Lebensdaten
1889 – 1967
Geburtsort
Trebnitz (Schlesien)
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Politiker
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118587846 | OGND | VIAF: 64047941
Namensvarianten
  • Niekisch, Ernst
  • Niekisch, Ernst Karl August
  • Nikiš, Ėrnst
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Zitierweise

Niekisch, Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587846.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V August (1858–1934), Feilenhauermstr.;
    M Maria Schnell (1867–1937);
    1915 Anna Kienzle (1892-|1973), Lehrerin;
    S Ernst A. (* 1916), Prof. d. Physik in Köln, 1962-73 Leiter d. Inst. f. Techn. Physik an d. Kernforschungsanlage in Jülich, bis 1979 Leiter e. Arbeitsgruppe f. Grenzflächenforschung u. Vakuumphysik (s. Kürschner, Gel.-Kal. 1996).

  • Biographie

    N., der in der bayer. Kleinstadt Nördlingen aufwuchs, wurde Volksschullehrer. In diesem Beruf zuletzt in Augsburg tätig, stieg er nach seinem Militärdienst im 1. Weltkrieg zu einem der führenden Aktivisten der bayer. Revolution von 1918 auf. Als Vorsitzendem des Zentralrats der bayer. Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte fiel ihm nach der Ermordung Kurt Eisners im Februar 1919 für kurze Zeit die Exekutivgewalt in Bayern zu. Die Enttäuschung über die Rolle der SPD bei der Niederwerfung der Räterepublik veranlaßte N. zum Übertritt in die USPD; nach Abbüßung einer zweijährigen Festungshaft, zu der er wegen seiner Teilnahme an der Revolution verurteilt worden war, versuchte er 1921 als USPD-Fraktionsvorsitzender im bayer. Landtag wieder in die aktive Politik einzusteigen. Unbefriedigt von dieser Tätigkeit, wechselte er bereits Ende 1922 als Jugendsekretär des deutschen Textilarbeiterverbandes nach Berlin.

    Während der 20er Jahre trat N. zunehmend in Gegensatz zur klassisch-sozialdemokratischen Programmatik, brach mit der Sozialdemokratie und rückte deutlich nach rechts. Aus sozialistischen und nationalistischen Versatzstücken entwickelte er seine eigene Mischideologie, die er seit 1926 politisch und vor allem publizistisch, u. a. durch sein Blatt „Widerstand“ sowie den gleichnamigen von ihm und seiner Frau geleiteten Verlag propagierte. Trotz, teils auch wegen einzelner weltanschaulicher Parallelen lehnte er den Nationalsozialismus sowie insbesondere die Person Adolf Hitlers von Anfang an erbittert ab. Bereits 1932 hatte er in seiner Schrift „Hitler – ein deutsches Verhängnis“ dessen „Rattenfängermelodie“ ebenso angeprangert wie die Verführbarkeit des Bürgertums. Das Manuskript „Geheimnis des Reichs“ (veröffentlicht 1953 u. d. T. „Das Reich der niederen Dämonen“) bildete schließlich eine der wesentlichen Grundlagen für die Anklage im „Volksgerichtshofprozeß“, in dem der seit 1937 inhaftierte N. im Januar 1939 zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt wurde. 1945 befreit, suchte der gesundheitlich schwer angeschlagene N. nach neuer politischer Betätigung in der Sowjet. Besatzungszone. In „Kulturbund“, „Nationaler Front“ und Volksrat wirkte er bei der Gründung der DDR mit, deren erster „Volkskammer“ er als Abgeordneter angehörte. 1946-54 lehrte N. Politik und Soziologie an der Berliner Humboldt-Universität. Desillusioniert sowohl von der Westintegrationspolitik der Bundesrepublik als auch von der Politik der DDR, trat N. 1955 aus der SED aus und zog sich resigniert zurück.

    N. bildet mit seiner „Widerstandsbewegung“ einen der eigenwilligsten Teile jenes vielgestaltigen Spektrums nationalrevolutionärer Gruppierungen, deren oftmals einzig gemeinsames Ziel in der Bekämpfung der Weimarer Republik und deren Ablösung durch ein völkisch-autoritäres bzw. totalitäres System bestand. Als Besonderheit der Position N.s erscheint die kompromißlos verfochtene Forderung nach einer Ostorientierung Deutschlands, insbesondere nach einem Bündnis mit Rußland, dessen bolschewistisches System N. als Vorbild für eine Neuordnung Deutschlands betrachtete. Zu dieser Basis einer „nationalbolschewistischen“ Politik gesellten sich scharfe antiwestliche Polemik, Antiliberalismus und Antiindividualismus, gekleidet in zivilisationskritische Bürgerschreck-Rhetorik. Fasziniert von den technischen Errungenschaften und Anforderungen des massenindustriellen Zeitalters, erträumte N. die Heranbildung einer neuen, seiner politisch-kollektivistischen Dialektik von Herrschaft und Dienst gemäßen Menschenklasse, die er aus dem von Ernst Jünger beschriebenen Typus des „Arbeiters“ ableitete. Ein kreativer politischer Denker, verbiß sich N. nie in Dogmatismus, sondern entwickelte seine Anschauungen ständig weiter; spätestens in seinem Buch „Die dritte imperiale Figur“ (1935) verabschiedete er sich von völkisch-nationalen Vorstellungen, wie er sich überhaupt seit 1933 verstärkt wieder internationalistischen und marxistischen Ansätzen näherte. Freilich stieß ihn auch die in der DDR verwirklichte Variante eines Sozialismus alsbald ab, weil er in ihr lediglich ein unfreies Bürokratenregime ohne jegliche Vision erkannte. Die Bandbreite der Urteile über N. reicht vom „wirren“ bis zum „bedeutenden“ Denker. Daß ihm nach dem frühen Höhepunkt während der Revolution 1918/19 keine weitere politische Karriere gelang, versuchte der ehrgeizige N. durch extremistische Extravaganz zu kompensieren. Hervorzuheben bleiben seine hohe Intellektualität und Wahrhaftigkeit, die ihn einen mutigen und einsamen Kampf gegen den Nationalsozialismus führen ließen. Abgesehen von ihren nicht selten fragwürdigen Inhalten legen N.s stilistisch geschliffene Schriften stets Zeugnis von einem Politikverständnis ab, in dessen Zentrum nicht Macht, sondern Ethos stand.

  • Werke

    Der Weg d. dt. Arbeiterschaft z. Staat, 1925;
    Grundfragen dt. Außenpol., 1925;
    Die Aktion d. Jugend, 1929;
    Pol. u. Idee, 1929;
    Entscheidung, 1930;
    Der pol. Raum dt. Widerstandes, 1931;
    Im Dickicht d. Pakte, 1935;
    Ost u. West, Unsystemat. Betrachtungen, 1947, Neudr. 1963;
    Zum Problem d. Freiheit, 1948;
    Europ. Bilanz, 1951;
    Pol. Schrr., 1965 (u. a. Hitler – Ein dt. Verhängnis, 1932;
    Dt. Daseinsverfehlung, 1946;
    Grundlinien europ. Pol. [unveröff., 1935];
    Der Clerk, 1956);
    Die Legende von d. Weimarer Rep., 1968;
    Erinnerungen e. dt. Revolutionärs, 2 Bde., 1974 (T. 1: Gewagtes Leben, zuerst 1958).

  • Literatur

    J. E. Drexel, Der Fall N., 1964 (Dok. u. Bibliogr.);
    W. R. Beyer (Hg.), Rückkehr unerwünscht, J. Drexels „Reise nach Mauthausen“ u. d. Widerstandskreis E. N., 1978 (Dok.);
    H. Viesel, Literaten an der Wand, Die Münchner Räterep. u. die Schriftst., 1980 (Dok., P), S. 543-91;
    A. Mohler, Die konservative Rev. in Dtld., 1950, ⁴1994, Erg.bd., 1989;
    H. Buchheim, E. N.s Ideologie d. Widerstands, in: VfZ 5, 1957, S. 334-61;
    O.-E. Schüddekopf, Linke Leute v. rechts, 1960, 1973;
    K. Sontheimer, Antidem. Denken in d. Weimarer Rep., 1962;
    K. O. Paetel, Versuchung od. Chance? Zur Gesch. d. dt. Nat.bolschewismus, 1965;
    F. Kabermann, Widerstand u. Entscheidung e. dt. Revolutionärs, Leben u. Denken v. E. N., 1973 (W, L);
    L. Dupeux, „Nat.bolschewismus“ in Dtld. 1919-1933, 1985 (P);
    U. Sauermann, E. N. u. d. revolutionäre Nationalismus, 1985;
    S. Breuer, Anatomie d. Konservativen Rev., 1993;
    B. Rätsch(-Langejürgen), Hinter Gittern, Schriftst. u. Journalisten vor d. Volksgerichtshof 1934-1945, 1992, S. 194-215;
    dies., Das Prinzip Widerstand, Leben u. Wirken v. E. N., 1997 (W, L);
    M. Pittwald, Zur Entwicklung völk. Denkens in d. dt. Arbeiterbewegung, der Nat.revolutionär E. N., in: Internat. wiss. Korr. Gesch. dt. Arbeiterbewegung 32, 1996, S. 3-22.

  • Porträts

    G. Saure, „Nacht über Dtld.“, Horst Strempel, Leben u. Werk 1904-1975, 1992 (hier Strempel-Werkverz. Nr. 148, 149, 208, 209, 402 [Ölgem.], 2130 [Zeichnung], 2415 [Linolschnitt], 2431 [Aquatinta]).

  • Autor/in

    Thomas Brechenmacher
  • Zitierweise

    Seherr-Thoß, Hans Christoph Graf von, "Niekisch, Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 227-229 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587846.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA