Lebensdaten
1522 – 1586
Geburtsort
Treuenbrietzen
Sterbeort
Braunschweig
Beruf/Funktion
evangelischer Theologe ; Superintendent in Braunschweig
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118829157 | OGND | VIAF: 32021430
Namensvarianten
  • Kemnitz, Martin
  • Chemnitz, Martin
  • Kemnitz, Martin
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Zitierweise

Chemnitz, Martin, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118829157.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus Pritzwalker Ratsfamilie;
    V Paul ( um 1533), Kaufm. u. Tuchmacher in Treuenbrietzen, S des Claus, Kaufm. in Brandenburg, dann in Treuenbrietzen, Halbbruder des Balthasar Schuler, Bgm. v. Brandenburg, Vormund des Chemnitz (V des Gg. Sabinus [ 1560], Philol. u. Dichter, s. ADB XXX);
    M Euphemia ( 1566), T des Kaufm. Donat Kaltenborn in Jüterbog;
    1555 Anna ( 1603), T des Lic. iur. Herm. Jäger, Rat in Arnstadt;
    3 S, 7 T, u. a. Martin s. Genealogie (1), Paul (1566–1614), Domherr an St. Blasien in Braunschweig ( 2.6.1599 Barbara [ 1626], T d. Bgm. Herm. Lücke in Braunschweig), Magdalena (1559–1632, Bgm. Jordan Strube [ 1614] in Braunschweig), Anna (1564–1622, 3.11.1579 Jac. Gottfried [ 1585], Pastor in Braunschweig), Juliane (1573–1630, Dr. iur. Bernh. Bungenstedt, Syndikus in Braunschweig); Großneffe Christian Chemnitz (1615–66, s. ADB IV), Prof. der Theol. in Jena, Vertreter der orthodoxen Richtung seines Schwiegervaters Joh. Gerhard ( 1637, s. ADB VIII);
    E Bogislaw Phil. (s.1).

  • Biographie

    Nach dem Schulbesuch in Treuenbrietzen, Wittenberg (1536-38) und Magdeburg (1539-1542) war der sehr begabte Chemnitz Schul-Kollaborator in Calbe und studierte 1543 in Frankfurt/Oder, wo sein entfernter Verwandter, Melanchthons Schwiegersohn, Georg Schüler (Sabinus) lehrte, war dann als Lehrer und Fischzollschreiber in Brietzen/Oder tätig und widmete sich 1545 mathematischen und astrologischen Studien in Wittenberg; 1547 ging er infolge des Schmalkaldischen Krieges mit Sabinus nach Königsberg (Magister artium 1548) und trieb nach Besuch mit Sabinus in Wittenberg theologische Privatstudien unter Melanchthons Beratung in Saalfeld. Der geschätzte Kalendermacher wurde 1550 fürstlicher Bibliothekar in Königsberg, flüchtete aber vor dem Osiandristischen Streit 1554 zu Melanchthon nach Wittenberg, las in der Artistenfakultät über Melanchthons Loci und wurde noch 1554 nach Ordination durch Bugenhagen auf Betreiben des Braunschweiger Superintendenten Joachim Mörlin dessen Koadjutor. Trotz vieler Angebote von Dänemark bis Wien und Preußen bis Heidelberg blieb Chemnitz in Braunschweig, setzte hier seine Vorlesungen über Melanchthons Loci fort und hielt regelmäßig öffentliche Disputationen, während ihm die Predigttätigkeit wenig lag. Mit Mörlin bemühte er sich 1557 in Wittenberg den adiaphoristischen, 1567 in Preußen den Osiandristischen Streit beizulegen und beteiligte sich 1557 am Wormser Unionskolloquium mit den Katholiken. Nach Mörlins Fortgang als Bischof von Samland wurde Chemnitz 1567 als Superintendent sein Nachfolger in Braunschweig auf Grund ausführlicher Vereinbarungen über Amtsvollmacht und Kirchenzucht mit dem Rat; 1568 promovierte er auf Wunsch des Rats in Rostock zum D. theol. Mit Jak. Andreae, später auch Nicolaus Seinecker, arbeitete Chemnitz an der Durchführung der Reformation des Herzog Julius in Braunschweig-Wolfenbüttel mit (Visitation 1568, Kirchenordnung 1569, Corpus doctrinae Julium 1576), sowie an der Begründung der Universitas Julia 1576 in Helmstedt und am lutherischen Konkordienwerk. Über diesem kam es 1578 zum Bruch mit Herzog Julius, veranlaßt durch die katholische Weihe von dessen Sohn Julius zum Bischof von Halberstadt. Herzog Julius trat vom Konkordienwerk zurück und gab so einem milden Luthertum Raum, während Chemnitz der lutherischen Frühorthodoxie zugehört, nicht ohne gewisse melanchthonisierende Züge und um den Preis dauernden Konflikts mit Helmstedt im Zusammenhang mit der sogenannten Erfurter Apologie des Konkordienbuchs (1582). Diese Mißhelligkeiten überschatteten Chemnitz' letzte Jahre. Am 9.9.1584 legte er sein Amt nieder, bis zum Tod kränkelnd. - Seine Bedeutung beruht auf seinen reformationspolitischen und kirchlichen Leistungen, besonders für Braunschweig und Niedersachsen, sodann darauf, daß er besonnen und maßvoll das theologische Erbe der lutherischen Reformation konservierte, eine Mittellinie in der Sache und schulmäßige Festlegung ihres Ausdrucks anstrebte, als Hauptverfechter der in corpora doctrinae zu formulierenden Kirchenlehre. Drittens hat er in einer Jahrhunderte hindurch nicht mehr wiederholten und nicht mehr erreichten Weise die reformatorische Theologie in umfassender Auseinandersetzung mit dem tridentinischen Katholizismus kontroverstheologisch dargelegt. Chemnitz war auf praktische Verwertbarkeit der Theologie zielender Traditionalist auf der Basis von (göttlich inspirierter) Schrift, Bekenntnis und Konsens der altkirchlichen Väter, ohne spekulative Interessen und schöpferische Kraft.

    Diese kirchliche Theologie bekundet sein literarisches Werk, das inmitten der theologischen Streitigkeiten der zweiten Generation entstand: mit der „Repetitio sanae doctrinae de vera praesentia corporis et sanguinis Domini in coena“ (Leipzig 1561, gleichzeitig deutsche Übersetzung von J. Zanger) griff Chemnitz in den Hardenbergischen Abendmahlsstreit (Bremen) ein zur Bekämpfung zwinglianisierender Irrlehre; „De duabus naturis in Christo, de hypostatica earum unione, de communicatione idiomatum …“ (Jena 1570) legte den Grund zur Christologie der Konkordienformel (Artikel VIII), zum Teil gegen den Kryptocalvinismus des „Wittenberger Katechismus“; „Theologiae Jesuitarum praecipua capita“ (Cölln-Leipzig 1562) eröffneten die Auseinandersetzung mit der römischen Theologie, die das umfangreiche „Examen concilii Tridentini (Frankfurt/Main 1565-73, deutsche und französische Übersetzungen, neu herausgegeben von E. Preuß, 1861, deutsch von R. Bendixen und Ch. E. Luthardt, 1884) zusammenfaßte. Postum gab Polycarp Leyser heraus: „Loci Theologici“ (Frankfurt/Main 1591), den großen Kommentar zu Melanchthons Loci von 1543 in mild-lutherischer Auslegung mit ausgeführtem Schriftbeweis und reichem dogmengeschichtlichen Material, zusammen mit drei früheren Traktaten; ferner die unvollendete „Harmonia evangelica“ (Frankfurt/Main 1593), die Leyser und dann Johann Gerhard (Genf 1641) fortführten; auch eine „Postilla oder Außlegung der Evangelien“ (Frankfurt/Main 1593).

  • Literatur

    ADB IV;
    Ph. J. Rehtmeyer, Historiae ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae, od. Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie III, Braunschweig 1710, S. 273 ff. (Autobiogr., Urkk., S. 433 ff., Genealogie, S. 528 ff., W);
    G. G. Küster, M. F. Seidels Bilder-Slg., in welcher hundert … in d. Mark Brandenburg gebohrene … Männer vorgestellet werden …, Berlin 1751, S. 101-08 (P);
    E. Preuß, in: Examen conc. Trid. (s. Text). S. 925 ff.;
    Th. Pressel, M. Ch., 1862;
    S. G. H. Lentz, Dr. M. Ch., 1866;
    H. Hachfeld, M. Ch., 1867;
    J. Beste, Gesch. d. Braunschweig. Landeskirche, 1884, S. 90 ff.;
    R. Mumm, Die Polemik d. M. Ch. gegen d. Konzil v. Trient, 1905 (W);
    O. Ritschl, Dogmengesch. d. Protestantismus I-IV, 1908-27;
    G. Noth, Grundzüge d. Theol. d. M. Ch., 1930;
    E. Sehling, Die ev. Kirchenordnungen d. 16. Jh. VI: Niedersachsen, hrsg. v. R. Smend u. E. Wolf, 1955;
    PRE (W);
    RGG;
    LThK;
    Enc. Catt. III;
    s. a. G. Wolff, Qu.kde. d. dt. Ref.gesch. I, 1915, S. 3 ff.

  • Porträts

    Stiche v. R. Boissard, M. Haffner, H. Hondius u. zahlreiche anonyme (Bibl. nat. Paris u. Kupf.- Kab. Dresden).

  • Autor/in

    Ernst Wolf
  • Zitierweise

    Wolf, Ernst, "Chemnitz, Martin" in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 201-202 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118829157.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Chemnitz: Martin Ch., auch Kemnitz, Superintendent in Braunschweig und einer der bedeutendsten nachlutherischen Theologen, geb. am 9. Nov. 1522 zu Treuenbrietzen, am 8. April 1586 zu Braunschweig, erhielt seine Schulbildung zu Wittenberg und Magdeburg und erwarb sich in kleinen Schulämtern zu Calbe und Wriezen die Mittel zum Studium in Frankfurt a. O. (1543) und Wittenberg (1545.) Luther ferner stehend, studirte er auf Melanchthon's Rath Mathematik und kam durch diese zur Astrologie, die ihm bei seiner Armuth bis zu einer festen Lebensstellung die Mittel zum Unterhalt erwerben half. Wegen|der Unruhen des schmalkaldischen Krieges wendete er sich, seinem Vetter G. Sabinus folgend, nach Königsberg i. Pr. (1547), leitete dort eine Zeit lang die Kneiphöfische Schule, wurde als einer der Ersten zum Magister der neuen Universität promovirt 1548 und erhielt vom Herzog Albrecht das Amt eines Bibliothekars der Schloßbibliothek 1550. Jetzt erst frei von äußeren Sorgen gewann er Zeit, seine Kräfte dem Studium einer Wissenschaft ausschließlich zu widmen. Unter Melanchthon's Beirath studirte er drei Jahre lang Theologie mit außerordentlichem Fleiße. Aber der Osiandrische Streit raubte ihm seine Stellung und zwang ihn nach Wittenberg zu Melanchthon zurückzukehren (April 1553). Seine eben begonnene akademische Thätigkeit unterbrach ein Ruf nach Braunschweig als Coadjutor Mörlin's, dem er von Königsberg bekannt war. Mit der Uebernahme dieses Amtes (Dec. 1554) begann seine umfassende Thätigkeit als Lehrer, Prediger, Ordner und Vertheidiger der braunschweigischen, wie der gesammten lutherischen Kirche. — Obgleich er, wie es scheint, anfänglich bemüht war, den Zusammenhang mit Melanchthon festzuhalten (Vorlesungen über die „Loci communes“, herausgegeben von Polyc. Leyser 1591), so erlosch doch der Einfluß desselben auf ihn allmählich, ohne jedoch wie in anderen ähnlichen Fällen geradezu in Feindschaft überzugehen. Mörlin's streithafte und gewaltsame Natur, der er nicht gewachsen war, zog ihn bald in die heftigen theologischen Kämpfe hinein, die die junge lutherische Kirche zu erschüttern drohten. An seiner Seite erscheint er in Wittenberg zur Beilegung der adiaphoristischen Streitigkeiten und auf dem Wormser Colloquium (1557); seine theologische Gelehrsamkeit liefert auch den Gegnern Hardenberg's im Abendmahlsstreit die Waffen zum Siege (1561). — Aber bei weitem größer und recht auf dem ihm eigenen Gebiete erscheint Ch. im Kampfe gegen die katholische Kirche. Seiner Wachsamkeit war die stille aber erfolgreiche Thätigkeit des jungen Jesuitenordens nicht entgangen. Er war der erste, der den Evangelischen die Augen öffnete über die Gefahren, die ihnen von dieser Seite drohten in seiner Schrift: „Theologiae Jesuitarum praecipua capita“ 1562 und gleich darauf unterzog er die Beschlüsse des kurz vorher geschlossenen Concils von Trident einer sorgfältigen und für alle Zeiten epochemachenden Kritik in einem „Examen concilii Tridentini“, tom. IV, 1565—73. Sein theologischer Ruhm ward durch diese Schrift weit über die Grenzen Deutschlands hinaus verbreitet. Er galt unbezweifelt als der bedeutendste Dogmatiker Norddeutschlands und vor allem als der Hort der reinen lutherischen Lehre. Von vielen Seiten ergingen daher Berufungen an ihn. Er wies sie alle zurück, besonders da ihn Braunschweig nach dem Weggange Mörlin's 1567 durch die Uebertragung der Superintendentur und auch sonst auf jede Weise ehrte. Der Unterstützung jedoch bei der Ordnung mehrerer Landeskirchen in Norddeutschland konnte er sich nicht entziehen. Schon 1567 hatte er mit Mörlin der preußischen Kirche das Corpus doctrinae Prutenicum gegeben; 1569 entstand unter seiner Mitwirkung das Corpus doctrinae Julium für Braunschweig-Wolfenbüttel. Aber mehr und mehr gestaltete sich seine organisatorische Thätigkeit zu einer nicht selten gewaltsamen Unterdrückung der nicht streng lutherischen Gegner, besonders der Kryptocalvinisten. Mehr als irgend einer der gleichzeitigen Theologen durch Erfahrung, Gelehrsamkeit und rastlosen Eifer für das Wohl der Kirche befähigt, die großen Grundsätze der Reformation zu entwickeln und lebendig zu gestalten, ließ er sich bei einem nicht zu läugnenden Mangel an charaktervoller Selbständigkeit und Freiheit durch ausartendes Streben nach Kircheneinheit zu einseitigem Drängen nach Lehrreinheit und Lehreinheit fortreißen und trug durch seine Theilnahme an der Abfassung der „Concordienformel“ (1577, 1580) und seine Bemühungen um die Einführung derselben in die lutherischen Kirchen Norddeutschlands neben Jakob Andreä am meisten die Schuld daran, die Entwicklung der Reformation zum Stillstand gebracht und den kirchlichen Frieden für lange Zeit untergraben zu haben Die aufreibenden Kämpfe, in die er hierbei zuletzt sogar mit Andreä selbst und den Helmstädtern verwickelt wurde (1581 und 82), trübten den Frieden seines Lebensabends, so daß er, ermattet von übermäßigen Anstrengungen, 1584 sein Amt niederlegte und nach einem Zustande völliger Erschöpfung 1586 starb.

    • Literatur

      Hauptquelle für sein Leben und seine Schriften: Ph. J. Rehtmeyer, Antiquitates ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae tom. III. p. 273—536. Unter den sehr umfassenden Biographien neuerer Zeit sind zu erwähnen: Th. Pressel, Martin Chemnitz. Elberfeld 1862. C. G. H. Lentz, Dr. Martin Kemnitz. Gotha 1866. Hermann Hachfeld, Martin Chemnitz nach seinem Leben und Wirken, insbesondere nach seinem Verhältnisse zum Tridentinum. Leipzig 1867.

  • Autor/in

    Brecher.
  • Zitierweise

    Brecher, Adolf, "Chemnitz, Martin" in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876), S. 116-118 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118829157.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA