Lebensdaten
1873 – 1951
Geburtsort
Styrum bei Mülheim/Ruhr
Sterbeort
Martinez bei Buenos Aires (Argentinien)
Beruf/Funktion
Industrieller
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118622498 | OGND | VIAF: 805136
Namensvarianten
  • Thyssen, Friedrich
  • Thyssen, Fritz
  • Thyssen, Friedrich

Orte

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Zitierweise

Thyssen, Fritz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118622498.html [23.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V August (s. 1);
    M Hedwig Pelzer;
    Düsseldorf 1900 Amélie Zurhelle (s. 3);
    1 T Anita (1909–90, Gábor Ödön Gf. Zichy zu Zich u. Vásonkeö, 1910–74), Untern. (s. Munzinger);
    E Friedrich August (Federico) Gf. Zichy zu Zich u. Vásonkeö (1937–2014), Landwirt, Industr., Gabriel Claudius (Claudio) Gf. Zichy zu Zich u. Vásonkeö (* 1942), Dipl.-Volkswirt, Industr.;
    Ur-Gvv d. Schwieger-S Edmund Gf. Zichy zu Zich u. Vásonkeö (1881–94), Kulturförderer, Kunstmäzen (s. ADB 45).

  • Biographie

    T. besuchte das städtische Gymnasium in Mülheim und das Düsseldorfer Hohenzollern-Gymnasium. Nach Abitur 1892 und einjährigem Praktikum 1892/93 im väterlichen Unternehmen „Thyssen & Co.“ studierte er in London, Lüttich und an der TH (Berlin-)Charlottenburg Maschinenbau bzw. Bergbau/Eisenhüttenkunde. Nach dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger 1895/96 übertrug ihm der Vater, mißtrauisch gegenüber dem Urteilsvermögen des Sohnes, erste Führungsaufgaben, zunächst formell, später eigenständig, doch eingeschränkt, u. a. seit 1897 als Grubenvorstand, seit 1915 als stellv. Vorsitzender der „Gewerkschaft Deutscher Kaiser“ (GDK). Gegen den Willen seines Vaters heiratete er Amélie Zurhelle (s. 3). T. war u. a. 1900–02 Vorstand, 1902–16 Aufsichtsratsmitglied der „Saar- und Mosel-Bergwerks-Gesellschaft“, 1901–07 Aufsichtsratsmitglied der „AG Schalker Gruben- und Hütten-Verein“, 1907–09 der „Gelsenkirchener BergwerksAG“. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst (Lt. an d. Westfront), 1916 wurde er für die Unternehmensführung unabkömmlich gestellt (1917 Rittmeister d. Reserve). Geprägt von monarchisch-ständestaatlichen Vorstellungen, Skepsis gegenüber der Parteiendemokratie und – er war 1918 von den Arbeiter- und Soldatenräten kurzzeitig festgenommen und wegen Konspiration angeklagt worden – aus Furcht vor einer sozialistischen Machtübernahme trat T. 1918 der DNVP bei. Er nahm als Wirtschaftsberater an den Verhandlungen in Versailles teil, verurteilte die Bestimmungen des Friedensvertrags und war während der Ruhrbesetzung 1923 als Sprecher der Zecheneigner prominenter Exponent des passiven Widerstands. Am 20. 1. 1923 wurde er wegen Verweigerung von Kohlelieferungen verhaftet und kurz darauf in Mainz von einem franz. Militärgericht zu einer Geldstrafe verurteilt, was ihm nationalen Nimbus verlieh.

    T. gehörte dem Aufsichtsrat zahlreicher weiterer Unternehmen und dem Vorstand mehrerer Verbände an; u. a. war er 1924 Vorsitzender der Dt. und 1928 der Internationalen Rohstahlgemeinschaft. Unternehmerisch suchte er nach Wegen der Verständigung und Kooperation mit dem Ausland, v. a. mit der franz. Wirtschaft. Er war 1923 Unterhändler bei den Verhandlungen der Ruhrindustrie mit der franz.-belg. Kontrollkommission im besetzten Ruhrgebiet (Mission Interalliée de Controle des Usines et des Mines, MICUM) und an den Bemühungen beteiligt, die Kooperation mit der lothring. Stahlindustrie wiederzubeleben.

    T.s unternehmerische Situation war mißlich, da sein Vater den lebenslangen Nießbrauch über das bei der Scheidung der Eltern 1885 den vier Geschwistern überschriebene Erbe besaß, seinen Machtanspruch betonte, sich auch nach der Übertragung wichtiger Unternehmensteile an T. und seinen Bruder Heinrich 1919/21 die Generalvertretungsvollmacht vorbehielt und T.s unternehmerische Tätigkeit mit Skepsis betrachtete. Nach dem Tod des Vaters brachte T. 1926 den schwerindustriellen Besitz der Familie in die neugegründete „Vereinigte Stahlwerke AG“ (VSt) ein – was bereits sein Vater eingeleitet hatte – und war bis 1939 Aufsichtsratsvorsitzender dieses größten Montankonzerns in Europa. Unternehmerisch suchte T. den Erfolg durch Kooperation und Konzentration sowie betriebliche Modernisierung und Rationalisierung, geprägt u. a. durch Studienreisen seit 1901 in die USA, nach Rußland und Indien.

    Seit 1923 unterstützte T. Göring und die NSDAP finanziell, insgesamt mit einigen 100 000 Mark, in der Hoffnung auf Abwehr kommunistischer Aktivitäten und Bekämpfung des Young-Plans. Er vermittelte Hitler Kontakt zur Schwerindustrie und unterzeichnete 1932 als einziger führender Schwerindustrieller die Eingabe an Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Am 1. 5. 1933 trat er der NSDAP bei und wurde im selben Jahr Mitglied des Preuß. Staatsrats, des Reichstags, des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik im Reichsministerium des Inneren, der Akademie für Dt. Recht sowie des Generalrats der Wirtschaft. In seinen wichtigen Verbandsfunktionen warb er für die NSDAP, bei der er Unterstützung für seine Ziele zu finden glaubte, u. a. der Wirtschaft mehr Einfluß zu verschaffen und die unternehmerischen Handlungsspielräume zu erweitern. Im Mai/Juni 1933 gründete er in Düsseldorf mit Vertretern der NSDAP und der Schwerindustrie ein Institut für Ständewesen zur Ausbildung von Führungskräften, das jedoch bald von Robert Ley und der „Dt. Arbeitsfront“ bekämpft und 1936 geschlossen wurde. T. unterstützte die ständestaatlichen Ideen und die früheren Mitarbeiter des Instituts weiterhin. Er stieß auf wachsende Ablehnung bei der NS-Führung. Nach dem „Röhm-Putsch“ zog er sich von einigen Ämtern zurück, z. B. legte er 1935 den Vorsitz im „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“ (Langnam-Verein) nieder, offenbar auch aus Enttäuschung über mangelnde Unterstützung seiner politischen Vorstellungen. Der kath. Kirche schon immer eng verbunden, unterstützte er zunehmend ostentativ kath. Einrichtungen, u. a. die Benediktinerabtei Maria Laach, und setzte sich z. B. für den ins KZ verschleppten früheren preuß. Wohlfahrtsminister Heinrich Hirtsiefer (1876–1941) (Zentrum) ein. Er verurteilte die Verfolgung der Juden sowie die Kriegsvorbereitungen. Hinzu trat seine Kritik an der Autarkiepolitik und der damit verbundenen wirtschaftlichen Abschottung Deutschlands. Nach der „Reichspogromnacht“ 1938 brach T. offen mit dem Regime und erklärte seinen Rücktritt aus dem Preuß. Staatsrat, was Göring aber nicht akzeptierte.

    Am 2. 9. 1939 flüchtete T., nachdem er in einem Telegramm an Göring gegen den Krieg Position bezogen hatte, aus Furcht vor Verfolgung mit seiner Frau in die Schweiz und griff von dort Hitler und die NS-Kriegspolitik in Briefen an. Der NS-Staat reagierte mit der Beschlagnahme von T.s Vermögen, Ausschluß aus Partei und Fraktion, Aberkennung der Staatsbürgerschaft („Landesverräter“) sowie steckbrieflicher Fahndung wegen Betrugs und Devisenvergehen. 1940 wurde das Ehepaar T. in Cannes (Vichy-Frankreich) bei dem Versuch, nach Argentinien zu emigrieren, verhaftet, nach Deutschland verbracht, in eine Heilanstalt eingewiesen, seit 1943 in den KZ Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau inhaftiert und kurz vor Kriegsende ins Südtiroler Pustertal verschleppt, wo es nur knapp der Ermordung durch die SS entging.

    1941 erschien in England und den USA das Buch „I paid Hitler“ unter T.s Namen als (Selbst-)Anklage und Rechtfertigung, das der Journalist Emery Reves als „Ghostwriter“ nach T.s Diktaten in Südfrankreich 1940 erarbeitet hatte. Diese Diktate waren jedoch nicht abgeschlossen und T. hatte die Publikation, die nach Kriegsende eine wichtige Grundlage der Anklage gegen ihn wurde, nicht autorisiert. Seit 1945 von der US-amerik. Militärverwaltung interniert, schwer krank (schon 1936 anderthalb Jahre erkrankt), wurde T. 1948 im Entnazifizierungsverfahren von der Spruchkammer Obertaunus zunächst als „minderbelastet“, nachdem das Urteil Rechtskraft erlangt hatte, als „Mitläufer“ eingestuft und mit einer Sühneleistung von 15 % seines in Deutschland erfaßbaren Vermögens belegt, die in einen Wiedergutmachungsfonds fließen sollte. Es folgte ein komplizierter internationaler Rechtsstreit über die Rückerstattung des beschlagnahmten industriellen Vermögens. In den Verfahren war T. Berechtigter, in einigen Fällen auch Restitutionspflichtiger, da er sowohl als Schuldiger, v. a. wegen seiner Unterstützung der NSDAP vor 1933, aber auch als Opfer galt, das viereinhalb Jahre in NS-Haft und drei Jahre in amerik. und dt. Untersuchungshaft verbracht hatte. Schließlich kam es zum Vergleich, T. zahlte 500 000 Mark gegen Aufhebung der Beschlagnahme. Ende 1948 reiste das Ehepaar zur Tochter nach Buenos Aires, wo T. 1951 einem Herzschlag erlag. Seiner Frau und seiner Tochter hinterließ er als wichtigsten industriellen Besitz eine mehr als 20 %ige Beteiligung an den VSt, die bei der Entflechtung dieses Konzerns in Nachfolgegesellschaften und strategische Beteiligungen an stahlproduzierenden Unternehmen mündete. Seine Witwe gründete 1959 mit Kapital aus diesen Unternehmen die „F.T.-Stiftung“ zur Förderung der Wissenschaft, Köln.

    Die Kunstsammlung, die T. bis 1939 zur Ausstattung seines Wohnsitzes in Mülheim/Ruhr angelegt hatte (v. a. Gemälde alter Meister, religiöse Plastiken, chines. u. dt. Porzellane), machte seine Tochter Anita 1986 mit einer Ausstellung im Bayer. Nationalmuseum erstmals der Öffentlichkeit zugänglich und verkaufte sie 1987 zum großen Teil an den Freistaat Bayern.

    A E. K. II. (1914); Dr. iur. h. c. (Freiburg 1923); Dr.Ing. E. h. (TH Braunschweig); Ehrenbürger d. Stadt Hamborn (1923, aberkannt 1940) u. d. TH Darmstadt (1923); Senator d. KWG; – Mitgl. d. Präsidiums d. Reichsverbands d. Dt. Ind. (1923–33), d. dt.-franz. Verständigungsausschusses (1923–26) u. d. Vorstands d. Hauses d. dt. Kunst; mehr als 20 AR-Sitze, u. a. Rhein.-Westfäl. Kohlen-Syndikat; – AR-Vorsitz: Maschinenfabr. Thyssen & Co AG (1926–39); Stahlwerk Thyssen AG (1926–39); Geisweider Eisenwerke AG; Concordia Bergbau AG; Stahlwerks-Verband-AG.

  • Werke

    W I paid Hitler, 1941 (P). |

  • Quellen

    Qu M. Rasch (Hg.), August T. u. Heinrich T.-Bornemisza, Briefe e. Industr.fam. 1919–1926, 2010 (P); – ThyssenKrupp Konzernarchiv, Duisburg.

  • Literatur

    L H. A. Turner, F. T. u. „I paid Hitler“, in: VfZ 19, 1971, S. 225–44;
    C.-F. Baumann, F. T. u. d. NS, in: Mülheimer Jb. 70, 1998, S. 139–54;
    G. Buchstab, in: Zeitgesch. in Lb. IX, 1999, S. 115–32;
    A. Reckendrees, Das „Stahltrust“-Projekt, 2000;
    H. O. Eglau, F. T., Hitlers Gönner u. Geisel, 2003 (P);
    W. Plumpe u. J. Lesczenski, Die T.s, in: Dt. Familien, hg. v. V. Reinhardt, 2005, Tb. 2010, S. 208–43;
    St. Wegener (Hg.), August u. Joseph T., Die Fam. u. ihre Untern., ²2008 (P);
    ders. (Hg.), Die Geschwister T., Ein Jh. Fam.gesch., 2013 (P);
    J. Lesczenski, August T. 1842–1926, 2008 (P);
    M. Rasch (Hg.), August T. u. Heinrich T.-Bornemisza, Briefe e. Industr.fam. 1919–1926, 2010, S. 9–78 (P);
    G. Brakelmann, Zw. Mitschuld u. Widerstand, F. T. u. d. NS, 2010;
    H. A. Wessel, F. T., überforderter Untern.erbe, in: Mülheimer Untern. u. Pioniere im 19. u. 20. Jh., hg. v. dems., 2012, S. 246–57 (P);
    A. Donges, Die Vereinigte Stahlwerke AG im NS, 2014;
    J. Gramlich, Die T.s als Kunstsammler, Investition u. symbol. Kapital (1900–1970), 2015 (P);
    S. Derix, Die T.s, Fam. u. Vermögen, 2015 (P);
    J. Bähr, T. in d. Adenauerzeit, Konzernbildung u. Fam.kapitalismus, (im Druck);
    J. Schleusener, Vermögenskonfiskation u. Rückerstattung im Fall F. T. (im Druck); Lilla, MdR.

  • Porträts

    P F. T. in Uniform, Gem. v. F.-J. Klemm, 1915, Abb. in: A. v. Württemberg (Hg.), Slg. F. T., Ausgew. Meisterwerke, Ausst.kat. d. Bayer. Nat.mus. München, 1986, S. 54 f.; Gem. v. L. Poeten, 1937; Büste v. G. Blume, 1965 postum modelliert ThyssenKrupp AG

  • Autor/in

    Günther Schulz
  • Zitierweise

    Schulz, Günther, "Thyssen, Fritz" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 243-245 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118622498.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA