Lebensdaten
1835 – 1909
Geburtsort
Halberstadt
Sterbeort
Gries bei Bozen
Beruf/Funktion
evangelischer Theologe ; Hofprediger
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118618393 | OGND | VIAF: 77108854
Namensvarianten
  • Stoecker, Christian Adolf
  • Stoecker, Adolf
  • Stoecker, Christian Adolf
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Stoecker, Adolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118618393.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Christian (1806–73), Schmied, dann Wachtmeister b. d. Halberstadter Kürassieren, Gefängnisinsp., S e. Tagelöhners;
    M Eleonore Auguste Specht (1811–82), T e. Schneiders;
    2 B, 1 Schw; – 1867 Anna (1842–1910, s. W), T d. Joachim Gotthilf Krüger (1801–68), Stadtrat u. KR in Brandenburg, u. d. Wilhelmine Tuchen (1812–47); kinderlos;
    N u. Adoptiv-S Hermann Stöcker (1871–97;
    N d. Ehefrau u. Pflege-T Elisabeth Kähler (1890–1967, Reinhard Mumm, 1873–1932, Pol., s. NDB 18; W), T d. Ernst Kähler (1842–1903), Sup. in Neuteich b. Danzig, u. d. Pauline Wilhelmine Krüger (1847–1901.

  • Biographie

    Nach dem Abitur am Domgymnasium in Halberstadt studierte S. Theologie seit 1853 in Halle, später in Berlin. Von August Tholuck (1799–1877) und Karl Immanuel Nitzsch (1787–1868) erhielt er auf den Gebieten Mission und Homiletik prägende Anregungen, die pietistische, erweckungs- und vermittlungstheologische Elemente kombinierten. Seine theol. Examina legte S. 1858 (Berlin) und 1859 (Marburg) ab. Als Hauslehrer in der Neumark und beim Grafen Lambsdorff im kurländ. Rinseln erwarb er erste Berufserfahrungen. 1862 absolvierte S. sein Oberlehrerexamen, wurde ordiniert und übernahm 1863 eine Landpfarrstelle in Seggerde (Kr. Gardelegen). 1866 wechselte er nach Hamersleben (Magdeburger Börde). 1871 wurde S. Divisionspfarrer in Metz. Auf die „Reichsgründung“ und „Kaiserproklamation“ reagierte der glühende Kaiserverehrer enthusiastisch.

    1874 ging S. nach Berlin, um dort – protegiert von Ks. Wilhelm I. – vierter, 1880 dritter und 1883 zweiter Hof- und Domprediger zu werden. Mit großem Engagement kritisierte der national-patriotische S. seine Kirche scharf: So sah er im Preuß. Zivilstandsgesetz 1874 und im Reichspersonenstandsgesetz 1875, die Eheschließung, Todesfälle und Taufen an das Standesamt banden, den Niedergang der Staatskirche begründet. Nachdrücklich vertrat S. ein volkskirchliches Konzept, in dem er starke Ordnungsstrukturen verankert wissen wollte. Der Kirche wies er eine herausragende, v. a. sozialpolitische Funktion zu. Dabei nahm er Impulse der Inneren Mission Johann Hinrich Wicherns (1808–81) auf, forderte aber einen politischen Gestaltungsauftrag ein, der über die engeren Kirchengrenzen hinausging. 1877 wurde S. Leiter der Berliner Stadtmission und war Gründungsmitglied des „Central-Vereins für Socialreform auf religiöser und konstitutionellmonarchischer Grundlage“.

    In die praktische Politik übertrug S. seine Ideen seit 1878 mit der gegen die Sozialdemokratie ausgerichteten und Mißstände des|Kapitalismus anprangernden antiliberalen „Christlich-Sozialen Arbeiterpartei“, die jedoch erfolglos blieb und 1881 in „Christlich-Soziale Partei“ umbenannt wurde, um den Kreis möglicher Unterstützer ins bürgerliche Spektrum hinein zu erweitern. Mit zunehmender Schärfe entwickelte sich S. zum antisemitischen Propagandisten, der gegen das Judentum als vermeintlichem Feind der Gesellschaft und Quelle wirtschaftlicher Depression agitierte und um die Sympathien des kleinen und mittleren Bürgertums buhlte. S. pflegte Kontakte zur Antisemitenliga Wilhelm Marrs (1819–1904) und nutzte den „Treitschke-“ bzw. „Berliner Antisemitismusstreit“ (1879–81) zur Profilierung. 1879 wurde er Mitglied der Generalsynode der ev. Landeskirche Preußens, wo er allerdings langfristig an Einfluß verlor und 1891 aus dem Vorstand ausschied.

    Als Mitglied des Preuß. Abgeordnetenhauses (1879–98) verband sich S. mit der dt.konservativen Fraktion. 1881–93 und 1898–1908 war der Bismarck-Kritiker auch Reichstagsmitglied. Als sich die dt.konservative Partei 1892 neu ausrichtete, gestaltete S. den Charakter des nach einer Berliner Brauerei benannten „Tivoli-Programms“ in seinen antisozialdemokratischen und antisemitischen Zügen maßgeblich mit. 1890 legte S. nach langjährigen Querelen, die sich v. a. aus dem politischen Engagement und seiner antisemitischen Propaganda ergaben, das Amt als Hofprediger unfreiwillig nieder und initiierte mit Adolph Wagner (1835–1917) und Ludwig Weber (1846–1922) den „Ev.-sozialen Kongreß“, an dem Persönlichkeiten wie Otto Baumgarten, Adolf Harnack, Friedrich Naumann, Ernst Troeltsch und Martin Rade mitwirkten. Auch dort eskalierten die Konflikte mit dem antiliberalen S., so daß dieser 1897 mit Weber die „Freie Kirchlich-soziale Konferenz“ gründete, die eine reformkonservative Programmatik erhielt.

    S.s Aufbruchspathos und sein sozialpolitischer Umgestaltungswille lassen sich in der Formulierung „christlich-sozial“ bündeln – sie wurde ebenso zu seinem Markenzeichen wie der radikale Antisemitismus. In seinem Bemühen um eine Rechristianisierung der Gesellschaft, gerade der städtischen Bevölkerung, und um sozialpolitischen Ausgleich verfolgte S. einen scharfen, antidemokratischen Spaltungskurs. S.s Kapitalismusskepsis, seine Ablehnung von Liberalismus und Sozialdemokratie und der von ihm konsequent vertretene Antisemitismus fanden im Kontext nationalsozialistischer Ideologiebildung Resonanz. Der spätere Präsident des „Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands“ Walter Frank nahm S. als „Vorläufer Hitlers“ in Anspruch, der Theologe Paul Le Seur stilisierte ihn als „Propheten des Dritten Reiches“.

  • Auszeichnungen

    A Dr. theol. h. c. (Greifswald 1902);
    preuß. Roter Adler-Orden 3. Kl. mit Schwertern.

  • Werke

    u. a. Das moderne Judenthum in Dtld., bes. in Berlin, 1880, ⁵1880;
    Christlich-Sozial, Reden u.Aufss., 1885, ²1890;
    Den Armen wird d. Evangelium gepredigt, 1886, ⁵1900;
    Die soz. u. kirchl. Nottände in d. gr. Städten, 1888;
    Dreizehn J. Hofprediger u. Politiker, 1890, ⁶1895;
    Die Bibel u. d. soz.Frage, 1891;
    Innere Mission u. soz. Frage, 1891;
    Das dt. Volk im Kampf mit seinem Verderben, 1891;
    Wach'auf Ev. Volk!, Aufss. über Kirche u. Kirchenpol., [1893];
    Kann e. Christ Soz.demokrat sein?, 1894;
    Die Rechte u. Pflichten d. Frau in d. kirchl. u. bürgerl. Gde., 1903;
    Reden u. Aufss., Mit e. biogr. Einl., hg. v. R. Seeberg, 1913;
    Brautbriefe, Adolf u. Anna Stoecker, hg. v. D. v. Oertzen, 1913;
    Reden im RT, Amtl. Wortlaut, hg. v. R. Mumm, 1914;
    Teilnachlaß:
    Geh. StA Preuß. Kulturbes.

  • Literatur

    D. v. Oertzen, A. S., Lb. u. Zeitgesch., 2 Bde., 1910, ²1911 (P);
    M. Braun, A. S., 1912 (P);
    W. Frank, Hofprediger A. S. u. d. christl.-soz. Bewegung, 1928, ²1935 (P);
    P. Le Seur, A. S., der Prophet d. Dritten Reiches, 1933;
    F. Brunstäd, A. S., Wille u. Schicksal, 1935;
    E. Bunke, A. S., Ein dt. Prophet, 1938;
    R. Stupperich, A. S.s Anfänge, in: HZ 202, 1966, S. 309–32;
    K. Kupisch, A. S., Hofprediger u. Volkstribun, 1970;
    G. Brakelmann u. a., Protestantismus u. Pol., Werk u. Wirkung A. S.s, 1982;
    H. Engelmann, Kirche am Abgrund, A. S. u. seine antijüd. Bewegung, 1984;
    M. Greschat, in: ders. (Hg.), Gestalten d. KGesch. 9/2, 1985, S. 261–77;
    ders., Die Nachwirkungen d. S.schen Antisemitismus in d. Weimarer Rep., in: ders., Protestanten in d. Zeit, Kirche u. Ges. in Dtld. v. Ks.reich bis z. Gegenwart, hg. v. J.-C. Kaiser, 1994, S. 67–98;
    G. Brakelmann u. M. Rosowski (Hg.), Antisemitismus, Von rel. Judenfeindschaft z. Rassenideol., 1989, S. 27–51;
    S. A. Kaehler, Briefe 1900–1963, hg. V. W. Bußmann u. G. Grüntal, 1993;
    G. Koch, A. S. 1835–1909, 1993;
    M. Imhof, „Einen besseren als S. finden wir nicht“, Diskursanalyt. Stud. z. christl.-soz. Agitation im dt. Ks.reich, 1996;
    S. Samerski (Hg.), Wilhelm II. u. d. Rel., Facetten e. Persönlichkeit u. ihres Umfelds, 2001;
    G. Brakelmann, Leben u. Wirken A. S.s im Kontext seiner Zeit, 2004;
    ders., Texte d. Parteipolitikers u. d. Kirchenmannes, 2004;
    BJ 14, S. 327–36 u. Tl.;
    Berlin. Lb. V, S. 231–47 (P);
    Biogr. Hdb. Preuß. Abg.haus I;
    Magdeburger Biogr. Lex. (P);
    Berliner Biogr. Lex.;
    RGG1–4;
    LThK³;
    BBKL X (W, L);
    TRE;
    Enc. Jud. 1971;
    Ev. Soz.lex., ⁷1980;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Biogr. Lex. Sozialpolitik.

  • Autor/in

    Alf Christophersen
  • Zitierweise

    Christophersen, Alf, "Stoecker, Adolf" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 377-378 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118618393.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA