Lebensdaten
1877 – 1920
Geburtsort
Gniebing bei Feldbach (Steiermark)
Sterbeort
Pankow bei Berlin
Beruf/Funktion
Arzt ; Psychiater ; Psychoanalytiker ; Anarchist
Konfession
römisch-katholisch
Normdaten
GND: 118542524 | OGND | VIAF: 49250394
Namensvarianten
  • Gross, Otto Hans Adolf
  • Gross, Otto
  • Gross, Otto Hans Adolf
  • mehr

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Zitierweise

Gross, Otto, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118542524.html [28.03.2024].

CC0

  • Otto Gross war theoriebegründend in Medizin und Psychologie sowie besonders in der Persönlichkeitspsychologie tätig und trat für eine mutterrechtlich strukturierte Gesellschaft ein. Als eine zentrale Gestalt der Bohème, des Expressionismus und Dadaismus wurde er von Schriftstellern wie Johannes R. Becher (1891–1958), Max Brod (1884–1968), Franz Jung (1888–1963), Leonhard Frank (1882–1961), Franziska zu Reventlow (1871–1918) und Franz Werfel (1890–1945) literarisch verewigt.

    Lebensdaten

    Geboren am 17. März 1877 in Gniebing bei Feldbach (Steiermark)
    Gestorben am 13. Februar 1920 in Pankow bei Berlin
    Konfession römisch-katholisch
    Otto Gross (InC)
    Otto Gross (InC)
  • Lebenslauf

    17. März 1877 - Gniebing bei Feldbach (Steiermark)

    1883 - 1894 - Graz

    Schulbesuch; Privatunterricht

    Privatschulen

    1894 - Graz

    Schulabschluss: Matura

    2. k.k. Staatsgymnasium

    1894 - 1897 - Graz

    Studium der Zoologie und Botanik, dann der Medizin

    Universität

    1897 - 1897 - Graz

    Pathologische Anatomie der Universität

    1897 - 1898 - München

    Studium der Medizin

    Universität

    1897 - 1897 - München

    Poliklinische Abteilung für Interne Medizin und für Kinderheilkunde der Universitätsklinik

    1898 - 1899 - Straßburg

    Studium der Medizin

    Universität

    1899 - 1899 - Graz

    Studium der Medizin

    Universität

    1899 - Graz

    Promotion (Dr. med.)

    Universität

    1900 - 1900 - Frankfurt am Main

    Volontär bzw. Assistent bei Carl von Noorden (1858–1944)

    Interne Abteilung der Universitätsklinik

    1900 - 1900 - Czernowitz (Bukowina, heute Tscherniwzi, Ukraine)

    Volontär bzw. Assistent

    Krankenhaus

    1900 - 1901 - Kiel

    Volontär bzw. Assistent

    Interne Poliklinik

    1901 - 1901

    Schiffsarzt

    Deutsche Dampfschiffahrts-Gesellschaft Kosmos

    1901 - 1901 - München

    Volontär bei Anton Bumm (1849–1903)

    Psychiatrische Universitätsklinik

    1901 - 1902 - Graz

    Volontär, später Klinischer Assistent bei Gabriel Anton (1858–1933)

    Psychiatrisch-Neurologische Klinik (der Universität)

    1902 - Zürich

    Klinikaufenthalt wegen Drogensucht

    Burghölzli-Klinik

    1906 - 1906 - Graz

    Privatdozent für Psychopathologie

    Universität

    1906 - 1906 - München

    Assistenzarzt bei Emil Kraepelin (1856–1926)

    Psychiatrische Klinik der Universität

    1906 - 1914 - u. a. München

    privatärztliche und psychotherapeutische Praxis; wissenschaftliche Arbeit

    1907 - Zürich

    Klinikaufenthalt wegen Drogensucht

    Burghölzli-Klinik

    1909 - München

    Anzeige wegen Verführung und Kurpfuscherei

    1911 - 1911 - Mendrisio (Kanton Tessin); Wien

    Klinikaufenthalt

    Heilanstalt Casvegno; Anstalt „Am Steinhof“

    1912

    steckbrieflich wegen Mord und Beihilfe zum Selbstmord gesucht

    1913 - Berlin; Tulln bei Wien

    Verhaftung als Anarchist; Ausweisung aus Preußen; Internierung in der Privat-Irrenanstalt

    1914 - 1915 - Troppau (Böhmen, heute Opava, Tschechien); Bad Ischl (Oberösterreich); Wien

    Kuratel wegen Wahnsinns; Überstellung in die Landesirrenanstalt; Entlassung und Klinikaufenthalt; bei Kriegsbeginn kurzzeitige Tätigkeit als Arzt

    Sanatorium Dr. Emil Wiener; Blatternspital des Franz-Josef-Krankenhauses

    1915 - 1916 - Ungwar (Transkarpatien, heute Uschhorod, Ukraine); Winkowitz (Slawonien, heute Vinkovci, Kroatien)

    Arzt; anschließend landsturmwilliger Zivilarzt, dann Landsturmassistenzarzt

    Epidemie- und Barackenspital; k.k. Epidemiespital

    1916 - 1917 - Temeswar (Banat, heute Vinkovci, Rumänien)

    Landsturmassistenzarzt; Krankenhausaufenthalt

    Garnisonspital Th. 2; Psychiatrische Abteilung des Garnisonspitals

    1917 - 1918 - Wien

    Verlegung; beschränkte Kuratel

    Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Steinhof

    1918 - Graz; Wien

    Aufenthalte

    1919 - Graz; München; Berlin

    Aufenthalte

    13. Februar 1920 - Pankow bei Berlin
  • Genealogie

    Vater Johann (Hans) Gustav Adolf Gross 26.12.1847–9.12.1915 Dr. iur.; Strafrechtler, Kriminologe; ordentlicher Professor für österreichisches Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Universität Graz
    Großvater väterlicherseits Johann Baptist Gustav Gross kaiserlicher Oberkriegskommissär
    Großmutter väterlicherseits Franziska Gross, geb. Leuzendorff
    Mutter Adelaide (Adele) Maria Eleonora Gross, geb. Raymann 1854–1942
    Großvater mütterlicherseits Moritz Raymann 1824–1907 Kaufmann
    Großmutter mütterlicherseits Maria Raymann, geb. Liebl 1828–1895
    Heirat 23.2.1903 in Graz
    Ehefrau Frieda Gross , geb. Schloffer 12.5.1876–1950 Freundin und Briefpartnerin von Else Jaffé, geb. Freiin von Richthofen (1874–1973), Sozialwissenschaftlerin
    Schwager Hermann Schloffer 18.5.1868–21.1.1937 Dr. med.; Ordinarius für Chirurgie an der Universität Innsbruck (1903–1911), an der deutschen k. k. Karl-Ferdinands-Universität Prag (1911–1918) und der Deutschen Universität, Prag (1918–1937)
    Schwiegervater Alois Amandus Schloffer 6.2.1833–15.2.1911 Dr. iur.; Rechtsanwalt, steirischer Politiker
    Schwiegermutter Wilhelmine (Minna) Schloffer, geb. Lenk 1845–1883
    Sohn Wolff Peter Gross 1907–1946 Dr. med.; praktischer Arzt
    Sohn Peter Jaffé 1907–1915 aus Verbindung mit Else Jaffé
    Tochter Camilla Ullmann 18.7.1908–2000 Krankenschwester; aus Verbindung mit Regina Ullmann (1884–1961), Schriftstellerin
    Tochter Sophie Templer-Kuh 23.11.1916–15.1.2021 aus Verbindung mit Marianne Kuh (1894–1948), Schwester des Anton Kuh (1890–1941), Schriftsteller, Journalist, Halbschwester des Michael Kuh (Michael Stone) (1922–1993), Journalist
    Stieftochter Eva Verena Schloffer 1910–2005 aus Verbindung von Frieda Gross mit Ernst Frick (1881–1956), Maler
    Stieftochter Cornelia Gross 1918–1995 aus Verbindung von Frieda Gross mit Ernst Frick
    Stieftochter Ruth Gross 1920–1963 aus Verbindung von Frieda Gross mit Ernst Frick
    Cousin des Vaters Alfred Anthony Freiherr von Siegenfeld 26.6.1854–5.11.1929 Heraldiker; Archivar
    Onkel der Ehefrau Alois (Aloys) Riehl 27.4.1844–21.11.1924 Dr. phil.; Philosoph; ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Berlin
    Onkel der Ehefrau Josef Riehl 31.8.1842–17.2.1917 Bauingenieur und -unternehmer
    Diese Grafik wurde automatisch erzeugt und bietet nur einen Ausschnitt der Angaben zur Genealogie.

    Gross, Otto (1877 – 1920)

    • Vater

      Johann (Hans) Gustav Adolf Gross

      26.12.1847–9.12.1915

      Dr. iur.; Strafrechtler, Kriminologe; ordentlicher Professor für österreichisches Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Universität Graz

      • Großvater väterlicherseits

        Johann Gross

        kaiserlicher Oberkriegskommissär

      • Großmutter väterlicherseits

        Franziska Gross

    • Mutter

      Adele Gross

      1854–1942

      • Großvater mütterlicherseits

        Moritz Raymann

        1824–1907

        Kaufmann

      • Großmutter mütterlicherseits

        Maria Raymann

        1828–1895

    • Heirat

      in

      Graz

      • Ehefrau

        Frieda Gross

        12.5.1876–1950

        Freundin und Briefpartnerin von Else Jaffé, geb. Freiin von Richthofen (1874–1973), Sozialwissenschaftlerin

    • Cousin des Vaters

      Alfred Anthony Freiherr von Siegenfeld

      26.6.1854–5.11.1929

      Heraldiker; Archivar

      • Großvater väterlicherseits

        Johann Gross

        kaiserlicher Oberkriegskommissär

      • Großmutter väterlicherseits

        Franziska Gross

  • Biografie

    Gross erhielt Privatunterricht und besuchte Schulen in Graz. Nach der Matura 1894 studierte er Zoologie und Botanik, später Medizin in Graz, 1897/98 in München und Straßburg, seit 1899 wieder an der Universität Graz, wo er im selben Jahr zum Dr. med. promoviert wurde. Es folgten Stationen als Volontär, dann als Assistenzarzt in der Inneren Medizin in Kliniken in Frankfurt am Main, Czernowitz (Bukowina, heute Tscherniwzi, Ukraine) und Kiel, bevor Gross 1901 als Schiffsarzt bei der Deutschen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Kosmos anheuerte, Südamerika bereiste und den regelmäßigen Konsum von Kokain und Opium begann. 1901/02 Assistenzarzt in München, danach an der Universitätsklinik in Graz, unterzog er sich 1902 einer ersten Entziehungskur in der Burghölzli-Klinik in Zürich, der 1905/06 weitere Kuren in Ascona (Kanton Tessin) folgten, wo er das Siedlungsprojekt auf dem Monte Verità begleitete und sich mit Erich Mühsam (1878–1934) befreundete. In dichter Folge veröffentlichte Gross Arbeiten zu ethischen, psychiatrischen und hirnphysiologischen Themen sowie zu terminologischen Grundsatzfragen.

    1906 habilitierte sich Gross, der 1904 in Wien die Bekanntschaft Sigmund Freuds (1856–1939) gemacht hatte, an der Universität Graz und wurde Privatdozent für Psychopathologie. Im September 1906 wechselte er als Assistenzarzt an die Klinik Emil Kraepelins (1856–1926) nach München. Gross behandelte Vertreter der Schwabinger Bohème und anarchistischer Kreise psychoanalytisch und beeinflusste damit Schriftsteller wie Johannes R. Becher (1891–1958) und Franziska zu Reventlow (1871–1918); mit den Schwestern Else Jaffé (1874–1973) und Frieda Weekley (1879–1956) unterhielt er Liebesbeziehungen. 1907 veröffentlichte er die Monografie „Das Freud‘sche Ideogenitätsmoment und seine Bedeutung im manisch-depressiven Irresein Kraepelins“, in der er Carl Wernickes (1848–1905) neurophysiologische Theorie, Kraepelins klinische Theorie und Freuds analytische Theorie zur Synthese zu bringen versuchte. Während Gross 1907 beim Internationalen Kongress für Psychiatrie, Neurologie, Psychologie und Irrenpflege in Amsterdam Freuds Hysterielehre verteidigt hatte, distanzierte sich dieser beim 1. Internationalen Psychoanalytischen Kongress 1908 in Salzburg von Gross' Konzeption mit der viel zitierten Bemerkung „Wir sind Ärzte, und Ärzte müssen wir bleiben.“

    Im Anschluss an den Kongress unterzog sich Gross einer weiteren Entziehungskur in der Burghölzli-Klinik bei Carl Gustav Jung (1875–1961), der Dementia praecox – eine Form der Schizophrenie – bei ihm diagnostizierte. Gross entzog sich der weiteren Behandlung durch Flucht und verzichtete auf die Privatdozentur in Graz. Er setzte sich für die Freilassung einer auf Betreiben ihrer Eltern hospitalisierten Patientin ein, wurde in eine Vormundschaftsklage verwickelt und wegen Kurpfuscherei angeklagt. 1911 ging er – nachdem sich seine Geliebte, die Malerin Sofie Benz (1884–1911), umgebracht hatte – zur psychiatrischen Behandlung in die Heilanstalt Casvegno nach Mendrisio (Kanton Tessin), später in die Wiener Anstalt „Am Steinhof“. 1912 wurde er kurzzeitig wegen Mord an Benz bzw. Beihilfe zu deren Selbstmord steckbrieflich gesucht. Gross reiste nach Wien, Florenz und München, wo er den Schriftsteller Franz Jung (1888–1963) kennenlernte, wechselte 1913 nach Berlin und publizierte Beiträge zur Bedeutung und politischen Relevanz der Psychoanalyse in Franz Pfemferts (1879–1954) „Aktion“.

    Im November 1913 wurde Gross als Anarchist verhaftet, aus Preußen ausgewiesen und auf Veranlassung seines Vaters in der Privat-Irrenanstalt Tulln bei Wien, dann in der Landesirrenanstalt Troppau (Böhmen, heute Opava, Tschechien) interniert. 1914 als geheilt entlassen, meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und arbeitete u. a. als Arzt im Blatternspital des Franz-Josefs-Krankenhauses in Wien. Nach dem Tod des Vaters 1915 weiter unter Vormundschaft, wurde Gross wegen des Rückfalls in die Drogensucht erneut psychiatrisch hospitalisiert und publizierte in der von Jung begründeten expressionistischen Zeitschrift „Die freie Straße“ zentrale Inhalte seiner Lehre vom inneren Konflikt zwischen dem Eigenen und Fremden: dem Grundtrieb, die eigenen Anlagen zur vollen Entfaltung zu bringen und dem Grundtrieb, sozialen Anschluss zu finden, dem das Bedürfnis nach Beziehung innewohnt („Vom Konflikt des Eigenen und Fremden“, 1916).

    1917 wurde Gross für dienstuntauglich befunden, wechselte danach häufig den Aufenthaltsort und versuchte erfolglos, die revolutionäre Bewegung zur Umsetzung seiner Ziele zu nutzen, etwa indem er für die Auflösung der bürgerlichen Familie plädierte oder Volkskommissar Felix Noeggerath (1885–1960) für ein psychoanalytisch basiertes Schulungskonzept zu gewinnen suchte. Gross differenzierte seine Konflikttheorie und vertrat in „Zur funktionellen Geistesbildung des Revolutionärs“ (1919) die These, dass in einer paternalistisch-autoritären Ordnung der innere Konflikt zwischen dem Eigenen und dem Fremden zur universellen Krankhaftigkeit des menschlichen Trieblebens, zum Willen zur Macht und zur Unterwerfungsbereitschaft führe. Während seines letzten Lebensabschnitts in Berlin, in dem er von traumatischen Kindheitserinnerungen überwältigt wurde, publizierte er hierzu weitere Texte, die v. a. in psychoanalytischen Kreisen Beachtung fanden („Drei Aufsätze über den inneren Konflikt“, 1920).

    Gross war 1902 mit der Arbeit „Die cerebrale Sekundärfunction“ der Erste, der auf dem Gebiet der Persönlichkeitspsychologie die kortikale Erregung als Ursache für extravertiertes und introvertiertes Verhalten annahm und primäre und sekundäre Funktionen des Gehirns bei der Aktivierung von Gehirnzellen zur Produktion von mentalen Inhalten unterschied. In der Diskussion um das von Kraepelin entworfene Krankheitsbild der Dementia praecox argumentierte er für eine Umbenennung in Dementia sejunctiva, da das Hauptsymptom dieser Krankheit der Bewusstseinszerfall und nicht die allmähliche Verschlechterung der geistigen Fähigkeiten sei. Als Psychiater ordnete er sich selbst dem Monismus und der Degenerationslehre zu, griff als einer der Ersten im deutschsprachigen Raum die Evolutionslehre auf und wandte sie für die psychiatrische Konzeptualisierung an. Sein Aufsatz „Zur Differentialdiagnostik negativistischer Phänomene“ (1904) ist das erste Dokument einer Rezeption der Psychoanalyse in der Psychiatrie. Gross, der von Pjotr Kropotkin (1842–1921) und dessen Theorie der gegenseitigen Hilfe als grundlegendem Entwicklungsfaktor inspiriert wurde, gilt als Pionier der Verbindung von psychoanalytischer Aktivität mit revolutionärer Politik. Er sah die herrschende Sexualmoral als Ursache psychischer und diverser somatischer Krankheiten an und postulierte sexuelle Befreiung mithilfe der Psychoanalyse.

    Der Briefwechsel zwischen Freud und Jung sowie die Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung von 1909 bis 1912 dokumentieren den reichen Widerhall von Gross‘ Vorstellungen in deutschsprachigen psychoanalytischen Kreisen; international regte er v. a. den Psychoanalytiker Dorian Feigenbaum (1887–1937) sowie die Psychologen und Philosophen Vittorio Benussi (1878–1927) und Gerardus Heymans (1857–1930) an. Nachdem die Rezeption von Gross‘ Werk in den 1930er Jahren nachgelassen hatte, rückte ihn die Veröffentlichung zweier Monografien über sein Leben und Werk in den 1970er Jahren wieder in das öffentliche Bewusstsein. 1999 wurde in Berlin die Internationale Otto Gross Gesellschaft gegründet. Sie verfolgte bis zu ihrer Auflösung 2017 das Ziel, Gross‘ Werk und gesellschaftliche Wirkung zu erforschen, seinen Einfluss auf die geistesgeschichtliche Entwicklung darzustellen und die Ergebnisse dieser Arbeit auf Tagungen und durch Veröffentlichungen zugänglich zu machen.

  • Auszeichnungen

    1999–2017 Internationale Otto Gross Gesellschaft
  • Quellen

    Nachlass:

    Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, 21/8 710.

    Otto Gross Archiv, London.

    Weitere Archivmaterialien:

    Polizeidirektion München, Leviné-Niessen, 10 110, StA.

    Steiermärkisches Landesarchiv, Graz, P-IX 20/1#4, P-IX 41/14, BG Graz I L-IX 26/13, BG Graz I P-IX 1/20.

  • Werke

    Monografien:

    Compendium der Pharmako-Therapie für Polikliniker und junge Ärzte, 1901.

    Die cerebrale Sekundärfunction, 1902.

    Das Freud‘sche Ideogenitätsmoment und seine Bedeutung im manisch-depressiven Irresein Kraepelins, 1907.

    Über psychopathische Minderwertigkeiten, 1909.

    Zur funktionellen Geistesbildung des Revolutionärs, 1919.

    Postume Ausgaben:

    Drei Aufsätze über den inneren Konflikt, 1920.

    Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe, hg. v. Kurt Kreiler, 1980.

    Werke. Die Grazer Jahre, hg. v. Lois Madison, 2000.

    Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe, 2000.

    Zum Solidaritätsproblem im Klassenkampf, in: Die Gesetze des Vaters, hg. v. Albrecht Götz von Olenhusen/Gottfried Heuer, 2005, S. 415–421.

    Themen der revolutionären Psychologie, in: ebd., S. 421–423.

    Ausgewählte Texte 1901–1920, hg. v. Lois Madison, 2008.

    Ausgewählte Werke 1901–1904, hg. v. Lois Madison, 2008.

    Ausgewählte Werke 1907–1909, hg. v. Lois Madison, 2008.

    Ausgewählte Werke 1913–1920, hg. v. Lois Madison, 2008.

    Werke 1901–1920, hg. v. Lois Madison, 2009, engl. 2012.

    Aufsätze und Beiträge:

    Zur Frage der socialen Hemmungsvorstellungen, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 7 (1901) S. 123–131.

    Über Vorstellungszerfall, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 11 (1902), S. 205–212.

    Die Affektlage der Ablehnung, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 12 (1902), S. 359–370.

    Zur Phyllogenese der Ethik, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 9 (1902), S. 101–103.

    Über Bewußtseinszerfall, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 15 (1904), S. 45–51.

    Die Biologie des Sprachapparates, in: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin 61 (1904), S. 795–835.

    Zur Differentialdiagnostik negativistischer Phänomene, in: Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift 37 (1904), S. 345-353 u. 357–363.

    Zur Nomenclatur „Dementia sejunctiva“, in: Neurologisches Zentralblatt 23 (1904), S. 1144–1146.

    Elterngewalt, in: Die Zukunft 65 (1908), S. 78–80.

    Zur Überwindung der kulturellen Krise, in: Die Aktion 3 (1913), Sp. 384–387.

    Die Einwirkung der Allgemeinheit auf das Individuum, in: ebd., Sp. 1091–1095.

    Anmerkungen zu einer neuen Ethik, in: ebd., Sp. 1141–1143.

    Notiz über Beziehungen, in: ebd., Sp. 1180 f.

    Über Destruktionssymbolik, in: Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie 4 (1914), S. 525–534.

    Otto Gross/Franz Jung, Bemerkung, in: Die Freie Straße 4 (1916), S. 2.

    Vom Konflikt des Eigenen und Fremden, in: ebd., S. 3–5.

    Orientierung der Geistigen, in: Sowjet 1 (1919), Nr. 5, S. 1–5.

    Die kommunistische Grundidee in der Paradiessymbolik, in: ebd., S. 12–27.

    Zum Problem: Parlamentarismus, in: Die Erde 1 (1919), S. 639–642.

    Protest und Moral im Unbewußten, in: ebd., S. 681–685, engl. Übers., in: New German Critique (1977), Nr. 10, S. 105–109.

    Zur funktionellen Geistesbildung des Revolutionärs, in: Räte-Zeitung 1 (1919), Nr. 52, Beilage S. 3–20.

    Zur neuerlichen Vorarbeit: Vom Unterricht, in: Das Forum 4 (1920), S. 315–320.

    Briefe:

    John Turner/Cornelia Rumpf-Worthen/Ruth Jenkins, The Otto Gross-Frieda Weekley Correspondence, in: D. H. Lawrence Review 22 (1990), S. 137–227.

    Briefe an Else von Richthofen (Jaffé), in: Else von Richthofen Collection. Tufts Digital Library. (Onlineressource)

    Du Kreuz des Südens über meiner Fahrt. Briefe von Otto Gross an Frieda Weekley, in: Homepage des Verfassers. (Onlineressource)

    Guenther Roth, Edgar Jaffé, Else von Richthofen and Their Children. From German-Jewish Assimilation through Antisemitic Persecution to American Integration. A Century of Family Correspondence 1880–1980, in: Center for Jewish History. (Onlineressource)

    Übersetzungen:

    Más allá del diván. Apuntes sobre la psicopatología de la civilización burguesa, 2003.

    Psychoanalyse et Révolution. Essais, 2011.

    Por Uma Psicanálise Revolucionária, hg. v. Marcelo Amorim Checchia/Paulo Sérgio De Souza Jr./Rafael Alves Lima, 2017.

    Más allá del diván. Apuntes sobre la psicopatología de la civilización burguesa, 2018.

    Bibliografie:

    Alexander Grinstein (Hg.), The Index of Psychoanalytical Writings, Bd. 2, 1957, S. 199.

    Karl F. Stock/Rudolf Heilinger/Marylène Stock (Hg.), Bibliographie österreichischer Bibliographien, Sammelbiographien und Nachschlagewerke. Abt. 3, Bd. 5, 1991, S. 1708 f.

    Raimund Dehmlow/Gottfried Heuer, Otto Gross. Werkverzeichnis und Sekundärschrifttum, 1999. (P)

    Raimund Dehmlow, Otto Gross. Werkverzeichnis. (Onlineressource)

    Raimund Dehmlow, Otto Gross. Sekundärbibliographie. (Onlineressource)

  • Literatur

    Monografien:

    Martin Green, The von Richthofen Sisters. The Triumphant and the Tragic Modes of Love. Else and Frieda von Richthofen, Otto Gross, Max Weber, and D. H. Lawrence, in the Years 1870–1970, 1974. (P)

    Emanuel Hurwitz, Otto Gross. Paradies-Sucher zwischen Freud und Jung, 1979.

    Günter Bose/Erich Brinkmann (Hg.), Grosz/Jung/Grosz, 1980.

    Jennifer E. Michaels, Anarchy and Eros. Otto Gross’ Impact on German Expressionist Writers, 1983.

    Martin Green, Mountain of Truth. The Counterculture Begins. Ascona, 1900–1920, 1986.

    Michael Turnheim, Otto Gross und die deutsche Psychiatrie, 1988.

    Michael Raub, Opposition und Anpassung. Eine individualpsychologische Interpretation von Leben und Werk des frühen Psychoanalytikers Otto Gross, 1994.

    Rosie Jackson, Frieda Lawrence, 1994.

    Martin Green, Otto Gross. Freudian Psychoanalyst, 1877–1920. Literature and Ideas, 1999.

    Raimund Dehmlow/Gottfried Heuer (Hg.), 1. Internationaler Otto-Gross-Kongress. Bauhaus-Archiv, Berlin 1999, 2000. (P)

    Thomas Anz/Christina Jung (Hg.), Der Fall Otto Gross. Eine Pressekampagne deutscher Intellektueller im Winter 1913/14, 2002.

    Gottfried Heuer (Hg.), 2. Internationaler Otto-Gross-Kongress. Burghölzli, Zürich 2000, 2002. (P)

    Raimund Dehmlow/Gottfried Heuer (Hg.), Bohème, Psychoanalyse & Revolution. 3. Internationaler Otto-Gross-Kongress. Ludwig-Maximilians-Universität, München, 15.–17. März 2002, 2003. (P)

    Gerhard M. Dienes/Ralf Rother, Die Gesetze des Vaters. Problematische Identitätsansprüche. Hans und Otto Gross, Sigmund Freud und Franz Kafka, 2003

    Albrecht Götz von Olenhusen/Gottfried Heuer (Hg.), Die Gesetze des Vaters. 4. Internationaler Otto Gross Kongress, Robert Stolz-Museum, Karl Franzens Universität Graz, 2005. (P)

    Gottfried Heuer (Hg.), Utopie & Eros. der Traum von der Moderne. 5. Internationaler Otto-Gross-Kongress, Club Voltaire, Dada-Haus, Zürich, 16.–18. September 2005, 2006. (P)

    Raimund Dehmlow/Ralf Rother/Alfred Springer (Hg.), ... da liegt der riesige Schatten Freud‘s jetzt nicht mehr auf meinem Weg. Die Rebellion des Otto Gross. 6. Internationaler Otto Gross Kongress Wien, 8.–10. September 2006, 2008. (P)

    Werner Felber/Albrecht Götz von Olenhusen/Gottfried Maria Heuer/Bernd Nitzschke (Hg.), Psychoanalyse und Expressionismus. 7. Internationaler Otto Gross Kongress, Dresden 2008, 2010. (P)

    Esther Bertschinger-Joos, Frieda Gross und ihre Briefe an Else Jaffé. Ein bewegtes Leben im Umfeld von Anarchismus, Psychoanalyse und Bohème, 2014. (P)

    Christian Bachhiesl/Gerhard Dienes/Albrecht Götz von Olenhusen/Gottfried Heuer/Gernot Kocher, Psychoanalyse & Kriminologie. Hans & Otto Gross – Libido & Macht. 8. Internationaler Otto Gross Kongress, Graz 14.–16. Oktober 2011, 2015. (P)

    Marcelo Checchia/Paulo Sérgio De Souza Jr./Rafael Alves Lima, Por uma psicanálise revolucionária. Otto Gross, 2017.

    Gottfried M. Heuer, Freud’s „Outstanding“ Colleague/Jung’s „Twin Brother“. The Suppressed Psychoanalytic and Political Significance of Otto Gross, 2017.

    Marie-Laure de Cazotte, Mon nom est Otto Gross, 2018.

    Aufsätze:

    Wilhelm Stekel, Die Tragödie des Analytikers, in: ders., Sadismus und Masochismus. Störungen des Trieb- und Affektlebens (Die parapathischen Erkrankungen), Bd. 8, 1925, S. 484–511.

    Josef Dvorak, Kokain und Mutterrecht. Die Wiederentdeckung von Otto Gross (1877–1920), in: Neues Forum 25 (1978), S. 52–64.

    Kurt Kreiler, Der sezierte Dämon. Zum Fall Otto Gross, in: Ästhetik und Kommunikation 10 (1979), S. 47–55.

    Alfred Springer, Otto Groß und J. R. Becher. Zur Narkotomie in der Bohème des Deutschen Expressionismus. Eine soziopathologische Skizze, in: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung. 2 (1979), S. 23–36.

    Josef Dvorak, Ein Sexualforscher als Patient. Die Analyse des Otto Groß bei Wilhelm Stekel, in: Josef Christian Aigner/Rolf Gindorf (Hg.), Von der Last der Lust. Sexualität zwischen Liberalisierung und Entfremdung, 1986, S. 77–98.

    Bernd Nitzschke, Nähe als Gewalt. Zum Beispiel: Das Leben und Werk des Morphinisten, Psychoanalytikers, Anarchisten und „Schizophrenen“ Otto Gross (1877–1920), in: Ilse Dröge-Modelmog/Gottfried Mergner (Hg.), Orte der Gewalt. Herrschaft und Macht im Geschlechterverhältnis, 1987, S. 51–71.

    Martin Stanton, The Case of Otto Gross, Jung, Stekel and the Pathologization of Protest, in: Edward Timms/Ritchie Robertson (Hg.), Psychoanalysis in its Cultural Context, 1992, S. 49–56.

    Alfons Backes-Haase, „Der neue Mensch“. Ein Erziehungsentwurf der Moderne. Der Fall Otto Gross, in: Hofmannsthal-Jahrbuch zur europäischen Moderne 21 (1994), S. 333–358.

    André Karger, Otto Gross. Selbstbegründung und Sohnesopfer in den Anfängen der Psychoanalyse, in: Texte. Psychoanalyse – Ästhetik – Kulturkritik 17 (1995), S. 7–32.

    Lois Madison, The Grazer School of Thought on the Sprachapparat and Otto Groß’ Theory of a „Non-Organic Aphasia“ (Mind Split), in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 13 (1995), S. 391–397.

    Saburo Kuramochi, A Biography of Otto Gross, 3 T. in: Bulletin of Tokyo Kasei University. Cultural and Social Science 39 (1999), S. 213–224, 40 (2000), S. 189–200 u. 41 (2001), S. 167–176.

    Christine Kanz, Zwischen Wissen und Wahn. Otto Gross in den Metropolen Wien, Zürich, München, Berlin, in: Gabriele Dietze/Dorothea Dornhof (Hg.), Metropolenzauber. Sexuelle Moderne und urbaner Wahn, 2014, S. 149–169.

    Belletristik:

    Franziska zu Reventlow, Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil, 1913.

    Arnolt Bronnen, Vatermord, 1915.

    Franz Jung, Sophie. Der Kreuzweg der Demut, 1915.

    Max Brod, Das große Wagnis, 1919.

    Franz Werfel, Barbara oder die Frömmigkeit, 1919.

    Franz Jung, Technik des Glücks, 1921.

    Franz Werfel, Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig, 1922.

    Franz Werfel, Schweiger, 1922.

    Franz Werfel, Spiegelmensch, 1923.

    Eduard Trautner, Gott, Gegenwart und Kokain, 1927.

    Leonhard Frank, Links wo das Herz ist, 1952.

    Franz Jung, Der Weg nach unten, 1961.

    Johannes R. Becher, Abschied, 1975.

    Franz Jung, Der Weg nach unten, 1991.

    Spielfilm:

    A Dangerous Method, 2011, Regie: David Cronenberg, Vincent Cassell als Otto Gross.

    Lexikonartikel:

    N. N., Art. „Gross, Otto“, in: Ludwig Eidelberg (Hg.), Encyclopedia of Psychoanalysis, 1968, S. 126 u. 500.

    N. N., Art. „Gross, Otto“, in: Werner F. Bonin, Die großen Psychologen. Von der Seelenkunde zur Verhaltenswissenschaft. Forscher, Therapeuten und Ärzte, 1983, S. 122.

    Thomas Anz, Art. „Gross, Otto“, in: Hermann Kunisch/Herbert Wiener/Sibylle Cramer (Hg.), Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, 1987, S. 193 f.

    Walter Ruprechter, Art. „Otto Groß“, in: Walter Killy (Hg.), Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 4, 1989, S. 369 f.

    Anke Hees, Art. „Gross, Otto“, in: Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert, Bd. 12, hg. v. Konrad Feilchenfeldt, 2008, Sp. 492–494. (W, L)

    Florian Mildenberger, Art. „Gross, Otto“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon. Online-Edition, Lieferung 2 v. 15.3.2013. (Onlineressource)

  • Onlineressourcen

  • Autor/in

    Raimund Dehmlow (Garbsen)

  • Zitierweise

    Dehmlow, Raimund, „Gross, Otto“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118542524.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA