Lebensdaten
1587 – 1657
Geburtsort
Lübeck
Sterbeort
Hamburg
Beruf/Funktion
Naturforscher ; Sprachforscher ; Didaktiker ; Logiker ; Mathematiker ; Philosoph ; Arzt ; Schulmann
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118558838 | OGND | VIAF: 17236626
Namensvarianten
  • Jungius, Joachim
  • Iungius, Joachim
  • Iungius, Joachimus
  • mehr

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Jungius, Joachim, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118558838.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Nicolaus Junge (tot 1589), Lehrer am Gymnasium St. Katharinen in L.;
    M Brigitte, T d. Joachim Holdmann, Hauptpastor am Dom in L.;
    Stief-V (seit 1589) Martin Nordmann, Lehrer am Gymnasium St. Katharinen in L.;
    - Rostock 16.2.1624 Catharina ( 1638), T d. Brauers Valentin Havemann in Rostock; kinderlos.

  • Biographie

    Am Katharineum, das J. zuerst besuchte, traten bereits Züge hervor, die den späteren Wissenschaftler verrieten. So ragte er im scharfsinnigen Denken der Logik hervor, erklärte seinen Mitschülern die Dialectica des Pierre de la Ramée, verfaßte eine Rede gegen die falsche, einseitige Redekunst – ein Lebensthema von J. – und schrieb Tragödien. Mai 1606 bezog er, verhältnismäßig spät wegen seines zarten Körperbaues, die Univ. Rostock. Dort geriet er zuerst unter den Einfluß der daselbst herrschenden Metaphysik der span. Neuscholastik des Francisco Suarez und verteidigte darüber von 1606 bis 1608 drei Disputationes unter Joh. Sleker aus Pommern. Doch allmählich bevorzugte J. das Studium der Disziplinen, welche damals zur Mathematik gehörten, vor demjenigen der Metaphysik, da jene ihm zur Grundlegung der Wissenschaften besser geeignet erschienen. 1608 schrieb er sich an der Univ. Gießen ein und wurde am 1.1.1609 magister artium. 1609-14 lehrte er in Gießen reine Mathematik (mathematica pura), ihre „physikalischen“ Anwendungen (mathematicae mediae, u. a. Optik, Harmonielehre, Astronomie, Geographie) und ihre „mechanischen“ Anwendungen (mathematicae mechanicae, z. B. Schwerpunktslehre, Brechungslehre, Hydrostatik, Baukunst). Bei Antritt dieses Amtes umriß er zum ersten Male seinen Plan über den propädeutischen Nutzen der genannten mathematischen Disziplinen für das Studium der Wissenschaften, einen Plan, der auch in den von ihm 1624 und 1626 zu Rostock und 1629 zu Hamburg gehaltenen Antrittsreden zum Ausdruck kommen sollte und außerhalb Deutschlands bekannt wurde. In der Gießener Zeit regte ihn die neue Algebra des François Viète an, ebenso fesselten ihn die damals das Interesse der Gelehrten einnehmenden Sonnenflecken, welche er 1612 und 1613 auf einer Reise nach und von Frankfurt/Main selbst beobachtete.

    In Frankfurt (1613) und ab Mai 1614 auch in Augsburg widmete er sich jedoch zunächst zusammen mit Wolfgang Ratke aus Holstein und mit dem Gießener Theologieprofessor Christoph Helvich der Erneuerung der Lehrkunst auf der Grundlage des christlichen Glaubens. Die von Helvich und J. daraufhin 1613 herausgegebene Anleitung, „wie die Sprachen, Künste und Wissenschaften leichter, geschwinder, richtiger, gewisser und vollkömlicher, als bißhero geschehen, fortzupflanzen seynd“, hat unmittelbar Comenius zur Beschäftigung mit der Theorie der Didaktik bestimmt, wie denn später J. sich auch mit einer Grundsatztheorie „Logica Didactica“ befaßte und, abgesehen von einer Korrespondenz mit Comenius, noch Juli 1642 in Hamburg wahrscheinlich mit diesem didaktische Probleme erörterte.

    Nach Rückkehr in die Heimat Lübeck (1615) nahm J. – nunmehr auch der Naturforschung zugetan – in Rostock ab 1616 das Studium der Medizin auf und schloß es 1619 in Padua mit der Promotion zum Dr. med. ab. Die folgenden Jahre bis zur festen Anstellung in Hamburg (1629) bildeten einen ersten Höhepunkt in J.s wissenschaftlichem Leben. Neben praktisch-medizinischer Tätigkeit von 1619 bis 1623, 1625 in Braunschweig und Wolfenbüttel sowie neben seinem Lehramt 1624/25 und 1626-28 an der Univ. Rostock als Professor matheseos (und als Prof. med. 2. Hälfte 1625 in Helmstedt) entwarf er im Privatstudium seine Grundideen zur Erneuerung der Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaften. Getreu dem in den erwähnten Reden dargelegten Vorhaben, mathematische Prinzipien den wissenschaftlichen, besonders naturwissenschaftlichen Beweisen zugrundezulegen, schuf er die lehr- und wissenschaftsmethodische „Protonoetica Philosophia“ und die „Heuretica“ (Erfindungskunst). Im Sinne der darin entwickelten, auch das Experiment in den Vordergrund stellenden Grundsätze sollten in der von J. um 1623 wahrscheinlich nach dem Vorbilde der ihm persönlich bekannten Accademia dei Lincei gegründeten Societas Ereunetica („Forschungsgesellschaft“) die wissenschaftlichen und technischen Disziplinen durch Forschung erneuert und die Ergebnisse verbreitet werden. Eigene chemische Experimente, welche J. auf Erfahrungen des ihm vermutlich persönlich bekannten, u. a. zu Hamburg und Güstrow lebenden Chymicus Angelo Sala aufbaute, dienten ebenfalls diesem „einzigen Ziel, die Wahrheit durch Überlegung und Erfahrungsbeweis zu erforschen“.

    Von 1629 an wirkte J. – nicht zuletzt durch finanzielle Überlegungen und durch die Wirren des 30jährigen Krieges, der Hamburg verschont ließ, dazu bestimmt – als Rektor und Professor der Naturlehre am Hamburger Akademischen Gymnasium (bis 1640 auch als Rektor am Johanneum). Die Bemühungen um Selbständigkeit des Urteils und um die Verquickung wissenschaftlicher Erkenntnis mit den Erfahrungen aus seiner Lehrtätigkeit kennzeichnen diesen letzten Lebensabschnitt. Die Freiheit seines Denkens und Lehrens brachte ihm, nachdem schon zu Rostock Gelehrte „seine Eruditiones nicht haben vertragen kennen“, ab etwa 1630 wegen der Kritik an der nichtklassischen Sprache des Neuen Testamentes nicht nur die Gegnerschaft der Geistlichkeit ein, sondern auch den Neid seiner Hamburger Berufskollegen, welche mit heimtückischen Mitteln versuchten, seinen Ruf zu schmälern, so daß sich J. während der restlichen Lebenszeit scheute, noch irgend etwas zu veröffentlichen. Dem inneren Kern dieser Ausgangslage seines fast 30jährigen Wirkens in Hamburg gab der nach Urteilsfreiheit strebende J. 1642 Ausdruck: „Wer sich aber einer wohlbekannten Gemeinschaft verschreibt, erwirbt sich nicht nur den Ruf der Bescheidenheit …, sondern ist auch weniger dem Haß ausgeliefert, außerdem wird er sicher … in der großen Masse und verwickelt sich obendrein weniger in Anstrengungen, da er den Ertrag fremder Arbeit erntet …“. Die Verflechtung mit der Didaktik bestand darin, daß J. seine Schüler unermüdlich zum Kampfe gegen den Autoritätenglauben und Untertanengeist aufforderte, sie in über 40 Disputationen zur Kritik an Lehrmeinungen auf vielen Lebensgebieten anhielt und ihnen private Lehrveranstaltungen z. B. über Optik, Wasserkünste (experimentell), mechanische Bewegungen (experimentell), Harmonielehre, Trigonometrie und Chemie bot.

    Das Gesamtwerk von J. kann noch nicht beurteilt werden, da seine Veröffentlichungen (einschl. der Disputationes) und das erhaltene Drittel (ca. 25 000 Blätter) der Manuskripte sowie der Briefwechsel kaum bearbeitet worden sind. Einige wesentliche Züge lassen sich herausheben. Seine mathematischen Fähigkeiten wandte er einerseits in den damals zur Mathematik gehörenden Disziplinen selbst an. So bewies er gegen Galilei, daß die Kettenlinie keine Parabel ist. Sätze der seit Simon Stevin modernen Hydrostatik und Theoreme der Statik führte er auf eine geringere Anzahl von Hypothesen zurück als sie bislang bestanden. In der Astronomie stellte er einen verbesserten Fixsternkatalog zusammen, vereinfachte die stereographische Projektion auf geographisch bezogenen Sternkarten und beobachtete den von David Fabricius entdeckten veränderlichen Stern mira Ceti systematisch. Von der Bewegungslehre, welche J. 1644/45 dem aus England vor der Cromwellherrschaft nach Hamburg geflohenen Mathematiker Charles Cavendysshe of Newcastle upon Tyne auseinandersetzte, sind gerade die wissenschaftshistorisch interessanten Kapitel über die Bewegungsgröße (impetus), die Geschwindigkeit, die Zeit und die Bewegungsrichtung noch nicht wieder aufgefunden worden. Doch ist der von J. in der Bewegungslehre gegebene Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür erhalten, daß die Copernicanische Hypothese einfacher und daher annehmenswerter als die Ptolemäische sei.

    Andererseits verwandte J. die mathematische Methode zum Aufbau einer mathematisch-logischen Grundlage für alle Wissensdisziplinen. Ausgehend von einer von ihm selbst begründeten, die Algebra des F. Viète verallgemeinernden und auf der Tradition der mathematica generalis seit Proklos aufbauenden Methodenlehre für die Mathematik, schuf Jungius, in den 20er Jahren seine wissenschaftliches Erkennen und Didaktik eng verbindende Grundsatzlehre „Protonoetica“ zusammen mit der „Analysis Heuretica“. Ein wesentlicher Inhalt dieser acht Jahre vor dem Erscheinen des Discours von Descartes fertiggestellten J.schen Lehren ist|der Verzicht auf die Beweisart der herkömmlichen Logik zugunsten der mathematischen Methode („ecthesis“). J. forderte in diesem Zusammenhang das clarum et distinctum des Galenos von Pergamon. Er verneinte die Bedeutung der einfachen Syllogismen und Konsequenzen für die Wissenschaften. In der Logik widmete er sich darum besonders auch der Erforschung der zusammengesetzten Schlußarten, worauf sich Leibniz später berief, und nahm die mathematischen Beweisprinzipien (Probleme, Regeln, Theoreme) gleichberechtigt in sie auf. J. entwickelte im 4. Buche der „Logica Hamburgensis“ eine Wissenschaftslehre, deren hervorstechende Merkmale außer den genannten Kennzeichen der Beweismethode die Bevorzugung von Definitionen vor Einteilungen und von a posteriori-Hypothesen und a posteriori-Definitionen vor a priori-Prinzipien ist, sowie die Auffassung von „Wissenschaft“ als System der nach seiner Methode gewonnenen Schlüsse samt diesen Methoden: scientia totalis. Hauptsächlich mit Beispielen aus der Mathematik und den Naturwissenschaften erläuterte er diese Wissenschaftslehre. Zudem befaßte er sich mit einer für die Naturforschung gedachten Näherungslogik (Logica Engistica), in welcher die grundsätzliche Begrenzbarkeit jeder Hypothese und das Prinzip der einfacheren Hypothese mit den Gedanken der Wahrscheinlichkeit (im Gegensatz zur Gewißheit) und der Analogie verbunden wurde. J. versuchte, eine Begriffsschrift zu begründen. Sie übernahm Leibniz in Verbindung mit der J.schen Erfindungskunst.

    Die wissenschaftliche Systematik wandte J. u. a. auf die Botanik und die Chemie an. Die von J. verbesserte botanische Morphologie des Andrea Cesalpino wurde 1660 von John Ray teilweise in den „Catalogus plantarum circa Cantabrigiam nascentium“ übernommen und wurde so in der folgenden Zeit zum Überlieferungsgut. – J.s System der Chemie gründet in der Korpuskularhypothese der Ärzteschule. Nicht Atome im Sinne kleinster Bestandteile, sondern unsichtbare Korpuskeln beliebiger, jedoch beim Ende der Reaktion fester Größe erklärten nach dieser Lehre sowohl den Reaktionsablauf als auch die nur scheinbare Homogenität von Verbindungen (Legierungen, Lösungen) und verbürgten ihm die Erhaltung der Materie und ihres Gewichtes. Die Hypothese der scheinbaren Homogenität bildete für J. die Forderung einer stofflichen Analyse (diacrisis), d. h. der Suche nach analytischen Elementen a posteriori: hypothesis syndiacritica. Dabei unterschied er lange vor Lavoisier den nach Analyse abgetrennten einfachen Körper von den Elementen im Naturkörper, dessen Zusammensetzung (syncrisis) aus den einfachen Körpern erfolgte. Jedes Element dachte er sich aus gleichen Partikeln zusammengesetzt. J. lehnte die vier peripatetischen Elemente und die drei Prinzipien der Chymici (philosophisches Quecksilber, phil. Schwefel, phil. „Salz“) als unbrauchbar ab. Damit vermochte er als erster in der Geschichte der Wissenschaft auf solche genannte Weise definierte und nach seiner Ansicht durch Experimente der Chymici und Hüttenleute gesicherte „Elemente“ anzugeben, u. a. Gold, Silber, Schwefel, Quecksilber, Salpeter, Steinsalz, Soda). Mit seiner systematischen Hypothese stellte J. eine dem heute gültigen Wissensstande mehr ähnelnde Theorie der Chemie auf als nach ihm Boyle, welcher nur den aristotelischen Elementbegriff kannte, im übrigen grundsätzlich Elemente zugunsten einer reinen Korpuskularhypothese verwarf. Die hypothesis syndiacritica setzte J. überdies in den Stand, die um seine Zeit viel erörterte Transmutation von Eisen in Kupfer als bei der Ausfällung des Kupfers an diesem und am Eisen stattfindenden Austausch der Partikeln beider Stoffe richtig zu deuten. – Im übrigen beweist das Studium der Quellen, welche J. und seine Zeitgenossen benutzten, daß Kenntnisse über Minerale und ihre Verhüttung im Laufe der Geschichte wesentlich zur Entwicklung einer „Chemie“ beigetragen haben.

    Als Voraussetzung für die Systematisierung des Wissens trug J. aus der Literatur und aus Beobachtungen umfangreiches Material („historiae“, „protonoeticae schedae“) auf verschiedenen Fachgebieten (z. B. mechanische Techniken, Geographie, Geschichte, Erz- und Hüttenkunde) zusammen. Andrerseits bildete die Neuschöpfung vieler Fachausdrücke, welche er zum systematischen Aufbau der Disziplinen aus solchem Einzelwissen vornahm, bereits für die Zeitgenossen ein Kennzeichen seiner Methode und oft zugleich eine Erschwerung des Verständnisses seiner systematischen Untersuchungen.

  • Werke

    Vollst. Verz. d. Drucke in: H. Kangro, J. J. Experimente u. Gedanken z. Begründung d. Chemie als Wiss., 1968, S. 350-94 - Kurtzer Ber. v. d. Didactica, od. LehrKunst Wolfgangi Ratichii …, 1613 (mit C. Helvich);
    Geometria Empirica, 1627, dt. (Fragment) u. d. T. Dokt. J. J. Reißkunst, o. O. u. J.;
    Protonoeticae Philosophiae Sciagraphia (Fragment), in: Kangro 1968, S. 256-71 (mit Übers.);
    (Über d. propädeut. Nutzen d. Math. f. d. Studium d. Philos.), 1629, incipit: Quod iis evenire solet …, hrsg. v. J. Lemcke u.|A. Meyer, in: Btrr. z. J.-Forschung, 1929, S. 94-120 (lat. mit dt. Übers.);
    Logica Hamburgensis, 1635 (Buch 1-3), 1638 (Buch 1-6);
    Verantwortung wegen desjenigen was … wegen d. griech. NT u. a. Schulsachen … fürgebracht, (1637), hrsg. v. J. Geffcken u. d. T. Über d. Originalsprache d. NT, 1863;
    (Verteidigung gegen Angriffe d. J. Scharff/Wittenberg, incipit:) Pervenit tandem hestierno die …, 1639;
    (Einladung zu C. Westermanns Rede, incipit;
    ) Philosophiae studium …, 1642;
    üb. 40 disputationes, J. als Respondent od. Praeses, Rostock bzw. Gießen bzw. Hamburg, 1607-52;
    Phoranomica, id est de motu locali (vor 1644), in: J. A. Tassius, Opuscula Mathematica, 1699;
    Isagoge Phytoscopica (vor 1660), [1679];
    Doxoscopiae Physicae Minores, 1662;
    Harmonica, [1679];
    Germania Superior, 1685;
    Mineralia, 1689;
    Hist. Vermium, 1691. |

  • Nachlass

    Nachlaß in Staats- u. Univ.-Bibl. Hamburg, s. a. Kangro, 1968, s. L.

  • Literatur

    ADB 14;
    M. Fogel, Memoriae J. J. …, 1657;
    G. E. Guhrauer, De J. J. commentatio historicoliteraria, o. J. [1846];
    ders., J. J. u. s. Za., 1850;
    E. Wohlwill, J. J. u. d. Erneuerung atomist. Lehren im 17. Jh., in: Festschr. z. Feier d. 50j. Bestehens d. Naturwiss. Ver. in Hamburg, 1887;
    ders., J. J., Festrede z. Feier d. 300. Geburtstages …, 1888;
    H. Schimank, Zur Gesch. d. exakten Naturwiss. in Hamburg, 1928, S. 34-48;
    E. v. Lehe, J.-Archivalien a. d. Staatsarchiv, in: Btrr. z. J.-Forschung, 1929, S. 62-87;
    R. Hooykaas, Elementenlehre u. Atomistik im 17. Jh., in: Die Entfaltung d. Wiss., [1958], S. 47-65 (P);
    W. Mevius, Der Botaniker J. J …, ebd., S. 67-77;
    K. D. Schmidt, Theol. Auseinandersetzungen in Hamburg im beginnenden 17. Jh., ebd., S. 109-16;
    H. Kangro, J. J. Experimente u. Gedanken z. Begründung d. Chemie als Wiss., e. Btr. z. Geistesgesch. d. 17. Jh., 1968;
    ders., Heuretica (Erfindungskunst) u. Begriffskalkül …, in: Sudhoffs Archiv 52, 1968;
    ders., J. J. u. G. W. Leibniz, in: Studia Leibnitiana 1, 1969, S. 175-207;
    ders., Martin Fogel aus Hamburg als Gel. d. 17. Jh., in: Ural-Alta. Jbb. 41, 1969;
    ders., Die Unabhängigkeit e. Beweises: John Pells Beziehungen zu J. J. u. J. A. Tassius …, in: Janus 56, 1969;
    ders., Organon J. J. ad demonstrationem Copernici hypotheseos Keppleri conclusionibus suppositae, in: Organon 9, 1972. -
    J. Lemcke, Versuch e. J.-Bibliogr., in: Btrr. z. J.-Forschung, 1929, S. 88-93. -
    Eigene Archivstud.

  • Porträts

    Ölgem. (Hamburg, Staats- u. Univ.bibl.), Abb. in: Naturforschung u. Naturlehre im alten Hamburg, 1928.

  • Autor/in

    Hans Kangro
  • Zitierweise

    Kangro, Hans, "Jungius, Joachim" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 686-689 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118558838.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Jungius: Joachim J., 1587—1657, berühmter Mathematiker. Philosoph, Naturforscher, Arzt und Schulmann, wurde am 22. October 1587 zu Lübeck als der Sohn des im J. 1589 ermordeten Collegen am dortigen Katharineum Nicolaus J. geboren. Den ersten wissenschaftlichen Unterricht erhielt er auf dem Katharineum, dessen Rector (1593—1613) damals Otto Gualtpertius war, der ihn früh besonders in logische Studien einführte, aber im allgemeinen nur geringen Einfluß auf den begabten Schüler gehabt zu haben scheint. In höherem Maße war dies der Fall mit dem Subrector Joachim Drenckhanius ( 1616 als Rector des Gymnasiums in Stralsund). Eine gewisse Frühreife trat bei J. schon auf der Schule hervor; er hielt seinen Mitschülern, unter denen Johann Tarnovius und Johann Adolf Tassius genannt werden, bereits Vorlesungen über die Dialektik des Ramus. Eine von ihm damals in der Art der gewöhnlichen Schuldramen verfaßte lateinische Tragödie Lucretia hat sich erhalten, ebenso die sehr umfangreiche Abschiedsrede bei seinem Abgange von der Schule (1605): „Oratio adversus artem oratoriam pro vera et sana eloquentia“. Im Mai 1606 begab sich J. nach Rostock, anfangs ohne sich für ein bestimmtes Studium entschlossen zu haben. Er beschäftigte sich vornehmlich unter dem Einflusse des Theologen Johann Slekerus mit scholastischer Philosophie nach den Lehrbüchern des Jesuiten Suarez, disputirte auch unter Slekerus' Vorsitz zweimal: „de Dei naturali cognitione“ und „de potentia activa“, wandte sich aber bald von der Philosophie ab und der Mathematik zu, nachdem er erkannt, „wie wenig wahre Wissenschaft die Metaphysik ihren Verehrern verheiße“. Im April 1608 ging J. auf die kurz vorher gestiftete Universität zu Gießen. Er fand hier größere geistige Anregung, als in Rostock; von seinen Commilitonen, bei denen er bald allgemeine Anerkennung fand, werden Christoph Schreiber, später Professor der Philosophie in Gießen, und Daniel Stahl, später Professor der Metaphysik in Jena, genannt, von seinen Lehrern der Philosoph Kaspar Fink und besonders der Professor der hebräischen und griechischen Sprache, später auch der Theologie Christoph Helvich. Am 22. December 1608 erwarb J. die Würde als Magister in der Philosophie, nachdem er durch Disputationen über philosophische Thesen, die sich im wesentlichen an die neuere Scholastik anlehnten, seine vorzügliche Befähigung nachgewiesen; der bei der Promotion präsidirende Professor der Moralphilosophie, Konrad Dietrich, belobte ihn wegen seiner besonderen Kenntnisse in der Metaphysik und Mathematik und ließ ihn als „ordinis huius supremus dux“ den ersten Inauguralvortrag halten über die Frage: „An brutis quibusdam rationis humanae usus tribuendus?“ Gegen Ende des Sommers 1609 war J. im Begriffe nach Rostock zurückzukehren, als ihm unerwartet die durch den Tod von Nicolaus Hermann erledigte Professur für Mathematik in Gießen angetragen wurde. Ohne Zögern nahm der 22jährige junge Mann die Stellung an und eröffnete seine Vorlesungen mit einer am|5. November gehaltenen Rede: „De matheseos dignitate, praestantia et usu.“ In dieser bestimmt er zuerst den Werth der Mathematik nicht nach dem praktischen Nutzen, den sie gewähre, sondern definirt sie als eine der theoretischen Philosophie angehörende selbständige Wissenschaft, die ihre Würde in sich selbst trage. Drei Jahre hindurch hatte J. in Gießen eifrig gelehrt, als ihn ein Auftrag seines Landesherrn mit einer ihm damals sehr fernliegenden Aufgabe betraute, die ihn schließlich in andere Bahnen brachte. Bei Gelegenheit der zur Kaiserwahl 1612 in Frankfurt stattfindenden Fürstenversammlung hatte Wolfgang Ratichius den Fürsten ein Memorial überreicht, in welchem er seine neue Methode des Unterrichtes ausführlich darlegte. Unter den Fürsten, deren Interesse er erweckte, befand sich auch der Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt, welcher dir Professoren der Landesuniversität, Helvich und J., beauftragte, „den Grund solches Werkes zu untersuchen“ und Ratich „in seinem hochnützlichen Vorhaben ... beizuwohnen und Hilfe zu leisten“. So kam J. nach Frankfurt, dann durch Ratich's Beziehungen zum Hofe der Herzogin Maria Dorothea auch zu den von dieser Fürstin in Erfurt veranstalteten Conferenzen mit Jenaer Professoren über Ratich's Methode, vorübergehend selbst nach Weimar; 1613 erschien noch sein und Helvich's „Kurtzer Bericht von der Didactica oder Lehrkunst Wolfgangi Rantichii“ (Frankf. 12), in welchem er sich mit Begeisterung für die neue Methode aussprach. Der Bericht erklärt es für möglich, „eine jegliche Sprache aufs längste in einem Jahre“ zu lernen, und glaubt, daß Ratich's Methode sich beim Unterricht in Künsten und Wissenschaften noch mehr bewähren werde, als bei dem sprachlichen. Interessant ist ferner in dem Berichte das Verlangen, das Deutsche in den Bereich des Unterrichts zu ziehen. Um ihrem günstigen Urtheil über Ratich noch mehr Verbreitung zu verschaffen, gaben J. und Helvich 1614 Luther's Vermahnung an die deutschen Städte, „daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ mit einer „Zugabe von Sprüchen und anderen Schriften Dr. Luther's gleichen Inhalts“ und einem „Nachbericht von der neuen Lehrkunst W. Ratchii“ heraus. Als Ratich 1614 nach Augsburg berufen wurde, folgten ihm J. und Helvich, um sein Werk „beständig ausführen zu helfen"; J. benutzte diese Gelegenheit, um sein Amt in Gießen gänzlich niederzulegen, während Helvich Urlaub für sich erlangt hatte. Eine gleichzeitige Berufung nach Rostock als Rector Gymnasii und Professor der Ethik lehnte J. ohne weiteres ab. Anderthalb Jahre waren die Freunde mit Ratich in Augsburg, lange genug, um die Nichtigkeit der so geheimnißvoll angekündigten Methode — jeder von Ratich Eingeweihte mußte ewiges Schweigen geloben durchschauen zu können; die frühere Verehrung war bei ihnen in offene Feindschaft und Verachtung umgeschlagen. Die von Helvich und J. in dieser Zeit gemeinschaftlich verfaßten Aufsätze, die Ratich später in der von ihm veranstalteten Sammlung didaktischer Schriften unter dem Titel „Aphorismi“ herausgab, enthalten das, was die Verfasser als den vernünftigen Kern des Ratichianismus betrachteten, bewiesen aber auch, wie hoch sie in allgemeiner Bildung Ratich selbst überragten. Der wichtigste Grundsatz, den sie verfechten, ist der „Per inductionem et experimentum omnia"; sie treten durch diesen Satz unmittelbar neben Bacon von Verulam. Außer diesen Aufsätzen fallen in diese Zeit gemeinschaftliche Arbeiten über Etymologie und deutsche Sprache, z. B. der Anfang eines deutschen Wörterbuchs u. A. Helvich kehrte nach Gießen zurück, wo er schon am 10. September 1617 starb, J. begab sich im Juli 1615 nach seiner Vaterstadt Lübeck, konnte hier aber einen festen Boden nicht finden. So sehen wir ihn im August 1616 wieder nach Rostock wandern, um sich von neuem und zwar jetzt als studiosus medicinae immatriculiren zu lassen; er wohnte im Hause Johann Huswedels, der 1615 sein Amt als Rector Johannei in Hamburg aufgegeben hatte und jetzt als|Professor der Ethik und der griechischen Litteratur in Rostock wirkte (s. d.). Bis zum Herbst 1618 blieb J. in Rostock und begab sich dann auf eine wissenschaftliche Reise, die ihn zunächst nach Palma führte. Hier erwarb er am 22. December 1618 den medicinischen Doctorgrad, blieb dann noch bis zum Frühjahr 1619, anscheinend vornehmlich mit botanischen und zoologischen Studien beschäftigt, und besuchte sodann noch eine Reihe anderer italienischer und deutscher Städte. Ende August 1619 kehrte er nach Rostock zurück und blieb hier mehrere Jahre in unabhängiger Muße, indem er die zahlreichen ihm gemachten Anerbietungen verschiedenster Aemter — u. a. sollte er einmal Leibarzt und Hofmathematiker des Bischofs von Güstrow werden — ablehnte. Mehr und mehr trat er, ebenso wie seine alten Freunde Paul Tarnovius und Adolf Tassius, hier dem Kreise Johann Valentin Andreae's (s. d.) näher, dessen „spiritualistisch-wissenschaftliches Ideal nach seiner intellectuellen Seite vorwiegend in das Leben zu führen, er Beruf und Energie hatte“ (Guhrauer). Mit diesen Freunden stiftete J. im J. 1622 eine von der Universität ganz unabhängige gelehrte Gesellschaft, die societas ereunetica oder zetetica, in deren Programm die Widerlegung der Philosophie der Jesuiten, die Pflege der Mathematik und die Erforschung der Natur als die Hauptaufgaben bezeichnet wurden. „Der Zweck unseres Vereins soll einzig der sein: die Wahrheit aus der Vernunft und der Erfahrung sowol zu erforschen als sie, nachdem sie gefunden ist, zu erweisen oder alle Künste und Wissenschaften, welche sich auf die Vernunft und die Erfahrung stützen, von der Sophistik zu befreien, zu einer demonstrativen Gewißheit zurückzuführen, durch eine richtige Unterweisung fortzupflanzen, endlich durch glückliche Erfindungen zu vermehren“. Der Verein, welcher die erste wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland und im ganzen nördlichen Europa war, bestand nur bis etwa 1625, wo die Kriegswirren ihm ein Ende gemacht zu haben scheinen; die wenigen Jahre reichten aber für J. aus, eine vielseitige Anregung auf die der Gesellschaft sich anschließenden Gelehrten und jungen Männer auszuüben; der von ihm privatim damals angelegte botanische Garten war einer der ersten in Deutschland. Im October 1623 übertrug der Rath von Rostock J. die mathematische Professur an der Universität, die er jedoch erst am 6. Februar 1624 mit einer Rede „De mathematicarum scientiarum praestantia“ antrat. Wenige Tage nachher (10. Februar) verheirathete er sich mit Katharina Havemann aus Rostock. Schon im Herbste desselben Jahres berief ihn der Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel als Professor der Medicin an die Universität zu Helmstädt; der Amtsantritt verzögerte sich, da der Rostocker Rath J. zu halten versuchte, bis zum 21. Juni 1625; an diesem Tage hielt er seine Antrittsrede über die Entwickelung der Medicin bei den Griechen, Arabern und Lateinern. Der ausbrechende niedersächsische Krieg sprengte jedoch schon wenige Wochen nachher die Angehörigen der Universität auseinander; J. ging mit seiner Gattin nach Braunschweig und prakticirte dort als Arzt, soll sich aber als solcher „im Verschreiben der Heilmittel furchtsam“ erwiesen haben. Nach einem kurzen Aufenthalte in Wolfenbüttel, wo er im Schlosse wohnte und in der Stadt Kranke besuchte, entschloß er sich im Juli 1626, das braunschweiger Land wieder zu verlassen und nach Lübeck heimzukehren. Zum Glück für ihn war die früher von ihm verwaltete Professur der Mathematik in Rostock noch frei; schon am 29. Sept. berief ihn der Rath dieser Stadt von neuem und legte ihm hierbei u. A. auch die Verpflichtung aus, seinen guten Rath „zu Fortificationen unserer Stadt oder Anlegung anderer der Stadt vornehmen Werken und Gebäuden“ zu ertheilen, doch ist diese Verpflichtung wegen der gegen die Befestigung Rostocks von Wallenstein erhobenen Einsprache nicht praktisch geworden. Auch dies Mal war die Rostocker Professur nur von kurzer Dauer. Auf Veranlassung seines Jugendfreundes,|des Syndikus Johann Garmers in Hamburg, wurde J. gegen Ende des Jahres 1628 in das Amt eines Rectors des dortigen Johanneums und des mit diesem als eine Art classis selecta verbundenen akademischen Gymnasiums berufen; am 19. März 1629 wurde er in das neue Doppelamt eingeführt, er redete bei dieser Gelegenheit über den propädeutischen Nutzen der Mathematik. Der Zustand der beiden Anstalten war bei Jungius' Amtsantritt ein überaus kläglicher; es ist ihm zu großer Ehre nachzurühmen, daß er von Anfang an mit klarer Thatkraft das Seine gethan, um die aus dem Ueberwuchern des Privatschulwesens, der Zerfahrenheit der Lehrer, der Dürftigkeit der Finanzverhältnisse und ähnlichem sich ergebenden Uebelstände zu beseitigen. Andererseits ist aber auch nicht zu verkennen, daß die verständigen und klugen Grundsätze, die er — u. a. in einer mit Recht gerühmten Einführungsrede vom J. 1636 — in Betreff der Methode, Organisation und Disciplin aussprach, von ihm mehr theoretisch erkannt als praktisch geübt wurden; seine Vergangenheit war wol nicht die ausreichende Vorbereitung zur Führung des Schulregimentes für ihn gewesen. So erklärt es sich, daß auch die von ihm in der Hauptsache verfaßte Schulordnung von 1634 wesentliche Besserung in der Schule kaum gebracht hat, während manche der dort verordneten Neuerungen, vornehmlich die veränderte Stellung des Conrectors zum Rector, die Einführung der Medaillenvertheilung an die versetzten Schüler u. dgl., Verbesserungen kaum zu nennen waren. Ueberhaupt war sein Interesse in erster Linie wol dem Unterrichte der erwachsenen Schüler des Gymnasiums und der prima Joannei zugewandt; die nicht minder wichtige Aufgabe der Leitung auch der unteren Classen scheint er seinem Conrector Arnoldi (seit 1623, Rector von 1641—51) überlassen zu haben. Für die Primaner, welche zu philosophischem Denken zu erziehen er sich besonders bemühte, schrieb er 1638 auf Anordnung des Scholarchates seine „Logica Hamburgensis“, das einzige von ihm herausgegebene etwas größere wissenschaftliche Werk, dessen Bearbeitung gegenüber der damals üblichen Schulphilosophie noch Leibniz anerkannte, welches aber als zum Schulgebrauch geschrieben keineswegs ausschließlich die Ansichten des Verfassers enthält. Das Buch erregte einen lebhaften Widerspruch, namentlich von Seiten des Wittenberger Professors der Philosophie Johann Scharff, fand auch außerhalb Hamburgs wenig Eingang. Noch mehr Anstoß gab sein Versuch, die Alleinherrschaft des Neuen Testaments als griechischer Schullectüre zu beseitigen und neben derselben einen Profanschriftsteller in die Schule einzuführen. In einer am akademischen Gymnasium unter seiner Genehmigung gehaltenen Disputation über die Frage: „An novum Testamentum barbarismis scateat?“ sah die Geistlichkeit einen Angriff auf das Ansehen der hl. Schrift, ein der Gemeinde und insbesondere der Jugend gegebenes Aergerniß und forderte das Einschreiten des Rathes. J. stellte in einer Erwiderung seine Ansicht dahin fest, daß „im Neuen Testament nicht recht griechisch sey“, beruhigte aber seine Gegner hierdurch nicht; vielmehr verschafften sich diese ein Gutachten der theologischen und philosophischen Facultät in Wittenberg, „daß „Soloecismi, Barbarismi und nicht recht Griechisch in der hl. Aposteln Reden und Schriften zu finden, ist dem hl. Geist .... zu nahe gegriffen, und wer die hl. Schrift einiger Barbarismi bezüchtigt, ... der begehet nicht eine geringe Gotteslästerung“. J. antwortete 1639 mit einer anonym herausgegebenen Schrift: „Sententiae doctorum virorum de stilo N. T.“, welche Zusätze von seiner Hand jedoch nicht enthielt; die hiergegen gerichtete Schrift vom Pastor ad St. Catharinam, Jacob Grosse: „Trias propositionum theologicarum“ gab den Anlaß zu einem Jahre lang geführten litterarischen Streite, an welchem J. selbst sich aber nicht weiter betheiligte, ohne freilich durch diese Zurückhaltung seine geistlichen Gegner in Hamburg zu versöhnen. Im Gegentheile gingen von|dieser Seite fortgesetzt Angriffe auf J. aus, die diesen um so empfindlicher trafen, da er durch seine amtlichen Stellungen mit der Geistlichkeit in stetige Berührung kam. Schon 1635 war er nahe daran, in den „Bann gethan“ zu werden, weil er eine reformirte Frau mit seinen Schülern zu Grabe geleitet hatte; er klagt gelegentlich, daß „die Priester seine abtrünnigen Collegen in ihrem Widerstande stärken"; man bezeichnet ihn als Atheisten u. dgl. m. Alles dies und die Erkenntniß, daß seine Thätigkeit segensreicher sein werde, wenn er den ihm ferner liegenden Schuldienst abgäbe, bewog ihn, am 16. Juli 1640 sein Amt als Rector Johannei niederzulegen und also nur die Professur und das Rectorat des akademischen Gymnasiums beizubehalten. Dieser Entschluß kam beiden Anstalten zu Gute. Insbesondere tritt seine Lehrthätigkeit am akademischen Gymnasium jetzt immer mehr hervor. Seine Schüler suchte er durch private Besprechungen und gemeinschaftliche Ausflüge zur Kunst oder Beobachtung der Natur hinzuführen; durch sie erlangte er allmählich auch Einfluß und Anerkennung auf den Universitäten, selbst in Wittenberg wurden die „Jungianer“ als gute Mathematiker geschätzt. Auch im Auslande wurde J. bekannt, in Schweden besonders durch seinen Verehrer und Freund Amos Comenius, in England durch Cavendish und den Arzt Hartlib, auch in Holland, weniger aber in Frankreich, in welchem doch damals die philosophischen und mathematischen Studien durch Descartes, Pascal u. A. einen so lebhaften Aufschwung genommen hatten. Guhrauer erklärt die Nichtannäherung der Franzosen an J. wol mit Recht aus seiner großen Rückhaltung in schriftstellerischer Thätigkeit; persönliche Vermittelung, die den schriftstellerischen Ruf ersetzen mußte, habe aber gefehlt. — Trotz der vielfachen Anerkennung aber, die J. mehr und mehr fand, fühlte er sich, je älter er wurde, in Hamburg immer weniger behaglich. Er klagte über die „Erstarrung der Menschen“, ihre „Verachtung gegen die Philosophie"; die Jugend „nütze ihr Talent in theologischen Streitigkeiten ab“. Nach mannichfachem körperlichen Ungemach starb er am 17. September 1657, fast 70 Jahre alt; er wurde in der St. Johanniskirche begraben. Seine Gattin war ihm schon 1638 vorangegangen; Kinder hinterließ er nicht. Sein Vermögen hatte er zur Begründung von Stipendien bestimmt; die Stipendiaten sollten dafür seinen wissenschaftlichen Nachlaß ordnen und herausgeben. Diese letztere Absicht ist jedoch nur zum kleinsten Theile erfüllt worden: sein Schüler Martin Vogel ließ 1662 die „Doxoscopiae physicae minores“, Johann Vagetius 1679 die „Isagoge phytoscopica“ erscheinen, allein hierbei blieb es 1691 vernichtete ein Brand den größten Theil der nachgelassenen Manuscripte; etwa der vierte Theil (über 109 Fascikel) ist auf der Hamburger Stadtbibliothek erhalten. Leibniz hat sich wiederholt vergebens bemüht, die Herausgabe zu bewirken; nachdem man hamburgischerseits das durch Newton veranlaßte Anerbieten der königl. Societät in London, den gesammten Nachlaß auf ihre Kosten drucken zu lassen, zurückgewiesen, hat sich später niemals wieder eine Gelegenheit geboten und wird sich kaum wieder bieten. — Die Bedeutung Jungius', auf welche nach fast völliger Vergessenheit wieder hingewiesen zu haben, Goethe's Verdienst ist, beruht weniger in seinen philosophischen, als in seinen naturwissenschaftlichen Studien. Die ersteren sind fast ausschließlich kritischer Art; es ist zu bedauern, daß „er sich nicht damit begnügte, die herrschende Philosophie einer allgemeinen und zusammenhängenden Kritik gleich anderen Reformatoren seiner Zeit zu unterwerfen, sondern statt dessen seine Doxoskopien auf zu viele einzelne Lehrer und Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts wandte, welche die Geschichte der Philosophie längst zur Vergessenheit verurtheilt hat“ (Guhrauer), während er Männer, wie Baco, Galilei, Descartes u. A. nicht beurtheilte. Schon Leibniz beklagte, daß J. durch die Kritik fremder Arbeiten zu viel Zeit für die eigenen verloren habe. Ihm eigenthümlich aber und seinen wissenschaftlichen Standpunkt bezeichnend, ist die Anschauung, daß „die Quellen der wissenschaftlichen Wahrheit weder im apriorischen Denken oder der Vernunft allein, noch in der Erfahrung allein zu suchen seien, sondern in der unzertrennlichen und nothwendigen Verbindung beider.“ Hierdurch sichert er sich eine selbständige Stellung zwischen Descartes und Bacon und, wenn er einerseits der Speculation des ersteren nicht zu folgen vermag, so erhebt er sich doch weit über den nackten Empirismus des Engländers. Die Metaphysik als solche ist ihm keine eigentliche Wissenschaft und zwar deswegen, „weil es in derselben keine Demonstrationen gibt"; der höchste Gipfel aller Wissenschaft ist vielmehr die Heuretik oder Zetetik, durch welche „verlorene Probleme wiederhergestellt, unaufgelöste gelöst, neue Lehrsätze gefunden, neue Canones geschaffen, Zweifelhaftes zur Gewißheit erhoben wird". Daher ist ihm die Mathematik und die Physik allein die wahre Philosophie: „die Verbesserung der Philosophie hat von der Physik ihren Ursprung zu nehmen“. Dieser, d. h. der Naturwissenschaft im allgemeinen die wissenschaftliche Methode angegeben zu haben, ist Jungius' vornehmlichstes Verdienst gewesen: Prüfung der Hypothesen nach den durch Demonstrationen erwiesenen Erscheinungen; nicht das Anpassen der beobachteten Erscheinungen an die Hypothesen, sondern vorsichtige Anwendung der wissenschaftlichen Induction, genaue Ermittelung der Endursachen, wie des Zweckes der einzelnen Erscheinung, dies sind die Grundforderungen, die er für eine wissenschaftliche Erkenntniß der Natur aufstellte. Die naturwissenschaftlichen Gebiete, mit denen er sich vornehmlich beschäftigte, waren Physik und besonders Insektenkunde und Botanik; in dieser war er durch seine Gestaltung der Nomenclatur und seinen Versuch, die Pflanzen nach den Geschlechtsorganen zu ordnen, der Vorläufer Linné's, wenngleich Goethe über ihn urtheilt: „an seinen botanischen Arbeiten kann ich gleiche Liebe und Fleiß nicht bemerken"; die Mineralogie blieb ihm im Ganzen fern. — Außer den im Vorstehenden bereits genannten Schriften von J. sind noch folgende, nach seinem Tode veröffentlichte zu nennen: „Harmonica theoretica“, ed. a J. Vagetio, 1678; „Historia vermium“, ed. a. Garmero. 1691.

    • Literatur

      M. Fogelii Memoria J. Jungii, Hamb. 1657. Wilckens, Ehrentempel, Hamburg 1770. Calmberg, Geschichte des Hamb. Johanneums, 1829. Guhrauer, Joachim Jungius und sein Zeitalter. Nebst Goethe's Fragmenten über Jungius, Stuttgart und Tübingen 1850. Avé-Lallemant, Des Dr. J. Jungius' Briefwechsel, Lübeck 1863.

  • Autor/in

    Richard , Hoche.
  • Zitierweise

    Hoche, Richard, "Jungius, Joachim" in: Allgemeine Deutsche Biographie 14 (1881), S. 721-726 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118558838.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA