Lebensdaten
1876 – 1944
Geburtsort
Mitau (Jelgava)
Sterbeort
Riga
Beruf/Funktion
Politiker ; Publizist ; Theaterkritiker
Konfession
-
Normdaten
GND: 118852922 | OGND | VIAF: 13105025
Namensvarianten
  • Schiemann, Carl Christian Theodor Paul
  • Schiemann, Paul
  • Schiemann, Carl Christian Theodor Paul
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Porträt(nachweise)

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Zitierweise

Schiemann, Paul, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118852922.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Julius (1845–1911), RA, Stadtverordneter in M., S d. Theodor (1810–53), Stadtsekr. in Grobin (Grobiòa), u. d. Nadežda (Nadine) Rodde;
    M Anna (1853–1937), T d. Franz Robert Johannsen (1811–86), Arzt (s. I. Brennsohn, Die Ärzte Kurlands v. Beginn d. hzgl. Zeit bis z. Gegenwart, 1929);
    Ov Theodor (s. 1);
    B Oscar (1875–1945), Dr. med., Bakteriol., Prof. am Robert-Koch-Inst. in Berlin-Charlottenburg (s. Kürschner, Gel.-Kal. 1931); Cousine Elisabeth (s. 3);
    Mitau 1914 Charlotte Symons (auch Schüler) (1890–1983), Schausp., T d. Berthold Symons, Bierbrauer in Niederbayern; kinderlos.

  • Biographie

    S. und sein Bruder Oscar wurden, um ihnen angesichts der Russifizierung in den balt. Provinzen eine dt. Schulbildung zu ermöglichen, 1893 nach Elberfeld geschickt. Nach dem Abitur 1895 studierte S. (mit Unterbrechung durch Einjährigen-Dienst u. Offz.-übungen im Zarenreich) Jura, Geschichte und Literatur in Berlin, Marburg, München, Königsberg und Bonn, absolvierte 1901 in Köln die Staatsprüfung und wurde im Jahr darauf in Greifswald zum Dr. iur. promoviert. Da dem russ. Reserveoffizier eine jur. Laufbahn in Deutschland nicht möglich war, wandte er sich dem Journalismus zu. Ende 1903 begann S. seine Redaktionstätigkeit an der „Revalschen Zeitung“ unter Christoph Mickwitz (1850–1924), wo er jene für sein gesamtes Schaffen charakteristische Doppelbegabung zum Theaterkritiker und Politiker (Mitbegr. d. Estländ. Konstitutionellen Partei) entwickelte und schon 1906 für eine Reform der Landesverfassung eintrat. 1907 wechselte er als Redakteur an die „Rigasche Rundschau“, diente im 1. Weltkrieg als russ. Reserveoffizier und entzog sich der drohenden Verhaftung durch die Bolschewiki durch die Flucht nach Deutschland, wo ihm wegen seiner demokratischen Einstellung zunächst jede politische und publizistische Tätigkeit verboten wurde. 1918/19 verfaßte er in Berlin mehrere Schriften gegen die Gefahr des Bolschewismus, bis er im Sommer 1919 nach Riga zurückkehrte, um die Hauptschriftleitung der „Rigaschen Rundschau“ zu übernehmen. 1920-25 als Rigaer Stadtverordneter tätig, wurde S. 1920 in die Lettländ. Konstituierende Versammlung gewählt. Anschließend war er Mitglied aller folgenden Parlamente (Saeimas), in denen er die dt.balt. Fraktion anführte. Seit 1925 vertrat er zudem die dt. Minderheiten im Vorstand der Europ. Nationalitätenkongresse in Genf. 1933 aus der Redaktion der „Rigaschen Rundschau“ verdrängt, schied S. auch aus der parlamentarischen Arbeit aus. An der Umsiedlung der Dt.balten 1939/41 nach Danzig-Westpreußen und in den „Warthegau“ nahm er nicht teil. Während seines Arbeits- und Publikationsverbotes unter der dt. Okkupation hatte er die junge Jüdin Valentina Freimane in seinem Haus versteckt. Auf ihre Initiative hin erkannte Yad Vashem Ende 1999 S. und seine Frau als „Gerechte unter den Völkern“ an.

    Die Bedeutung des Politikers S. liegt in der Sammlung der Dt.halten Lettlands unter dem Motto der „nationalen und sozialen Solidarität“. Das frühe Bekenntnis zur balt. Selbständigkeit und zu deren parlamentarisch-demokratischen Grundlagen ermöglichte ihm die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen politischen Richtungen in Lettland. Seine Bemühungen um eine konsequente Trennung national-kultureller Belange von den allgemein-staatlichen in der Theorie vom „anationalen Staat“ fanden zwar keine uneingeschränkte Anerkennung, bestimmten aber den allgemeinen Minderheitendiskurs dieser Jahre. Da S. die Zugehörigkeit zum Volkstum als eine Angelegenheit des Individuums betrachtete, forderte er (nach austromarxist. Vorbild) konsequent die Anwendung des Personalitätsprinzips bei der Organisation nationaler Minderheiten. Mit Ewald Ammende (1892–1936) und Werner Hasselblatt (1890–1958) gehörte S. zu den seinerzeit führenden Nationalitätenpolitikern. Der in den 1920er Jahren anerkannte Führer der dt. Saeimafraktion und Vizepräsident der Europ. Nationalitätenkongresse wurde vom Nationalsozialismus bekämpft und schließlich totgeschwiegen. Erst seit den 1950er Jahren erfuhr er eine Wiederentdeckung. Dies gilt insbesondere für seine Theorie vom „anationalen Staat“. Gegen die These vom „Scheitern“ der S.schen Politik spricht eine Aktualisierung seiner Ideen im gegenwärtigen Lettland.

  • Werke

    Rechtslage d. öff. Banken im Kriegsfalle nebst e. Anhange enthaltend amtl. Aktenmaterial betr. d. in Elsaß-Lothringen befindl. Filialen d. Banque de France während d. dt.-franz. Krieges, Diss. Greifswald 1902;
    Die Arbeiten d. Estländ. Provinzialrats, 1907;
    Auf d. Wege z. neuen Drama, 1912;
    Das Fiasko d. russ. Demokratie, 1918;
    Massenelend, 1918;
    Die Asiatisierung Europas, 1919;
    Ein europ. Problem, Unabhängige Betrachtungen z. Minderheitenfrage, 1937;
    Die Umsiedlung 1939 u. d. europ. Minderheitenpol., hg. v. D. A. Loeber, in: Jb. d. balt. Dt.tums 21, 1974 (1973), S. 99-106;
    Zw. zwei Zeitaltern, Erinnerungen 1903-1919, bearb. v. H. Kause, 1979 (P);
    Leitartikel, Reden u. Aufss. in Auswahl, hg. v. H. Donath, 1980-88;
    Die Theaterkritiken in Riga, hg. v. dems., 1986;
    Pauls Šimanis, Eiropas Problēma, Rakstu izlase, Rīga 1999 (P);
    P. S.,|Veröff. 1933-1940, Zus.gestellt v. H. Šimkuva, hg. v. D. A. Loeber, 2000 (P);
    Die Dt.halten u. d. lettländ. Staat, in: 800 J., Unser gemeinsames Riga, 2001, S. 31-34;
    Rede v. 3.8.1920, ebd. S. 39 f.;
    NS, ebd., S. 47-50 (P);
    Bibliogr.:
    M. Garleff, Dt.balt. Publizisten, Ewald Ammende, Werner Hasselblatt, P. S., in: Berr. u. Forsch. 2, 1994, S. 189-229;
    ders. u. M. Imhof, P. S.s Veröff. in d. „Revalschen Ztg.“ u. „Rigaschen Rdsch.“, ebd. 6, 1998, S. 7-74.

  • Literatur

    B. Götz, Über Dr. P. S.s „Auf d. Wege z. neuen Drama“, in: Balt. Mschr. 74, 1912, S. 114-20;
    W. Wachtsmuth, P. S., „Recht geht vor Macht“, in: Balt. Köpfe, 1953, S. 153-65 (P);
    ders., Von dt. Arb. in Lettland 1918-1934, III, 1953 (P);
    H. v. Rimscha, in: Jbb. f. Gesch. Osteuropas 2, 1954, S. 475-78;
    ders., P. S. als Minderheitenpol., in: VfZ 4, 1956, S. 43-61;
    ders., Die Pol. P. S.s während d. Begründung d. Balt. Staaten im Herbst 1918, in: Zs. f. Ostforsch. 5, 1956, S. 68-82;
    M. Dörr, P. S.s Theorie v. „Anationalen Staat“, in: GWU 8, 1957, S. 407-21;
    D. A. Loeber, in: Jb. d. balt. Dt.tums 21, 1974 (1973), S. 107-14;
    H. Kause, P. S., die Balten u. ihre Zeitgesch., ebd. 23, 1976 (1975), S. 32-39;
    ders., „Es ist eine Lust zu leben!“, Einige Beobachtungen z. Stellung P. S.s in d. dt.balt. Öffentlichkeit vor u. nach d. 1. Weltkrieg, in: Reval u. d. balt. Länder, FS H. Weiss, 1980, S. 105-12;
    ders., Die Einstellung P. S.s z. dt.balt. Pol. vor 1914, in: Die balt. Provinzen Rußlands zw. d. Revolutionen v. 1905 u. 1917, 1982, S. 155-72;
    M. Garleff, Dt.balt. Pol. zw. d. Weltkriegen, 1976 (P);
    ders., P. S.s Minderheitentheorie als Btr. z. Lösung d. Nationalitätenfrage, in: Zs. f. Ostforsch. 25, 1976, S. 632-60;
    ders., Nationalitätenpol. zw. lib. u. völk. Anspruch, in: FS H. Weiss, 1980, S. 113-32;
    ders., in: Ostdt. Gedenktage 1994, 1993, S. 90-94 (W, L, P);
    ders., Demokrâts, Patriots, Eiropietis, in: Pauls Šimanis, Eiropas Problēma, Rīga 1999, S. 5-24 (P);
    H. Donath, in: Baltica 1988, H. 1, S. 34-37;
    Percy Gurwitz, Begegnung mit Dr. P. Sch., in: Balt. Briefe 52, 1999, Nr. 12, S. 11, ebd. 53, 2000, Nr. 1, S. 4, Nr. 2, S. 6;
    M. v. Hirschheydt, „Gerechte unter d. Völkern“, Israel ehrte Dr. P. S. u. Charlotte S. in Riga, ebd. 53, 2000, Nr. 10, S. 3 f. (P);
    V. Freimane, in: Journal of Baltic Studies 31, 2000, S. 432-37;
    J. Hiden, P. S. (1876-1944), A Life in Defence of Minorities, 2004 (P);
    The Internat. Who's Who, London o. J. [ca. 1935], S. 929;
    Dt.balt. Biogr. Lex.

  • Autor/in

    Michael Garleff
  • Zitierweise

    Garleff, Michael, "Schiemann, Paul" in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 743-744 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118852922.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA