Lebensdaten
1850 – 1932
Geburtsort
Greifswald
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Historiker
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118779508 | OGND | VIAF: 34445395
Namensvarianten
  • Lenz, Max

Porträt(nachweise)

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Zitierweise

Lenz, Max, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118779508.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Gustav (1818–88), Dr. iur. h. c, Justizrat, Rechtsanwalt u. Notar, S d. Carl Frdr. Wilh., Kupferschmied, dann Kaufm., Reeder u. Ratsherr in Kolberg, u. d. Dorothea Sophie Muntzel (Runckel);
    M Johanna Adlich, aus Landwirtsfam. auf d. Insel Wollin;
    Schw Anna ( Bernhard Erdmannsdörffer, 1901, Historiker, s. NDB IV);
    - 1879 Emma (1859–1934), Pianistin, T d. Ottomar Rohde (1815–81), Prof. a. d. Landwirtsch. Ak. Eldena, u. d. Bertha Patzig; Schwager William Rohde (1847–1903), Dir. d. Landwirtsch. Ak. Eldena (s. BJ VIII, Tl.);
    4 S (2 früh †), 1 T, u. a. Friedrich (1885–1968), Prof. d. Nat.ök. (s. L).

  • Biographie

    L. prägte seit den 1880er Jahren – neben Erich Marcks – die im späten Kaiserreich aufblühende „Ranke-Renaissance“ in der deutschen Geschichtswissenschaft. Im Anspruch auf Objektivität des Urteils und Universalität der Perspektive bei zugleich minuziöser Detailforschung knüpfte er an Ranke an. Sein Werk zielte programmatisch auf eine deutsche Nationalgeschichte „von Luther zu Bismarck“ ab; für ihn wurzelte der deutsche Kultur- und Machtstaat – mit seinen Höhepunkten im 18. und 19. Jh. – im individualethischen Geist der Reformation. Das prot. Vermächtnis, bezogen auf Kulturentwicklung und wissenschaftlichen Fortschritt, galt ihm, dem Imperialisten und Ideologen eines weltpolitisch zu erweiternden Gleichgewichtssystems der „Großen Mächte“, über Rankes europazentrierte Perspektive hinaus als der eigentliche „deutsche Gedanke“ in der Welt.

    L. wuchs in streng luth.-orthodoxer Umgebung auf. Der Vater, namhaft durch rechtshistorische und historisch-politische Schriften, hatte als Junghegelianer der 1848er Bewegung nahegestanden und danach seine Beamtenkarriere abbrechen müssen. Nach Abschluß der Gymnasialzeit in Greifswald studierte L. seit 1869 drei Semester in Bonn Geschichte und Klassische Philologie, u. a. bei Conrad Varrentrapp, Michael Bernays und Heinr. v. Sybel. Nach Ausbruch des Krieges gegen Frankreich meldete er sich als Freiwilliger zu einem pomm. Jägerbataillon, im Dez. 1870 wurde er bei Champigny verwundet. Das Studium setzte er in Greifswald fort; im Sommer 1872 war er für ein Semester in Berlin (u. a. bei Th. Mommsen). Maßgeblichen Einfluß erlangte sein künftiger Schwager Erdmannsdörffer, der ihn auf die spätmittelalterliche Konzilsgeschichte hinlenkte und ihm zugleich Rankes Werk nahebrachte. Sein Studium schloß L. 1874 mit einer Dissertation über das Bündnis von Canterbury und seine Bedeutung für den engl.-franz. Krieg und das Konzil von Konstanz ab. 1875 trat er auf Veranlassung Sybels als Hilfsarbeiter in das Marburger Geheime Staatsarchiv ein mit dem Auftrag, den „Briefwechsel Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen mit Bucer“ herauszugeben (3 Bde., 1880–91). So wandte er sich im folgenden Jahrzehnt ganz der Reformationszeit zu, mit der er sich auch später wiederholt beschäftigte, ohne daß sein nach 1890 in Berlin gefaßter Plan einer umfassenden Reformationsgeschichte zur Ausführung gelangte. Weithin bekannt wurde L. indes mit seiner Biographie Luthers im Jubiläumsjahr 1883 (³1897). Ihre Sprachkunst und Bildkraft ließ sie zu einem Volksbuch werden. Stärker noch als im „Luther“ manifestierte sich sein sehr individuell-prot. Kämpfertum in einer Streitschrift gegen Janssens „ultramontane“ Geschichte des deutschen Volkes aus dem selben Jahr, die als grundsätzliche Abrechnung mit der als unwissenschaftlich zurückgewiesenen kath. Beurteilung der Reformationsepoche über die engere Disziplin hinaus Aufsehen erregte. Zu Beginn der Marburger Zeit habilitierte sich L. 1876 für Mittlere und Neuere Geschichte mit einer quellenkritischen Studie über „Drei Tractate aus dem Schriftencyclus des Constanzer Concils“. Als Lehrer, Freund und Mitarbeiter gewann nun Varrentrapp erheblichen Einfluß auf L., für den außerdem die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Rankes entscheidend wurde. Wohl am nächsten stand ihm in dieser Ausrichtung – neben Marcks – sein Jugendfreund Hans Delbrück, dem er sich erst während der politischen Polarisierung des Weltkriegs etwas entfremdete. 1881 wurde L. a. o., 1885 o. Professor in Marburg, 1890 folgte er einem Ruf nach Berlin, wo sich der „Methodiker“ nur allmählich neben Treitschke zu behaupten vermochte.

    In Lehre und Forschung beschäftigte sich L. mit Gustav Adolf und Wallenstein; die „Kleinen hist. Schriften“ (1910, ³1922) enthalten die wichtigsten Abhandlungen. Hauptarbeitsgebiete wurden nun indes das Zeitalter der Franz. Revolution und die Ära Bismarcks.|Unbeeindruckt von nationalstaatlicher Verengung würdigte L. Napoleon (1905, ⁴1924, engl. 1906) wie Bismarck mit quellenkritischer Nüchternheit. Nach einer scharfsinnigen Kritik der „Gedanken und Erinnerungen“ (1899), erwuchs 1902 aus einem ADB-Artikel (46, 1902, S. 571-775) die „Geschichte Bismarcks“ (⁴1913) als erste wissenschaftliche Würdigung von Bismarcks Werk vor allem in der Reichsgründungszeit 1862 bis 1871. Wieder klingt das Leitmotiv „Von Luther zu Bismarck“ an, da L. im neuen Reich ein Wiedererstarken des Klerikalismus argwöhnte und zugleich überzeugt blieb, daß „uns Deutsche jeder Aufschwung des nationalen Geistes gegen Rom führte“. Unmittelbar an Ranke knüpft der historisch-politische Rück- und Ausblick „Die großen Mächte“ (1900) an, der die vormalige europäische Gleichgewichtskonzeption weltpolitisch erweitert und so die junge deutsche Flotten- und „Weltpolitik“ unter Wilhelm II. historisch zu legitimieren sucht. Nicht nur dieser Perspektivenwechsel charakterisiert die politisch wie weltanschaulich zeitgebundene „Ranke-Renaissance“, wie L. sie vertrat. Die religiöse Verankerung der leitenden Tendenzen und Ideen eines Zeitalters, für Ranke Kern seiner Geschichtsauffassung, war den Jüngeren fremd geworden; an ihre Stelle trat der als sittliche Potenz verabsolutierte Nationalstaat. Nicht zu übersehen ist dabei der Einfluß von J. R. Seeley auf L.; Spannungen zwischen Macht- und Kulturstaat waren nun am Maßstab nationaler Interessen zu beurteilen. L. wandte sich gleichermaßen gegen politisch gefärbte Tendenzgeschichtsschreibung – ungeachtet der politischen Implikationen seines eigenen Ansatzes – wie gegen psychologisierende und „materialistische“ Auffassungen eines Karl Lamprecht, dessen „Deutsche Geschichte“ er als handwerklich unseriös zurückwies und damit zugleich eine eingehendere Diskussion von dessen Geschichtskonzeption innerhalb der „Zunft“ weitgehend blockierte (in: HZ 77, 1896, S. 385-447).

    1911/12 bekleidete L. das Rektorat der Berliner Universität. 1910 hatte er zur Säkularfeier im Auftrag des Senats ihre Geschichte in zwei Darstellungs- und zwei Anhangsbänden vorgelegt; der Schlußband der monumentalen Darstellung erschien wegen kriegsbedingter Verzögerung erst 1918. Dieses Hauptwerk L.s geriet zu einer politischen Geistes- und Kulturgeschichte des 19. Jh. bis 1860; die engere Wissenschaftsgeschichte tritt – im Unterschied zur Akademiegeschichte A. v. Harnacks von 1900 – eher in den Hintergrund. Den Leitfaden bildet das spannungsreiche Geflecht zwischen Kulturautonomie und Staatsintervention, letztlich versöhnt in einem aus prot. Geist gespeisten nationalen Interesse.

    Anfang 1914 nahm L. einen Ruf an das Hamburger Kolonialinstitut an, dessen Ausbau zur Universität er führend mitgestaltete (Emeritierung 1922). Vom Weltkrieg erhoffte er sich den Sieg der „prot. Staatsidee“; mit dem Zusammenbruch wurden auch Grundpfeiler seines Lebenswerks erschüttert. Die Spätschriften zeigen eine nationalkonservative Verhärtung, so in den Beiträgen zur Kriegsschuldfrage (Deutschland im Kreis der Großmächte 1871-1914, 1925), ein trotziges „dennoch“ (Von Luther zu Bismarck, 1920) und eine innere Annäherung an den einstmals als Tendenzhistoriker befehdeten Treitschke. Gleichwohl brachten auch die letzten Jahre quellenkritisch bedeutsame Abhandlungen zur europäischen Politik in den Epochen Napoleons und Bismarcks, insbesondere in Schriften der Berliner Akademie der Wissenschaften, der L. seit 1896 angehörte, 1914-24 als Ehrenmitglied, und wieder seit seiner Übersiedlung von Hamburg 1924. Daneben bekleidete er vor 1914 und seit 1924 den Vorsitz der Historischen Gesellschaft zu Berlin. – Über seinen großen Schülerkreis (u. a. E. Brandenburg, H. Oncken, F. Rachfahl) wirkte L. fort; seine Berliner Universitätsgeschichte erwies überdauernden Rang wie auch manche der tiefdringenden Abhandlungen.

  • Werke

    Weitere W u. a. Kg. Sigismund u. Heinrich d. Fünfte v. England, Ein Btr. z. Gesch. d. Zeit d. Constanzer Concils, 1874 (Diss. Greifswald);
    Zu Bismarcks Gedächtnis, 1/21899 (mit G. Schmoller u. E. Marcks);
    Ausgew. Vorträge u. Aufsätze, hrsg. v. A. Reimann, 1904, ³1907 (verkürzt);
    Gesch. d. Kgl. Friedrich-Wilhelms-Univ. zu Berlin, I: Gründung u. Ausbau, II, 1;
    Das Ministerium Altenstein, III: Wiss. Anstalten, Spruchkollegium, Statistik, IV: Urkk., Akten u. Briefe, 1910, II, 2;
    Auf d. Wege z. dt. Einheit, Im neuen Reich, 1918;
    Freiheit u. Macht im Lichte d. Entwicklung d. Univ. Berlin, 1911;
    Rankes biogr. Kunst u. d. Aufgaben d. Biographen, 1912;
    Martin Luther u. d. prot. Staatsidee, in: K. H. L. Walter v. d. Bleek (Hrsg.), Die prot. Staatsidee, 1919, S. 43-57;
    Kg. Wilhelm u. Bismarck in ihrer Stellung z. Frankfurter Fürstentag, in: SB d. Preuß. Ak. d. Wiss., Jg. 1929, Phil.-hist. Kl., S. 162-75;
    Bismarcks Plan e. Gegenrev. im März 1848, ebd., Jg. 1930, S. 251-76. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Geh. Staatsarchiv Preuß. Kulturbes. Berlin.

  • Literatur

    F. Rachfahl, M. L. u. d. dt. Gesch.schreibung, in: HZ 123, 1920, S. 189-220;
    R. Salomon, M. L. u. d. Hamburg. Univ., 1932;
    H. Oncken, Gedächtnisrede, in: SB d. Preuß. Ak. d. Wiss., Phil-hist. Kl., Jg. 1933, S. CXVII-CXXV;
    ders.,|in: HZ 147, 1933, S. 265-68;
    M. L. z. Gedächtnis, Verz. s. Schrr. v. F. Graefe, Mit zwei Erinnerungsbll. v. E. Marcks u. K. A. v. Müller u. e. Vorwort v. A. Reimann, 1935;
    P. Haake, in: Pomm. Lb. II, 1936, S. 339-61 (W, L, P);
    L. Dehio, Gleichgewicht od. Hegemonie, Betrachtungen üb. e. Grundproblem d. neueren Staatengesch., 1948;
    ders., Ranke u. d. Imperialismus, in: HZ 170, 1950, S. 307-68;
    H. Rr. v. Srbik, Geist u. Gesch., Vom dt. Humanismus b. z. Gegenwart II, 1951, S. 6-9;
    H.-H. Krill, Die Rankerenaissance, M. L. u. E. Marcks, Ein Btr. z. hist.-pol. Denken in Dtld. 1880-1935, 1962;
    W. Besson, Gesch. als pol. Wiss., in: Gesch. u. Gegenwartsbewußtsein, Festschr. H. Rothfels, 1963, S. 76-81;
    H. Schleier, Die Ranke-Renaissance, in: J. Streisand (Hrsg.), Stud. üb. d. dt. Gesch.wiss. 1871-1945, II, 1965, S. 99-135;
    K. Schwabe, Wiss. u. Kriegsmoral, Die dt. Hochschullehrer u. d. pol. Grundfragen d. Ersten Weltkrieges, 1969, passim;
    W. Schenk, Die dt.-engl. Rivalität vor d. Ersten Weltkrieg in d. Sicht dt. Historiker, Mißverstehen od. Machtstreben?, 1967, S. 35-46;
    C. E. McClelland, The German Historians and England, A Study in Nineteenth-Century Views, 1971;
    ders., Berlin Historians and German Politics, in: Historians in Politics, hrsg. v. W. Laqueur u. G. L. Mosse, 1974, S. 191-221;
    H. Schleier, Die bürgerl. dt. Gesch.schreibung d. Weimarer Republik, 1975;
    J. L. Herkless, Ein unerklärtes Element in d. Historiographie v. M. L., in: HZ 222, 1976, S. 81-104;
    B. Faulenbach, Ideologie d. dt. Weges, 1980;
    R. vom Bruch, Wiss., Pol. u. öffentl. Meinung, Gelehrtenpol. im Wilhelmin. Dtld. (1890–1914), 1980. - Zu S Friedrich: H. Berding, in: Lb. aus Hessen II, 2, 1982, S. 602-11 (P);
    Kürschner, Gel.-Kal. 1966).

  • Autor/in

    Rüdiger vom Bruch
  • Zitierweise

    Bruch, Rüdiger vom, "Lenz, Max" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 231-233 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118779508.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA