Lebensdaten
1865 – 1923
Geburtsort
Haunstetten bei Augsburg
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
evangelischer Theologe ; Kulturphilosoph ; Politiker
Konfession
evangelisch?
Normdaten
GND: 118624024 | OGND | VIAF: 71404752
Namensvarianten
  • Troeltsch, Ernst Peter Wilhelm
  • Spectator (Pseudonym)
  • Troeltsch, Ernst
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Zitierweise

Troeltsch, Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118624024.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Ernst (1832–1917), prakt. Arzt u. städt. Armenarzt in A., 1893 bayer. HR, S d. Christoph Ludwig (1792–1840), Kaufm., Teilh. e. Kolonialwarengeschäfts in A., u. d. Wilhelmine Sophie Barthel (1794–1865);
    M Eugenie (1841–1914), T d. Peter Köppel (1814–81), Arzt in Nürnberg, u. d. Mathilde Schleußner (1818–65);
    1 B Rudolf (1870–1950), Jur., 1932– 35 Gen.staatsanwalt b. Oberlandesger. Zweibrücken, 4 jüngere Schw; Toitenwinkel b. Rostock 1901 Marta (1874–1947, 2] Hermann Dietrich, 1879–1954, Pol., Reichsmin., Vizekanzler, s. NDB III), T d. Ernst Gustav Georg Julius Fick (1848–1901), Hptm., Gutspächter in Toitenwinkel, u. d. Anna Caroline Friederike Rose (1852–1904);
    1 S Eberhard (1913–56, Margherita [Rita] Vittoria Pia Tommaselli), Autorennfahrer, Verl.

  • Biographie

    Der vielfältig begabte und gleichermaßen vom humanistischen Bildungsideal der Epoche wie von der sozialkaritativ orientierten Frömmigkeitskultur des Elternhauses geprägte T. besuchte bis zur Reifeprüfung 1883 das entschieden prot. Gymnasium beiSt. Anna in Augsburg. Seit 1884 studierte er ev. Theologie in Erlangen, seit 1885 in Berlin und seit 1886 in Göttingen (1. kirchl. Examen Ansbach 1888). Der Spätidealist Gustav Claß (1836–1908) und – kritisch rezipiert – Albrecht Ritschl (1822–89) wurden zu wichtigen Lehrern. Noch größere Bedeutung für T. besaßen in Göttingen wirkende Vertreter der „Religionsgeschichtlichen Schule“. In diesem Freundeskreis, der „kleinen Göttinger Fakultät“, zu dem u. a. Wilhelm Bousset (1865–1920), Hermann Gunkel (1862–1932), Johannes Weiß (1863–1914) und William Wrede (1859–1906) zählten, profilierte sich T. als „Systematiker“. 1891 mit einer Arbeit über „Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon“ in Göttingen zum Lic. theol. promoviert und dort noch im selben Jahr für Kirchen- und Dogmengeschichte habilitiert, lehrte T. seit dem Sommersemester 1892 als ao. Professor für Systematische Theologie an der Univ. Bonn. 1894 wechselte er als Ordinarius für Systematische Theologie nach Heidelberg, wo er fern fachgebundener Enge v. a. im Austausch mit seinem „Fachmenschenfreund“ Max Weber (1864–1920) sein Programm einer Theologie als historisch-ethischer Kulturwissenschaft des Christentums produktiv entfaltete. Fundamentaltheologische wie kultur- und ideengeschichtlich orientierte Studien (Die Absolutheit d. Christentums u. d. Rel.gesch., 1902; Die Bedeutung d. Christentums f. d. Entstehung d. modernen Welt, 1906; Prot. Christentum u. Kirche in d. Neuzeit, 2 Bde., 1906/09; Die Soziallehren d. christl. Kirchen u. Gruppen, 1912) erzielten starke, immer auch kontroverse Resonanz weit über akademische Spezialdiskurse hinaus und ließen T. zu einem Klassiker der historischen Religionssoziologie avancieren.

    In der Bad. Generalsynode, in Landes- wie Lokalpolitik engagiert (Heidelberger Stadtverordneter 1912–15), 1906 zum Prorektor der Univ. Heidelberg gewählt und seit 1909 deren Vertreter in der 1. Bad. Kammer, gewann T. zunehmend (kirchen-)politisches Profil als Protagonist bürgerlich-liberaler Reformorientierung mit guten Kontakten zum bad. Herrscherhaus. 1915 übernahm T. den eigens für ihn in der phil. Fakultät der Univ. Berlin errichteten Lehrstuhl für „Religions-, Sozial- und Geschichts-Philosophie und christliche Religionsgeschichte“. Zugleich erweiterte sich sein öffentlicher Wirkungskreis. Als Redner und Publizist, Mitglied gelehrtenpolitisch aktiver Professorenzirkel wie auch der „Deutschen Gesellschaft 1914“ machte sich T. dieoffiziöse Deutung des Kriegs als eines Deutschland aufgezwungenen „Kulturkriegs“ um konkurrierende Ideen von Freiheit und politischer Ordnung zu eigen. Unter dem Eindruck verschärfter Konflikte um Annexionsprogramme und innenpolitischen Reformzwang fand er später zu prononciert antialldt. Positionen. Für Verständigungsfrieden, Parlamentarisierung und Wahlrechtsreform kämpfte T., der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg beratend unterstützt hatte, seit Ende 1917 auch als Mitbegründer des „Volksbunds für Freiheit und Vaterland“, in dem bürgerlich-liberale Kräfte den Schulterschluß mit Sozialdemokratie und Gewerkschaften probten. Friedrich Naumanns (1860–1919) DDP stellte er sich 1919 als Spitzenkandidat für die Verfassunggebende Preuß. Landesversammlung zur Verfügung und gestaltete als Abgeordneter und Parlamentarischer Unterstaatssekretär im Preuß. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (März 1919–Juni 1920) die „hinkende Trennung“ von Staat und Kirchen mit. Als Publizist erwarb sich T. seit 1918, zunächst unter Pseudonym, den Rang des führenden linksbürgerlichen Zeitdiagnostikers, der die vielfältigen Gefährdungen der jungen dt. Demokratie differenziert und illusionslos analysierte.

    T.s theologisch-philosophisches Œuvre weist in aller Vielgestaltigkeit eine ungewöhnliche Problemkontinuität auf. Angesichts der historistischen Einsicht in die Relativität geschichtlicher Wirklichkeit suchte T. neue normative Verbindlichkeit in tradierten Kulturbeständen zu erschließen. Ob geschichtsphilosophisch fundierte Gegenwartsdeutung, theoriegeleitete Suche nach einer modernitätskompatiblen Gestalt christlicher Theologie oder weit ausgreifende, problemgeschichtlich wie methodologisch ambitionierte Studien zur Genesis der modernen Ideenwelt, immer stand sein wissenschaftliches wie publizistisches Werk im Dienst praktischer Wirkungsabsicht um ethisch verantworteter konstruktiver Zukunftsgestaltung willen. Die Themen verbindet die Frage nach dem Schicksal freier Persönlichkeit in modernen kapitalistisch geprägten Gesellschaften. In seinem letzten, Fragment gebliebenen Hauptwerk „Der Historismus und seine Probleme“ (1922) entwickelte T. vor geschichtstheoretischem Horizont und in Auseinandersetzung mit wissenschaftskritischen Positionen der jüngeren Generation die Vision einer konsensfähigen „Kultursynthese des Europäismus“, die im geplanten 2. Teil des Werks detaillierter dargestellt werden sollte.

    Nach T.s Tod geriet das Werk dieses bis heute wirkmächtigsten theol. Krisendiagnostikers des wilhelminischen Deutschlands in den Schatten antiliberaler Strömungen und erhielt nur wenig Beachtung. Wegen seines pluralismusfreundlichen Konzepts einer „Polymorphie der Wahrheit“ findet es aber seit den 1970er Jahren neue Aufmerksamkeit. T.s Fragen nach Identität und Geltung des Christentums, den religiös-kulturellen Formationskräften Europas und einer demokratiekompatiblen Ethik markieren am Beginn des 21. Jh. Problemfelder von bedrängender Gegenwartsrelevanz.

  • Auszeichnungen

    A Dr. theol. h. c. (Göttingen 1897, Oslo 1921);
    Dr. phil. h. c. (Greifswald 1903);
    Dr. iur. h. c. (Breslau 1911);
    Gründungsmitgl. d. Dt. Ges. f. Soziol. (1910);
    Mitgl. d. Heidelberger Ak. d. Wiss. (ausw. 1915), d. Preuß. Ak. d Wiss. (korr. 1912, o. 1923) u. d. Bayer. Ak. d. Wiss. (korr. 1914);
    E.-T.-Ges. (seit 1981);
    E.T.-Forsch.stelle, Univ. München (seit 1999).

    W-Ausgg.: Ges. Schrr., 4 Bde., 1912–25, Nachdr. 1977;
    Krit. Gesamtausg., hg. v. F. W. Graf u. a., seit 1998, 24 Bde., bislang 14 publ. (P);
    Bibliogr.: F. W. Graf u. H. Ruddies, E. T. Bibliogr., 1982;
    Aktualisierungen in d. Mitt. d. E.-T.-Ges.

  • Literatur

    L H.-W. Köhler, E. T., 1941;
    K.-E. Apfelbacher, Frömmigkeit u. Wiss., E. T. u. sein theol. Programm, 1978;
    H.-G. Drescher, E. T., Leben u. Werk, 1991;
    A. L. Molendijk, Zw. Theol. u. Soziol., E. T.s Typen d. christl. Gemeinschaftsbildung, Kirche, Sekte, Mystik, 1996;
    F. Voigt, „Die Tragödie d. Reiches Gottes“? E. T. als Leser Georg Simmels, 1998;
    F. W. Graf (Hg.), E. T. in Nachrufen, 2002;
    G. Hübinger, E. T., Die Bedeutung d. Kulturgesch. f. d. Pol. d. modernen Ges., in: GG 30, 2004, S. 189–218;
    F. W. Graf, Fachmenschenfreundschaft, Stud. zu Weber u. T., 2014 (P);
    M. Vasold, in: Lb. Baden-Württ. 21, 2005, S. 384–412 (P);
    H. Hesse, Personenlex. d. Wirtsch.gesch., ²2009;
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    BBKL XII (W, L);
    LThK³;
    RGG⁴ ;
    TRE;
    Personenlex. Protestantismus;
    Mitt. d. E.-T.-Ges., seit 1981;
    T.-Stud., hg. v. F. W. Graf u. H. Renz, 12 Bde., 1981–2002; T.-Stud. NF, hg. v. F. W. Graf u. a., seit 2005.

  • Porträts

    P Gem. v. R. E. Stumpf (Univ. Heidelberg, Dekanat d. Theol. Fak.).

  • Autor/in

    Friedrich Wilhelm Graf
  • Zitierweise

    Graf, Friedrich Wilhelm, "Troeltsch, Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 433-434 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118624024.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA