Lebensdaten
1013 – 1054
Geburtsort
Altshausen
Sterbeort
Reichenau (Landkreis Konstanz)
Beruf/Funktion
Chronist ; Gelehrter ; Dichter
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118549693 | OGND | VIAF: 51879186
Namensvarianten
  • Hermann
  • Hermannus Contractus
  • Hermann der Lahme (genannt)
  • mehr

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Zitierweise

Hermann von Reichenau, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118549693.html [23.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus d. schwäb. Geschl. d. Grafen v. (Altshausen-) Veringen;
    V Wolferad, Gf. v. Veringen;
    M Hiltrudis.

  • Biographie

    Mit 7 Jahren übergaben die Eltern H. dem Unterricht, vielleicht im Kloster Reichenau; dort jedenfalls ist er unter Abt Bern um 1043 Mönch geworden. Der späte Eintritt in den Ordensstand mag mit seinem Leiden zusammenhängen: H. war seit frühester Kindheit an allen Gliedern gelähmt, blieb zeitlebens an den Tragstuhl gefesselt (daher seit dem 12. Jahrhundert der Beiname „Contractus“) und konnte nur mit Mühe sprechen. Trotz dieser leiblichen Armseligkeit wurde der edle und liebenswerte Mensch ein hervorragender Lehrer und einer der bedeutendsten und vielseitigsten Gelehrten seiner Zeit.

    Sein Ansehen bei den Zeitgenossen verdankte er zum großen Teil den Studien zu den Wissenschaften des Quadriviums. Er förderte die Praxis der Arithmetik durch Anleitungen zur Multiplikation und Division mit Hilfe des Abacus; er befaßte sich mit Komputistik und behandelte astronomische Fragen in mehreren Abhandlungen über Sonnen- und Mondfinsternisse sowie über Anfertigung und Gebrauch des Astrolabiums; er stellte die überkommenen musiktheoretischen Anschauungen in einem Lehrbuch zusammen und erfand eine Notenschrift, die sich allerdings gegenüber dem System des Guido von Arezzo nicht durchzusetzen vermochte.

    Heute wird H. wohl vorwiegend als Geschichtsschreiber geschätzt. Seine von Christi Geburt bis 1054 reichende Chronik ist die erste uns erhaltene der deutschen Kaiserzeit; sie zeichnet sich durch sorgfältige Beachtung der Chronologie, gesunde Kritik. Objektivität der Darstellung und klaren Stil aus. Als Hauptquelle bis 1039 hat man eine „Schwäbische Weltchronik“ erschlossen; das verlorene Werk war aber möglicherweise nichts anderes als ein früheres Stadium der Chronik des H. selber. Von den „Gesta Cuonradi et Heinrici imperatorum“ kennen wir nur den Titel. Ferner verfaßte H. ein Martyrologium.

    Das Bild der Gelehrtenpersönlichkeit erfährt durch H.s geistliche Dichtung trotz deren relativ geringen Umfangs eine wesentliche Ergänzung, Nicht liturgisch ist davon das formal gewandte, humorvolle Gedicht über die acht Hauptsünden; die übrigen sind Historiae (Offizien, meist in Prosa) und Sequenzen. Von den ihm zugeschriebenen Antiphonen ist das Salve Regina von mindestens zweifelhafter Echtheit, „Alma redemptoris mater“ sicher nicht von H., andere scheint er nur vertont zu haben. Ein Rhythmus auf die Ungarnsiege Heinrichs III. von 1040 ist bis auf den Anfang (Vox haec melos pangat) verloren.

  • Werke

    Unvollst. Gesamtausg. in: J. P. Migne, Patrologiae cursus completus 143. – Arithmetik:
    Qualiter multiplicationes fiant in abaco, hrsg. v. P. Treutlein, in: Bolletino die bibliografia e di storia delle scienze matematiche e fisiche 10, Turin 1877, S. 643-47;
    De conflictu rithmimachiae, hrsg. v. E. Wappler, in: Zs. f. Math. u. Physik 37, Hist. Abt., 1892, S. 12-14. – Astronomie:
    De mensura astrolabii;
    De mense lunari, hrsg. v. G. Meier, in: Die sieben freien|Künste im MA 2, 1881, S. 34 ff.;
    De utilitatibus astrolabii. – Musik:
    Musica, hrsg. v. L. Ellinwood, Rochester 1936 (1950). – Chronik:
    MGH SS V, S. 74-133. – Liturg. Dichtungen:
    G. M. Dreves, Analecta Hymnica 50, 1907, S. 309-19. – De octo vitiis principalibus:
    E. Dümmler, in: Zs. f. dt. Altertum 13, 1867, S. 385-431.

  • Literatur

    ADB XII;
    H. Hansjakob, H., d. Lahme v. d. Reichenau, 1875;
    R. Buchner, Gesch.bild u. Reichsbegriff H.s v. R., in: Archiv f. Kulturgesch. 42, 1960, S. 37-60;
    ders., Der Vf. d. Schwäb. Weltchronik, in: DA 16, 1960, S. 389-96;
    H. Oesch, Berno u. H. v. R. als Musiktheoretiker, in: Publ. d. Schweizer musikforsch. Ges. II, 9, 1961;
    J. Szövérffy, Die Ann. d. lat. Hymnendichtung I, 1964, S. 376 ff.;
    F. Brunhölzl, Zur Antiphon „Alma redemptoris mater“, in: StMBO 78, 1968, S. 321-24;
    Vf.-Lex. d. MA V;
    H. Hüschen, in: MGG VI, Sp. 228-32 (W, L).

  • Autor/in

    Franz Brunhölzl
  • Zitierweise

    Brunhölzl, Franz, "Hermann von Reichenau" in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 649-650 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118549693.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Hermann von Reichenau, genannt der Lahme (contractus), geb. 1013, am 24. September 1054, ist eine der ansprechendsten und rührendsten Erscheinungen aus dem Kreise des mittelalterlichen Mönchthums. Ein Sohn des schwäbischen Grafen Wolverad von Alshausen, wurde er 1020 im siebenten Lebensjahre der Schule in Reichenau am Bodensee übergeben und im 30. Jahre von dem ausgezeichneten Abt Berno (s. Bd. II. S. 467) als Benedictiner eingekleidet. Von Kindheit an war er gichtbrüchig, am Oberleibe verkrümmt, ohne den Gebrauch seiner Beine; er konnte ohne Hülfe seine Lage nicht verändern und kaum verständlich sprechen. Dennoch erwarb er sich nicht nur eine staunenswerthe Gelehrsamkeit, sondern versammelte auch zahlreiche Schüler um sich, welche ihm mit größter Liebe zugethan waren. Wie seine Frömmigkeit, so wird auch seine milde Freundlichkeit und die Anmuth seiner Unterhaltung gerühmt. Gefeiert waren vorzüglich seine Kenntnisse in der Mathematik und Astronomie und es sind Werke von ihm darüber vorhanden; dem Charakter der Zeit entsprechend beschränken sie sich auf die Wiedergabe und Erläuterung älterer Ueberlieferung. Auch über Musik schrieb er und verfaßte selbst Sequenzen und Antiphonen; namentlich wird ihm ein Salve Regina zugeschrieben. Seine Gewandtheit im lateinischen Ausdruck, seine Geschicklichkeit in der Anwendung vielförmiger Versmaaße lernen wir aus dem längeren Gedicht „De octo vitiis principalibus“ kennen, welches, an Nonnen gerichtet, dieselben vor Versuchungen und Anfechtungen warnt und in schöner Weise Scherz und Anmuth mit sittlichem Ernst verbindet. Hermanns Bedeutung für die Gegenwart beruht auf seiner Chronik, welche die Weltgeschichte von Christi Geburt an in sorgfältiger Zusammenstellung aus zahlreichen Quellen vorführt, chronologisch geordnet, doch ohne den Versuch sachlicher Verknüpfung. Doch ist es fraglich, ob nicht einer jetzt verlorenen Vorlage, der sog. schwäbischen Weltchronik, das Hauptverdienst dabei zuzuschreiben ist. Unbestritten aber bleibt ihm der Schluß seiner Chronik, in welchem er, weit über den Umfang der früheren Abschnitte hinausgehend, die Zeitgeschichte von 1040 bis 1054 in klarer und zuverlässiger Darstellung berichtet, als die wesentlichste Quelle unserer Kenntniß dieser Zeit. Sein Schüler Vertold (s. Bd. II. S. 549) fügte nach dem Tode seines geliebten Lehrers ein mit vieler Wärme geschriebenes Lebensbild desselben hinzu und setzte sein Werk fort.

    • Literatur

      Hansjakob, Herimann der Lahme, Mainz 1875. Wattenbach, Geschichtsqu., II. 36—40.

  • Autor/in

    W. Wattenbach.
  • Zitierweise

    Wattenbach, Wilhelm, "Hermann von Reichenau" in: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 164-165 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118549693.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA