Friedrich (s. 1), Heinrich (s. 4), Moritz (1808–77), nassau. GR, Kammerherr d. Fürstin zu Wied, Max (s. 5), Amalie ( Anton Frhr. v. Breidbach-Bürresheim gen. v. Riedt, 1791–1878, nassau. Gen.-Major).

  • Biographie

    Hatte der Vater durch seinen Dienst im französischen Heer und seine Heirat mit einer preußischen Offizierstochter die Gleichgültigkeit der deutschen Aufklärung gegen eine nationale Absonderung innerhalb der abendländischen Staatenwelt bewiesen, so wurde G., Sohn einer reformierten Familie, 1772 zunächst in einer von ehemaligen Jesuiten geleiteten Schule in Worms erzogen, dann dem humanistischen Zweibrücker Gymnasium überwiesen und erhielt 1779 in der Militärschule des Dichters Pfeffel in Kolmar den letzten Schliff. Dem Studium in Leipzig und besonders in Göttingen, das Pütter, Schlözer und Meiners zur Hochburg der Staatswissenschaften und einer großräumigen Geschichtsauffassung machten, folgte eine kurzfristige Tätigkeit beim Reichshofrat in Wien. Wie der Vater fühlte sich auch der Sohn als Mitglied der Reichsritterschaft Kaiser und Reich auch dann unmittelbar verbunden, als er 1787 aus dem Dienst des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken in die Verwaltung des auf beiden Ufern des Rheins begüterten nassauischen Fürstenhauses eintrat und 1788 zum obersten Gerichtspräsidenten und leitenden Minister aufstieg. In den Revolutionsstürmen und Kriegen mußte er 1801 in Paris für seine Fürsten auf deren linksrheinische Gebiete verzichten und gewann dafür im Reichsdeputationshauptschluß sowie in diplomatischen Verhandlungen, die Nassau-Weilburg und Nassau-Usingen in den Rheinbund führten, eine wesentliche Vergrößerung ihres Besitzes zwischen Rhein und mittlerer Lahn. Der weiteren Abhängigkeit von Frankreich hatte der durch und durch deutsch gesinnte Mann schon früher widersprochen. Ein Dekret Napoleons, das 1811 alle auf dem linken Rheinufer geborenen Beamten für Frankreich beanspruchte, gab den Anstoß zur völligen Abkehr vom Staatsdienst. Die Fortführung eines groß angelegten Werkes: Resultate der Sittengeschichte (1. Band 1808) füllte die Zeit aus. Als sich eine Umkehr des politischen Schicksals anbahnte, wurde G. 1812 außenpolitischer Berater des von Erzherzog Johann geleiteten Alpenbundes und stieß nach dessen Aufhebung im Frühjahr 1813 zum preußischen Hauptquartier in Breslau. Stein berief ihn als Gesinnungsgenossen im Herbst in den Verwaltungsrat für die befreiten westdeutschen Gebiete. Anschließend leitete G. die Neuordnung der oranischen Fürstentümer in Dillenburg ein, geriet in Widerspruch zu dem Minister Marschall von Bieberstein und fand in der Vertretung des Erbstatthalters und Königs der Niederlande auf dem Wiener Kongreß vollen Ersatz. Sein Hauptanliegen, dessen neuen Staat organisch mit den übrigen deutschen Landschaften zu verbinden, mißlang ebenso wie das Verlangen nach Wiederherstellung des Kaisertums, das die Mittel- und Kleinstaaten gegen Übergriffe beider deutscher Großmächte schütze, Adel, Bürger und Bauern vor der Willkür fürstlicher Verwaltung und Justiz bewahre. Lediglich das Großherzogtum Luxemburg trat als Hausgut der Oranier in den Deutschen Bund. Auch nach dem 2. Krieg gegen Frankreich hatte weder der Wunsch nach restloser Rückführung der deutschen Kunstschätze noch die Forderung auf Eingliederung des Elsaß Erfolg. Trotzdem versuchte G. als Stimmführer Luxemburgs im Frankfurter Bundestag, den Mittel- und Kleinstaaten einen vollgültigen Anteil am Schicksal Mitteleuropas zu wahren. Bereits nach 2 Jahren (1818) rief ihn sein niederländischer Dienstherr ab und machte damit jeder aktiven Teilnahme an der deutschen Politik ein Ende. Um so mehr fanden seine Gedankengänge, die neben dem Kölner Kirchenstreit und den neuen ständischen Bestrebungen Westdeutschlands bisher kaum beachteten Problemen, dem Schutz der deutschen Auswanderer oder der Befreiung Griechenlands, galten, in der Augsburger Allgemeinen Zeitung sowie in verschiedenen Flugschriften und Büchern Beachtung. Neben Stein, dessen Briefe er später herausgab, zählte der Weimarer Kanzler F. von Müller zu seinen Korrespondenten. Sein neues Heim in dem heute in Kelkheim, unweit von Frankfurt, eingemeindeten Hornau wurde zu einer gastlichen Stätte für nahe und ferne Besucher. Zugleich konnte der Gutsherr und Schriftsteller, da der ältere reichsständische Besitz bei Worms 1816 dem Großherzogtum Hessen einverleibt war, seine Auffassung in Darmstadt anfangs in der 2. Kammer, seit 1829 als lebenslängliches Mitglied der 1. Kammer des neuen Landtags vortragen. Der Reichspatriotismus der Vergangenheit wurde darüber nicht vergessen. Während die „Resultate der Sittengeschichte“ (9 Teile, 1808-47) ausliefen, eine „Nationalgeschichte der Deutschen“ (4 Bände, 1813–26) mit der Begründung des Frankenreichs endete, haben die eigenen Erinnerungen insbesondere über den Kongreß zu Wien und den 2. Pariser Frieden (1845) ihre Bedeutung als Geschichtsquellen bewahrt und mit dem Eintritt der 3 „politischen“ Söhne Fritz, Heinrich und Max eine sinnvolle Fortsetzung gefunden. G., der das Reich ganz und gar auf der Harmonie der beiden deutschen Vormächte begründet sah, konnte sich mit der gegen diese gerichteten Opposition nicht befreunden. G. hat den Deutschen Bund für kein vollkommenes Gebilde gehalten, aber doch für das Beste, was zur Zeit zu erreichen sei. Im Gegensatz zu seinen Söhnen, die von der Einheitsschwärmerei der Burschenschaften angesteckt waren, hielt G. an der alteuropäischen konservativen Freiheitsidee fest. Er war überzeugt, daß den berechtigten Forderungen nach einer Weiterentwicklung des Gemeingeistes dadurch Rechnung getragen werden könne, daß der Bund gemeinsame Aufgaben im Inneren und gegenüber dem Auslande löste. Voraussetzung war für ihn das Einverständnis der deutschen Großmächte. Hierin wurde er allerdings enttäuscht. Erst Heinrichs Widerspruch, vielleicht nur der Tod ließ den Plan, nach dem Abklingen der deutschen Revolution (1851) diesem Irrgang eine eigene Schrift (Deutschland, gestern, heute und morgen) zu widmen, nicht ausreifen.

  • Werke

    Weitere W u. a. Zuruf e. dt. Edelmannes an s. Landsleute, 1794 (anonym);
    Über Dtld.s Zustand u. Bundesvfg., 1818;
    Mein Antheil an d. Pol., 5 Bde., 1822-45 (IV.: Briefe d. Frhr. vom Stein). – Nachlaß als Leihgabe im Bundesarchiv Abt. Frankfurt.

  • Literatur

    ADB VIII;
    H. v. Treitschke, Hist. u. pol. Aufsätze I, 1864;
    A. Steiger, H. Ch. E. v. G., Diss. Frankfurt 1924 (ungedr.); abschließend H. Rößler, Zwischen Rev. u. Reaktion, Ein Lb. d. Reichsfrhr. H. Ch. v. G., 1958 (P).

  • Porträts

    Gem., um 1815 (Fam.bes.), Abb. b. Rößler, s. L;
    Zeichnung v. Backofen, um 1830 (Fam.bes.), Abb. ebd.;
    Zeichnung v. J. Schmeller (Weimar, Goethe-Nat.mus.).

  • Autor/in

    Paul Wentzcke
  • Zitierweise

    Wentzcke, Paul, "Gagern, Hans Freiherr von" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 31-32 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119061600.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Gagern: Hans Christoph Ernst, Freiherr v. G., nassauischer Staatsmann und politischer Schriftsteller, geb. am 25. Januar 1766 auf dem reichsritterschaftlichen Schloß zu Kleinniedesheim bei Worms, am 22. Oct. 1852 zu Hornau bei Königstein. Aeltester Sohn des herzoglich pfalz-zweibrücken’schen Oberhofmeisters und Geh. Raths Freiherrn Karl Gottlieb v. G. und der Susanne Esther Laroche v. Starkenfels, erhielt er 1775—79 in der Schule der Exjesuiten zu Worms Unterricht sehr gebildeter Mitglieder des dortigen Domstifts, wie des Dompropsts Wessenberg, des nachherigen Coadjutors, Kurfürsten, Primas und Großherzogs zu Frankfurt, Dalberg, und des späteren Weihbischofs zu Mainz, Heimes. Er besuchte hierauf die Schule in Zweibrücken, dann Pfeffel's Erziehungsschule in Colmar, studirte 1781—83 in Leipzig, 1783—84 in Göttingen, wurde Assessor bei der Regierung in Zweibrücken und, nachdem er in Wien die Einrichtung und die Verhandlungen des Reichshofraths sowie der Reichskanzlei kennen gelernt, durch den mit seinem Vater befreundeten Präsidenten oder Minister v. Botzheim in die Landesregierung von Nassau-Weilburg berufen. Als 1786 sein Studiengenosse Friedrich Wilhelm zur Regierung gelangte, wurde G. der Nachfolger v. Botzheim's. Diese Stellung hat er 25 Jahre innegehabt und sich alle Zeit, namentlich aber gegenüber den kriegerischen Vorgängen, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts das Land Nassau berührten, als ächt deutscher Mann und als gewandter Diplomat im deutschen Interesse und in dem verschiedener kleiner deutscher Fürsten erwiesen. Als die Franzosen unter Custine bis zum Mittelrhein vordrangen, gelang es ihm durch Stellung von Geißeln die Ermächtigung zur ferneren Verwaltung Nassaus zu erlangen. Am 4. Jan. 1793 bot er sich der Königin Marie Antoinette, als einer in Paris wegen ihrer deutschen Abkunft verfolgten und verlassenen Frau, zum Vertheidiger in ihrem Processe an. Wegen der Briefe, welche er dieserhalb an die Königin und an den französischen Nationalconvent in Mainz zur Post aufgegeben, drohte ihm Gefangennahme; er entfloh und wiederholte sein Anerbieten. Nach Abschluß des Baseler Friedens erließ er, unwillig darüber, wie man deutscherseits so wenig verstand, „den Heeren und der Jugend Nachdruck, Seele und Feuer zu geben“, als „ein deutscher Edelmann an seine Landsleute“ einen Aufruf zur Bildung eines engeren Fürstenbundes. Nach den Siegen des Herzogs von Braunschweig bei Pirmasens und Mohrlautern suchte er diesen für die Schaffung einer rheinischen Landwehr zu gewinnen. Der Plan scheiterte, weil es G. nicht gelang, den leitenden kurpfälzischen Minister Grafen v. Oberndorf dafür zu bestimmen. 1796 folgte er dem nassauischen Hofe nach dem Zufluchtsorte Schloß Eremitage bei Baireuth, wo er bis 1800 den Gang der Ereignisse in Frankreich mit Aufmerksamkeit verfolgte und auf die Möglichkeit spähte, zu einer für Deutschland|günstigen Wendung der Dinge beizutragen. Beim Aufstande der Vendée und auf die falsche Nachricht vom Aufstande in Belgien untersuchte er am Rhein, ob es möglich sei, diesem Beispiele zu folgen; er mußte jedoch, französischerseits streng überwacht, ohne Aussicht hierauf bald zurückkehren. Als in Preußen Friedrich Wilhelm III. zur Regierung gelangte, veröffentlichte Gentz ein „Sendschreiben des Berliners an seinen König“. Darin vermißte G. die deutsch-patriotische und kriegerische Stimmung, deren Kundgebung er bei jener Gelegenheit am Platz hielt, er erwiderte daher alsbald mit einer Flugschrift: „Tadel des Sendschreibens eines Berliners an seinen König“ und im Anschluß hieran bewog er den Fürsten von Nassau, persönlich in Wien den Versuch einer Einigung Oesterreichs und Preußens zum Schutze des Reichs gegen Frankreich zu unternehmen. Die Denkschrift, welche er hierüber in Wien überreichte, wurde dort nicht beachtet; ein Schreiben Talleyrands vom 21. Februar 1798 an Bonaparte zeigte aber, daß diese Beiden eine solche Vereinigung fürchteten. Als Gesandter der nassauischen Fürsten in Paris war G. 1801 eifrig und mit Geschick für dieselben thätig. Nachdem im August 1805 Oesterreich sich mit England und Rußland verbunden, erstrebte Frankreich das Bündniß mit den süddeutschen Staaten. G. begab sich wieder nach Paris, wies aber Talleyrands Ansinnen eines Anschlusses der nassauischen Fürsten an Frankreich entschieden zurück. Auch 1806 hielt er sich in Paris auf, um eine Schädigung des nassauischen Hauses abzuwenden. Die Rheinbundsacte unterzeichnete er lediglich in der Ueberzeugung, daß die leiseste Weigerung, demselben beizutreten, die Mediatisirung des nassauischen Fürstenhauses zur Folge gehabt haben würde. Zugleich nahm er sich in Paris der Interessen vieler kleinen deutschen Fürsten an und wußte namentlich die von Napoleon beabsichtigte Mediatisirung Anhalts zu verhindern. In Folge von Napoleons Dekret von 1810, wonach kein auf dem linken Rheinufer Geborener in einem außerfranzösischen Staate Dienste leisten dürfe, sah sich G. 1811 genöthigt aus dem nassauischen Dienste zu scheiden. Er begab sich nach Wien. Auf dem Wege dahin suchte er in München die baierische Regierung günstiger für Oesterreich zu stimmen. In Wien trat er in Verbindung mit dem Erzherzog Johann und mit Hormayr; auch gab er denen, welche dort einen neuen Aufstand Tyrols planten, gute Rathschläge, in Folge dessen er jedoch, da der Plan dem Kaiser nicht zusagte, aus Oesterreich verwiesen wurde. In einer Zuschrift an letzteren verwahrte sich G., daß man Pläne gehabt, welche Oesterreichs Ansehen gefährlich gewesen. In der Schweiz lebend, begab er sich, auf Veranlassung des Fürsten Metternich, in das preußisch-russische Hauptquartier, wurde auf der Reise dahin von dem in der Verbannung zu Prag lebenden Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen zu Rathe gezogen, hatte in Breslau Besprechungen mit den aus Kalisch zurückkehrenden Monarchen, wurde dann vom Prinzen Wilhelm von (Nassau-Dietz oder Neu-) Oranien, Sohn des Erbstatthalters der Niederlande, Wilhelms V., an die Spitze seiner Angelegenheiten gestellt und von diesem sowie dem Kurfürsten von Hessen zum Mitglieds des Verwaltungsrathes ernannt, welchen die Monarchen von Preußen und Rußland durch Erlaß vom 6. April 1813 zu Kalisch für das nördliche Deutschland eingesetzt hatten, um in die Leitung der Angelegenheiten dieser Länder Einheit, Zusammenhang und Gleichförmigkeit der Mitwirkung aller Theile zu bringen. In dieser Eigenschaft setzte G. gegen den Freiherrn von Stein die alsbaldige Wiedereinsetzung des Kurfürsten von Hessen durch. Nach den Schlachten von Lützen und Bautzen (Mai 1813) begab sich G. zum Prinzen von Oranien nach England und dann in dessen Auftrag zum Herzog von Braunschweig, um diesen zum festeren Anschluß an Hannover zu bewegen, ein Auftrag, dessen Erfüllung ihm nur mit vieler Mühe gelang. Der Prinz von Oranien hatte durch seine Theilnahme am Kriege von|1806 für Preußen auch alle seine deutschen Länder verloren. Als höchster Beamter des Prinzen wurde nun G. gegen Ende des Jahres 1813 für dessen Wiedereinsetzung in den Niederlanden thätig, insbesondere vermittelte er die erste Verbindung des Prinzen mit den Führern des um Mitte November 1813 dort ausgebrochenen Aufstandes, in Folge dessen letzterer am 1. December unter dem Titel eines souveränen Fürsten der Vereinigten Niederlande im Haag die Regierung übernahm. Nachdem durch die kriegerischen Erfolge der Verbündeten im October und November 1813 die vormals oranischen alten und neuen Lande von der fremden Besitznahme befreit waren, wurde G. vom Prinzen von Oranien beauftragt, sie in seinem Namen in Besitz zu nehmen, die Verbündeten aber ließen diese Besitznahme nicht zu hinsichtlich derjenigen deutschen Länder, welche der Vater des Prinzen 1802 als Entschädigung für den Verlust der Niederlande erhalten hatte. 1813—14 hatte G. in seiner Stellung zu Dillenburg als leitender Minister der vier oranischen Fürstenthümer, welche er mit ausgedehnter Gewalt verwaltete, reiche Beschäftigung, namentlich sorgte er für die Bewaffnungsanstalten und ließ sich angelegen sein, die Gemüther mit dem nunmehrigen Stand der Dinge zu versöhnen. Meistens von Dillenburg aus war G. Berather des Prinzen von Oranien, als es sich auf Grund von Englands Vorschlag um die Gründung eines gegen Frankreich wehrfähigen oranischen Staates handelte. Er warnte den Prinzen mit Rücksicht auf die englische Politik, zunächst die Entscheidung abzuwarten, ob Oesterreich seine Ansprüche auf Belgien erneuern werde. Der Prinz dagegen erläuterte am 1. Februar 1814 seinem Berather den Plan, daß womöglich die manischen Besitzungen in Deutschland durch Erwerb des zwischenliegenden Großherzogthums Berg und durch Tausch mit dem neuen niederländischen Staate in Zusammenhang gebracht würden. Dagegen machte G. den Prinzen darauf aufmerksam, daß er, der selbst für die gemeinsame Sache der Verbündeten nicht viel zu leisten im Stande gewesen, selbst im günstigsten Falle des Kriegsausgangs nicht eine Vergrößerung in Holland und in Deutschland erwarten könne; er bereitete ihn sogar auf den Fall vor, daß Preußen für seine große Einbuße sich das Großherzogthum Berg zueignen und die gesammten nassauischen Lande auch noch verloren gehen könnten. Auf dem ersten Pariser Congresse arbeitete G. für die Erweiterung der Niederlande, für Zurücknahme des Elsasses an Deutschland und für Zurückgabe der von den französischen Heeren nach Paris gebrachten deutschen Kunstwerke. Im Juli 1814 wurde er zum zweiten Gesandten des souveränen Fürsten der Niederlande und zum ersten Gesandten des nassauischen Gesammthauses am Wiener Hofe und beim Wiener Congresse ernannt. Hier war er zunächst thätig bei der endlichen Begrenzung der Vereinigten Niederlande, insbesondere für die schon im Pariser Friedensschluß vom 30. Mai 1814 festgesetzte Vergrößerung Hollands durch Belgien; er hatte am 27. April 1814 die Zutrittsacte des Prinzen von Oranien zum Bunde gegen Napoleon und am 31. Mai 1814 den Vertrag mit den Verbündeten unterzeichnet, in welchem der Prinz als König der Niederlande und als Großherzog von Luxemburg, welches Land er gegen Abtretung seiner Erbländer an Preußen erhielt, anerkannt wurde. Gagern's Wirksamkeit auf dem Congresse für die Verbindung Belgiens mit Holland war erfolgreich und in der Wiener Schlußacte wurde die ganze Neugestaltung anerkannt. Der König der Niederlande verlieh ihm darauf die holländische Staatsangehörigkeit und ernannte ihn 1816 zum Staatsrath. Bezüglich der Neuordnung der deutschen Verhältnisse machte sich G. seit dem 14. October 1814 auf dem Wiener Congresse wieder zum Wortführer der kleineren Staaten. Vor Eröffnung des deutschen Bundestags sprach er sich in einem Schreiben an den Fürsten Metternich für einen|deutschen Bundesstaat und für Erfüllung des hinsichtlich der landständischen Verfassungen gegebenen Versprechens aus. Vom König von Holland zum Gesandten Luxemburgs beim Bundestage ernannt, in welchem er auch die auf dem Wiener Congresse von ihm vor Mediatisirung bewahrte freie Stadt Frankfurt a. M. vertrat, hob er bei Eröffnung des Bundestags in einer längeren Rede die ganze Bedeutung des neuen deutsch-freundlichen batavischen Zwischenstaates hervor. Durch seine Wirksamkeit am Bundestage kam er dann bald bei den deutschen Höfen in den Ruf einer unliebsamen Freisinnigkeit. So hatte er namentlich bei der Frage über die Garantie für die weimarische Verfassung diese als die volle Erfüllung der in Wien und in der Bundesacte gegebenen Verheißungen bezeichnet und sogar den Ausspruch des Dankes an den Großherzog beantragt. In seinen Abstimmungen drang er mit Freimuth und deutscher Vaterlandsliebe auf weitere Einführung landständischer Verfassungen. Die deutschen Fürsten sahen indeß immer mehr von dem Gedanken der Gründung eines starken, einheitlichen Deutschlands ab und G., der am 17. Juni 1817 diese Wendung in der Bundesversammlung für bedauerlich erklärt hatte, fühlte sich hier vereinsamt und wurde am 13. April 1818 von dieser Stellung abberufen. Im J. 1820 in Ruhestand versetzt, lebte G. auf seinem Gute Hornau. Er machte sich sehr verdient um das Zustandekommen der Verfassung für das Großherzogthum Hessen und gehörte auf den darmstädtischen Landtagen von 1820—21, sowie von 1823—24 als Abgeordneter des rheinhessischen Bezirks Pfeddersheim der zweiten Kammer an. Am 22. November 1825 wandte er sich aus Hornau mit einer Denkschrift an das großherzoglich hessische Staatsministerium: er bat, am Bundestage dahin zu wirken, daß die Oeffentlichkeit von dessen Verhandlungen wieder hergestellt würde. 1829 wurde er zum lebenslänglichen Mitgliede der ersten Kammer in Darmstadt ernannt. — Die Hauptpunkte seiner diplomatischen Thätigkeit hat G. selbst im Näheren geschildert in seinem Werke: „Mein Antheil an der Politik“ (Bd. 1—4 Stuttg. 1823—33, Bd. 5 Leipzig 1844). Freiherr v. Stein, mit welchem G. von 1813—31 in Briefwechsel über alle wesentlichen europäischen, insbesondere die deutschen Fragen stand, erklärte, nachdem er die ersten Bände jenes Werkes von G. gelesen, diesem mittelst Briefes vom 14. Mai 1826, daß sich in Gagern's politischem Betragen durchaus ein feindseliger Geist gegen Preußen ausspreche; er findet dies besonders darin, daß G. auf dem Wiener Congresse die von Preußen erstrebte Einverleibung ganz Sachsens zu verhindern geholfen habe. Anderweit ist gegen G. der Vorwurf erhoben, die Vergrößerung der Niederlande zu Deutschlands Nachtheil betrieben zu haben. Hiergegen vertheidigt ihn sein Sohn Heinrich v. G. in dem Werke: „Das Leben des Generals Friedrich v. Gagern“, Bd. 1, S. 177—186. — G. war vermählt mit Charlotte Freiin v. Gaugreben aus Düsseldorf, mit welcher er zehn Kinder hatte. Als Schriftsteller ist G. auch sonst, namentlich auf historischem und politischem Gebiete, vielfach thätig gewesen. Seine Schriften, soweit nicht oben erwähnt, sind: „Der Einsiedler oder Fragmente über Sittenlehre, Staatsrecht und Politik", 1822—27; „Die Resultate der Sittengeschichte", Bd. 1—4, 2. Aufl. 1835—37, Bd. 5 und 6 1. Aufl. 1822; „Nationalgeschichte der Deutschen", 2 Bde., 2. Aufl., Frankf. 1825—26; „Kritik des Völkerrechts“, 1840; „Civilisation“, 1847; „Observations sur les articles secrets du traité de paix de Paris“, 1814; „Ansprache an die deutsche Nation über den Vorgang in Köln“, Frankf. 1838; „Zweite Ansprache an die deutsche Nation über die kirchlichen Wirren, ihre Ermäßigung und möglichen Ausgang“, Leipzig 1846; „Allocution an die deutsche Nation und ihre Lenker“, Wien 1848. —

    • Literatur

      Vgl.: Mein Antheil an der Politik, von Hans Chr. E. v. Gagern; Das Leben des Generals Friedrich v. Gagern, von Heinr. v. Gagern, 3 Bde.,|Leipz. u. Heidelb. 1856 u. 57; Schaumann, Geschichte des zweiten Pariser Friedens für Deutschl., Gött. 1844, S. 120; Gegenwart, Bd. 1, Leipzig, Brockh. 1848, S. 713—724; Gervinus, Gesch. des 19. Jahrh., Bd. 1, Leipz. 1855, S. 192; Pertz, Das Leben Stein's, Bd. 4, S. 31.

  • Autor/in

    K. Wippermann.
  • Zitierweise

    Wippermann, Karl, "Gagern, Hans Freiherr von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 8 (1878), S. 303-307 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119061600.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA