Lebensdaten
1832 – 1912
Geburtsort
Marburg/Lahn
Sterbeort
Bonn
Beruf/Funktion
Kunstwissenschaftler ; Philosoph
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118714325 | OGND | VIAF: 19766795
Namensvarianten
  • Justi, Carl
  • Justi, Karl
  • Justi, Carl
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Zitierweise

Justi, Karl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118714325.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    B Ferdinand (s. 1); - ledig.

  • Biographie

    Die Tradition der Familie bestimmt den Weg J.s von der Theologie und Philosophie zur Kunstwissenschaft. Er eignet sich Sprachen, philosophisch-literarische Bildung und kunstgeschichtliches Wissen, aufbauend auf archivalische Studien, ohne Mühe an. Das zeichnerische Talent geht ein in das Vermögen, künstlerische Fähigkeit zu erkennen. Als Schriftsteller hohen Ranges weiß sich J. dem Vorbild älterer Essayisten (z. B. Montaignes) und Goethes verpflichtet: „Ich sehe mich selbst am liebsten an als einfachen Schriftsteller, der zugleich Liebhaber der Kunst ist“ (1889). Er gehört, ähnlich H. Grimm, zu den wenigen „literarischen“ Kunsthistorikern, für die das Kunstwerk das Ergebnis individueller Schöpfung und des Miteinanders von Inhalt und Form ist. Nach ihm kamen mit H. Wölfflin die Formanalytiker und mit W. Worringer die Bedeutungssucher des Expressionismus.

    Während der Gymnasialzeit in Marburg beeinflußt der Theologe und Literaturhistoriker A. F. Ch. Vilmar (1833–50 Direktor des Gymnasiums) J.s geistige Entwicklung entscheidend. Nach dem Studium der Theologie in Marburg (seit 1850) und in Berlin wird J. 1859 in Marburg mit einer Arbeit über Platon promoviert; er habilitiert sich gleichzeitig mit einer Antrittsvorlesung über den ihm persönlich bekannten A. Schopenhauer. Persönliche Erfahrung und das geistige Erbe des 18. Jh., das er in sich trug, sowie die Schönheitslehre Platons und der Aufsatz Goethes veranlassen ihn, sich mit J. J. Winckelmann zu beschäftigen. 1866 veröffentlicht er den 1. Band der Biographie, in der er, ohne das zeitübliche Vorurteil, Menschen und Zustände des späten Rokoko essayistisch schildert und so die Szene für das Drama eines die Schönheit Suchenden aufbaut.

    1867 wird J. ao. Professor für Philosophie (mit einem Lehrauftrag für Archäologie) in Marburg, ersucht jedoch sogleich um Vorschuß und Urlaub für ein Jahr und bleibt mit Abstechern nach Neapel und Florenz bis zum Frühjahr 1869 in Rom (Begegnung mit F. Gregorovius). Seit Jan. 1869 ist er o. Professor in Marburg, 1871 übernimmt er den Lehrstuhl für Philosophie in Kiel als Nachfolger W. Diltheys, 1872 geht er als o. Professor der Kunstgeschichte in der Nachfolge A. Springers nach Bonn. Seitdem fühlt er sich, zumal ihm der mündliche Vortrag schwerfällt, als „akademischer Galeerensklave“; so ist er froh, wenn der Sommer ihm Reisen ermöglicht oder das Ministerium ihn bereitwillig beurlaubt, vor allem aber, als er 1901 endlich die Lehrkanzel verlassen kann: „Ich habe im Ganzen 42 Jahre, in Kunstgeschichte 28, gebrüllt“.

    Auf zahlreichen Reisen zwischen 1872/73 und 1886 wendet sich J. der span. Kunst, insbesondere Velázquez, zu. Aufschlußreich ist die zeitliche Parallele zur Entdeckung des großen span. Malers durch die franz. Impressionisten: 1865 war E. Manet, den J. sogar einmal erwähnt, in Madrid, 1867 sah J. in Rom das erste Mal ein Bild des Velázquez, eines „heiteren, liebenden und liebenswürdig impulsiven Gemüts“. Nun will er den Spanier, „den Mann und sein Werk nach Zeitbegriffen und ursächlichen Zusammenhängen erklären“. So bleibt ein Zwiespalt zwischen Neigung und pragmatischer Geschichtsschreibung, zwischen Erzählung und Wissenschaft. Als Novellist, der verschiedene Formen der Darstellung braucht, erfindet J. den „Dialog über die Malerei“ mit F. Pacheco in Sevilla und einen Brief von Velázquez aus Rom, über dessen Echtheit er die Fachwelt streiten läßt. Obgleich J. in Genreszenen die Umwelt des Künstlers beschreibt, sind seiner Ansicht nach die Umstände doch nicht geeignet, den Künstler hervorzubringen, sondern nur fähig, den Charakter zu offenbaren: „Die Umgebung macht den bedeutenden Menschen nicht, sie wirkt nur zusammen mit Talent, Schicksal, Wille. Der ist von all diesen Faktoren die stärkste Kraft“. So wirkt Schopenhauer nach.

    Als 1888 J.s „Diego Velasquez“ erscheint, kann W. Bode „eine Anwandlung von Neid nicht unterdrücken“, und G. Morelli, der trockene Kenner, bekennt, daß ihn ein „Schamgefühl überfiel“. 1899 ist J. wieder in Rom, nun mit Michelangelo beschäftigt. In dem ihm antipodischen Charakter sieht er eine der Möglichkeiten des heroischen Menschen. Anders als H. Grimm erlebt J. subjektiv und beschreibt das Erlebnis, das er mit eindringendem philosophisch-theologischem Wissen, mit nachsichtsvoller Güte und einem Quentchen Humor wiedergibt. Er kannte keine Grenze zwischen Leben und Kunst, aber er erkannte sehr wohl, im Gegensatz zu H. Grimm und H. Wölfflin, das Grüblerisch-Dämonische in Michelangelo, ohne je diese Eigenschaft selbst zu haben. Er bekannte sich zu dem Grundsatz, daß das Werk eines Künstlers in dessen psychischer Individualität seine Wurzel habe. Diese Nähe zur Kunst ist zugleich die Distanz zur eigenen Zeit, in der sich Form gegen Formauflösung – d. h. gegen die „Freilichtmalerei“ des Impressionismus –, Geist gegen Technik, Individuum gegen Kollektiv nur noch schwer zu behaupten schien. J. sieht die Kunst seiner Gegenwart als „amorph“ an, van Gogh ist nichts mehr für ihn. Sein Vortrag über den Amorphismus, hervorgerufen durch M. Liebermanns Aufsatz über Jos. Israels (in: Zs. f. bildende Kunst 12, 1901) wird 1902 anonym als Manuskript gedruckt, kommt an Wilhelm II., der ihn sich auf einer Abendgesellschaft beim Reichskanzler v. Bülow vorlesen läßt. J. ist empört, so in die „Kunstpolitik“ gezogen zu werden. Liebermann, mitten in den Kämpfen der Berliner Sezession, ist verärgert. Der Kaiser verleiht J. den Orden pour le mérite. J. sah es so: „Wahrscheinlich gehöre ich nirgend wohin in diesem verzwickten und aufgeblasenen Wissenschaftsbetrieb … Es ist eben was Verkehrtes, daß es für einen freien Schriftsteller, als den ich mich bekenne …, in dem Deutschland von heute keine andere Lebensform gibt, als die Einstellung in einem akademischen Stall“ (1902). Seine Absicht war Erkenntnis des Künstlerischen, Einsicht in Menschliches und Mitteilung des Erlebten. Für J. gilt Goethes Urteil über Winckelmann: „Und so ist alles, was er uns hinterlassen, als ein Lebendiges für die Lebendigen, nicht für die im Buchstaben Toten geschrieben.“

  • Werke

    Weitere W Winckelmann u. s. Zeitgenossen, 3 Bde., 1866/72, ⁴1943 (mit Einführung v. L. Curtius), ⁵1956, hrsg. v. W. Rehm;
    Diego Velasquez u. s. Jh., 2 Bde., 1888, ³1923, hrsg. v. L. Justi, ⁴1933, span. 1906/08;
    Murillo, 1892, ²1914;
    Michelangelo, Btrr. z. Erklärung d. Werke u. d. Menschen, 2 Bde., 1900/09, ²1922;
    Miszellaneen aus 3 Jhh. span. Kunstlebens, 2 Bde., 1908;
    Briefe aus Italien, hrsg. v. H. Kayser, 1922 (P);
    Span. Reisebriefe, hrsg. v. dems., 1923;
    C. J., Otto Hartwig, Briefwechsel 1858-1903, hrsg. v. R. Leppla, 1968;
    - H. Willers Verz. d. b. z. 2.8.1912 ersch. Schrr. C. J.s, 1912. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Bonn, Univ.bibl., darunter e. Ms: Betrachtungen üb. moderne Irrtümer auf d. Gebiete d. Kunst, 1903/12 (Auszug b. P. Clemen, s. L); Marburg, Hess. Staatsarchiv (Justisches Fam.archiv). - Eigene Archivstud.: Briefe im Nachlaß Tippel u. im Nachlaß v. Tschudi, Berlin, Stiftung Preuß. Kulturbes., Staatsbibl. Hss.abt.

  • Literatur

    P. Clemen, Carl J., Gedächtnisrede z. 100. Wiederkehr s. Geb.tages, 1933 (L-Verz.);
    W. Waetzold, Dt. Kunsthistoriker II, 1924, S. 239;
    L. Justi (N), in: Lb. aus Kurhessen u. Waldeck I, 1939, S. 147-60 (W, L, P);
    H. v. Einem, in: Bonner Gel., Gesch.wiss., 1968, S. 418-25 (P);
    BJ 17 (u. 18, Tl., L).

  • Porträts

    Phot., Rom 1868, Abb. in: Briefe aus Italien, s. W;
    Gem. v. R. Lepsius, 1912 (Berlin-Ost, Nat. gal.), Abb. in: W. Waetzold, Bildnisse dt. Kunsthist., 1921, S. 10.

  • Autor/in

    Wolfgang Freiherr von Löhneysen
  • Zitierweise

    Löhneysen, Wolfgang Freiherr von, "Justi, Karl" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 705-706 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118714325.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA