Lebensdaten
1808 – 1871
Geburtsort
Magdeburg
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Journalist ; Schriftsteller ; Sozialist
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118630652 | OGND | VIAF: 45095616
Namensvarianten
  • Weidling, Wilhelm Christian (eigentlich)
  • Freimann (Pseudonym)
  • Weitling, Wilhelm
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Zitierweise

Weitling, Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630652.html [24.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Unehel. V evtl. Guillaume Terijon (* um 1785), franz. Kpt. d. Art., 1812 in Rußland verschollen;
    M Christiane (* 1784), Dienstmädchen, Köchin in M., T d. Johann Heinrich Weidling, Bürger u. Maurer in Gera (Thür.);
    Manhattan (New York) 1854 Dorothea Caroline Louise (1832–1914), aus Wittenburg (Meckl.), seit 1852 Schneiderin in Manhattan (New York), T d. Christian Friedrich Tödt (Toedt) (* 1800), aus Oldesloe, u. d. Henriette Krause, aus Wittenburg;
    5 S Wan-gan-schi (William) (* 1855, Louise Kaufmann-Beer, * 1856, aus Hoboken, New Jersey), Vizepräs. d. American Hard Rubber Company in N. Y., d. College Point Savings Bank u. d. Conrad Poppenhusen Ass., Gracchus Babeuf Robert (Bob) (1858–1901), Edward Tycho Brahe (1862–92), Charles Frederick (* 1864, Alice May Goulding, * 1869, aus N. Y.), Angest. d. Long Island Railway Company, Terijon (1866–1953), Kaufm., Manager d. South American Export Department v. Crossman & Sielcken, 1 T Caroline Johanna (* 1868) Lehrerin in N. Y.;
    E Irma Louise (* 1892, Martin Fenneberg, * 1889).

  • Biographie

    W. erhielt durch seine Großmutter eine intensive religiöse Erziehung, die sein politisches Engagement lebenslang prägte. Trotz großer Armut ermöglichte die Mutter W. den Besuch der Bürgerschule in Magdeburg. Anschließend erlernte er hier seit 1822 den Beruf des Damenschneiders. 1826 trat W. – auch um dem Militärdienst zu entgehen – seine Gesellenwanderung an und lebte in Leipzig, Dresden sowie 1831–35 in Wien. Aus seiner Leipziger Zeit im Revolutionsjahr 1830 sind erste satirische Verse und radikale Artikel überliefert. Wegen einer Liebesaffäre flüchtete er 1835 nach Paris, in das Zentrum politischer Emigration aus den dt. Staaten und Sammelplatz prekarisierter Handwerker. Hier entwickelte sich W. zum „Kommunisten“ und Befürworter des Klassenkampfs.

    1836 schloß W. sich dem „Bund der Geächteten“ an, gründete aber bald mit anderen proletarischen Mitgliedern den „Bund der Gerechten“, dessen Grundsatzprogramm W. mit Bezug u. a. auf Ideen Paul-Henri Thiry d’Holbachs, François Noël Babeufs und Félicité Robert de Lamennais anonym veröffentlichte (Die Menschheit, wie sie ist u. wie sie sein sollte, 1838, ²1845). Hierin entwarf er ein Gesellschaftsmodell, das auf einem ständischen Rätesystem mit Arbeitszwang v. a. für junge Leute zur Bewältigung von Gemeinschaftsaufgaben basierte und Chancengleichheit im Bildungssystem, Gleichberechtigung der Frauen, Gemeineigentum und „Gütergemeinschaft“ in egalitären Wohnblocks garantieren sollte. Wie zehn Jahre später das „Kommunistische Manifest“, bestimmte auch W.s Programm das Proletariat als revolutionäres Subjekt. Als wichtigster Agitator des „Bundes der Gerechten“ wurde W. zur einflußreichen Gestalt in der Arbeiterbewegung. Als die franz. Behörden den Bund 1841 verboten, ging er in die Schweiz und gründete und redigierte die erste dt.sprachige Zeitschrift, die sich an Arbeiter wandte. „Der Hülferuf der deutschen Jugend“ (1842 / 43 u. d. T. „Die junge Generation“) diente dem Kampf gegen politische Resignation und Untertanengeist sowie gegen den in der „Rheinkrise“ erstarkten Nationalismus. Neben seiner publizistischen Tätigkeit versuchte W., durch Selbsthilfeprojekte die Vorzüge einer kommunistischen Wirtschafts- und Lebensweise zu vermitteln, z. B. durch „Speise-Assoziationen“, die preiswerte Mahlzeiten anboten.

    1842 publizierte W. sein Hauptwerk „Garantien der Harmonie und Freiheit“ (³1848, engl. 1879), in dem er auf der Basis breiter Lektüre der engl. und franz. Frühsozialisten sowie unter Einbeziehung neuester Texte v. a. von Pierre-Joseph Proudhon und Étienne Cabet seinen Kommunismus „wissenschaftlich“ begründete. In Anlehnung an Charles Fourier sah er in der Entwicklung der menschlichen „Begierden“ nach Erwerb, Genuß und Wissen den Motor gesellschaftlichen und technischen Fortschritts. Dabei glaubte er nicht an demokratische Verfahren, sondern versuchte, Normen zur gerechten Verteilung von Arbeit und Genüssen durch philosophische Fachrichtungen (phil. Heilkde., phil. Physik) zu bestimmen. Entsprechend setzte er auf Erziehungsdiktatur und Tugendterror zur Durchsetzung des Kommunismus.

    W.s Versuch, sein „Evangelium des armen Sünders“ (1845, ⁴1854), eine revolutionäre, freiheitlich-hedonistische Neufassung der christlichen Lehre, wie er sie verstand, 1843 in Zürich zu veröffentlichen, brachte ihm eine Anklage wegen Gotteslästerung, eine zehnmonatige Haftstrafe sowie die anschließende Deportation nach Preußen ein, von wo aus er bald nach Hamburg abgeschoben wurde. In den folgenden Jahren arbeitete er in Brüssel und London an der Entwicklung einer Universalsprache, da Nationalsprachen im „Zeitalter der Eisenbahn“ seiner Auffassung nach obsolet geworden seien.

    Die politische Verfolgung brach W.s Enthusiasmus; außerdem entwickelte sich die kommunistische Bewegung weg von W.s putschistisch-geheimbündlerischen Vorstellungen hin zu öffentlicher Agitation. Im „Bund der Gerechten“ verschob sich der Schwerpunkt der kommunistischen Debatte unter dem Einfluß von Karl Marx (1818–83) und Friedrich Engels (1820–95) auf ökonomische Analysen.

    W.s Ideen gerieten als „utopisch“ in Verruf. Im Frühjahr 1846 kam es zum offenen Bruch.

    W. ging nach New York, um die kommunistische Zeitung „Volkstribun“ zu leiten, die jedoch vor seinem Eintreffen eingestellt wurde. Er gründete den geheimen „Befreiungsbund“, für den er Pamphlete schrieb und in dessen Auftrag er 1848 nach Paris und Berlin reiste, um Nachrichten über die Revolutionen zu sammeln. W. warb, u. a. mit der Berliner Wochenzeitung „Der Urwähler“, erfolglos für| eine stärkere Berücksichtigung der sozialen Frage, wurde im Nov. 1848 von Preußen erneut nach Hamburg ausgewiesen, gründete Ortsvereine des Befreiungsbunds und publizierte eine erweiterte dritte Auflage seiner „Garantien“. Nach der Besetzung Hamburgs durch preuß. Militär und dem Verbot des Bunds 1849 floh W. über London nach New York, wo er mit der Zeitung „Die Republik der Arbeiter“ und einem „Arbeiterbund“ seine Agitation fortsetzte. Nach anfänglichen Erfolgen scheiterte W. mit seinen Projekten (Tauschbanken u. Kolonie „Communia“ in Iowa). 1855 mußte er auch seine Zeitung einstellen.

    1854–62 arbeitete W. als Registrator in der Einwanderungsbehörde, dann wieder als Schneider. Daneben widmete er sich verschiedenen Projekten, u. a. astronomischen Forschungen und Erfindungen. Er meldete sechs Patente an, darunter seine lukrativste Erfindung, eine Knopflochnähmaschine, die von der Firma Singer illegal nachgebaut wurde. Zunehmend verbittert, vernichtete W. 1870 seine Manuskripte und Briefe. Er starb 1871 kurz nach der Teilnahme an einem Verbrüderungsfest der Ersten Internationale. Bei einer Gedenkfeier 1876 würdigte ihn Engels als „treuen Vorkämpfer“ der „communistischen Idee in Deutschland“.

    W. thematisierte den Widerspruch zwischen liberalen Idealen und der Wirklichkeit der liberalen Gesellschaft. Er versuchte, den vierten Stand zur Selbsthilfe und politischen Selbstermächtigung anzuleiten. Als Theoretiker des Frühsozialismus und früher Organisator der dt. und internationalen Arbeiterbewegung hat er bleibende Bedeutung, auch wenn ihn Marx und Engels wegen seiner christlichen Fundierung des Sozialismus ausgrenzten. W.s Abwertung durch die beiden Schulhäupter hat sein Bild in der Geschichte der Arbeiterbewegung bis heute geprägt. Neuere Forschungen ermöglichen inzwischen eine unvoreingenommene Würdigung und zeigen, daß W. bereits Ludwig Feuerbachs (1804–72) anthropologische Fundierung überwunden und einen historischen Materialismus begründet hatte. Darüber thematisieren W.s Texte und Agitation viele Aspekte, die Marx und Engels ausblendeten: Familie, Frauenemanzipation, Erziehung und ein Recht auf Bildung, das W. bereits 1838 forderte.

  • Auszeichnungen

    |W.weg, Zürich-Wollishofen;
    Liste d. Gedenkorte in: Seidel-Höppner, 2014 (s. L), S. 1840.

  • Werke

    |Zwölf Lieder, in: Volks-Klänge, Eine Slg. patriot. Lieder, 1841, Nachdr. in: W. Schieder, W. W. u. d. pol. Handwerkerlyrik im Vormärz, in: Internat. Review of Social Hist. Nr. 5, 1960, S. 265–90;
    Kerkerpoesien, Gedichte, 1844;
    Ein Nothruf an d. Männer d. Arb., 1847;
    Der Katechismus d. Arbeiter, 1854;
    Der Bewegende Urstoff in Seinen Kosmo-Electro-Magnet. Wirkungen, Ein Bild d. Weltalls, 1856, Nachdr. 1931;
    Gerechtigkeit, Ein Studium in 500 Tagen, Bilder d. Wirklichkeit u. Betrachtungen der Gefangenen, hg. v. E. Barnikol, 1929;
    Theorie d. Weltsystems, hg. v. dems., 1931;
    Klassifikation d. Universums, Eine frühsozialist. Weltanschauung, nebst Anh.: W.s „Adreßbuch“ u. Hamburger Verslg.reden 1848–49, hg. v. dems., 1931;
    Grundzüge e. allg. Denk- u. Sprachlehre, hg. v. L. Knatz, 1991;
    Bibliogr. u. Verz. d. Briefe u. Archivalien: Seidel-Höppner, 2014 (s. L);
    Nachlaß: W. Papers, New York Public Library (Verz. v. L. Knatz u. A. Masirske, in: Internat. Review of Social Hist. 29, 1984).

  • Literatur

    |ADB 41;
    J. C. Bluntschli, Die Kommunisten in d. Schweiz n. d. b. W. vorgefundenen Papieren, Kommissionalber., 1843;
    F. W. Hoffmann, Gesch. d. Stadt Magdeburg, Bd. 3, 1845, S. 502;
    F. Mehring, Einl. zu: W. W., Garantien d. Harmonie u. Freiheit, 1908, S. V–LII;
    M. Vuilleumier, W., les communistes allemands et leurs adeptes en Suisse, in: Revue eruopéenne des sciences sociales 11, 1973, Nr. 29, S. 37–100;
    W. v. Moritz, W. W., Rel. Problematik u. lit. Form, 1981;
    L. Knatz, Utopie u. Wiss. im frühen dt. Sozialismus, Theoriebildung u. Wiss.begriff b. W. W., 1984;
    ders. u. H.-A. Marsiske, W. W., Ein dt. Arbeiterkommunist, 1989 (P);
    J. Haefelin, W. W., Biogr. u. Theorie, Der Zürcher Kommunistenprozeß 1843, 1986;
    W. Seidel-Höppner, W. W., Eine pol. Biogr., 2 Bde., 2014 (W, L);
    dies., in: Metzler Lex. sozialist. Lit. (P);
    Mitteldt. Lb. II, 1927, S. 267–90 (P);
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    BBKL 13 (W, L);
    Who is who d. Soz. Arb.;
    Biogr. Hdwb. Erwachsenenbildung;
    Demokrat. Wege (P);
    Biogr. Lex. Arbeiterbewegung;
    Biogr. Lex. Sozialismus (P Tafel 45);
    Reinalter II / 2;
    Hamburg. Biogr. I (P);
    zur Fam.: C. W. Schlegel, German-American Families in the United States, 1916–18.

  • Autor/in

    Christian Jansen
  • Zitierweise

    Jansen, Christian, "Weitling, Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 707-709 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630652.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Weitling: Wilhelm W. (richtiger eigentlich Wilhelm Christian Weidling), geboren in Magdeburg am 5. October 1808 als uneheliches Kind einer Arbeiterin, wurde als ein Mann von gefälligem Aeußern, schlanker Gestalt und freier Stirn geschildert. Er erlernte in seinem Geburtsorte das Schneiderhandwerk und begab sich dann auf die Wanderschaft, wobei er in Leipzig, Wien, Paris und anderen Orten gewesen sein soll. Während seines Pariser Aufenthalts (September 1837 bis Mai 1841) wurde er mit den Lehren der Communisten und Socialisten, insbesondere von Fourier, Owen und Cabet, sowie mit den Bestrebungen der wiedererwachten Babeuf’schen Bewegung näher bekannt. Er trat dann in den „Bund der Gerechten“ ein, welcher sich von dem in Paris durch deutsche Emigranten gegründeten Bund der Geächteten abgezweigt hatte, weil letzterer in der Hauptsache lediglich republikanische Propaganda in Verschwörerform mit hierarchischer Leitung betrieb, während der Bund der Gerechten mehr communistischen Tendenzen huldigte und eine demokratische Organisation annahm. Im J. 1838 veröffentlichte W. seine erste Schrift „Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte“. 1841 ging er nach der Schweiz, wo er sich an verschiedenen Orten (Genf, Vevey, Langenthal im Kanton Bern, zuletzt 1843 in Zürich) aufhielt. Während dieser Zeit widmete er sich eifrig der communistischen Propaganda, gab Zeitschriften und sein Hauptwerk „Garantien der Harmonie und Freiheit“ heraus, gründete Speiseanstalten mit communistischen Tendenzen, bis er, im Begriffe, seine dritte Hauptschrift „Das Evangelium der armen Sünder“ zu veröffentlichen, wegen des blasphemischen Programms dieses Buches verhaftet, zu sechs Monaten Gefängniß verurtheilt und nach Abbüßung der Strafe an Preußen ausgeliefert wurde. Dort ließ man ihn jedoch nach Hamburg ziehen, von wo er sich nach kurzem Aufenthalte in London, Trier und Brüssel 1847 nach New-York wandte. Die Ereignisse des Jahres 1848 führten ihn wieder nach Europa zurück. Nachdem er sich ohne wesentlichen Erfolg in Berlin mit publicistischer Thätigkeit befaßt hatte, ging er 1849 wieder nach Amerika. Dort setzte er anfänglich die communistische Propaganda fort, später wendete er sich jedoch technischen und astronomischen Studien zu, und starb abseits zu New-York am 22. Januar 1871.

    Die Bedeutung Weitling's liegt vor allem darin, daß er der erste deutsche|Theoretiker des Communismus ist. Seine Schriften stehen allerdings noch unter dem Eindrucke der französischen Socialisten und Communisten, tragen aber deutliche Zeichen selbständiger Denkungsart. Wenn auch schon im communistischen Manifest von Marx und Engels (Januar 1848) der Kern der den heutigen Socialismus beherrschenden materialistischen Geschichtsauffassung enthalten war, so sind doch die grundlegenden Schriften des deutschen Socialismus erst nach W. erschienen, so daß dieselben auf ihn keinen Einfluß üben konnten. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet gewinnen seine Werke, insbesondere die „Garantien der Harmonie und Freiheit“, erhöhte Bedeutung in Litteratur und Wissenschaft. Schon W. erkannte, daß es kein absolutes Staatsideal gibt und daß die Organisation der Gesellschaft von dem Entwicklungszustande derselben abhängig ist. Eigenthum, Krieg, Sklaverei, Handel, Geld u. s. f. werden von ihm als geschichtliche Producte dargestellt. Er will (in offenbarer Anlehnung an Fourier) die Organisation der Gesellschaft den Fähigkeiten und Trieben der Menschen anpassen. Eine detaillirt beschriebene Verwaltung soll den wissenschaftlich und technisch höchststehenden Personen die Leitung von Production und Consumtion einräumen, der Zugang zu den führenden Stellungen soll durch Preisarbeiten erlangt werden. Die Grundlage seines Systems ist wol die ökonomische Gleichheit bei Abwechslung in der Arbeit, doch würde Jedem die Möglichkeit geboten, sich durch Leistung von „Commerzstunden“ reicheren Genuß zu verschaffen; also Arbeitspflicht mit gleichmäßigem Minimalerwerb. Die Durchsetzung seiner Ideen erwartet W. von der Aufklärung, der socialen Revolution und nöthigenfalls von der socialen Anarchie. Wenn kein anderer Weg mehr möglich sei, müsse der Diebstahl gepredigt und die gegenwärtige Gesellschaftsordnung dadurch thatsächlich unmöglich gemacht werden. Diese Verirrung entzweite W. vielfach mit seinen Gesinnungsgenossen; der Gedanke, das stehlende Proletariat aufzurufen, discreditirte seine Lehren, die im übrigen von glühender Begeisterung für die Wissenschaft erfüllt sind und vielfach religiöse Neigungen erkennen lassen. Der Widerspruch zwischen seinen Grundanschauungen und diesem verzweifelten Mittel lähmte Weitling's Thätigkeit und kann sicher als die Hauptursache dafür betrachtet werden, daß W. bald in den Hintergrund trat; allerdings wären seine utopischen Constructionen unter dem Einfluffe der Marxistischen Lehren später ohnehin bald verschwunden.

    Weitling's Werke: „Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte" (1838, 1845, ins Ungarische übersetzt); „Garantieen der Harmonie und Freiheit" (1842, 1845, 1849); „Das Evangelium der armen Sünder", auch unter dem Titel: „Das Evangelium eines armen Sünders" (1844, 1846, beide Werke ins Französische, Englische und Norwegische übersetzt); „Ein Nothruf an die Männer der Arbeit und der Sorge, Brief an die Landsleute" (1847); außerdem ein Heft „Kerkerpoesien“ (1844) und Zeitschriften: „Hilferuf der deutschen Jugend“ (Genf 1841); „Die junge Generation“ (Vevey 1841); „Der Urwähler“ (Berlin 1849).

    • Literatur

      Emil Kaler, Wilhelm Weitling (Zürich 1887). — Georg Adler. Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland (Breslau 1885). —
      (Bluntschli), Kommissionsbericht über die Kommunisten in der Schweiz nach den bei Weitling vorgefundenen Papieren (Zürich 1843). — Wermuth und Stieber, Die Kommunisten-Verschwörungen des 19. Jahrhunderts (Berlin 1853).

  • Autor/in

    Otto Wittelshöfer.
  • Zitierweise

    Wittelshöfer, Otto, "Weitling, Wilhelm" in: Allgemeine Deutsche Biographie 41 (1896), S. 624-625 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630652.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA