Lebensdaten
1857 – 1916
Geburtsort
Baden-Baden
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Psychologe ; Soziologe
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118813978 | OGND | VIAF: 57411291
Namensvarianten
  • Müller, Franz Hermann
  • Müller-Lyer, Franz Carl
  • Müller, Franz Hermann
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Zitierweise

Müller-Lyer, Franz Carl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118813978.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Hermann Müller (1821–80), Dr. med., Arzt am städt. Krankenhaus in B., S d. Franz Carl ( 1839), bad. Obervogt in Rastatt, seit 1832 Stadtdir. in Karlsruhe, u. d. Karoline Frey;
    M Bertha Luise ( 1877), T d. Gastwirts Franz Maier u. d. Maria Katzenberger;
    1909 Betty (* 1879), Schriftst., T d. Hermann Seefels, Hotelier, 1875-88 Bgm. in B., u. d. Marie Wather; kinderlos.

  • Biographie

    Nach dem Besuch des Gymnasiums in Rastatt und dem Militärdienst in Straßburg begann M. dort 1876 das Studium der Medizin, das er in Bonn und Leipzig fortsetzte und 1880 mit der Dissertation „Über psychische Erkrankungen bei akuten fieberhaften Krankheiten“ abschloß. 1881 erhielt er eine Stelle als Assistenzarzt an der Universitätsklinik in Straßburg bei Friedrich Jolly. Während dieser Zeit forschte er auf den Gebieten der Psychophysik und der experimentellen Psychologie. 1883 arbeitete er am Laboratorium des Physiologen Emil Du Bois-Reymond in Berlin. Nach einem kurzen Aufenthalt in London wechselte er 1884 nach Paris an die Klinik des Nervenarztes Jean Martin Charcot und an das Laboratorium des Physiologen Etienne Jules Marey. 1887 ließ er sich in Dresden als praktischer Arzt nieder, siedelte aber 1888 nach München über.

    Eine der bekanntesten Figuren zur Erzeugung einer geometrisch-optischen Täuschung wurde 1889 von M. publiziert. Diese verlangt den Vergleich zweier gleicher Strecken, von denen die eine durch ein einwärts gekehrtes Winkelpaar, die andere durch ein Paar nach außen offener Winkel begrenzt wird. Der unmittelbare Eindruck in der Wahrnehmung ergibt eine ungleiche Größeneinschätzung beider Strecken: Die durch einwärts gekehrte Winkel begrenzte Strecke wirkt kürzer. M. folgte bei seiner Erklärung der Täuschung dem Ganzheitsprinzip. Da die Figur mit den Auswärtswinkeln als ganze mehr Raum ausfüllt, wird auch ihren Teilen mehr Ausdehnung zugeschrieben als den Bestandteilen der raumsparenden Figur mit den Einwärtswinkeln. Daß der Gesamteindruck auf die Wahrnehmung der Teile abfärbt, ist in der Wahrnehmungstheorie als Hinweis auf die Eigendynamik der Wahrnehmung gewertet worden. Die „Müller-Lyersche Täuschung“ bildet die Grundlage zahlreicher wahrnehmungspsychologischer Forschungen und wurde etwa von B. J. Fellows und O. Thorm (1973) weiterentwickelt. Der Psychologe Jean Piaget versuchte nachzuweisen, daß der Täuschungsbetrag mit dem Alter der Versuchspersonen abnimmt.

    Ende der 80er Jahre wandte sich M. der Soziologie zu und entwickelte unter dem Einfluß der Philosophen Auguste Comte und Herbert Spencer eine evolutionistische Kulturlehre. M. orientierte sich dabei streng an naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden. Jede|wissenschaftliche Forschung ist nach M. nur auf der Grundlage naturgesetzlicher Erklärungen möglich und muß immer positive Wissenschaft sein. Er vertrat damit ein monistisches Forschungskonzept, das auch die geisteswissenschaftliche Forschung einschloß und sie an naturgesetzliche Erklärungsmethoden band. Entsprechend gründete M. seine Kulturtheorie auf einer Synthese von biologischen bzw. darwinistischen Prinzipien und soziologischen Parametern, die er der Theorie von Marx entnahm. Sie stellt eine Phasenlehre dar, die die jeweiligen Gebiete soziologischer Forschung in Abschnitte zerlegt, deren Vergleich Analogien zeigt. Diese Analogien verweisen auf Richtungslinien des Kulturfortschritts. So können nach M. die grundlegenden Gesetze der Kulturentwicklung der Menschheit induktiv gewonnen und bewußt gemacht werden. Sie sind damit einer Veränderung im Sinne einer Kulturbeherrschung verfügbar. Als deren Ziel bestimmte M. den Sozialismus, den er im Unterschied zu Marx nicht als Produkt von Revolutionen, sondern als reales Ziel der gesellschaftlichen Evolution bestimmt. M. lehnte den Kommunismus ab und stellte in seiner Gesellschaftstheorie einen Sozialindividualismus vor, den er in der Entwicklung der Familie bereits vorgezeichnet sah. Gegenüber der traditionellen Form der Ehe, die das Individuum einenge, hob er die Notwendigkeit der freien Ehe hervor, die er als ein Verhältnis zwischen gleichen und selbständigen Partnern mit gleichen politischen und sozialen Rechten charakterisierte. Nur eine Gesellschaft, die sozialindividualistisch eingerichtet ist, befriedigt nach M. das Streben des Menschen nach Glückseligkeit und Vollkommenheit. Er bezeichnet den Willen zur Verwirklichung dieses Ziels als Prinzip der Euphorie. M. war 1911 Mitbegründer des Euphoristenordens. 1915 wurde er zum Vorsitzenden des 1906 gegründeten Deutschen Monistenbundes (DMB) gewählt.

  • Werke

    Opt. Urteilstäuschungen, 1889;
    Physiolog. Stud. üb. Psychophysik, 1886;
    Vereinfachte Harmonik, auf Grundlage e. natürl. Harmoniesystems, 1894;
    Die Entwicklungsstufen d. Menschheit, I-VII: I. Der Sinn d. Lebens u. d. Wiss., 1910;
    II. Phasen d. Kultur u. Richtlinien d. Fortschritts, 1908;
    III. Formen d. Ehe, d. Fam. u. d. Verwandtschaft, 1911;
    IV. Die Fam., 1912;
    V. Phasen d. Liebe, 1913;
    VI. Zähmung d. Nornen, T. 1., Die Soziol. d. Zuchtwahl u. d. Bevölkerungsgesetz;
    VII, T. 2, Die Soziol. d. Erziehung, 1923;
    Soziol. d. Leiden, 1914. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Bayer. Staatsbibl., München.

  • Literatur

    R. Eisler, F. M.-L. als Soziologe u. Kulturphilosoph, 1923;
    J. Köhler, Die M.-L.schen Anschauungen im Lichte d. modernen Darwinismus, Diss. Gießen 1924;
    Dem Andenken an M.-L., 1926 (zahlr. Btrr., P);
    R. Riemann, M.-L., d. Soziologe u. d. Monist, 1927;
    B. J. Fellows u. O. Thorm, A Test of Piaget's Explanation of the M.-L.-Illusion, in: British Journal of Psychology 64, 1973, S. 83-90;
    S. Curth, Soziol. als Progr. soz. Reform, Evolutionstheorie u. demokrat. Aktion, 1986 (P);
    DBJ I, Tl.;
    Ziegenfuß;
    BLÄ, Nachträge II;
    Kosch, Lit.-Lex.³

  • Autor/in

    Andrea Esser
  • Zitierweise

    Esser, Andrea, "Müller-Lyer, Franz Carl" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 503-504 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118813978.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA