Lebensdaten
1781 – 1861
Geburtsort
Kassel
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Physiologe ; Anatom ; Arzt
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118867733 | OGND | VIAF: 42635598
Namensvarianten
  • Tiedemann, Friedrich Ritter von (seit 1832)
  • Tiedemann, Friedrich
  • Tiedemann, Friedrich Ritter von (seit 1832)
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Zitierweise

Tiedemann, Friedrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118867733.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Dietrich T. (1748–1803), Prof. d. Philos. in Marburg (s. ADB 38; L), S d. Friedrich (1714–1801), 1748–92 Bgm. in Bremervörde b. Stade, u. d. Margarete Pohndorff (1721–59), aus Stade;
    M Sophie (um 1750–1816), T d. Johann Heinrich Rothhausen (Rodthausen) ( v. 1778), Forstverw. in K.;
    Rastatt 1807 Rosa (1790–1870), T d. Johannes Baptista v. Holzing (1748–1803), Obervogt in Rastatt, bad. Wirkl. Hof- u. Reg.rat, u. d. Elisabeth Bergmüller († 1794), aus Karlsruhe;
    S u. a. Gustav Nikolaus (1808–49 hingerichtet, Irene Xanthis, aus Griechenland), Offz., 1833 in Griechenland, bis 1843 Dir. d. Kriegsschule in Piräus, 1848 Revolutionär in Baden, 1849 Gouverneur d. Festung in Rastatt (s. ADB 38; Reinalter II), Heinrich (Henry) (* 1813, Charlotte Hecker, * 1819, Schw d. Friedrich Hecker, 1811–81, Anwalt, rev. Pol., s. NDB VIII), Arzt, T Cunigunda (Kunigunde) (1809–89, 1] Vincenz Fohmann, 1794–1837, Arzt, Prof. d. Anatomie in Lüttich, s. ADB VII, BLÄ, 2] Theodor Rr. v. Bischoff, 1807–82, bayer. Adel 1870, Prof. f. Anatomie u. Physiol. in M., s. NDB II; Drüll, Heidelberger Gel.lex., Heidelberger Gel.lex. I).

  • Biographie

    Nach dem Schulbesuch in Kassel begann T. 1798 in Marburg, Medizin zu studieren. Gefördert von dem Anatomen und Pathologen Johann Wilhelm Christian Brühl (1757–1806) verteidigte er nach Studienaufenthalten in Bamberg und Würzburg, wo er 1802 u. a. Schelling gehört hatte, mit Erfolg seine med. Dissertation „De cordis polypis“ 1804 in Marburg. Es folgte im selben Jahr die Habilitation. In Paris lernte T. 1804 im neugegründeten „Muséum nationale d’histoire naturelle“ Georges Cuviers vergleichende Anatomie kennen, wovon seine frühen vergleichend-anatomischen Monographien zeugen. 1805 wurde T. o. Professor der Zoologie und der menschlichen und vergleichenden Anatomie an der Univ. Landshut, ehe er 1815 als Professor für Anatomie und Physiologie nach Heidelberg zog. 1835 gab er das Fach Physiologie ab, um sich auf Anatomie und Zoologie zu konzentrieren. T. trat 1849 von seinem Lehramt zurück und übersiedelte nach Frankfurt/M., 1856 nach München.

    In seiner grundlegenden Studie zur „Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns im Foetus des Menschen“ (1816) verknüpfte T. human-morphologische mit vergleichend-anatomischen Befunden und leitete davon, ähnlich wie Karl Friedrich v. Kielmeyer (1765–1844) Jahre zuvor, Entwicklungsstufen ab. In Heidelberg kombinierte er, gemeinsam mit dem Chemiker Leopold Gmelin (1788–1853), morphologische Befunde und physiologische Experimente mit chemischen Analysen zu einer richtungsweisenden Forschungsstrategie, um komplexe Prozesse wie die Verdauung zu klären. Die als einfacher Prozeß im Magen gedachte Verdauung erwies sich als|Abfolge vieler Einzelprozesse in unterschiedlichen Organen. Mit dem neuen Forschungsansatz gelang es auch, die Milzfunktion verstehen zu lernen. Zwar erhielten T. und Gmelin nicht den erwarteten Preis der Pariser Akademie zugesprochen, doch veröffentlichten sie ihre Ergebnisse seit 1826 in wegweisenden Studien zur menschlichen Verdauung und im Lehrbuch zur Physiologie, das rasch ins Französische und Englische übersetzt wurde.

    In Landshut und besonders in Heidelberg stand T. in regem Austausch mit anderen Wissenschaftlern. Gemeinsam mit Gottfried Reinhold Treviranus (1776–1837) und Ludolph Christian Treviranus (1779–1864) gab er 1824–27 die einflußreiche „Zeitschrift für Physiologie“ heraus und verfaßte 1830–36 sein ursprünglich auf drei Bände angelegtes Lehrbuch zur Physiologie des Menschen. Sein Werk über die Arterien – die Tafeln wurden von Jacob Roux (1771–1831) lithographiert – fand große Verbreitung. T.s Schüler, wie Theodor Ludwig Wilhelm Bischof, Heinrich Georg Bronn (1800–62), Johann Alexander Ecker (1816–87), Vincenz Fohmann und Georg Hermann v. Meyer (1815–92), entwickelten die induktive Methode auf verschiedenen Gebieten weiter.

    Einige wissenschaftliche Werke T.s waren politisch brisant. So wandte er sich z. B. in seinem „Aufruf an die Humanität der höheren Behörden der Gerechtigkeits-Pflege in Deutschland“ (in: Zs. f. Physiol. 3, 1827, S. 283–88) entschieden gegen die grausame Hinrichtung mit dem Schwert. Seine neuroanatomische Vergleichsstudie „On the Brain of the Negro, Compared with that of the European and the Orang Outang“ (in: Philosophical Transactions of the Royal Soc. of London, 1836, S. 497–527, dt. u. T. Das Hirn d. Negers mit dem d. Europäers u. Orang-Outangs verglichen, 1837) erschien mitten in der Parlamentsdebatte um die Rechtmäßigkeit des Sklavenstatus. Für die Gleichwertigkeit aller Menschen trat T. mit dem gleichen erzieherischen Eifer des Spätaufklärers ein wie er sich stets gegen die Naturphilosophie gestellt hatte.

  • Auszeichnungen

    A korr. Mitgl. d. Preuß. Ak. d. Wiss. (1812, ausw. 1854), d. Bayer. Ak. d. Wiss. (1812) u. d. Ak. d. Wiss. in Göttingen (1816);
    ausw. Mitgl. d. Ac. des sciences Paris (1851);
    bad. HR (1815);
    GHR (1820);
    GHR II. Kl. (1827);
    Mitgl. d. Leopoldina (1828);
    Rr. d. Verdienstordens d. bayer. Krone (1832);
    Ehrenbürger v. Heidelberg (1833).

  • Werke

    W u. a. Anatomie u. Naturgesch. d. Drachens, 1811;
    Anatomie d. kopflosen Missgeburten, 1813;
    Anatomie d. Röhrenholothurie, d. pomeranzenfarbenen Seesterns u. Seeigels, 1816;
    Anatomie u. Naturgesch. d. Krokodils, 1816;
    Icones cerebri simiarum et quorundam mammalium rariorum, 1821;
    Versuche über d. Wege auf welchen d. Substanzen aus d. Magen u. Darm ins Blut gelangen, über d. Verrichtung d. Milz u. d. über d. geheimen Harnwege, 1820 (mit L. Gmelin);
    Explicationes Tabularum arteriarum corporis humani, 1822;
    Die Verdauung n. Versuchen, 2 Bde., 1826/27, ²1831, franz. 1826/27 (mit L. Gmelin);
    Physiol. d. Menschen, Bd. 1: Allg. Betrachtungen d. organ. Körper, 1830, franz. 1834, engl. 1834;
    Physiol. d. Menschen, Bd. 3: Nahrungsbedürfniss, Nahrungs-Trieb u. Nahrungs-Mittel d. Menschen, 1836;
    Von d. Verengung u. Verschliessung d. Pulsadern in Krankheiten, 1843.

  • Literatur

    L ADB 38;
    Dietrich Tiedemann, Beobachtungen über d. Entwicklung d. Seelenfähigkeit b. Kindern, in: Hess. Btrr. z. Gelehrsamkeit u. Kunst 2, 1787, S. 313–33 u. S. 486–502 (Notizen z. T.s früher Kindheit);
    T. Bischoff, Gedächtnisrede auf F. T., 1861 (W-Verz.);
    M. Freudenberg, F. T. (1781–1861), Leben u. Wirken e. Heidelberger Anatomen im zeitgeschichtl. Kontext, Diss. Heidelberg 1985;
    S. J. Gould, The Great Physiologist of Heidelberg, F. T., Brief Article, in: Natural Hist., July 1999, S. 1–12;
    H. K. Schmutz, Wiss.hist. Einf. z. Neudr., F. T., Das Hirn d. Negers mit dem d. Europäers u. Orang-Outangs verglichen, 1984;
    ders., F. T. (1781–1861) u. Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840), Anthropol. u. Sklavenfrage;
    in: G. Mann (Hg.), Die Natur des Menschen, Probleme d. phys. Anthropol. u. Rassenkde. 1750–1850, 1990, S. 353–63;
    Bad. Biogrr. II;
    Drüll, Heidelberger Gel.lex. I;
    BLÄ; Complete DSB.

  • Porträts

    P Lith. v. J. Roux u. v. C. L’Allemand, 1837 (beide Univ.bibl. Heidelberg, Graph. Slg.).

  • Autor/in

    Hans-Konrad Schmutz
  • Zitierweise

    Schmutz, Hans-Konrad, "Tiedemann, Friedrich" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 257-258 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118867733.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Tiedemann: Friedrich T., berühmter Physiolog der Neuzeit, ist am 23. Aug. 1781 als Sohn des Hofraths und Professors der Philosophie T. (s. o.) zu Kassel geboren. Seinen Studien oblag er zunächst seit 1798 in Marburg, setzte dieselben 1802 in Bamberg hauptsächlich unter Marcus und später in Würzburg unter Thomann und Kaspar v. Siebold fort. Im J. 1804 erlangte er mit der Inauguralabhandlung „De cordis polypis“ in Marburg die Doctorwürde und habilitirte sich ebendaselbst als Privatdocent der Physiologie. Nebenher hielt er auch Vorlesungen über vergleichende Osteologie und die damals gerade lebhaftes Aufsehen erregende Gall’sche Schädellehre. Zur weiteren wissenschaftlichen Ausbildung, besonders in der Anatomie, Zoologie und Physiologie, machte T. später wissenschaftliche Reisen, mit längerem Aufenthalte in Paris. Bereits 1805 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor der Anatomie und Zoologie an die Universität Landshut, wo er 11 Jahre lang eine außerordentlich segensreiche akademische wie schriftstellerische Thätigkeit entfaltete und durch zahlreiche, weiter unten anzuführende Forschungen und Entdeckungen zum Ruhme und Aufschwung der Landshuter Hochschule ungemein viel beitrug. 1816 ging er in gleicher Eigenschaft nach Heidelberg, wo er auch noch die Vorlesungen über Physiologie übernahm. Krankheitshalber — T. litt seit 1835 am grauen Staar,|der später von Professor Chelius dem Jüngeren auf beiden Augen glücklich operirt wurde — trat er die Vorlesungen über Physiologie, vergleichende und pathologische Anatomie an seinen Schwiegersohn, Theodor Bischoff, ab, nachdem bereits 1822 die Zoologie Leuckart d. Aeltere übernommen hatte. Als Bischofs 1844 nach Gießen übersiedelte, veranlaßte T. die Erbauung eines anatomischen Theaters in Heidelberg, dessen Vollendung er noch erlebte. 1849 trat er gänzlich vom Lehramte zurück und siedelte nach Frankfurt a. M. über, wo er am 10. März 1854 noch das Glück hatte, sein 50jähriges Doctorjubiläum unter zahlreichen Ovationen von seiten seiner Freunde und Schüler begehen zu können. Im Sommer 1856 zog er sich nach München zurück, wo er am 22. Januar 1861 starb. — T. gehört zu den bedeutendsten Forschern der Neuzeit auf sämmtlichen, von ihm vertretenen Gebieten. Insbesondere ist es sein Verdienst, neben anderen hauptsächlich die exacte Richtung angebahnt, bezw. verfolgt zu haben. Am bekanntesten sind seine Leistungen auf dem Gebiet der Physiologie, speciell die (zusammen mit Gmelin veröffentlichten) Arbeiten über die physiologische Chemie, z. B. der Verdauung. In dieser Beziehung sind zu nennen: „Versuche über die Wege, auf welchen Substanzen aus dem Magen und Darmcanal ins Blut gelangen, über die Verrichtungen der Milz und die geheimen Harnwege“ (Heidelberg 1820); „Die Verdauung nach Versuchen“ (2 Bde., ebda. 1826). Von einem großartig und umfassend angelegten Werke „Physiologie des Menschen“ erschien nur 1830 Theil 1 (Darmstadt 1. Bd., auch ins Englische und Französische übersetzt) und 1836 (ebda.) Theil 3 u. d. T.: „Untersuchungen über das Nahrungsbedürfniß, den Nahrungstrieb und die Nahrungsmittel des Menschen“. Zu den frühesten, bezw. Erstlingsarbeiten Tiedemann's gehören zahlreiche Monographien vergleichend-anatomischen Inhalts (über die Anatomie der Strahlthiere, des Fischherzens, der kopflosen Mißgeburten), besonders die berühmte Schrift: „Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns im Fötus des Menschen nebst einer vergleichenden Darstellung des Hirnbaus in den Thieren“ (Nürnberg 1816; französisch: Paris 1823; englisch: Edinburg u. London 1826). Verwandten Inhalts sind die Abhandlungen: „Ueber das Hirn des Orang-Utangs und über das des Delphins verglichen mit dem Gehirn des Menschen“ (1825) und „Das Hirn des Negers verglichen mit dem des Europäers“ (englisch 1836 und deutsch Heidelberg 1837). — Ein vollständiges, bis zum Jahre 1844 reichendes Verzeichniß von Tiedemann's Arbeiten giebt Callisen's med. Schriftstellerlexikon. Hierzu käme noch die 1854 erschienene „Geschichte des Tabaks und anderer ähnlicher Genußmittel“ (Frankfurt). — Bezüglich der genaueren Würdigung von T. und seinen Verdiensten um die Wissenschaft verweisen wir auf A. Hirsch, Geschichte der med. Wissenschaften in Deutschland, ferner auf den „großen Häser“ und auf die gleich zu nennende Quelle bezw. die dort angeführten Litteraturnachweise. — Biogr. Lexikon V, 681.

  • Autor/in

    Pagel.
  • Zitierweise

    Pagel, Julius Leopold, "Tiedemann, Friedrich" in: Allgemeine Deutsche Biographie 38 (1894), S. 277-278 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118867733.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA