Lebensdaten
1825 – 1895
Geburtsort
Familiengut Westerfeld bei Aurich (Ostfriesland)
Sterbeort
L’Aquila (Abruzzen, Italien)
Beruf/Funktion
Jurist ; Publizist ; Schriftsteller ; Sexualforscher ; Latinist
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 11888980X | OGND | VIAF: 62346715
Namensvarianten
  • Numa Numantius (Pseudonym)
  • Ulrichs, Carolus Henricus
  • Ulrichs, Carlo Arrigo
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Ulrichs, Karl Heinrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11888980X.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus norddt. Pastoren- u. Baumeisterfam.;
    V Johann Hermann Heinrich (1784?-1835), Landbauverw. in Hildesheim u. Landbaumeister in A., S d. Georg Wilhelm (1753?-1811), Förster in Alt Medingen, Rehbeck u. Blütlingen, u. d. Luise Sophie Sarnighausen (1750–1829);
    M Anna Elise Friederike Wilhelmine (1796–1856), T d. Johann Heinrich Heinrichs (1765–1850), Prediger in Quickborn u. Dannenberg, Sup. in Klötze, Kirchenrat u. Pastor primarius in Burgdorf, u. d. Regine Dorette Elisabeth Eden (1776–1838);
    Ur-Gvv Johann Friedrich (1728–63), Chirurgicus in Dorfmark, Ur-Gvm Philipp Heinrich Sarnighausen (1696–1770), Pastor in Hausberge u. Medingen;
    4 Geschw; – ledig.

  • Biographie

    U. besuchte Schulen in Aurich, Detmold und Celle. Das Studium der Rechte und daneben v. a. der Geschichte absolvierte er seit 1844 in Göttingen und seit 1846 in Berlin. 1846 wurde U. für seine Arbeit „Fori reconventionis origines et doctrina“ von der jur. Fakultät in Göttingen mit dem Jahrespreis ausgezeichnet; 1848 erhielt er den Preis des Königs von der jur. Fakultät in Berlin für die Schrift „Pax Westphalica etc.“.

    1852 legte U. das Amtsassessorexamen ab und war danach sechs Jahre lang im Justiz- und Verwaltungsdienst des Kgr. Hannover tätig, zuletzt als Hilfsrichter. Als ihm ein Disziplinarverfahren wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ – gemeint war U.s Liebe zu Männern – drohte, quittierte er Ende 1854 unter Beibehaltung des Titels „Amtsassessor“ den Dienst. Seither lebte U. als freier Journalist (u. a. für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“) und Schriftsteller in Dassel, Burgdorf, Mainz und Frankfurt/M., wo er 1859–63 Sekretär des Bundestagsgesandten Justin T. B. Frhr. v. Linde (1797–1870) war. Seit 1859 Mitglied des „Freien Dt. Hochstifts für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung“, wurde er 1864 wegen seiner Ideen und wegen Gerüchten über seinen Lebenswandel wieder ausgeschlossen. 1867 wurde U. zweimal verhaftet und schließlich des Landes verwiesen, weil er die Annexion Hannovers durch Preußen 1866 kritisiert hatte. Am 29. 8. 1867 wurde er von seinen Kollegen auf dem 6. Dt. Juristentag in München niedergeschrien, als er gegen die Bestrafung von sexuellen Handlungen zwischen Männern eintrat. Seit 1867 lebte U. v. a. in Würzburg und Stuttgart. 1880 ging er nach Neapel, später nach L’Aquila in den Abruzzen. Dort gab er 1889–95 die in lat. Sprache verfaßte Zeitschrift „Alaudae“ („Lerchen“, Nachdr. mit e. Einl. v. W. Stroh, 2004) heraus, darum bemüht, die lat. Sprache zur Weltsprache zu erheben. Zudem trat U. mit Abhandlungen zur Rechtsgeschichte, mit Gedichten und Geschichten hervor.

    U. veröffentlichte als erster eine moderne Theorie der Homosexualität und definierte den Homosexuellen, den er, bezogen auf die griech. Mythologie, „Urning“ nannte, als eigensinniges und gesundes Geschlechtssubjekt. Als Vorkämpfer der Homosexuellenemanzipation schrieb U. zahlreiche wissenschaftliche, moraltheoretische, juristische und politische Begründungen für die vollkommene Gleichstellung der erstmals 1868 von Karl Maria Kertbeny (1824–82) nachweislich „homosexual“ genannten Menschen mit den noch später heterosexuell genannten Menschen (Forschungen über d. Räthsel d. mannmännlichen Liebe, 12 Bde., 1864–79, Neuaufl. in 4 Bdn., hg. v. H. Kennedy, 1994). Er bekannte sich öffentlich zur gleichgeschlechtlichen Liebe, verfaßte Eingaben an die Gesetzgeber, verteidigte Angeklagte, konzipierte 1865 einen „Urningsbund“, legte ein Archiv an und gründete 1870 eine Zeitschrift für das „Urningthum“ mit dem Titel „Uranus“ (nur ein Heft erschienen). U. ist auch ein Pionier der sexualwissenschaftlichen Forschung. Der Grad seiner kulturellen und politischen Modernität ist beeindruckend. Für ihn war selbstverständlich, daß alle Menschen mit der gleichen Würde ausgestattet sind und dieselben Menschenrechte zu beanspruchen haben. U. wurde zum Vorbild für Sexualforscher wie Magnus Hirschfeld (1859–1935)|und wird heute weltweit von Homosexuellen verehrt.

  • Auszeichnungen

    A Gedenktafel am Haus Markt 5, Göttingen (1997);
    K.-H.-U.-Platz, München (1998);
    U.-Platz, Bremen (2002), Aurich (2014), Frankfurt/M. u. Stuttgart (beide 2015);
    Gedenktafel an d. FH f. Rechtspflege, Hildesheim (2002);
    Karl Award d. Internat. Lesbian and Gay Law Association (2002);
    K.-H.-U.-Str., Hannover-Mitte (2006) u. Berlin (2013);
    K.-H.-U.-Fonds d. Hannchen-Mehrzweck-Stiftung z. Förderung v. wiss. Forsch. (2006);
    Piazzale K. H. U., L’Aquila (2007);
    Förderver. K.-H.-U.-Ges. (2010) u. K.-H.-U.Zentrum, Leipzig (2011).

  • Werke

    W Cupressi carmina in memoriam Ludovici II. Regis Bavariae, 1887 (lat. u. dt. Gedichte);
    Vier Briefe v. K. H. U. (Numa Numantius) an seine Verwandten [aus d. J. 1862], in: Jb. f. sexuelle Zw.stufen 1, 1899, S. 36–70;
    Manor, e. Novelle, 1914, Nachdr. 1995;
    Der Urning u. sein Recht, in: Die Freundschaft 43, 1920, S. 1 f.;
    Satzungen f. d. Urningsbund (entworfen Sept. 1865) [Faksimile], in: M. Herzer, K. H. U. u. d. Idee d. Wiss.-humanitären Komitees (WHK), Zu e. unbek. U.-Text, in: Mitt. d. Magnus-Hirschfeld-Ges. 10, 1987, S. 34–38;
    Matrosengeschichten u. Gedichte, Ein Lesebuch, zus.gestellt v. W. Setz, 1998;
    „Das Eis ist gebrochen“, U.s letzte Stellungnahme z. mannmännl. Liebe aus d. J. 1894 (lat. Orig.text u. dt. Übers.), in: V. Sigusch, 2000 (s. L), S. 110–18.

  • Literatur

    L M. Hirschfeld, Die Homosexualität d. Mannes u. d. Weibes, 1914;
    F. K.-H. (d. i. F. Karsch-Haack), in: Die Freundschaft 29, 1922, S. 4;
    H. Kennedy, The Life and Works of K. H. U., Pioneer of the Modern Gay Movement, 1988, ²2005, dt. 1990, ²2001 (W, L);
    ders., in: R. Lautmann (Hg.), Homosexualität, Hdb. d. Theorie- u. Forsch.gesch., 1993, S. 32–38;
    ders., in: Biogr. Lex. Ostfriesland II, 1997, S. 384–87;
    R. Schildt, Das Ende e. Karriere, Entfernung d. Amtsassessors U. aus d. Staatsdienst wegen widernatürl. Wollust [-Faks.], SARCH-Dok., hg. v. Schwullesb. Archiv Hannover (SARCH), in: Capri 2, 1988, H. 4, S. 24–33;
    V. Sigusch, Ein urn. Sexualsubjekt, T. I: K. H. U. als erster Schwuler d. Weltgesch., T. II: Unbekanntes aus d. Nachlaß v. K. H. U., in: Zs. f. Sexualforsch. 12, 1999, S. 108–32 u. 237–76;
    ders., „schwul“, in: 100 Wörter d. Jh., 1999, S. 254–56;
    ders., K. H. U., Der erste Schwule d. Weltgesch., 2000;
    ders., Gesch. d. Sexualwiss., 2008, S. 144–65 u. 682 f. (W, L);
    W. Setz (Hg.), Die Gesch. d. Homosexualitäten u. d. schwule Identität an d. J.tausendwende, Eine Vortragsreihe aus Anlaß d. 175. Geb. tags v. K. H. U., 2000 (darin: V. Sigusch, Uranität als Existenzweise, K. H. U. als Präzeptor d. Homosexuellen- u. Schwulenbewegung, S. 65–92);
    ders. (Hg.), K. H. U. zu Ehren, Mat. z. Leben u. Werk, 2000 (mit autobiogr. Zeugnissen, S. 35–43;
    darin: Korrekturen u. Ergg. in zwei Handexemplaren, zus. gestellt v. V. Sigusch u. W. Setz, S. 45–68, u. W. Stroh, K. H. U. als Vorkämpfer e. lebendigen Latein, S. 81–92);
    ders. (Hg.), Neue Funde u. Stud. z. K. H. U., 2004 (darin: J. Dobler, U. vs. Preußen, S. 49–126);
    [Aus d. Protokollen d. Sechsten Dt. Jur. tages], in: Splitter 1, Mat. z. Gesch. d. Homosexuellen in München u. Bayern, o. J. [2000], S. 18–20;
    J. Dobler, U. in Berlin, Ergg. z. U.-Forsch., in: Mitt. d. Magnus-Hirschfeld-Ges. 33/34, 2002, S. 39–45;
    K.-S. Fessel u. A. Schock, Out!, 600 Lesben, Schwule u. Bisexuelle, ⁴2002 (P);
    Brümmer;
    Kürschner, Lit.kal., 1894, Sp. 1228 (W);
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L); Personenlex. Sexualforsch. (W, L
    , P);
    Mann für Mann (P).

  • Porträts

    P anon. Zeichnung, Abb. in: Personenlex. Sexualforsch. (s. L)

  • Autor/in

    Volkmar Sigusch
  • Zitierweise

    Sigusch, Volkmar, "Ulrichs, Karl Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 615-616 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11888980X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA