Lebensdaten
1897 – 1957
Geburtsort
Dobrzanica (Dobzau, Galizien)
Sterbeort
Lewisburg (Pennsylvania, USA)
Beruf/Funktion
Psychoanalytiker
Konfession
konfessionslos
Normdaten
GND: 118599097 | OGND | VIAF: 24607127
Namensvarianten
  • Parell, Ernst
  • Reich, Wilhelm
  • Parell, Ernst
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Reich, Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118599097.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Leon ( 1914), Gutsbes.;
    M Cecilia Roniger ( 1909, Freitod);
    B Robert (1900–26), Kaufm.;
    1) 1922 ( 1933) Annie Pink (1902–71), Psychoanalytikerin, 2) 1939 Ilse Ollendorff (* 1909);
    2 T aus 1) Eva (* 1924), Ärztin, Lore (* 1928), Psychoanalytikerin;
    1 S aus 2) Peter (* 1944), Journalist.

  • Biographie

    R. stammt aus einer jüd.-assimilierten Familie, die in der Bukowina (Österr.-Ungarn) ein Landgut bewirtschaftete. Nach drei Jahren Kriegsdienst studierte er seit 1918 Medizin|an der Univ. Wien, wo er 1922 promoviert wurde. Bereits 1920 war R. Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) geworden. Er initiierte dort 1922 die Einrichtung eines psychoanalytischen Ambulatoriums, wurde 1924 Leiter des (Ausbildungs-) Technischen Seminars und begründete 1927 die sogenannte charakteranalytische (Behandlungs-) Technik. Gleichzeitig bemühte er sich um die theoretische Integration von Marxismus und Psychoanalyse.

    Seit 1927 betätigte R. sich auch politisch. Er trat in die SPÖ ein, gründete die „Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung und Sexual forschung“ und wechselte 1930 zur KPÖ bzw. – mit seinem Umzug nach Berlin – zur KPD. R.s sexualpolitische Aktivitäten („Sexpol“) und seine Analyse des Siegs des Nationalsozialismus über die Linke (Die Massenpsychol. d. Faschismus, 1933, rev. u. erw. Fassung 1971) führten 1933 zu seinem Ausschluß aus der KPD. Zur gleichen Zeit wurde er auf Betreiben Freuds aus allen psychoanalytischen Organisationen ausgeschlossen.

    1933 emigrierte R. nach Dänemark, 1934 nach Norwegen, wo er versuchte, seine psychologische und soziologische Theorie zu untermauern: Einerseits entwickelte er seine therapeutische Technik der „Charakteranalyse“ weiter, indem er den gesamten Organismus – insbesondere die vegetativen Funktionen – einbezog, weshalb er als „Vater der Körperpsychotherapien“ bezeichnet wurde. Andererseits forschte er mit eigenen Experimenten auf (elektro-) physiologischem, biologischem und physikalischem Gebiet. 1939 setzte R. diese Arbeiten in den USA fort, wo er bekanntgab, eine meßbare „primordiale kosmische Energie“ („Orgon“) entdeckt zu haben. Er entwickelte verschiedene Geräte, denen er orgonenergetische Effekte zuschrieb, u. a. einen Orgonakkumulator. Da dieser auch zu Heilungszwecken eingesetzt wurde, kam R. mit dem Gesetz in Konflikt. Ein Gericht ordnete die Vernichtung der Geräte und seiner sämtlichen Schriften an, R. selbst wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, während derer verstarb.

    R.s Theorien blieben infolge seiner Stigmatisierung durch die Psychoanalytiker jahrzehntelang unbeachtet. Erst durch die Studentenbewegung der 60er Jahre wurde er postum als Künder einer „Sexuellen Revolution“ weithin bekannt, die er jedoch nicht im libertinistischen Sinn verstanden hatte. Seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung ist bislang gering. Die Disziplinen, in deren Bereich seine Arbeiten fallen, zählen nur wenige seiner Beiträge zu ihrem Erkenntnisbestand.

    R.s Verfemung durch Freud und die Psychoanalytiker bietet interessanten Aufschluß über die zeitgenössische Würdigung der Ideen R.s. Freud, der sich selbst als Aufklärer begriff, sah in R., der wie er aufklärerische Ziele verfolgte, seinen Antipoden. Der fundamentale Gegensatz zwischen Freud und R. kann mit den weithin geläufigen Freudschen Begriffen Es, Ich und Über-Ich pointiert dargestellt werden. Freud faßte sein Programm in die bekannte Sentenz: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Das Über-Ich, das er für die Grundbedingung menschlicher Kulturfähigkeit hielt, blieb unangetastet. R. hingegen sah im Über-Ich ein evolutionär zu überwindendes Kulturhindernis. In Freudscher Terminologie lautete sein Programm: „Wo Über-Ich war, soll Ich werden“. Die Bildung des Über-Ich bei der Enkulturation des Kindes sah R. „funktionell identisch“ mit der Entstehung einer psychisch und somatisch objektivierbaren „charakterlichen Panzerung“, verbunden mit „orgastischer Impotenz“. Nach R. ist das introjizierte Über-Ich, obwohl vom Individuum als sein Ureigenstes (Identität, Werthaltungen) empfunden, der Inbegriff von Heteronomie, die letzte Instanz, die den wirklichen „Ausgang des Menschen aus seiner Unmündigkeit“ verhindert. R.s Konzept zur theoretischen Bestimmung und praktischen Herbeiführung genuiner Autonomie der Individuen („charakterl. Selbststeuerung“) liegt vielen seiner Schriften zugrunde, ohne monographisch ausgearbeitet worden zu sein.

  • Werke

    Weitere W Die Funktion d. Orgasmus, 1927 (rev. Fassung u. d. T.: Genitalität, 1982);
    Charakteranalyse, 1933 (erw. Fassung 1970);
    [Ernst Parell] Was ist Klassenbewußtsein?, 1934;
    Die Sexualität im Kulturkampf, 1936 (Neudr. u. d. T.: Die sexuelle Rev., 1966);
    The Discovery of the Orgone, 2 Bde., 1942/48 (dt. Orig. 1969/74);
    People in Trouble (engl. 1953, dt. Orig./Ed. 1982, 1995);
    The Murder of Christ (engl. 1953, dt. 1978, 1997).

  • Literatur

    I. Ollendorf-Reich, W. R., 1969 (P);
    D. Boadella, W. R., 1973 (P);
    J. Greenfield, W. R. versus the U.S.A., 1974 (P);
    B. A. Laska, W. R., 1981, ⁵1999 (W, L, P);
    M. Sharaf, Fury on Earth, 1983 (P);
    Der „Fall“ W. R., hg. v. K. Fallend u. B. Nitzschke, 1997;
    Enc. Jud., 14, 1971;
    Biogr. Lex. z. Weimarer Rep., 1988;
    Biogr. Lex. d. Psychoanalyse, 1992;
    BHdE II;
    Ärzte Lex., 1995;
    Kosch, Lit.-Lex.³;
    Killy.

  • Autor/in

    Bernd A. Laska
  • Zitierweise

    Laska, Bernd A., "Reich, Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 290-291 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118599097.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA