Lebensdaten
1795 – 1860
Geburtsort
Bentwisch (Mark Brandenburg)
Sterbeort
Kumbosen (Priegnitz)
Beruf/Funktion
Irrenarzt
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118555316 | OGND | VIAF: 77107829
Namensvarianten
  • Ideler, Karl Wilhelm
  • Ideler, Carl W.
  • Ideler, Carl Wilhelm
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Zitierweise

Ideler, Karl Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118555316.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Georg Friedrich (1759–1809), Pastor in B., S d. Christian Ludwig (s. Gen. 3);
    M Joh. Albertine, T d. Pastors Joh. Friedrich Günther in Lübars;
    Ov Ludwig (s. 3);
    Vt Julius Ludwig (s. 1);
    ⚭ Charlotte Caroline Roscher;
    5 S (1 früh †), 3 T (1 früh †), u. a. Carl (1829–1904), Psychiater in Wiesbaden (s. Fischer; BJ IX u. X, Tl.).

  • Biographie

    I. trat 1811 ins Berliner Friedrich-Wilhelm-Institut ein, um sich dem Studium der Medizin zu widmen. 1815 erlebte er als Kompanie-Chirurgus im 1. Garde-Regiment den Einzug in Paris. Mit einer Dissertation „De principio nervorum activo imponderabili“ wurde er 1820 promoviert, seit 1821 übte er ärztliche Praxis in Bernau, später in Rathenow und Genthin aus. 1828 wurde er unter Minister Altenstein mit der ärztlichen Leitung der Irrenabteilung der Charité in Berlin betraut. 1831 legte er der Berliner Fakultät eine Habilitationsschrift vor mit dem Thema: „De moxae efficacia in animi morborum medela“. 1830 wurde er ao., 1840 o. Professor und Direktor der Psychiatrischen Klinik, deren Leitung er bis 1860 inne hatte.

    Mit Heinroth und Ringseis gilt I. als ein ausgesprochener Vertreter der psychischen|Richtung in der deutschen Psychiatrie („Psychiker“). Dafür sprechen sowohl der philosophische Ausgangspunkt seiner Seelenlehre nach G. E. Stahl, dessen „Theoria medica“ er übersetzt hat, als auch die psychogenetischen Versuche einer wissenschaftlichen Begründung der Psychiatrie. Gleichwohl werden klischeehafte Vorstellungen dieser Art dem tiefschürfenden und reichgegliederten Lebenswerk nicht gerecht. Die literarische wie auch praktische Leistung ist von der Medizingeschichtsschreibung unterbewertet worden und mit Vorurteilen belastet geblieben. So sah August Hirsch (1893) ihn noch „wie eine Ruine aus der Vergangenheit in die neueste Zeit“ hineinragen. F. C. Müller ließ nur die „religiös-mystische Basis“ gelten, die dann von der modernen Naturforschung „über den Haufen geworfen wurde“. Seit I. 1828 die Leitung der Irrenabteilung an der Berliner Charité übernommen hatte, fand er immer deutlicher die Kriterien der seelischen Gesundheit in der integren Gesamtpersönlichkeit, zu der er sittliche Einsicht und moralisches Handeln rechnete. Bereits der „Grundriß der Seelenheilkunde“ (2 Bde., 1835/38) sieht die Seele als Trägerin des Lebens und Triebfeder alles Tuns, wobei psychische Störungen unabhängig von somatischen Zuständen auftreten. Gleichwohl werden die Bedeutung der Anatomie, einer empirisch-klinischen Beobachtung wie auch eine somatische Genese bestimmter Formen des Wahnsinns durchaus berücksichtigt. Deutlicher dominiert die psychogene Ausgangsposition in den „Biographieen Geisteskranker, in ihrer psychologischen Entwicklung dargestellt“ (1841), wo I. die freie Selbstbestimmung der Seele außerhalb des Kreises der Naturforschung stellt, um in ausführlichen Krankengeschichten die genetische Deutung des ganzen Lebenslaufes „bis in das frühere, ja früheste Leben zurückzuverfolgen“. Psychopathologische Forschung beruht hier auf der historisch-genetischen Methodik.

    Innerhalb des genetischen Komplexes finden auch die Schriften zur Theorie des Wahnsinns ihren Standort, wobei der Wahn als generelle „Entfremdung von aller objektiven Wahrheit der Wirklichkeit“ gedeutet wird. Gleichwohl erfolgt auch die „psychologische Deutung des Wahns“ mittels einer organischen Begriffsgliederung, „deren Inhalt das ganze frühere Leben des Kranken umfaßt“ (1850). Mit dieser seiner biographischen Methodik kommt I. zu seiner Lehre von den Leidenschaften, bei denen einzelne Affekte gesteigert und „aus dem ganzen Lebenszusammenhang“ herausgerissen werden können, so daß der Wahnsinnige schließlich als „die personifizierte Leidenschaft“ charakterisiert werden kann.

    Am ausgeglichensten spiegeln sich Motive und Tendenzen des Gesamtwerkes in dem Aufsatz „Ueber das Verhältnis der Seelenheilkunde zu ihren Hülfswissenschaften“ (in: Allg. Zs. f. Psychiatrie 3, 1846, S. 394-430). Ausgang ist die Anthropologie als „die Lehre vom ganzen Menschen“, die Psychologie und Somatologie als gleichberechtigte Grundlagen der Psychiatrie wertet. Erst in seiner Doppelnatur zeigt sich der ganze Mensch, womit für I. auch „der Weg von der Heilkunde zur Philosophie“ wieder gefunden scheint. Zu einem „objektiven Begriff des Menschen“ gehören weiterhin die allgemeinen „Elemente des sozialen Lebens als die notwendigen Bedingungen für die Entwicklung jedes einzelnen Individuums“. Eine Seelenheilkunde ist daher nur im organischen Zusammenhang mit allen Wissenschaften zu begründen, wie auch die „reale Lehre vom Menschen“ der gleichberechtigte Grundgedanke und Gegenstand aller Fakultäten bleibt.

    Einen praktischen Niederschlag finden diese Theorien in den diätetischen Grundschriften, so vor allem in der „Allgemeinen Diätetik für Gebildete“ (1846), wo die traditionelle Diätetik und damit die „Kultur des Lebens“ als ein positiver Faktor den negativ strukturierten Elementen einer therapeutisch orientierten Medizin gegenübergestellt wird. Ziel einer Heilung ist die völlige Resozialisierung als „Wiederherstellung der ursprünglichen Lebensverfassung“, wie sie resultieren muß aus dem Prinzip der Diätetik als einer „Idee der geistig-sittlichen Freiheit“. Über seine Leibeskultur erst wird der Mensch zur Geistespflege kommen, deren Ziel die Freiheit des Geistes in der Sittlichkeit bleibt. Aus I.s Theorie einer Begründung der Rechtspflege durch „sittliche Freiheit“ wie auch der Lehre von den Geisteskrankheiten als gesteigerten Leidenschaften begründet sich ferner das „Lehrbuch der gerichtlichen Psychologie“ (1857), das vor allem in Peter Willers Jessen seinen schärfsten Kritiker gefunden hat (vgl. Allg. Zs. f. Psychiatrie 15, 1858, S. 546-78).

    Bei Berücksichtigung des Gesamtwerkes zeigt sich eindeutig, daß die so komplexe wie kontroverse Geistesgeschichte des 19. Jh. durch I. neue und beachtliche Akzente gewonnen hat. I. hat mit großer Energie versucht, die organische Einheit des Menschen herauszustellen. Aus seinem Bemühen um die Verschmelzung von Medizin und Philosophie versteht sich seine Polemik gegen eine einseitig pathologisch-anatomische Schulbildung. Bemühungen um die Hereinnahme aller Hilfsdisziplinen in eine anthropologische Grundlagenforschung tragen den Anschein eines systematischen interdisziplinären Modells der Psychiatrie. Besonders herausgestellt wurden die Bedeutung der Entwicklung im frühesten Kindesalter, einer stetig zu vertiefenden Interaktion von Arzt und Patient unter Berücksichtigung der biographischen Methodik als dem wichtigsten Instrument psychologischer Forschung, nicht zuletzt auch die Beachtung einer Selbstheilungsfunktion in Richtung auf die „Wiederherstellung einer geregelten Seelentätigkeit“. Psychiatrie hat daher „nichts Ureigenes und Selbständiges“ an sich; sie wird nie eine autarke Wissenschaft, sondern bedarf prinzipiell der „innigen Durchdringung und organischen Verschmelzung philosophischer und medizinischer Begriffe“; Fundament einer Psychiatrie bleibt immer die Anthropologie.

  • Werke

    Weitere W u. a. Der rel. Wahnsinn, erl. durch Krankengeschichten, 1847;
    Versuch e. Theorie d. rel. Wahnsinns, 2 Bde., 1848/50;
    Der Wahnsinn in seiner psycholog. u. soz. Bedeutung, 1848;
    Zur gerichtl. Psychol., 1854;
    Hdb. d. Diätetik f. Freunde d. Gesundheit u. d. langen Lebens, 1855;
    Btrr. in: Ann. d. Charité-Krankenhauses u. a. Ueber d. Zweck d. psychiatr. Klinik;
    Ueber d. Hypochondrie;
    Ueber d. Wahnsinn d. Kinder;
    Ueber d. Heilbarkeit d. Dementia;
    Gemütskrankheit ohne Geistesstörung;
    Verbrechen u. Wahnsinn;
    Ueber d. Wahnsinn d. Schwangeren.

  • Literatur

    ADB 13;
    H. Laehr, in: Allg. Zs. f. Psychiatrie 19, 1862, S. 352-61;
    Carl Ideler (S), C. W. I. u. s. Stellung in d. Entwicklung d. Psychiatrie, ebd. 51, 1895, S. 851-83;
    F. C. Müller, Gesch. d. organ. Naturwiss. im 19. Jh., 1902;
    Th. Kirchhoff, Dt. Irrenärzte I, 1921, S. 152-57 (P);
    H. Heimann, K. W. I.s „Versuch e. Theorie d. rel. Wahnsinns“ - nach 100 J., in: Btrr. z. Gesch. d. Psychiatrie u. Hirnanatomie, 1957, S. 68-78.

  • Autor/in

    Heinrich Schipperges
  • Zitierweise

    Schipperges, Heinrich, "Ideler, Karl Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 116-118 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118555316.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Ideler: Karl Wilhelm J., Irrenarzt, geb. am 25. October 1795 zu Bendwisch in der Mark, Neffe des Astronomen und Mathematikers Christian Ludwig J. Durch seinen Vater, einen Prediger, welcher ein Werk über den Gartenbau herausgegeben hatte, wurde er schon früh auf die Naturwissenschaften, besonders die Botanik, hingewiesen. Nach vorübergehendem kurzen Besuche des Gymnasiums zu Berlin trat er 1811 durch Vermittlung seines Onkels vorzeitig in das dortige Friedrich-Wilhelms-Institut, wo er neben seinen medicinischen Fachstudien auch seine classische Bildung zu ergänzen wußte. Der Feldzug 1815 unterbrach ihn hierin, indem er als Compagniechirurgus zum Hauptfeldlazarethe Nr. 7 beordert wurde und mit demselben nach Paris marschirte. Erst 1818 konnte er seine Studien in Berlin fortsetzen. Nachdem er 1820 promovirt (Dissertation: De principio nervorum activo imponderabili) und im nächsten Jahre zum Arzt approbirt worden war, schied er aus dem Militärverbande und ließ sich als Arzt Anfangs zu Bernau, dann in Rathenow und später zu Genthin nieder. Ohne Neigung und ohne besonderes Geschick zur ärztlichen Praxis gelang es ihm 1828 auf Grund seiner zwei Jahre früher erschienenen „Anthropologie für Aerzte“ nach Berlin berufen und mit der ärztlichen Leitung der Irrenabtheilung in der Charité betraut zu werden. Im Umgange mit Langermann bildete er sich in der Psychiatrie weiter, habilitirte sich 1831 mit der Abhandlung „de moxae efficacia in animi morborum medela“, wurde 1839 außerordentlicher und 1840 ordentlicher Professor und Director der psychiatrischen Klinik. Unter einer reichen schriftstellerischen Thätigkeit bekleidete er diese Stelle bis zu seinem Tode, welcher ihn auf einer Erholungsreise nach kurzem Krankenlager zu Kumbosen am 29. Juli 1860 befiel, nachdem er in den letzten Lebensjahren hypochondrisch leidend gewesen war. — J. war gleich Heinroth ein Vertreter der psychischen Richtung in der Psychiatrie. Wie dieser hat er zwar manches an Detailarbeit für seine Fachwissenschaft geleistet, einen tiefergehenden und bleibenden Einfluß hat er jedoch, obwol er selbst eine bedeutende Persönlichkeit von gründlicher und besonders philosophischer Bildung war und an so hervorragender Stelle wirken durfte, nicht zu üben vermocht, ebensowenig als er an dem Fortschritte der Psychiatrie wesentlichen Antheil hatte. Andererseits hat er nie zu dem Mysticismus Heinroth's hingeneigt und trotz seiner einseitigen ethisch-psychologischen Richtung konnte er sich der eben aufstrebenden exakten Medicin nicht ganz verschließen. Er erkannte an, daß das Gehirn die Werkstätte des denkenden Geistes sei und daß das Denken im innigsten Zusammenhange mit der Thätigkeit des Gehirns stehe. Wenn er auch die Geisteskrankheiten nur als gesteigerte Leidenschaften auffassen wollte, so sah er sich doch zur Annahme eines sogenannten symptomatischen Wahnsinns gezwungen, welcher von körperlichen Krankheiten erzeugt wird. Von großem Einflusse auf seine Richtung war das Studium der Schriften des Dynamikers Georg Ernst Stahl, auf den ihn sein Lehrer Langermann hingewiesen und dessen theoria medica vera wie einige nachgelassene Schriften er neu herausgegeben beziehungsweise übersetzt|hatte. Die Lehre Stahl's, welcher die Seele als Trägerin des Lebens und als die Triebfeder von allem Thun und Leiden des Körpers bezeichnete, der die psychischen Erkrankungen von körperlichen Zuständen unabhängig auffaßte, und nur zugab, daß dieselben durch materielle Krankheitszustände unterhalten und genährt werden könnten, der sie mit den Leidenschaften verglich, nur mit der Beschränkung, daß diese aus normalen, die Geisteskrankheiten aber aus pathologischen Erregungen entspringen, bildete das Fundament seines „Grundriß der Seelenheilkunde", 1835—88. In der gerichtsärztlichen Behandlung seiner Disciplin, wie sie in dem Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen und in dem „Lehrbuch der gerichtlichen Psychologie" (1857) hervortritt, begegnen wir einer traurigen Vermischung der moralischen und psychologischen Freiheit, welche leider viele Anhänger nach sich zog und noch jetzt in den Kreisen der Gerichtsärzte nicht ganz überwunden ist. Außer seinen zahlreichen psychiatrischen Schriften sind hervorzuheben die über Diätetik ("Allgemeine Diätetik für Gebildete“, 1846, und „Handbuch der Diätetik für Freunde der Gesundheit und des langen Lebens“, 1855), von welchen Feuchtersleben sagt, daß sie den Geist einer allgemeinen und höheren über die Grenzen des Faches hinausgehenden Bildung, den Achtung einflößenden Charakter, die Beziehung aller wissenschaftlichen und praktischen Bestrebung auf das einzige, des menschlichen Daseins und Wirkens würdige Ziel der Sittlichkeit bestätigen.

    • Literatur

      Vergl. Lähr in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, 1862, Bd. XIX, pag. 352.

  • Autor/in

    Bandorf.
  • Zitierweise

    Bandorf, "Ideler, Karl Wilhelm" in: Allgemeine Deutsche Biographie 13 (1881), S. 746-747 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118555316.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA