Lebensdaten
1880 – 1903
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
mehrkonfessionell
Namensvarianten
  • Weininger, Shlomo
  • Weininger, Otto
  • Weininger, Shlomo

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Zitierweise

Weininger, Otto, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz139954.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Leopold (1854–1922), Goldschmied in W., S d. Salomon u. d. Karoline Blau (um 1821–97);
    M Adele (Adelheid) (1857–1909), T d. Josef Frey (1829–1901), aus Moldautein (Týn nad Vltavou, Südböhmen), Alteisenhändler, u. d. Eleonora Magdalena Grünwald (* 1835), aus Szenc (Senec, Slowakei);
    2 B Richard (1887–1979), Franz (1881–95), 4 Schw (1 früh †) Rosa (Róza) (* 1883, Carl Boschán, 1871–1944 Ghetto Budapest, aus Prag, Kaufm.), Mathilde (* 1893), Karoline (1898–1969, N. N. Kellert), zuletzt in Montreal;
    – ledig.

  • Biographie

    Im Anschluß an die Matura am Staatsgymnasium im Piaristenkonvent in Wien 1898 nahm W. das Philosophiestudium auf und trat der „Philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien“ bei. Er beschäftigte sich mit Psychologie und Empiriokritizismus (Ernst Mach, Richard Avenarius), dem er aber im Dez. 1901 in einem Brief an seinen Freund Hermann Swoboda (1873–1963) eine kategorische Absage erteilte. Im selben Jahr hatte W. ein mit „Eros und Psyche, Eine biologischpsychologische Untersuchung“ tituliertes Manuskript zur Wahrung der Priorität bei der Österr. Akademie der Wissenschaften hinterlegt. 1902 hinterlegte er die Schrift „Zur Theorie des Lebens“. Beide gelten als Vorarbeiten zu W.s von Friedrich Jodl (1849–1914) und Laurenz Müllner (1848–1911) betreuter Dissertation „Geschlecht und Charakter, Eine prinzipielle Untersuchung“, die 1903 in erweiterter und stark veränderter Fassung erschien. Am 3./ 4. 10. 1903 nachts schoß sich W. in Beethovens Sterbehaus in Wien in die Brust und verstarb an den Folgen. Laut seinem Freund Artur Gerber war er zu der Ansicht gelangt, er sei kein „guter“ Mensch, und gemäß seinen Vorstellungen vom menschlichen Charakter, könne man nur gut sein, es aber nicht werden.

    „Geschlecht und Charakter“ besteht aus zwei Teilen. Der kürzere erste behandelt die Theorie der sexuellen Anziehung auf der Basis der Unterscheidung zwischen „Arrhenoplasma“ und „Thelyplasma“. Diese beiden Formen, so die Annahme, korrespondieren zu männlichen und weiblichen Anteilen in den Körperzellen, und der Grad ihrer jeweiligen Ergänzung zwischen zwei Individuen bestimmt deren gegenseitige Anziehung. W.s Ansatz geht von Bisexualität als Normalfall aus und erlaubt eine flexible Behandlung der Frage sexueller Orientierung, auch wenn er größtenteils spekulativ und empirisch dürftig untermauert ist. Der zweite Teil des Buchs wendet den Ansatz in eine „Philosophie“ der menschlichen Natur als in zwei Grundprinzipien, „M“ (männlich) und „W“ (weiblich) gespalten. Überlegungen mit wissenschaftlichem Wert werden hier von ausufernden Kapiteln überdeckt, deren Misogynie und Antisemitismus auch durch die wiederholte Betonung, es handele sich um Aussagen über ideale Typen, nicht empirisch existierende Individuen, nicht entschärft werden. Daß hinter W.s Projekt dennoch kulturkritische Sensibilitäten stehen, verdeutlicht eine postum veröffentlichte Sammlung von Essays (Über d. letzten Dinge, 1904, Nachdr. 1980), die einen jungen, spekulativen, philosophischen Essayisten zeigt, der zwar mit polaren Gegensätzen arbeitet, diese aber meist nicht eindimensional auf seine Gegenstände anwendet.

    Für die zweite, in kürzester Zeit vergriffene Auflage von „Geschlecht und Charakter“ nahm W. noch Revisionen vor, bis 1926 folgten jährliche Neuauflagen. Das in zahlreiche Sprachen übersetzte Buch traf in das Zentrum der sexual- und rassenpolitischen Diskussionen des fin-de-siècle in ganz Europa: August Strindberg lobte es, Ludwig Wittgenstein war fasziniert, und Karl Kraus verteidigte den Autor gegen früh einsetzende Angriffe. Sigmund Freud, von dem W. und Swoboda laut Wilhelm Fliess (1858–1928) angeblich von seiner Theorie der Bisexualität erfahren hätten (Plagiatsaffäre), attestierte W. zwar in einer Fußnote zum Fall des „kleinen Hans“ hohe Begabung, sah ihn aber als Neurotiker, der unter dem Einfluß des Kastrationskomplexes gestanden habe. Doch weder W.s Kritiker noch seine Verteidiger konnten den „Fall Otto Weininger“ – so der Titel von Ferdinand Probsts psychiatrischer Studie (1904) – bis heute abschließen.

    Die Rezeption von W.s Werk teilt sich grob in eine Phase vor dem 2. Weltkrieg, in der die polare Diskussion seiner Ansichten dominierte, und eine Phase danach, in der zunehmend ein Verständnis im historischen Kontext zum Zuge kommt, ohne daß die Polarisierung, die von W.s Werk ausging, aufgehört hätte. Mehr Aufmerksamkeit wäre den Essays in „Über die letzten Dinge“ zu wünschen.

  • Werke

    |Tb. u. Briefe an e. Freund, 1919;
    J. Sobol, 1987 (s. L) (darin: Textfragmente);
    H. Rodlauer, 1990 (s. L) (darin: Eros u. Psyche, Eine biol.-psychol. Stud.;
    Zur Theorie d. Lebens;
    Briefe u. weitere Dok.);
    W. Hirsch, 1997 (s. L) (darin d. Gedichte Verse, Der Falter, Schauder;
    d. Kurztext Verdammnis u. d. Selbstanzeige v. „Geschlecht u. Charakter“).

  • Literatur

    |Th. Lessing, Der jüd. Selbsthaß, 1930;
    D. Abrahamsen, The Mind and Death of a Genius, 1946;
    J. Le Rider u. N. Leser (Hg.), O. W., Werk u. Wirkung, 1984;
    J. Le Rider, Der Fall O. W., 1985 (P);
    A. Janik, Essays on Wittgenstein and W., 1985;
    H. Rodlauer, O. W., Eros u. Psyche, Stud. u. Briefe 1899–1902, 1990;
    N. A. Harrowitz u. B. Hyams|(Hg.), Jews & Gender, Responses to O. W., 1995;
    W. Hirsch, Eine unbescheidene Charakterol., 1997;
    Ch. Sengoopta, O. W., Sex, Science, and Self in Imperial Vienna, 2000;
    St. Burns, in: O. W., On Last Things, 2000;
    M. Schröter, in: Psyche, Zs. f. Psychoanalyse 56, 2002, H. 4, S. 338–68;
    D. S. Luft, Eros and Inwardness in Vienna, W., Musil, Doderer, 2003;
    D. Steuer, “A Book That Won’t Go Away”, in: O. W., Sex and Character, An Investigation of Fundamental Principles, 2005;
    BBKL 18 (W, L);
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
    Enz. Philos. Wiss.-theorie;
    Personenlex. Sexualforsch.;
    Mann für Mann (L, P);
    Hist. Lex. Wien;
    Metzler Lex. jüd. Philosophen;
    Theaterstück: J. Sobol, The Soul of a Jew (UA Haifa 1982, dt.W.s Nacht“, hg. v. P. Manker, 1988, verfilmte Inszenierung v. P. Manker 1988 am Volkstheater Wien, 1989).

  • Porträts

    |Zeichnung v. I. Kaufmann, Abb. in: Mann für Mann, S. 1243.

  • Autor/in

    Daniel Steuer
  • Zitierweise

    Steuer, Daniel, "Weininger, Otto" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 643-645 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz139954.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA