Lebensdaten
1755 – 1799
Geburtsort
Helbigsdorf bei Freiberg (Sachsen)
Sterbeort
Schloß Bezdiekau bei Klattau (Bezděkov u Klatov, Böhmen)
Beruf/Funktion
Schauspieler ; Theaterdichter ; Romancier ; Erzähler
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118961446 | OGND | VIAF: 61686054
Namensvarianten
  • Spieß, Christian Heinrich
  • Spieß, Kristian
  • Spieß, Christian
  • mehr

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Zitierweise

Spieß, Christian, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118961446.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus ev. Pastorenfam.;
    V Christian Friedrich (1726–61), 1755–61 Pfarrer in H.;
    M Henriette Erdmuthe Bayer (Beier), aus Staucha b. Oschatz, T e. Pfarrers; ledig.

  • Biographie

    S. wurde 1769 in die Sekunda des Freiberger Gymnasiums eingeschrieben, brach jedoch aus ungeklärten Gründen den Schulbesuch ab und entwich 1770 nach Böhmen. Hier nahm sich der Prälat des Zisterzienserklosters in Ossegg seiner an und schickte ihn noch im selben Jahr zum Studium an das Carolinum nach Prag, wo S. u. a. die Stilistikvorlesungen und -übungen Karl Heinrich Seibts (1735–1806) besuchte. Um nicht Mönch werden zu müssen – offenbar war er nach 1770 konvertiert –, verließ S. 1774 Prag und schloß sich in Preßburg als Schauspieler und Theaterdichter der Schauspieltruppe von Carl Wahr (vermutl. 1745-n. 1798) an. Der Schauspielerin Sophie Körner, geb. Bauer (1750–1817), zu der S. in einer unklaren persönlichen Beziehung stand und die er als Universalerbin einsetzte, schrieb er regelmäßig die Titelrollen seiner zahlreichen Dramen „auf den Leib“, u. a. das Theaterstück „Roxelane als Braut“, mit dem er Anfang 1776 erstmals hervortrat, aber auch seine großen Erfolgsstücke, z. B. das Trauerspiel „Maria Stuart“ (1784) oder das Ritterschauspiel „Klara von Hoheneichen“ (1790, UA Prag, 1791/92). 1779 wurde S. in Prag seßhaft, nachdem Wahr die Leitung des dortigen Kotzentheaters auf dem Altstädter Ring übernommen hatte. Nach der Auflösung der Wahrschen Truppe trat S. Ostern 1784 als Sekretär in den Dienst des Caspar Hermann Gf. v. Künigl (1745–1814) auf Schloß Bezdiekau.

    S.s bekanntester Roman, „Das Petermännchen, Geistergeschichte aus dem 13. Jh.“ (2 Bde., 1791/92, Nachdr. 1971), knüpfte an das Genre der „gothic novel“ an. Er erschien – wie auch andere Erzählungen S.s – zunächst in Fortsetzungen in der Zeitschrift „Apollo“ des Prager Ästhetikers und Kriminalschriftstellers August Gottlieb Meißners (1753–1807) und wurde mehrmals neu aufgelegt und ins Französische übersetzt. Als „Schauspiel mit Gesang“ (1794) von Karl Friedrich Hensler (1759–1825) für das Leopold- und Josefstädter Theater in Wien dramatisiert, wurde das „Petermännchen“ ein überwältigender Erfolg.

    Neben Karl Gottlob Cramer (1758–1817), Johann Friedrich Ernst Albrecht (1752–1814), Karl Grosse (1768–1847) und Jean Paul (1763–1825) zählte S. Ende des 18. Jh. zum „Direktorium der fünf Lieblingsschreiber Deutschlands“ (Johann Friedrich Jünger). Er galt lange als Vertreter der Ritter-, Räuber- und Schauerromantik, weswegen v. a. die Biographie seiner letzten Lebensjahre von schauerromantischer Legendenbildung überformt zu sein scheint. Heute wird dagegen der Zusammenhang seines Werks mit den Zielen der Spätaufklärung herausgestellt. Im Zuge der sozialhistorisch und anthropologisch orientierten Literaturgeschichtsschreibung wurde insbesondere S.s Pauperismusliteratur wiederentdeckt, namentlich die „Biographien der Selbstmörder“ (4 Bde., 1785–89, Ausw. hg. v. A. Košenina, 2005) und die „Biographien der Wahnsinnigen“ (4 Bde., 1795/96, Ausw. hg. v. W. Promies, 1966, ²1976), in denen S. das durch Karl Philipp Moritz' „Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“ (1783–93) begründete, sozialkritische und psychologische Interesse in moraldidaktischer Absicht profilierte.

  • Werke

    Weitere W u. a. Dramen: Die drei Töchter, 1782;
    Gen. Schlenzheim u. seine Fam., 1785;
    Die Mausefalle oder d. Reise nach Ägypten, 1786;
    Prosa:
    Der Mäusefallen- u. Hechelkrämer, 1792;
    Der alte Ueberall u. Nirgends, Geistergesch., 4 Bde., 1792/93;
    Der wahrsagende Zigeunerkalender f. d. J. 1795, 1794;
    Die zwölf schlafenden Jungfrauen, Eine Geistergesch., 3 Bde., 1794–96;
    Die Löwenritter, Eine Gesch. d. 13. Jh., 4 Bde., 1794–96;
    Reisen u. Abentheuer d. Rr. Benno v. Elsenburg im J. 1225, 3 T., 1795/96;
    Leben u. Thaten d. Jacob v. Buchenstein, 3 T., 1796–98;
    Meine Reisen durch d. Höhlen d. Unglücks u. Gemächer d. Jammers, 4 Bde., 1796–98;
    Die Geheimnisse d. alten Egipzier, Eine wahre Zauber- u. Geistergesch. d. 18. Jh., 3 Tle., 1798/99;
    Hans Heiling, vierter u. letzter Regent d. Erde-, Luft-, Feuer- u. Wassergeister, Ein Volksmärchen d. 10. Jh., 4 Tle., 1798/99;
    Georg v. Treuherzen, oder d. kleine Ueberall u. Nirgends, 2 Bde., 1798;
    Die Rr. mit d. güldnen Horn, 1799;
    Komische Erzz. f. Freunde d. Scherzes u. d. guten Laune, 2 Bde., 1799–1801;
    Die zwölf schlafenden Jünglinge, 1799;
    Die strahlende Jungfrau oder d. Berggeist, Zaubergesch., 1800;
    Maria Clement oder d. Glocke um Mitternacht, 1800;
    Kl. Erzz. u. Gesch., 3 Bde., 1797–1804;
    Teilausgg.:
    Ges. Schrr., 2 Bde., 1790;
    Theatral. Werke, 2 Bde., 1793;
    Ausgew. Schrr., 20 Bde., 1841;
    Sämmtl. Werke, 11 Bde., 1840/41 (unvollst.).

  • Literatur

    ADB 35;
    J. F. Jünger, Fritz, ein komischer Roman, T. V, 1800, S. 10;
    Ch. Quelle, C. H. S. als Erzähler, Diss. masch. Leipzig 1925 (Bibliogr. S. 24–32);
    S. Skalitzky, C. H. S., Ein Schauerdichter u. sein Schicksal, 1934;
    G. Reuchlein, Bürgerl. Ges., Psychiatrie u. Lit., 1986, S. 98–130;
    U. Hartje, Triviallit. in d. Zeit d. Spätaufklärung, Unterss. z. Romanwerk d. dt. Schriftst. C. H. S. (1755–1799), 1995;
    C. Zelle, Böhm. Selbstmörder, Giacomo Casanova u. C. H. S. über d. Selbsttötung, in: „Böhm. Dörfer“, Streifzüge durch e. seltene Gegend auf d. Suche nach d. Herren Karl Riha, Agno Stowitsch u. Hans Wald, FS K. Riha, hg. v. P. Gendolla u. C. Zelle, 1995, S. 80–91;
    A. Jakubcová u. V. Maidl, Überzeugter Theateraufklärer, moralisierender Beobachter, Autor v. Triviallit., Lebens- u. Schaffensaporien v. C. H. S. (1755–99), in: Dt.sprach. Theater in Prag, Begegnungen d. Sprachen u. Kulturen, hg. v. A. Jakubcová u. a., 2001, S. 205–26;
    C. H. S. u. seine Zeit (Germanistica Pragensia 16), hg. v. V. Maidl, 2002;
    E. Achermann, Finalité ou fatalité, L'œuvre de C. H. S. entre littérature et psychologie, in: La fiction en prose 1760–1820, hg. v. H. Voisine-Jechova, 2004, S. 231–61;
    Sudetendt. Lb. II, 1930, S. 73–81;
    Mitteldt. Jb. 6, 1999, S. 208 f.;
    Ostdt. Gedenktage 1999;
    Egerländer Biogr. Lex.;
    Kosch, Theater-Lex.;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Killy.

  • Autor/in

    Carsten Zelle
  • Zitierweise

    Zelle, Carsten, "Spieß, Christian" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 694-695 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118961446.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Spieß: Christian Heinrich S., Schauspieler und Dichter, geb. am 4. April 1755. am 17. August 1799. S. stammte aus Freiberg i. S., wo er seine Schulausbildung erhielt. Die Neigung zum Theater bestimmte ihn, Schauspieler zu werden. Er schloß sich verschiedenen Wandertruppen an und zog mit ihnen kreuz und quer durch das Land, bis er in Prag bei der Karl Wahr'schen Truppe als Schauspieler und Theaterdichter ein dauerndes Unterkommen fand. Er gab hier mit demselben Gelingen „biedere Alte" und „zitternde Greise“ z. B. den alten Moor, als „schleichende dumme junge Herren“ oder vertraute und schüchterne Liebhaber. Er gehörte dem Prager Theater bis zum Jahre 1788 an. Die letzte Zeit seines Lebens verbrachte er auf der Herrschaft Betzdiekau bei Klattau in Böhmen bei dem Grafen Künigl, der ihn nominell als Oekonomiebeamten, in Wirklichkeit aber nur als Günstling und Gesellschafter in sein Haus aufgenommen hatte. Obwol sich S. in dieser Rolle wohl fühlte, da er bei allen Bekannten und Freunden des Grafen wohl angesehen war und von dem Grafen und den Seinen als Standesgenosse behandelt wurde, machte ihn doch die Untreue seiner Frau schwermüthig. Er fiel schließlich einer vollständigen Geisteszerrüttung, die in Tobsucht ausartete, anheim und starb bereits am 17. August 1799 im 44. Lebensjahre. S. hat in seinem kurzen Leben seit dem Jahre 1782 als Roman- und Schauspieldichter eine staunenswerthe Fruchtbarkeit entwickelt und sich bei seinen Zeitgenossen einer ungewöhnlichen Beliebtheit erfreut. Verstand er doch ausgezeichnet, in seinen Ritter-, Räuber- und Geisterromanen seine Leser mit Schauder zu erfüllen, da er in der Erfindung und Ausführung von gräßlichen und widrigen Stoffen eine wahre Virtuosität besaß. Unter seinen Werken treffen wir u. a. auch Biographien von Selbstmördern und Wahnsinnigen. In seinen Schauspielen hielt er sich an das von Goethe im „Götz" und von Schiller in den „Räubern“ gegebene Beispiel, das für ihn allerdings nur nach der Seite des Wilden und Naturwüchsigen hin maßgebend war. Sie hielten sich ziemlich lang auf der Bühne, vor allem die Ritterspiele: „Clara von Hoheneichen“, das Theodor Körner noch 1811 in Wien spielen sah, und „Friedrich, der letzte Graf von Toggenburg“, und ebenso sein Trauerspiel „Maria Stuart und Norfolk", das erst nach seinem Tode von Schiller's Tragödie verdrängt werden sollte. Bei seinen Romanen macht sich der Einfluß von Schiller's „Geisterseher" bemerklich. Er zeigt sich am deutlichsten in den Romanen: „Der Alte überall und nirgends“ und „Die zwölf schlafenden Jungfrauen". Zu seinen gelesensten Arbeiten gehört noch der Roman „Die Löwenritter“. Die große Beliebtheit des Dichters geht auch aus dem Umstande hervor, daß seine Sachen mehrfach nachgedruckt und Arbeiten anderer Autoren ihm untergeschoben wurden. Ein vollständiges, genaues bibliographisches Verzeichniß seiner Schriften ist noch nicht ausgestellt worden. Eine Gesammtausgabe seiner Werke erschien in 11 Bänden Nordhausen 1840—1841.

    • Literatur

      Vgl. Meusel, Lexikon der vom Jahre 1730—1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller XIII, 229—232. Leipzig 1813. — Friedrich Raßmann, Deutscher Dichternekrolog. S. 183, 184. Nordhausen 1818. —
      Derselbe, Litterarisches Handwörterbuch der verstorbenen deutschen Dichter. S. 425—427. Leipzig 1826. —
      Derselbe, Kurzgefaßtes Lexikon deutscher pseudonymer Schriftsteller. S. 172. Leipzig 1830. — A. W. v. Schlegel. Sämmtliche Werke XI, S. 349. Leipzig 1847. —
      Koberstein, Grundriß. Generalregister. Leipzig 1873. — K. Goedeke, Grundriß II, 1136/37. —
      Wurzbach, Biogr. Lexikon. — J. W. Appell, Die Ritter-, Räuber- u. Schauerromantik. S. 34—41. Leipzig 1859. —
      Osc. Teuber, Geschichte des Prager Theaters. 2. Theil. S. 59—62. Prag 1885. — Alfr. Meißner, Rococobilder. S. 190—192. 2. Ausg. Lindau und Leipzig 1876.

  • Autor/in

    H. A. Lier.
  • Zitierweise

    Lier, Hermann Arthur, "Spieß, Christian" in: Allgemeine Deutsche Biographie 35 (1893), S. 177-178 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118961446.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA