Lebensdaten
1837 – 1911
Geburtsort
Heiligenhafen (Holstein)
Sterbeort
Thalkirchen bei München
Beruf/Funktion
Schriftsteller
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 11855736X | OGND | VIAF: 2542546
Namensvarianten
  • Moldenhauer, Wilhelm (adoptierter)
  • Bahr, Wilhelm (unehelich geborener)
  • Jensen, Wilhelm
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Jensen, Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11855736X.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Unehel.; adoptiert v. Pauline Moldenhauer, T d. Joh. Jacob Paul M. (1766–1827), Prof. d. Botanik in Kiel (s. ADB 22); - V Sven Hans (1795–1855), Bgm. v. Kiel, 1849 Finanzmin. v. Schleswig-Holstein, u. Landvogt auf Sylt (s. L), S d. Schiffskapitäns Hans Sven (1768–1806), aus alteingesessener Seefahrerfamilie auf Sylt, u. d. Jai Erken;
    M Dorothea Bahr, Dienstmagd in Heiligenhafen;
    Wien 1865 Marie (1845–1921, kath.), T d. Moritz Brühl (1819–77, isr., dann kath.), Dr. phil., Publizist, Kulturkritiker u. Übersetzer in Wien, Hrsg. d. „Slg. a. d. vorzüglichsten neueren kath. Dichtern u. Prosaikern Dtld.s“ (1854) (s. ³Kosch, Lit.-Lex., W, L), u. d. Therese Meyer aus Köln;
    1 S, 3 T, Paul (s. 1), Dorothea ( Karl Mez, 1866–1944, Prof. d. Botanik), Maina ( Eduard Heyck, 1862–1941, Prof. d. Gesch., Archivrat u. Vorstand d. Fürstenberg. Bibl. in Donaueschingen, Hrsg. d. „Monogrr. z. Weltgesch.“ (s. L), Katharina (seit 1892 Frfr. v. Saalfeld, Prinz Ernst v. Sachsen-Meiningen, 1941);
    E Peter (s. 2), Hans Heyck (* 1891), Schriftsteller.

  • Biographie

    J. begann 1856 mit dem Studium der Medizin in Kiel, das er in Würzburg (1857/58), Jena (1858) und Breslau (1859 60) fortsetzte, dann aber mit dem Vorsatz abbrach, sich ganz der Literatur zu widmen. Nach der Rückkehr in die Heimat wandte er sich im Herbst 1862 ratsuchend an Hebbel, der jedoch seinen Brief unbeantwortet ließ. Dagegen ermutigte ihn Geibel zu dem Entschluß, nach München überzusiedeln. Ohne der „Gesellschaft der Krokodile“ beizutreten, lernte J. durch Geibels Vermittlung die meisten damaligen Mitglieder des Münchener Dichterkreises kennen. Seine eigenen literarischen Anfänge standen unter dem Einfluß Storms, dessen frühe Novellen schon während der Schulzeit seine poetische Begabung geweckt hatten. Vor allem die in München geschriebene Novelle „Magister Timotheus“ (1866, Neudr. 1928) ist in Thematik und Stil mit Storms „Immensee“ nahe verwandt. Nachdem er in Stuttgart seinen Hausstand gegründet hatte, führten ihn dort die politischen Ereignisse des Jahres 1866 mit Wilhelm Raabe zusammen. Beide befürworteten die kleindeutsche Lösung der deutschen Frage unter Führung Preußens. J. übernahm die Redaktion der „Schwäb. Volkszeitung“, des Kampfblattes der Deutschen Partei in Schwaben. Aus der fast zufälligen Begegnung entstand eine Lebensfreundschaft beider Familien. Mit einer Ankündigung des „Abu Telfan“ und der Besprechung des „Schüdderump“ begannen J.s publizistische Bemühungen um Raabes Werk, die er bis in sein Todesjahr fortgesetzt hat. Obgleich Raabe ihm von weiterer journalistischer Tätigkeit abriet, stellte er sich im Herbst 1868 für die Leitung der antidänisch gerichteten „Norddeutschen Zeitung“ in Flensburg zur Verfügung. Den deutsch-franz. Krieg begleitete er mit „Liedern aus dem Jahr 1870“ (1870, ²u. d. T. Lieder aus Frankreich, 1873). In den beiden Tragödien „Dido“ und „Juana von Kastilien“ (1872) vermochte er noch keinen eigenen Weg zu finden. Hingegen löste er sich als Erzähler seit den Stuttgarter Jahren von der Nachahmung Storms, indem er sich die weiten Stoffbereiche der zeitgenössischen Novellistik erschloß. Die historische Novelle „Karin von Schweden“ (1872, 230.-234. Tsd. 1957) wurde seine erfolgreichste Dichtung, mit „Unter heißerer Sonne“ (1869) und „Eddystone“ (1872) griff er die Möglichkeiten der exotischen und der phantastischen Novelle auf. Bald nach der Reichsgründung gab er die Zeitungsarbeit auf und zog nach Kiel, um fortan ohne berufliche Bindungen als freier Schriftsteller zu leben. Den schon in Flensburg begonnenen freundschaftlichen Umgang mit Storm setzte er von Kiel aus fort, Klaus Groth trat hinzu, und auch zu dem nach Lübeck zurückgekehrten Geibel nahm er die Verbindung wieder auf. Die zweite Lebenshälfte verbrachte J. in Süddeutschland, zunächst seit 1876 in Freiburg i. Br., wo er die Freundschaft des Landschaftsmalers Emil Lugo gewann. Sein dort mit dem aus dem Kulturkampf hervorgegangenen antiklerikalen Tendenzstück „Der Kampf für's Reich“ noch einmal unternommener Versuch, sich als Dramatiker durchzusetzen, wurde 1884 durch eine Demonstration kathol. Studenten zum Scheitern gebracht. Von 1888 an lebte J. im Sommer am Chiemsee und während des Winters in München.

    J.s lyrisch-episches Talent war, ähnlich dem Paul Heyses, von so leichter Auffassungs- und Darstellungsgabe, daß er sich die Stoffe fast beliebig wählen und sie seinen Lieblingsgedanken anpassen konnte. Das gilt vor allem für seine historischen Novellen und Romane. In ihnen hat er die kulturgeschichtliche Richtung dadurch weitergeführt, daß er der dichterischen Phantasie größeren Freiraum im Sinne des poetischen Realismus gewährte. Überlieferte Geschehnisse und erfundene Einzelschicksale flocht er eng ineinander. In seinen besten Erzählungen gelang es|ihm, durch einen stärkeren Gefühlston das Atmosphärische von Zeit und Ort zum eigentlichen Handlungsträger zu machen. Landschaftlichen Stimmungsbildern und der Schilderung innerer Vorgänge kam hierbei ein vorrangiger Anteil zu. Ohne sich ausdrücklich auf Heyses Falkentheorie zu berufen, befolgte er dessen Forderung nach einer konturierenden Silhouette, wobei er allerdings in der Verwendung von Leitmotiven und Dingsymbolen vielfach zu vordergründig verfuhr. Durch die Bevorzugung der Motivationen aus dem Bereich des Unbewußten, namentlich des Traumlebens, hat J. die Aufmerksamkeit der Tiefenpsychologie erregt: Sigmund Freud erläuterte 1907 an J.s Novelle „Gradiva“ (1902) seine Neurosentheorie und sein psychoanalytisches Heilverfahren. Die Neigung zu grellen Effekten und konventionell versöhnlichen Ausgängen kam zwar dem Publikumsgeschmack der Zeit entgegen, barg aber auch die Gefahr des Absinkens auf das Niveau der Unterhaltungsliteratur in sich. J.s meist mehrbändige Romane enthielten entweder breite Genrebilder aus der deutschen und franz. Geschichte vom Mittelalter bis zur Mitte des 19. Jh., oder sie suchten durch eine polemische Schwarzweiß-Technik in der Charakterzeichnung sich das Ansehen zeitkritischer Gesellschaftsromane zu geben. Da J. an den Roman keine spezifischen formalen Anforderungen stellte, bot sich ihm hier die Möglichkeit zur ausführlichen Erörterung seiner Weltanschauung. Diese war durch einen naturwissenschaftlichen Monismus, wie ihn Ernst Mach vertrat, und durch Religionskritik gekennzeichnet, die sich an L. Feuerbach und D. F. Strauß orientierte. Sein Kampf gegen Kirche und Kultus ergab sich aus der Ablehnung des Offenbarungs- und Jenseitsglaubens. Zeitweilige pessimistische Beeinflussungen wurden durch die zukunftsorientierte Anthropologie von D. F. Strauß („Der alte und der neue Glaube“) zurückgedrängt. Auch in J.s Gedichte, deren Erinnerungs- und Gefühlsgehalt Storm naheblieb, sind diese weltanschaulichen Überzeugungen eingegangen. Als „Stimmen des Lebens“ durchzieht sie ein reflektierender Zug. Das führte J. zu versepischen Versuchen (u. a. „Am Aschenkrug“) und in den Dantes ersten Vers der „Göttlichen Komödie“ aufnehmenden Terzinen „Um meines Lebenstages Mittag“ (1875) zur philosophischen Lyrik, mit der J. nach Raabes Urteil durch die Vereinigung von Naturstimmung und Didaktik sein Bestes gegeben hat.

  • Werke

    Weitere W u. a. Lyrik: Gedichte, 1869;
    Stimmen d. Lebens, 1881;
    Vom Morgen z. Abend, Ausw., 1897, ²1907 (P);
    Ausgew. Gedichte, mit e. Vorwort hrsg. v. Th. v. Sosnosky, 1912;
    - Novellen u. Erzz.: Westwardhome, 1866, Neudr. mit Einl. v. H. Landsberg, 1924;
    Im Pfarrdorf, 1868;
    Lübecker Novellen, 1868;
    Nordlicht, 3 Bde., 1872 (darin: Karin v. Schweden);
    Nymphäa, 1874;
    Aus d. 16. Jh., 1877;
    Frühlingsstürme, 2 Bde., 1880;
    Aus stiller Zeit, 4 Bde., 1881-85;
    Die Pfeifer vom Dusenbach, 1884;
    Ein Skizzenbuch, 1884, ²1897 (P);
    Aus d. Tagen d. Hansa, 3 Bde., 1885;
    Aus schwerer Vergangenheit, 1888;
    Aus m. Vaterstadt, Die Persian. Häuser, 1889;
    Der Herr Senator, 1890;
    Übermächte, 1892;
    Astaroth, Mentha, 1893;
    Chiemgau-Novellen, 1895;
    Jenseits d. Alpen, 1895;
    Die Sehnsucht, 1899;
    - Romane: Minatka, 2 Bde., 1871;
    Nach hundert Jahren, 4 Bde., 1873;
    Die Namenlosen, 3 Bde., 1873;
    Sonne u. Schatten, 2 Bde., 1873;
    Nirwana, 3 Bücher aus d. Gesch. Frankreichs, 4 Bde., 1877;
    Um d. Kaiserstuhl, 2 Bde., 1878;
    Nach Sonnenuntergang, 1879;
    Versunkene Welten, 2 Bde., 1882;
    Am Ausgang d. Reiches, 2 Bde., 1886;
    Runensteine, 1888;
    Jahreszeiten, 2 Bde., 1889;
    Doppelleben, 1890;
    Im Zwing u. Bann, 2 Bde., 1892;
    Asphodil, 2 Bde., 1894;
    Luv u. lee, 2 Bde., 1897;
    Um d. Wende d. Jh. (1789–1806), 1899;
    Die Rosen v. Hildesheim, 2 Bde., 1900;
    Eine Schuld, 1901;
    Der Schleier d. Maja, 1902;
    Gäste auf Hohenaschau, 1904;
    Unter d. Tarnkappe, Ein schlesw.-holst. Roman a. d. J. 1848-50, 2 Bde., 1906;
    Kg. Friedrich, 3 Bde., 1908;
    Fremdlinge unter d. Menschen, 2 Bde., 1911;
    Selbstbiogr. u. lit.krit. Aufss.: Wilh. Raabe, in: Westermanns Mhh. 47, 1879, S. 106-23;
    Über Schneefall, Erstlinge …, in: Die Gesch. d. Erstlingswerks, Selbstbiograph. Aufsätze, hrsg. v. K. E. Franzos, 1894, S. 173-82 (P);
    Aus m. Kriegsj., in: Velhagen u. Klasings Mhh. Jg. 1898/99, 2. Bd., S. 97-104;
    Heimat-Erinnerungen, I: Emanuel Geibel, II: Theodor Storm, III: Klaus Groth, ebd., Jg. 1899/1900, 2. Bd., S. 433-44, 501-12, 626-32;
    Wilh. Raabe, 1901;
    Wilh. Raabe, in: Eckart, Jg. 1911, S. 375-86;
    W. u. Marie J., An Wilh. Raabe, Zum 8.9.1911, in: Wilh. Raabe-Kal. a. d. J. 1912, S. 17-22;
    - Briefwechsel: mit Raabe, in: Wilhelm Raabe, Sämtl. Werke (Braunschweiger Ausg.), Erg.bd. 3, 1970;
    mit Th. Storm unveröff.;
    Ausschnitte a. Briefen J.s, mitget. v. Gertrud Storm, in: Th. Storm, Ein Bild s. Lebens, 2 Bde., 1912/13. - Hs. Nachlaß:
    Kiel, Landesbibl.

  • Literatur

    G. A. Erdmann, W. J., Sein Leben u. Dichten, 1907 (P);
    W. Barchfeld, W. J. als Lyriker, Diss. Münster 1913;
    O. Fraas, W. J., Zu s. Gedächtnis, 1913 (P);
    BJ 18;
    H. Conrad, W. J. als Vertreter d. hist. Romans, Diss. Gießen 1923 (ungedr.);
    K. Schorn, W. J., Der Mensch, s. Weltanschauung u. s. Kunst, Diss. Bonn 1923 (ungedr.), Auszug in: Jb. d. Phil. Fak. Bonn 1, Halbbd. 2, 1924;
    H. Mielke, Der dt. Roman, ⁴1912, S. 223 f.;
    K. Studentkowski, Der 30j. Krieg im Spiegel d. hist. Novelle, 1934, S. 56-63;
    W. Fehse, Raabe u. J., Denkmal e. Lebensfreundschaft, 1940;
    D. G. Puls, Dichter u. Dichtung in Kiel, 1962, S. 38-41;
    H. Himmel, Gesch. d. dt. Novelle, 1963, S. 268 f.;
    E. Hoppe, Wilh. Raabe u. Marie Jensen, in: Jb. d. Raabe-Ges., 1966, S. 25-57;
    S. Freud, Der Wahn u. d. Träume in W. J.s „Gradiva“, hrsg.|u. eingel. v. B. Urban u. J. Cremerius, 1973 (mit d Text u. J.s Novelle), erstmalig 1907 in: Schrr. z. angew. Seelenkde. 1, ²1912 (mit „Nachtrag“);
    Brümmer;
    Kosch, Lit.-Lex. - Zu V Sven Hans: Schleswig-Holstein. Biogr. I, 1970 (W, L, P); - Zu Schwieger-S E. Heyck;
    H. Ammann, in: Zs. f. Schweizer. Gesch. 22, 1942.

  • Porträts

    Skizze v. P. Heyse, Abb. in: P. Heyse, Das literar. München, 1899;
    Phot. in: „In alls gedultig“, Briefe W. Raabes, hrsg. v. W. Fehse, 1940, S. 208, u. b. Könnecke.

  • Autor/in

    Adalbert Elschenbroich
  • Zitierweise

    Elschenbroich, Adalbert, "Jensen, Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 404-406 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11855736X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA