Lebensdaten
1887 – 1967
Geburtsort
Reval
Sterbeort
Lebanon (New Hampshire, USA)
Beruf/Funktion
Psychologe ; Physiologe
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118843397 | OGND | VIAF: 100232146
Namensvarianten
  • Köhler, Wolfgang
  • Köhler, Wolfgang
  • Kêra, W.
  • mehr

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Zitierweise

Köhler, Wolfgang, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118843397.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    B Wilhelm (s. 1);
    - 1) 1912 Thekla, T d.|Maximilian Gelb (1855–1901), Dir. d. Versicherungsges. „New York“ in Moskau, 2) 1927 Lili v. Hůrleman (* 1899); Schwager Adhémar Gelb ( 1938), Psychologe (s. NDB VI);
    2 S, 2 T aus 1), 1 T aus 2).

  • Biographie

    K. besuchte das Gymnasium in Wolfenbüttel, studierte 1905/06 Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften in Tübingen, 1906/07 Psychologie (bei B. Erdmann), Mathematik und Philosophie in Bonn und 1907/09 Psychologie, Philosophie und Naturwissenschaften in Berlin (bei C. Stumpf, M. Planck, W. Nernst). Er wurde 1909 mit der Dissertation „Akustische Untersuchungen“ promoviert und war seit 1910 Assistent am Psychologischen Institut der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt/Main (1914 Universität) zusammen mit M. Wertheimer, K. Koffka, später A. Gelb und K. Goldstein. Die Habilitation erfolgte 1911, 1914-20 leitete er die Anthropoidenstation der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Teneriffa. Im WS 1920/21 vertrat er den Lehrstuhl C. Stumpfs in Berlin. Danach war er Professor an der Universität Göttingen und 1922-35 (bis 1929 zusammen mit Wertheimer, bis 1932 mit K. Lewin) Professor für Psychologie und Philosophie und Direktor des Psychologischen Institutes der Universität Berlin. K. nahm öffentlich Stellung gegen die Entlassung jüdischer Gelehrter (DAZ, Frankfurt, 28.4.1933); nach einer Tätigkeit als Gastprofessor 1934/35 an der Harvard University legte er 1935 sein Amt in Berlin nieder, um in die USA auszuwandern. Dort war er 1935-48 Professor für Psychologie und Philosophie am Swarthmore College, einer Quäkerschule, und hatte danach bis zu seinem Tode Gelegenheit zu wissenschaftlichen Arbeiten am Dartmouth College, New Hampshire, in der Nähe seines Landsitzes. Gastprofessuren führten ihn 1925/26 an die Clark University, 1935 an die University of Chicago, 1958 nach Edinburgh (Gifford Lectures) und 1966 nach Princeton (Herbert Langfeld Lectures). Seit 1959 Emeritus der Freien Universität Berlin, kam er jährlich nach Deutschland.

    K. war – mit Wertheimer und Koffka – einer der Gründer der „Berliner Schule“ der Gestaltpsychologie. Er legt bereits in den „Akustischen Untersuchungen“ (in: Zeitschrift für Psychologie 1910, S. 241-89, 1911, S. 59-140) dar, der Psychologe müsse … „umso eher für Augenblicke Physiker werden, je mehr er von der Überzeugung durchdrungen (sei), daß nichts seine Wissenschaft so aufhält, als wenn Bewußtseinsvorgänge wie physikalische Gegenstände behandelt werden“. Ihn beschäftigt der Zusammenhang zwischen den Vorgängen im Sinnesorgan, im Gehirn und der Wahrnehmung (innere Psychophysik) und er vertritt die Auffassung, daß der herkömmlich die Naturwissenschaft beherrschende Grundsatz der Unordnung alles Natürlichen durch den der durchgängigen Ordnung ersetzt werden müsse: Ausgezeichnete Zustände (Gestalten) entstehen im freien Spiel der natürlichen Dynamik, in elementaren physischen Prozessen (Seifenblase, elektrische Ladung auf Leitern, Kraftfelder) wie im Gehirn, im Wahrnehmen, im Gedächtnis, im Denken und in der sozialen Interaktion.

    Die einzelnen Annahmen über die Isomorphie, das heißt die funktionale Äquivalenz zwischen den neurophysischen und psychischen (phänomenalen) Prozessen, die in seinem grundlegenden naturphilosophischen Buch über „Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand“ (1920) entwickelt werden, mögen der heutigen Einsicht in das neurophysiologische Geschehen nicht mehr entsprechen; die Frage, wie übersummative Erscheinungen zustande kommen, bleibt aber bestehen. Die bloße Summe der elementaristischen Erregungen erklärt die phänomenalen Gestalteigenschaften nicht; zusätzliche, prinzipiell andersartige „höhere“ Prozesse anzunehmen, widerspricht dem naturwissenschaftlichen Grundsatz. K. hat noch 1920 gesagt, daß die untersuchten physischen Systeme „mehr“ sein müßten als die Summe ihrer Teile; er modifiziert diese These später mit dem Hinweis auf die „Andersartigkeit“ der Wahrnehmungsgestalten, die unabhängig vom Material transponierbar sind und Eigenschaften haben, die den einzelnen Teilen nicht zukommen (zum Beispiel Tertiäreigenschaften, wie die Freundlichkeit eines Gesichts) und in denen Teile Gliedcharakter bekommen, der ihnen ohne das Ganze fehle. Es ist K.s Verdienst, dieses Gemeingut der gestaltpsychologischen Schule in einen umfassenden naturwissenschaftlichen Erklärungsansatz gefügt zu haben. Vom Postulat des Isomorphismus geleitet, kann er später in „The Place of Value in a World of Facts“ (1938, deutsch 1968) ein Bekenntnis gegen den Wertrelativismus ablegen.

    K. ist besonders durch seine Untersuchung des rationalen Verhaltens von Schimpansen bekannt geworden. Er beschreibt, wie Problemlösungen sich nicht im Versuch- und Irrtum-Prozeß „zufällig“ ergeben (Thorndike), sondern als Folge einsichtigen Verhaltens (Intelligenzprüfungen an Anthropoiden, 1917; Intelligenzprüfungen an Menschenaffen, 1921, ²1963). Einsicht wird erkannt an der Plötzlichkeit der Problemlösung, am glatten Verlauf einer zum Ziel führenden Handlungsreihe, an Verhaltens- und Ausdrucksänderungen vor der eigentlichen Endhandlung und an der subjektiven Neuartigkeit der Problemlösung. Umwegprobleme, Werkzeuggebrauch und Werkzeugherstellung beobachtet K. in genial einfachen Experimenten. Die von K. beschriebenen Leistungen der Tiere sind später für Schimpansen in freier Wildbahn von Jane Goodall bestätigt worden. Die Beschreibung des relationellen Verhaltens bei Schimpansen und Hühnern, das heißt der Fähigkeit unmittelbar auf Relationen (statt auf absolute Einzelreize) zu reagieren ohne „unbemerkte Urteilsprozesse“, der Nachweis gestalt-psychologischer Prinzipien im Gedächtnis (mit H. von Restorff und H. Bartel), die Theorie über den Sukzessivvergleich und die Zeitfehler, deren Modifikation durch den Schüler O. von Lauenstein K. neidlos anerkannte, die internationale Forschungen größten Umfangs in Gang setzenden Analysen der figuralen Nachwirkungen (mit Wallach und Dinnerstein) sind einige der wichtigsten Leistungen des bis zu seinem Lebensende mit großem Geschick experimentell arbeitenden Forschers.

    Die gestaltpsychologische Schule überlebte nicht als solche, aber ihre wichtigsten Erkenntnisse sind Gesamtbesitz der modernen Psychologie: Man findet sie in der Kognitionstheorie, Informationstheorie, in der Linguistik und in den verschiedenen Gleichgewichtstheorien der Sozialpsychologie. K.s Grundsatz, daß neurophysiologische Forschung von der unvoreingenommenen, genauen Beobachtung der Wahrnehmungserlebnisse geleitet werden müsse, wird wegen des immer noch vorhandenen behavioristischen Widerstandes nur selten befolgt.|

  • Auszeichnungen

    Wundt-Medaille u. Ehrenmitgl. (1961), Ehrenvorsitz (1967) d. Dt. Ges. f. Psychol.;
    Mitgl. d. American Ac. of Arts and Sciences, d. American Philosophical Society (1939), d. Nat. Ac. of Sciences;
    Distinguished Scientific Contribution Award (1957) u. Präs. (1958) d. American Psychological Association;
    Dr. h. c. (Univ. Pennsylvania, Chicago, Freiburg, Münster, Tübingen, Uppsala;
    Colleges Kenyon u. Swarthmore);
    Ehrenbürger d. FU Berlin.

  • Werke

    Weitere W Opt. Unteres, am Schimpansen u. am Haushuhn, in: Abhh. d. Preuß. Ak. d. Wiss., physikal.-math. Kl., 1915;
    Zur Psychol. d. Schimpansen, in: Psycholog. F 1, 1922, S. 2-46;
    Zur Theorie d. Sukzessiwergleichs u. d. Zeitfehler, ebd. 4, 1923, S. 115-75;
    Komplextheorie u. Gestalttheorie, Antwort auf G. E. Müllers Schr. gleichen Namens, ebd. 6, 1925, S. 358-416; Analyse v. Vorgängen im Spurenfeld, II. Zur Theorie d. Reproduktion, ebd. 21, 1935, S. 56-112 (mit H. v. Restorff); Gestaltpsychology, New York 1929 (London 1930, revidierte dt. Fassung: Psycholog. Probleme, 1933);
    Über e. Wirkung v. Bereichsbildung im Spurenfeld, in: Ber. üb. d. 13. Kongreß d. DGfPs Leipzig 1933, 1934, S. 144 f.;
    Max Wertheimer: 1880-1943, in: Psychological Review 51, 1944, S. 143-46;
    Figural after-effects: An investigation of visual processes, in: Proceedings of the American Philosophical Society 88, 1944, S. 269-357 (mit H. Wallach);
    Figural after-effects in kinesthestis, in: Miscellanea Psychologica Albert Mischotte, 1947, S. 196-220 (mit B. Dinnerstein);
    Psychology and evolution, in: Acta Psychologica 7, 1950, S. 288-97;
    Dynam. Zusammenhänge in d. Psychol., 1958 (engl. 1940);
    Die Aufgabe d. Gestaltpsychol., 1971 (engl. 1969). - Fast vollst. W-Verz
    v. E. B. Newman, in: The selected papers of W. K., hrsg. v. M. Henle, 1971, S. 437-49 (P).

  • Literatur

    Festschr. z. 75. Geb.tag v. Prof. Dr. Dr. h. c. W. K. mit e. Vorwort hrsg. v. S. E. Asch u. W. Witte, in: Psychol. Btrr. 6, 1961/62, S. 334-704 (P);
    ebd. 10, 1968, S. 163 f.;
    S. E. Asch, in: The American Journal of Psychol. 81, 1968, S. 110-19;
    M. Henle, in: The selected papers of W. K., hrsg. v. M. Henle, 1971, S. 3-10;
    dies., The influence of Gestalt-Psychology upon American psychology, in: Ann. of the New York Ac. of Sciences 291, 1977, S. 3-12;
    dies., in: Yearbook of the American Philosophical Society, 1968, S. 139-45 (P);
    R. Bergius, H. L. Teuber u. H. Hörmann, in: Psycholog. F 31, 1967, S. I-XVII;
    C. C. Pratt, in: The task of Gestalt-Psychology, 1969 (dt. 1971);
    W. Metzger, Gestalttheorie im Exil, in: Die Psychol. d. 20. Jh. I: Die europ. Tradition, hrsg. v. H. Balmer, 1976, S. 659-83.

  • Autor/in

    Rudolf Bergius
  • Zitierweise

    Bergius, Rudolf, "Köhler, Wolfgang" in: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 302-304 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118843397.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA