Lebensdaten
1881 – 1944
Geburtsort
Anklam
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Diplomat ; Widerstandskämpfer
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118708988 | OGND | VIAF: 39434331
Namensvarianten
  • Hassell, Christian August Ulrich von
  • Hassell, Ulrich von
  • Hassell, Christian August Ulrich von
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Zitierweise

Hassell, Ulrich von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118708988.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Ulrich (1848–1926), preuß. Oberstleutnant, Vorkämpfer d. christl. Jungmänner-Bewegung, S d. Christian (1805–60), Obergerichtspräs, in Hildesheim u. Celle, u. d. Karoline v. Bobers;
    M Margarete (1854–1923), T d. preuß. Majors Aug. v. Stosch u. d. Johanna Eck;
    Groß-Om Albrecht v. Stosch ( 1896), Gen., Admiral;
    Ov Karl (1841–1925), WGR, Senatspräs, beim Reichsgericht, Leopold (1843–1913), Oberlandesgerichtspräs, in Kassel;
    Vt Carl (1872–1932), preuß. Landrat, seit 1917 Oberpräsidialrat in Königsberg, nach Kapp-Putsch Führer d. Heimatbundes Ostpreußen (s. Altpreuß. Biogr.);
    - Berlin 1911 Ilse (* 1885), T d. Großadmirals Alfred v. Tirpitz ( 1930) u. d. Marie Lipke;
    2 S, 2 T.

  • Biographie

    H. wuchs in einer Atmosphäre christlich-konservativen Geistes heran, die sein ganzes Leben hindurch für ihn bestimmend bleiben sollte. Als Berufsziel hatte er sich frühzeitig den Auswärtigen Dienst des Reiches erwählt und trat daher, wohlvorbereitet durch Rechtsstudium in Lausanne, Tübingen und Berlin, Referendarszeit in Tsingtau, einen längeren, vor allem Sprachstudien gewidmeten Aufenthalt in London und andere Auslandsreisen, 1909 als Assessor in das Auswärtige Amt ein, um dann 1911 als Vizekonsul nach Genua zu gehen. Am Kriege nahm er als Hauptmann der Reserve teil und wurde in der Marneschlacht 1914 durch einen Herzsteckschuß schwer verwundet. Da er glaubte, im Auswärtigen Dienst nicht mehr voll verwendungsfähig zu sein und während des Krieges dem Lande in der inneren Verwaltung bessere Dienste leisten zu können, ging er 1916 als Regierungsrat nach Stettin, sodann als Direktor des Verbandes der preußischen Landkreise nach Berlin. Nach dem Zusammenbruch 1918 schloß er sich der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an und trat am 24.11. im „Roten Tag“ mit einem vielbeachteten Artikel „Wir jungen Konservativen“ hervor. Hier bekannte er sich rückhaltlos zum Gedanken eines neuen Volksstaates, in dem es jedoch keine Klassen- oder Massenherrschaft geben dürfe, sondern wirklich das schaffende Volk in allen Ständen die politischen Geschicke mitbestimmen und in den aus der Zerstörung des alten Staatsbaus alles, was von bleibendem Wert sei, herübergerettet werden solle. Die daraufhin gegründete „Staatspolitische Arbeitsgemeinschaft der DNVP“, in der sich ein gleichgerichteter jede bloße Reaktion ablehnender Kreis zusammenfand, enthielt gesunde Ansätze für den Aufbau einer neu zu formierenden politischen Rechten, die sich unter seiner Führung zweifellos zu fruchtbarer Wirkung hätten entfalten können. Doch holte ihn schon 1919 der sozialdemokratische Außenminister Hermann Müller in den Auswärtigen Dienst zurück und entsandte ihn als Botschaftsrat und Geschäftsträger nach Rom, wo er die schwierige Aufgabe einer Wiederanknüpfung der Beziehungen mit dem ehemaligen Bundesgenossen und späteren Gegner zu lösen hatte. 1921 ging er dann als Generalkonsul nach Barcelona, von da 1926 als Gesandter nach Kopenhagen und 1930 nach Belgrad, um 1932 als Botschafter an den Quirinal zurückzukehren.

    Die nun folgenden römischen Jahre bilden den Höhepunkt in H.s diplomatischer Wirksamkeit. Er liebte Italien, kannte und bewunderte seine großen Kulturleistungen, verfügte vor allem über eine nicht gewöhnliche Dantekenntnis und besaß ein offenes Auge für die angeborenen Vorzüge der italienischen Volksart, die er besonders auch in der Diplomatie verkörpert fand; „Beweglichkeit des Geistes, schnelle Auffassung und ein unzweifelhaft vorhandener hoher Durchschnitt der Begabung“, wie er es einmal formulierte. Zudem war er überzeugt, daß Deutschland und Italien schon durch ihre gemeinsame, fest im europäischen Wesen verankerte Mittellage zu friedlichem Zusammenwirken berufen seien. Dagegen war er ein entschiedener Gegner eines Militärbündnisses und lehnte den Antikominternpakt, dem Italien am 6.11.1937 beitrat, grundsätzlich ab, weil er in der damit gegebenen Blockbildung, wie er an den Außenminister von Neurath schrieb, eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik erblickte, die sich gegen England stelle und einen Weltkonflikt geradezu ins Auge fasse. Seine eigene Anschauung charakterisiert demgegenüber am besten der Satz: „Nur durch eine freie, aber geordnete Kooperation natürlich gewachsener Einheiten innerhalb des Erdteils ist eine neue europäische Blüte zu sichern.“ Was er erstrebte, war ein im Geiste „der großen Gemeinsamkeit des Christentums und des Abendlandes“ geordnetes Europa, in dessen Rahmen Deutschland zur vollen Entfaltung der in ihm angelegten Kräfte gelangen könne und, wie er des öfteren betonte, auch die kleineren Nationen den ihnen gemäßen Platz finden sollten. Da er diese Anschauungen auch weiterhin mit der ihm eigenen Unbedingtheit vertrat, wurde er am 4.2.1938, gleichzeitig mit Hitlers damaligem radikalem Eingriff in das hohe Offizierskorps, abberufen und zur Disposition gestellt.

    Wenn er danach zunächst noch mit einer Wiederverwendung rechnete und sich zeit-|weise, ungeachtet aller tief empfundenen Abneigung gegen die Amoralität des herrschenden Systems, auch selber darum bemühte, so tat er es vor allem in der Überzeugung, daß man die geringe Chance eines Widerstandes nur nutzen könne, wenn man selber nicht „draußen“ sei. Vor dem Volksgerichtshof hat er später erklärt, daß er schon vor dem Kriege den Glauben verloren habe, das Reich werde seine geschichtliche Belastungsprobe bestehen, und er konnte und wollte nicht tatenlos zusehn, wie der Wagen in den Abgrund rollte. Vorerst freilich sah er sich beschränkt auf verhüllte Mahnungen und Warnungen, eingeflochten in Vorträge, Aufsätze und größere literarische Arbeiten – damals entstand in Ebenhausen bei München, wohin er sich zurückgezogen hatte, sein Buch „Im Wandel der Außenpolitik“ (1939, ⁴1943), eine Galerie feingezeichneter Bildnisskizzen von führenden Staatsmännern des 19. und 20. Jahrhunderts, dem später noch eine kleinere Studie über Pyrrhus (1947, entstanden 1944) gefolgt ist. Und erst seit 1940 bot sich ihm ein Ansatzpunkt zu aktiverem Wirken durch eine Stelle im Vorstand des „Mitteleuropäischen Wirtschaftstages“, die neben wichtigen Informationen und der Möglichkeit zu Reisen ins Ausland und in die besetzten Gebiete, die sie ihm vermittelte, vor allem durch den mit ihr gegebenen festen Wohnsitz in Berlin wesentlich dazu beitrug, seinen Verkehr mit den Führern der deutschen Widerstandsbewegung, Männern wie Beck, Goerdeler, Popitz, später auch Jessen und andern zu erleichtern und abzudecken.

    Enge Beziehungen zu ihnen unterhielt H. schon seit der Zeit des Kriegsausbruchs, den zu verhüten er noch in letzter Stunde in Gemeinschaft mit dem Staatssekretär von Weizsäcker und dem ihm von Belgrad her befreundeten englischen Botschafter Henderson einen vergeblichen Versuch unternommen hatte. Die Tätigkeit, die er nun im Kreise des Widerstands entfaltete, bewegte sich auf einer doppelten Ebene. Außenpolitisch sah er sein Ziel in der Anbahnung einer Verständigung mit England und den angelsächsischen Mächten überhaupt. Diesem Zweck dienten mehrfache Verhandlungen in der Schweiz mit einem Vertrauensmann von Lord Halifax (1940) und dem früheren Völkerbundskommissar in Danzig, Carl Burckhardt (1941/42), während er in Berlin enge Fühlung mit dem amerikanischen Geschäftsträger A. Kirk unterhielt. Nähere Einblicke in seine Absichten eröffnet ein „Statement“, das er dem erstgenannten Partner übergab. Danach ging es ihm in letzter Instanz auch jetzt – und ebenso weiterhin – um Europa, seine dauernde Befriedung, seine Rettung vor dem Bolschewismus und seinen Wiederaufbau nach bestimmten politisch-moralischen Grundsätzen, während er seine konkreten Forderungen für Deutschland – ursprünglich: Anerkennung der Versailler Grenzregelung im Westen, Wiederherstellung der Reichsgrenze von 1914 gegenüber Polen, Fortdauer des Anschlusses von Österreich und der Sudetenlande, aber Wahrung der Unabhängigkeit von Polen und einer tschechischen Republik – später mit der Verschlechterung der Kriegslage realistisch mäßigte. Zuletzt war er zu einer vollen Kapitulation im Westen bereit, um dafür eine starke Abwehrfront im Osten aufbauen zu können. Ganz ohne Chancen sind diese Fühlungnahmen nicht gewesen, doch gingen die Ereignisse über sie hinweg. Und nur das eine ergab sich mit voller Sicherheit, daß die unabdingbare Voraussetzung jeder Verständigung ein innerdeutscher Systemwechsel sei. Dies entsprach nur H.s eigenen Anschauungen, doch bestand er, wohl auf Grund der Erfahrungen von 1918, mit vollem Nachdruck darauf, daß diese Neuordnung nicht von außen her aufgezwungen sein dürfe, sondern aus eigenem freiem Entschluß der Deutschen erfolgen müsse, ebenso wie er die Bestrafung aller von deutscher Seite verübten Verbrechen einem deutschen Gericht vorbehalten wissen wollte. Deshalb erstreckte sich seine Tätigkeit nun auch auf den innerpolitischen Sektor, und wie nach 1918 zeigte er sich auch jetzt als entschiedener Gegner jeder bloßen Restauration oder gar Reaktion. Ein von ihm schon Anfang 1940 nach Beratung mit Beck, Goerdeler und Popitz entworfenes Programm geht aus von dem Gedanken eines nach politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten unter besonderer Rücksicht auf die historische Überlieferung zu gliedernden Einheitsstaates und betont die Notwendigkeit einer Mitarbeit des Volkes am Staatsleben sowie die Bedeutung einer örtlichen und körperschaftlichen Selbstverwaltung. In wirtschaftlicher Hinsicht sollte der innere Staatsaufbau in einem sozialen, nicht aber sozialistischen Geiste erfolgen; so lehnte er den schon damals auftauchenden Gedanken einer Einheitsgewerkschaft ebenso wie Popitz und Jessen ab. Mit diesen seinen wirtschaftlich-sozialen Anschauungen stand er etwa in der Mitte zwischen Goerdeler und der Gruppe der Jüngeren, vor allem den Kreisauern, und hat zwischen ihnen zu vermitteln versucht, um die nötige Einheit für den Staatsstreich zu sichern.

    Daß ein solcher nur von Führern der Wehrmacht als Trägern wirksamer Gewalt ins Werk gesetzt werden konnte, war H. von|Anfang an klar. Er selber mußte sich deshalb damit begnügen, auch bei ihnen unermüdlich zur Tat zu drängen und daneben Popitz und Goerdeler bei der Ausarbeitung der Entwürfe für die ersten Aufrufe, Erlasse und Gesetzesvorlagen einer neuen Regierung beratend zu unterstützen. Auch galt er als der gegebene kommende Außenminister, wollte aber selber von einer vorherigen Erörterung solcher Kandidatenfragen nichts wissen. Die Durchführung des Staatsstreichs dachte er sich ursprünglich in der Form einer Aufhebung Hitlers durch zuverlässige Truppen und nachfolgende Aburteilung durch ein deutsches Gericht. Doch hat er, als die Unmöglichkeit einer solchen Aktion nicht mehr zu verkennen war, sich auch dem nun allein übrig bleibenden Gedanken eines Attentats nicht versagt. Die letzte Rechtfertigung findet diese seine Haltung in der Tatsache, daß sein Kampf gegen Hitler keineswegs, wie man behauptet hat, rein politisch, sondern im tiefsten Sinne ethisch begründet war. Seine Tagebücher zeigen mit aller Deutlichkeit, daß er sich auch durch Hitlers größte Erfolge über die Verworfenheit seines Systems nicht täuschen ließ und daß er in ihm den Zerstörer aller Werte erblickte. Der Klarheit und Tiefe seiner Gewissensentscheidung aber entspricht es, daß er selber niemals daran gedacht hat, sich der Verantwortung für sein Handeln zu entziehn. Nach dem gescheiterten Versuch Stauffenbergs vom 20.7.1944 blieb er in Berlin und erwartete, am Schreibtisch seines Bureaus, die Verhaftung. Das Todesurteil, das der Volksgerichtshof nach zweitägiger Verhandlung am 8.9. gegen ihn fällte, ist noch am gleichen Tage vollstreckt worden. Augenzeugenberichte und Bildaufnahmen beweisen, daß er in der Haft wie in der Gerichtsverhandlung unbeirrt die aufrechte Haltung bewahrte, die ihn von je als echten Edelmann ausgezeichnet hatte. Seine Tagebücher aus der Kriegszeit, die von seiner Witwe 1946 unter dem Titel „Vom andern Deutschland“ veröffentlicht wurden (englische, französische, italienische, dänische und spanische Übersetzungen) haben weiten Kreisen einen lebendigen und starken Eindruck von seinem Wesen und Wollen vermittelt.

  • Werke

    Weitere W Dtld.s u. Italiens europ. Sendung, 1937;
    Das Drama d. Mittelmeers, 1940;
    Das Ringen um d. Staat d. Zukunft, in: Schweizer. Mhh. 44, 1964/65, S. 314-27.

  • Literatur

    J. D. v. Hassell (S), Verräter? Patrioten!, 1946;
    R. Pechel, Dt. Widerstand, 1947;
    J. L. Bryans, Blind Victory, London - New York - Melbourne 1951;
    J. Wheeler-Bennet, Die Nemesis d. Macht, 1954;
    E. Zeller, Geist d. Freiheit, Der 20. Juli, ³1956;
    Spiegelbild e. Verschwörung, Die Kaltenbrunner-Berr. an Bormann u. Hitler üb. d. Attentat v. 20. Juli, hrsg. v. Archiv Peter, 1961;
    E. Robertson, Zur Wiederbesetzung d. Rheinlandes 1936, in: Vj.hh. f. Zeitgesch. 10, 1962, S. 178-205.

  • Porträts

    in: Gothaisches Genealog. Taschenbuch d. Adel. Häuser, T. B, 1934;
    20. Juli 1944, ⁴1961.

  • Autor/in

    Friedrich Baethgen
  • Zitierweise

    Baethgen, Friedrich, "Hassell, Ulrich von" in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 44-46 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118708988.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA