Lebensdaten
1837 – 1905
Geburtsort
Sankt Petersburg
Sterbeort
Basel
Beruf/Funktion
evangelischer Theologe
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118590960 | OGND | VIAF: 66513910
Namensvarianten
  • Overbeck, Franz Camill
  • Overbeck, Franz Camille
  • Overbeck, Franz
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Overbeck, Franz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118590960.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Franz Heinrich Her(r)mann (1804–88), aus Frankfurt/M., Kaufm., S d. Johann Jacob (1775–1833), aus Frankfurt/M., Kaufm. in St. P.;
    M Johanna Camilla Cerclet (1808–77) aus St. P. (kath.);
    1876 Ida Rothpletz (1848–1933), aus Zürich; kinderlos.

  • Biographie

    O. wurde als zweites von sechs Kindern in einer kosmopolitischen, polyglotten (franz., dt., russ.), konfessionell gemischten Kaufmannsfamilie geboren. Er besuchte die Schulen der ref. und der luth. Gemeinde (Annen-Schule) in Petersburg, das Ancien Collège von St. Germain-en-Laye bei Paris (1846–48) in der Heimat der mütterlichen Verwandtschaft, zuletzt die Kreuzschule in Dresden (1850–56), wohin die Familie umsiedeln mußte. Es ist verständlich, daß der Knabe es „ungewöhnlich spät“ zu einer Muttersprache brachte. O. studierte ev. Theologie in Leipzig (1856/57, 1859/60 u. 1861-63), wo er den Rest seines Kinderglaubens verlor, in Göttingen (u. a. bei Heinrich Ewald, 1857–59) und Berlin (1860/61). Den doctor philosophiae erwarb er in Leipzig (1860), die venia legendi für neutestamentliche Exegese und Kirchengeschichte (1863) und den doctor theologiae h. c. in Jena, das in der damaligen Epoche der Reaktion als liberal und „freisinnig“ galt. Nach einer bewegten Jugend- und Studentenzeit wurde O. 1870 in Basel als ao. (seit 1871 o.) Professor für neutestamentliche Exegese und ältere Kirchengeschichte seßhaft (Rektor 1876) und führte ein unauffälliges, fleißiges Gelehrtenleben. Seine Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft mit Friedrich Nietzsche (seit April 1870), seine Unterstützung des Frühpensionärs (seit 1879), schließlich die Auseinandersetzung mit Elisabeth Foerster (-Nietzsche) um Manuskripte und biographische Details trieben ihn wider Willen in den Streit um Person, Krankheit und Werk seines graecistischen Kollegen. Er verstarb inmitten umfangreicher Materialsammlungen, weitgreifender Pläne für eine „profane Kirchengeschichte“, Notaten zu „Selbstbekenntnissen“.

    Das zu O.s Lebzeiten gedruckte Œuvre ist, wenn man von mehreren Dutzend Besprechungen absieht, schmal, der Nachlaß enorm. Stückweise wurde er publiziert, mit paradoxen Wirkungen, u. a. auf die Entstehung der dialektischen Theologie (K. Barth). O. begann als kritischer Fortsetzer der „Tübinger Schule“ (F. C. Baur, D. F. Strauss); er betrieb die radikale Historisierung des Christentums und seiner heiligen Texte, wobei er – konsequent, aber wohl unrichtig – den Anfängen der jüd. Reformsekte eine Sonderstellung als „Urgeschichte“ und „Urliteratur“ zuwies. Er entdeckte die Bedeutung von Form, Publikum und Situation für die Entstehung, den Gebrauch, die Geschichte von Texten („Literatur“) und wurde damit zum Archegeten der formgeschichtlichen Methode. Seine Kritik des zeitgenössischen Christentums (Kulturprotestantismus, Bündnis von Thron u. Altar, christl. Dekoration d. dt. Patriotismus u. allg. Fortschrittglaubens) beruft sich auf die wahre Geschichte des Christentums. Die frühen Christen seien „exzessiv asketisch“ (CuK 33) und von der Erwartung des nahen Weltendes erfüllt gewesen: Beides begründe Kulturfeindschaft, nicht Geschichtsphilosophie oder den Zukunftsoptimismus der Jetztzeit. Die Assimilation des Christentums an die Moderne sei Indiz für sein Ende; es sei ganz Geschichte geworden, Gegenstand nur noch von Wissenschaft. Somit können „Cultur“ und „Welt“ in einem emphatischen, antidualistischen und antimetaphysischen Sinne autonom begründet werden. O.s Werk und Person gehören zu den wichtigsten Zeugen für die Krise, in die das Christentum der europ. Intelligenz unter dem Druck der erfolgreichen Human- und Naturwissenschaften der Neuzeit geraten war. „Das Christentum hat mich nie besessen“ (Sb 112): Im Unterschied zu Nietzsche brauchte O. sich nicht davon zu befreien. Dennoch lehrte er 27 Jahre Theologie. Er hat seinen „gründlichen Unglauben“ nicht auf dem Katheder bekannt (Sb 105): „Ich habe nicht gelehrt, was ich glaubte“ (Sb 115). Die Spannung dieses Doppellebens wußte er, dessen Redlichkeit, Lauterkeit, Nüchternheit, Bescheidenheit, Zuverlässigkeit und bisweilen skrupulöse Sorgfalt gerühmt wird, verborgen zu halten. Nach seiner Pensionierung (1897) versuchte er jedoch, seine Existenzform biographisch zu erfassen und sie sich und einer unbekannten Öffentlichkeit verständlich zu machen.|

  • Auszeichnungen

    Doctor of Divinity (St. Andrews, 1905).

  • Werke

    Üb. d. Christlichkeit unserer heutigen Theologie, 1873, ²1903, Neudr. 1963;
    Stud. z. Gesch. d. alten Kirche, 1875;
    Zur Gesch. d. Kanons, 1880, Neudr. 1965;
    Üb. d. Anfänge d. patrist. Lit., 1882, Neudr. 1954;
    Üb. d. Anfänge d. KGesch.schreibung, 1892, Neudr. 1965;
    Christentum u. Kultur, hg. v. C. A. Bernoulli, 1919 (Neuausg. dieser Kompilation durch B. v. Reibnitz, in: OWN VI/1, 1996, „CuK“);
    Selbstbekenntnisse, hg. v. E. Vischer, 1941 (P) (Neuausg. mit Einl. v. J. Taubes, 1966, „Sb“);
    F. O. – Erwin Rohde, Briefwechsel, hg. u. kommentiert v. A. Patzer, 1990 (Suppl. Nietzscheana I);
    F. O. – Heinrich Köselitz [Peter Gast]. Briefwechsel, hg. u. kommentiert v. D. M. Hoffmann (Suppl. Nietzscheana III), 1998;
    Kirchenlex. (OWN IV-VI, 1995–97), hg. v. B. v. Reibnitz u. M. Stauffacher. – Gesamtausg.: Werke u. Nachlaß (OWN), hg. v. E. W. Stegemann u. a., 1994 ff. (W-Verz. I, S. 319 ff.). |

  • Nachlass

    Nachlaß: Overbeckiana, Übersicht üb. d. F.-O.- Nachlaß d. Univ.bibl. Basel, I, 1962, hg. v. E. Staehelin, II, 1962, hg. v. M. Tetz (W-Verz., wiss. Nachlaß. Korr.).

  • Literatur

    C. A. Bernoulli, F. O. u. F. Nietzsche, Eine Freundschaft, 2 Bde., 1908;
    W. Nigg, F. O., 1931;
    M. Tetz, Üb. Formengesch. in d. KGesch., in: Theol. Zs. 17, 1961, S. 413-31;
    J. Taubes, Entzauberung d. Theol., in: F. O., Selbstbekenntnisse (1897–1905), 1966, S. 7-27;
    R. Brändle u. E. W. Stegemann (Hg.), O.s unerledigte Anfragen an d. Christentum, 1988 (P);
    N. Peter, Im Schatten d. Modernität, 1992 (W-Verz., L, P);
    B. v. Reibnitz, Nietzsches Freundschaft mit F. O., in: D. M. Hoffmann, Nietzsche u. d. Schweiz, 1994, S. 46-54 (P).

  • Porträts

    Bildarchiv Univ.bibl. Basel;
    Ölgem. v. Fritz Burger, 1899.

  • Autor/in

    Hubert Cancik
  • Zitierweise

    Cancik, Hubert, "Overbeck, Franz" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 724-725 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118590960.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA