Lebensdaten
1785 – 1860 oder 1847
Geburtsort
Wismar
Sterbeort
Bonn
Beruf/Funktion
Historiker ; Politiker
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118523368 | OGND | VIAF: 68943247
Namensvarianten
  • Dahlmann, Friedrich Christoph
  • Dahlmann, Friedrich
  • Dahlmann, Friedrich Christoph
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Zitierweise

Dahlmann, Friedrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523368.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus Ratsgeschlechtern des Ostseeraumes;
    V Joh. Ehrenfr. Jak. (1739–1805), 1775 Syndikus, 1797 Bgm. v. Wismar, S des Joh. Ehrenfr. (1705-82), schwedischer Hofgerichtssekretär, 1749 Syndikus in Wismar (stammt mütterlicherseits aus der Stralsunder Bgm.- u. Gel.-Fam. Charisius [s. ADB IV]), u. der Pastoren-T Joh. Lucie Zeidler aus Rostock;
    M Lucia Aug. (1756–88), Stiefmutter Frieder. Christiane (1764–1810), beide T des Joh. Frdr. Jensen (1718–89), dänischer Hofgerichtsadvokat, Landsyndikus, Etatsrat in Kiel, u. der Professoren-T Gertrud Gentzke;
    Om Frdr. Christoph Jensen (1754–1827), Prof. der Rechte in Kiel, seit 1778 Sekr. der fortwährenden Deputation der schleswig-holsteinischen Prälaten u. Ritterschaft, seit 1802 Deputierter der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen;
    B Joh. Frdr. (1781–1829), Albert Joachim (1783–1843), beide Syndici in Wismar;
    1) Kiel 1817 Julie (1795–1826), T des Dietr. Herm. Hegewisch (1746–1812), Prof. der Gesch. in Kiel (s. ADB XI [L]), u. der Predigers-T Benedikta Elis. Kramer, 2) Kiel 1829 Luise (1800-56), T des dänischen Oberstleutnant Frdr. Bogisl. v. Horn u. der Sophie Georgine Luise v. Warnstedt; Schwäger Franz Hegewisch (Ps. Franz Baltisch, 1783–1865), Arzt, Publizist im nat. u. konstitutionellen Sinn (s. ADB XI), Hans Frdr. Carl v. Colditz (1786–1872, Karol. Hegewisch), dänischer Etatsrat, übers. J. L. de Lolme, Die Vfg. v. England …(1819, mit Vorwort v. D.), u. W. Blackstone, Hdb. des englischen Rechts im Auszuge … (2 Bde., 1822, = Commentaries on the Laws of England);
    3 S, 1 T aus 1), u. a. Herm. (1821–1894), Landgerichtsdirektor in Marburg, Dorothea ( 1847, 1844 Aug. Ludw. Reyscher [1802–80], württ. Jur. u. Pol., Prof. in Tübingen [s. ADB XXVIII]).

  • Biographie

    Als schwedischer Untertan geboren, studierte D. seit 1802 mit Unterbrechungen in Kopenhagen Philologie, wurde 1804 in Halle bei F. A. Wolf mit der modernen kritischen Methode der klassischen Altertumswissenschaft vertraut und hörte dort auch H. Steffens und F. Schleiermacher. Einer Episode in Dresden (1809), wo er dem Romantikerkreis um Adam Müller nahetrat und von wo aus er mit dem ihm befreundeten H. von Kleist eine patriotisch-abenteuerliche Reise zum Schlachtfeld von Aspern unternahm, folgte nach dem österreichischen Zusammenbruch die Promotion D.s in Wittenberg (1810) und die Habilitation in Kopenhagen (1811). Ohne jede historische Vorbildung wurde er auf Verwendung seines Onkels F. Ch. Jensen 1812 als Nachfolger D. H. Hegewischs außerordentlicher Professor für Geschichte in Kiel, wo er B. G. Niebuhr und K. Th. Welcker besonders nahetrat, und 1815 auf Betreiben des Grafen Fritz Reventlow Sekretär der „fortwährenden Deputation der schleswig-holsteinischen Prälaten und Ritterschaft“. Amtlich wie als Publizist wirkte er für die Erhaltung der ritterschaftlichen Privilegien, freilich ohne greifbaren Erfolg, wie die Abweisung des von ihm veranlaßten Rekurses an den Deutschen Bund zeigt (1823). Dahinter aber stand der Kampf um die Sonderstaatlichkeit der Herzogtümer und zugleich - im Sinne des Grafen Adam Moltke - der Wunsch, die alte ständische Verfassung weiterzuentwickeln und auf das Bürgertum auszudehnen. So wenig der Streit selbst oder auch nur seine nationale Note auf D. zurückgehen, so ist es doch seine Leistung, die Bewegung in die bis dahin unpolitischen, ja eher dem dänischen Absolutismus zuneigenden bürgerlichen Schichten getragen zu haben. Er, der den Satz aus den Privilegien von 1460, dat se | bliuen ewich tosamende ungedelt, zum zugkräftigen Schlagwort machte, half als der wirkungsvollste Agitator der schleswig-holsteinischen Sache den Boden bereiten für U. J. Lornsen, der 1830 entschiedener liberale mit den nationalen Motiven verband. Für D. selbst bezeichnen die Kieler Jahre den Übergang von der apolitischen Gedankenwelt des „klassischen“ Neuhumanismus zum historisch-politischen Realismus, der - im Kampf um die Herzogtümer zur Reife entwickelt - die Grundlage seiner späteren Wirksamkeit bildete.

    Enttäuscht durch die Verhältnisse in Kiel, folgte D. 1829 einem auf Anregung des Freiherrn vom Stein und Niebuhrs von G. H. Pertz vermittelten Ruf nach Göttingen, wo er alsbald nach der von ihm mißbilligten „Göttinger Revolution“ als Vertreter der Universität am hannoverischen Verfassungsentwurf mitarbeitete und ein neues Hausgesetz entwarf, sich jedoch - in der Abgeordnetenkammer isoliert - bald auf seine wissenschaftliche Tätigkeit zurückzog. Der feierliche Protest gegen König Ernst Augusts Staatsstreich, den sieben Professoren unter D.s Führung am 18.11.1837 einlegten, hatte ihre Amtsenthebung und überdies für ihn, J. Grimm und G. G. Gervinus die Landesverweisung zur Folge; Dahlmann rechtfertigte in einer Schrift „Zur Verständigung“ (1838) ihren Schritt. Die Tat der „Göttinger Sieben“, äußerlich erfolglos, erregte in ganz Deutschland ungeheures Aufsehen und gewann symbolische Bedeutung für die freiheitliche Bewegung im Vormärz. Wie seine Kollegen durch freiwillige Spenden auch in materieller Hinsicht für den Verlust seiner Stellung entschädigt, lebte D. nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig seit 1838 in Jena der Arbeit an seiner nur bis zur Reformation geführten Geschichte Dänemarks, seinem am besten quellenmäßig fundierten und am wenigsten von politischen Gesichtspunkten bestimmten Geschichtswerk. Seit 1842 hatte er - nunmehr auf der Höhe seines politischen Ruhmes - bis zu seinem Tod den Bonner Lehrstuhl für deutsche Geschichte und Staatswissenschaften inne.

    Die Frucht des politischen Reifens in den Kieler und ersten Göttinger Jahren waren die „Politik“ (1835), die D.s wissenschaftlichen Ruhm begründete, und die späteren historischen Werke. Schwerlich läßt sich seine Erscheinung in bestimmter Richtung festlegen. Neben die neuhumanistisch-rationale Gedankenwelt des deutschen Idealismus trat früh in seinem Denken eine historisch-romantische Komponente und, unter entschiedener Ablehnung des Naturrechts und seiner mechanistischen Staatsauffassung, die bewußte Hinwendung zu den „gegebenen Zuständen“; metahistorisches Werten schuf sich einen historischen Unterbau. Für D.s Haltung in der Verfassungsfrage, die er in für den frühen Liberalismus charakteristischer Weise ganz in den Vordergrund stellte - nicht zufällig blieb die „Politik“ am Anfang des Abschnitts über die Verwaltung liegen -, gilt daher sein Satz: „Nicht durch das, was alt, auch nicht durch das, was neu, sondern durch das was stetig und lebendig oder wiederzubeleben ist, werden Staatsordnungen geschützt“ (Politik § 139). So wollte er die englische Verfassung, die er freilich noch ganz mit den Augen Montesquieus, Blackstones, de Lolmes und Burkes sah, als eine weiterentwickelte germanische Verfassung zum Muster einer „guten Verfassung“ für die auf ähnlicher Entwicklungsstufe stehenden deutschen Staaten nehmen, wobei er insbesondere für ein starkes und selbständiges Königtum (absolutes Veto) und das Zweikammersystem eintrat. Kern und Träger des Staates, das eigentliche Volk, war für D. das Bürgertum, während ihm gleich den meisten Angehörigen des „Honoratiorenliberalismus“ Verständnis für die „soziale Frage“, die Nöte und Rechte des Vierten Standes fehlte. In diesem Sinne beherrscht die Verfassungsfrage auch seine beiden Geschichtswerke über die englische (1844, englische Übersetzung von H. E. Lloyd, London 1844) und die französische Revolution (1845), die H. von Treitschke die „Sturmvögel“ der deutschen Revolution von 1848 genannt hat; starren Absolutismus und radikale demokratische Entwicklung zur Massenherrschaft verwarf er hier gleichermaßen zugunsten eines stark aristokratisch aufgefaßten Ideals der konstitutionellen Monarchie. Unbeschadet seiner Ablehnung des an Frankreich orientierten süddeutschen Liberalismus läßt sich gleichwohl eine Entwicklung vom ständischen zu immer ausgeprägter liberalem Denken bei ihm nicht verkennen.

    D.s Stellung zum deutschen Einheitsproblem war zum Teil, und je länger desto mehr, durch außen- und machtpolitische Gesichtspunkte, weitgehend aber gleichfalls durch die Verfassungsfrage bedingt: Erst sehr allmählich erkannte er die Leistungen der absoluten Monarchie für den einheitlichen modernen Staatsaufbau an; am Deutschen Bund tadelte er weniger die Nichterfüllung der Einheitswünsche als die der Verfassungsforderungen; neben seinem - obzwar undogmatischen - Protestantismus (Verehrung für Luther und Gustav Adolf!) und der Tatsache, daß ihm der alte Reichsgedanke im Grunde fremd|war, ließ ihn gleich dem Württemberger P. A. Pfizer vor allem die Erkenntnis, daß sich der Vielvölkerstaat aus inneren Gründen dem Konstitutionalismus nicht erschließen könne, eine Führung der Habsburgermonarchie im Deutschen Bund ablehnen. Seine Hoffnungen setzte er in steigendem Maße auf Preußen, wenn er auch dessen eigensüchtige Machtpolitik der Vergangenheit verurteilte und den Übergang zum Verfassungsstaat als selbstverständliche Voraussetzung einer preußischen Führung in Deutschland ansah. Wie die liberale, so prägte sich auch die nationale Komponente in D.s Denken immer stärker aus, obgleich er sich dabei stets auch den Blick für übernationale Zusammenhänge offenhielt; so wenn er in einer Lösung der schleswig-holsteinischen Frage auch einen Schritt zu einem europäischen Verein sich gegenseitig anerkennender und achtender Nationen sah oder an einen kulturellen Zusammenschluß der „ostseeischen Landschaften“ dachte.

    Nach Ausbruch der Revolution setzte sich D. in einer Adresse der Bonner Universität an den König (8.3.1848) für einen aufrichtigen Konstitutionalismus mit starker monarchischer Spitze ein. Wenn er auch ablehnte, preußischer Gesandter am Bundestag zu werden, so ging er doch als Vertrauensmann dorthin und arbeitete zusammen mit seinem Göttinger Kampfgenossen W. Albrecht im wesentlichen den „Verfassungsentwurf der Siebzehn“ aus, der allerdings keine praktische Bedeutung gewann. Mitglied des Vorparlaments und Abgeordneter des holsteinischen Wahlkreises Segeberg in der Paulskirche, brachte D. seine politischen Gedanken vor allem im Verfassungsausschuß zur Geltung, dessen Verfassungsentwurf zu wesentlichen Teilen auf ihn zurückgeht. H. von Gagerns „kühnen Griff“, die Einsetzung einer provisorischen Zentralgewalt durch die Nationalversammlung, bekämpfte er als Gegner der Volkssouveränität. Neben J. G. Droysen, G. Waitz und G. Beseler zählte er zu den norddeutschen Führern der kleindeutschen „Kasinopartei“, der späteren „Erbkaiserlichen“. Daß er in der praktischen Politik - wohl auch unter dem Eindruck der allgemeinen Erregung - seinen historisch-politischen Erkenntnissen wenig Rechnung trug, zeigt die von D. zusammen mit der Linken am 5.9.1848 durchgesetzte Sistierung des Malmöer Waffenstillstandes: Sie zeugte von seiner Verkennung der machtpolitischen Situation und brachte ihm eine persönliche Niederlage ein, als er mit einer Regierungsneubildung scheiterte (9.9.); zugleich schädigte sie das Ansehen der Nationalversammlung, deren gänzliche Machtlosigkeit sich bei dieser Frage offenbarte. In der Folge trat D. im Plenum nicht mehr sehr hervor. Doch ist der berühmte gegen die Habsburgermonarchie gerichtete § 2 der Reichsverfassung von 1849, der die gesamtstaatliche Vereinigung deutscher und nichtdeutscher Länder verbot, wesentlich mit auf seine und Droysens Tätigkeit zurückzuführen. Er beteiligte sich noch - ohne Glauben an ihren Erfolg - an der Deputation, die Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anbot, und trat am 21.5.1849 aus der Nationalversammlung aus. Einem Nachspiel als Mitunterzeichner der Gothaer Erklärung, Mitglied des Erfurter Parlaments und der preußischen Ersten Kammer (1849/50) folgte der für die Altliberalen insgesamt charakteristische Rückzug aus dem öffentlichen politischen Leben.

    Der zutiefst rechtlich und sittlich denkende und handelnde Mann besaß - „karg an Worten und an jeder äußern Bezeigung“, wie er selbst gesagt hat - wenig Talent zur Popularität und erwarb sich doch hohes Ansehen in breitesten Kreisen. Seine Bedeutung liegt neben seinem Eintreten für die schleswig-holsteinische Sache und seiner aufrechten Haltung in Göttingen in erster Linie in seiner politischen Lehre. Durch sie hat er nicht nur den norddeutschen Liberalismus (H. von Treitschke, H. von Sybel, R. von Gneist) und Fürsten wie den späteren Großherzog Friedrich I. von Baden entscheidend beeinflußt, sondern auch auf die konservative Staatslehre (F. J. Stahl) eingewirkt. D.s Bevorzugung des englischen Musters vor dem französischen wurde dabei ebenso wichtig wie die Verbindung des Machtgedankens mit dem liberalen Ideengut und die historische Unterbauung der Staatslehre. Seine Geschichtsschreibung blieb dem politischen Wollen stets untergeordnet; so ist er der erste ausgesprochen „politische Historiker“ der kleindeutschen Schule geworden. Doch verdankt ihm die Geschichtswissenschaft auch die „Quellenkunde der deutschen Geschichte“ (1830, ²1838), die, 1869 von G. Waitz und später von anderen immer neu bearbeitet (zuletzt ⁹1931), als „Dahlmann-Waitz“ das unentbehrliche Hilfsmittel für jede Arbeit auf dem Gebiet der deutschen Geschichte geworden ist.

  • Werke

    Weitere W Über d. letzten Schicksale d. dt. Untertanen Dänemarks u. ihre Hoffnungen v. d. Zukunft (März 1814), hrsg. v. C. Varrentrapp, in: Zs. f. schleswig-holstein-lauenburg. Gesch. 17, 1887, S. 9-57 (pol. Erstlingsschr.);
    F auf d. Gebiet d. Gesch., 2 Bde., 1822/23;
    Die Politik, auf d. Grund u. d. Maß d. gegebenen Zustände zurückgeführt, 1835, ²1847, neu hrsg. v. O. Westphal, 1924, = Klassiker d. Pol. 12;
    Gesch. v. Dänemark,|3 Bde., 1840-43, in: A. L. H. Heeren-F. A. Ukert, Europ. Staatengesch., 1829 ff.;
    Zwei Revolutionen, 2 Bde., 1853 (Neuausg. d. beiden Rev.-geschichten);
    Kleine Schrr. u. Reden, hrsg. v. C. Varrentrapp, 1886 (darin u. a. Ein Wort üb. Vfg. [aus: Kieler Bll., 1815], sog. Waterloorede, 1815, W-Verz.);
    Briefwechsel zw. J. u. W. Grimm, Gervinus u. D., hrsg. v. E. Ippel, 2 Bde., 1885/86;
    Von Kieler Professoren, Briefe aus 3 Jhh. z. Gesch. d. Univ. Kiel, hrsg. v. M. Liepmann, 1916;
    Mitbegr. u. -hrsg.: Kieler Bll., 1815, Neudr. 1938;
    Kieler Btrr., 1820.

  • Literatur

    ADB IV;
    H. v. Treitschke, in: Hist. u. pol. Aufsätze I, ⁸1918, S. 348-434;
    A. Springer, F. Ch. D., 2 Bde., 1870/72 (P);
    H. Christern, F. Ch. D.s pol. Entwicklung bis 1848, in: Zs. d. Ges. f. Schleswig-Holstein. Gesch. 50, 1921, S. 147-392 (W, L-Verz., P);
    O. Scheel, Der junge D., in: Veröff. d. Schleswig-Holstein. Univ.ges. III, Jb. 1925, T. 1, S. 1-73 (P);
    O. Brandt, Geistesleben u. Pol. in Schleswig-Holstein um d. Wende d. 18. Jh., ²1927 (auch f. F. Ch. Jensen u. F. Hegewisch);
    ders., Zur Vorgesch. d. schleswig-holstein. Erhebung, 1927;
    V. Valentin, Gesch. d. dt. Rev. 1848-49, 2 Bde., 1930/31 (u. d. dort verz. allg. u. Memoiren-L);
    Ernst Rud. Huber, F. Ch. D. u. d. dt. Vfg.-bewegung, 1937;
    H. Schirmer, Das dt. Nat.bewußtsein b. F. Ch. D., in: Zs. d. Ges. f. Schleswig-Holstein. Gesch. 65, 1937, S. 1-110 (L);
    B. Theune, Volk u. Nation b. Jahn, Rotteck, Welcker u. D., 1937, = Hist. Stud., H. 319;
    F. Schnabel, Dt. Gesch. im 19. Jh. II, ²1949, S. 73-75, 179-81 u. ö., III, ²1950, S. 107 f. u. ö.;
    H. Heffter, Die dt. Selbstverwaltung im 19. Jh., 1950, S. 194-97 u. ö.;
    H. v. Srbik, Geist u. Gesch. v. dt. Humanismus b. z. Gegenwart I, 1950, S. 348-53 u. ö. (L);
    s. a. DW 13 (O. Lorenz), 14292 (Th. Wilhelm). - Zu Franz Hegewisch: W. Klüver, in: Nordelbingen 4, 1925, S. 368 ff. (L).

  • Porträts

    Lithogr. nach Zeichnung v. F. Pecht, 1838, Abb. b. Christern (s. L) u. Rave, S. 302;
    s. a. Singer I, 1937, Nr. 7542-46.

  • Autor/in

    Erich Angermann
  • Zitierweise

    Angermann, Erich, "Dahlmann, Friedrich" in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 478-480 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523368.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Dahlmann. Als Unterthan der schwedischen Krone wurde Friedrich Christoph D. in Wismar am 13. Mai 1785 geboren, 5. Dec. 1860. Sein deutscher Sinn|litt darunter keinen Abbruch, wol aber bewahrte er, ähnlich wie der alte Arndt, zeitlebens eine lebendige Anhänglichkeit an die skandinavischen Länder, welche der Glaube an die schwedische Abstammung seiner Vorfahren, so wenig begründet derselbe auch war, noch erhöhte. Das Dahlmann’sche Geschlecht zeigt sich in Wahrheit seit Menschengedenken in den Hansestädten der Ostsee heimisch und wurde hier wiederholt durch das Vertrauen der Mitbürger zur Verwaltung öffentlicher Aemter berufen. So stand auch Dahlmann's Vater Johann Ehrenfried Jacob (geb. in Stralsund 1739) der Stadt Wismar als Syndicus und später als Bürgermeister vor. Dem Juristenstand, welcher auf solche städtische Aemter vorbereitete, widmeten sich zwei ältere Brüder Dahlmann's, er selbst, von 11 Kindern das sechste, beschloß, durch die Lectüre Wyttenbach's und Ruhnken's angeeifert, die Gelehrtenlaufbahn zu versuchen. Die Anwesenheit einflußreicher Verwandter mütterlicherseits (Jensen) in Kopenhagen entschied, daß D. das Studium der Philologie an der Kopenhagener Universität unter Moldenhauer's Leitung begann. Ohne sonderliche Früchte; wenigstens hat D. als seinen wahren Lehrer stets nur Friedrich August Wolf verehrt, und daß dessen Vorlesungen ihm den wissenschaftlichen Antrieb vorzugsweise gegeben, wiederholt betont. Auch Steffens und Schleiermacher zogen den jungen Studenten an; doch blieb er zu kurze Zeit (Ostern bis Weihnachten 1804) in Halle, um ihren unmittelbaren Einfluß stark zu empfinden. Wenn D. später sich gern auf Schleiermacher's Lehre berief, überhaupt philosophischen Studien zugeneigt blieb, wie er denn nach Trendelenburg's Zeugniß kein Jahr als reifer Mann vorübergehen ließ, ohne eine Schrift Kant's zur Auferbauung des Geistes zu lesen, so dankt er dies, wie überhaupt seine ganze Bildung, dem Leseeifer, der ihn in Büchern finden ließ, was ihm die persönliche Unterweisung wegen seines unsteten Wanderlebens zu geben nicht vermochte. Die durch eine schwere Krankheit unterbrochenen Studien setzte er zuerst in Kopenhagen wieder fort. Die Noth der Heimath, welche nach der Aufrollung der preußischen Heere von französischen Truppen überfluthet wurde, führte ihn im November 1806 nach Wismar zurück, wo er zwei Jahre über litterarischen Versuchen brütend, in unfruchtbarem patriotischem Zorne sich verzehrend, zubrachte. Als Erlösung begrüßte D. eine im Januar 1809 unternommene Reise nach Dresden, wo ein lebhaftes politisch-litterarisches Treiben herrschte, zumal er die Hoffnung hegte, in dem von Adam Müller geleiteten Phöbus seine litterarischen Erstlinge (Uebersetzungen nach Aeschylus und Aristophanes) gedruckt zu sehen. Wie er hier mit Heinrich v. Kleist bekannt wird und mit dem rasch gewonnenen Freunde eine ziemlich abenteuerliche Wanderung nach Böhmen und Mähren bis auf das Schlachtfeld von Aspern (Mai 1809) wagt, hat D. selbst mit unvergleichlicher Anmuth erzählt. Der Ausgang des österreichisch-französischen Krieges zerschnitt grausam alle Pläne, welche die Freunde an den erneuerten Sieg der deutschen Waffen geknüpft hatten. Abermals kehrte D. nach Wismar zurück. Die Aussicht, auf deutschem Boden eine größere Wirksamkeit zu finden, schien gänzlich verfinstert. So wurde denn wieder der Noth- und Ausweg ergriffen und in Kopenhagen, dem Wohnorte einflußreicher Verwandten, der Anker ausgeworfen. Nachdem D. am 7. Januar 1810 in Wittenberg promovirt hatte, habilitirte er sich am 24. August 1811 an der Kopenhagener Universität als Docent der alten Litteratur und ihrer Geschichte. Die bei diesem Anlaß vertheidigte Dissertation: „Primordia et successus veteris comoediae Atheniensium cum tragoediae historia comparati“ besitzt noch heutigen Tages bei älteren Philologen einen guten Klang. Zum Heil für D. und zum Glück für die deutsche Wissenschaft, welche sonst einen ihrer tüchtigsten und vornehmsten Vertreter verloren hätte, durfte er schon nach Jahresfrist seine Schritte nach Deutschland zurücklenken. Durch Vermittlung seines Oheims Jensen empfing er 1812 einen Ruf|als Lehrer der Geschichte in Kiel an Stelle des verstorbenen Hegewisch und am 2. Juni 1813 nach vollendetem Probejahre die Bestallung als außerordentlicher Professor. D. spöttelte öfter in späteren Jahren: er sei Professor der Geschichte geworden, ohne daß er jemals ein historisches Colleg gehört, und ein Wort über Geschichte geschrieben hätte. Das erstere ist vollkommen richtig, das andere nur sofern wahr, als er bisher keine historische Schrift durch den Druck herausgegeben hatte. Außer seiner Dissertation war von ihm nur eine ästhetische Studie über Oehlenschläger in dänischer Sprache ("Betragtninger over Oehlenschlagers dramatiske Vaerker") veröffentlicht worden. Auch als Professor der Geschichte mußte er noch ein Jahrzehnt vorübergehen lassen, ehe er sich in der Litteratur als Historiker ("Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte“ 1822) einführte. Denn neben der Professur bekleidete er noch ein Landesamt, welches Jahre lang seine Kraft vorzugsweise in Anspruch nahm. Die fortwährende Deputation der schleswig-holsteinischen Prälaten und Ritterschaft übertrug ihm die Stelle eines Secretärs. Als er das unerwartet ihm beschiedene Amt antrat, ahnte er nicht, daß er dadurch vor eine seiner wichtigsten Lebensaufgaben gestellt sei, als treuer Anwalt die Rechte des schleswig-holsteinischen Volkes zu vertheidigen. Zunächst galt es freilich nur, die Privilegien einer Corporation, des „Corps der Prälaten und Ritterschaft“ aufrecht zu halten. Aber diese Privilegien bargen als Kern kostbare Volsrechte und durften nicht preisgegeben werden, wollte man nicht auch die letzteren schädigen. Der nexus socialis der Ritterschaft zeigte im Hintergrund die Vereinigung Schleswig-Holsteins, die Aufnahme Schleswigs in den deutschen Bund, die Steuerbewilligungsrechte der privilegirten Stände konnten zu einem verfassungsmäßigen Volksrechte erweitert werden. Vorläufig sahen nur Wenige diese Perspective; man glaubte nicht, wie es bei dem politischen Kleinmuthe im damaligen Deutschland wol begreiflich war, an eine Entwicklung des ständischen Wesens in constitutioneller Richtung, und sah dem Kampfe der privilegirten Körperschaft mit der Regierung, der seit Dahlmann's Uebernahme des Secretariats mit neuer Heftigkeit entbrannt war, ziemlich gleichgültig zu. Dahlmann's Eifer ließ sich nicht durch die geringe Popularität der Sache, die er vertrat, eindämmen. Unerschütterlich wie seine Ueberzeugung war auch seine Energie in der Vertheidigung. Bis vor den Bundestag brachte er die Beschwerden der schleswig-holsteinischen Ritterschaft, für den Anschluß der Städte an die Forderungen der privilegirten Körperschaften setzte er seine ganze Kraft ein. Nach 10jährigem Kampfe mußte er bekennen, daß die von ihm vertretene Sache unterlegen sei: doch nur vorläufig. Allgemein wird anerkannt, daß Dahlmann's Thätigkeit der Agitation Lorensen's wirksam vorgearbeitet habe, und der Kampf der Ritterschaft den Keim der schleswig-holsteinischen Bewegung in sich barg. Im unmittelbaren Augenblicke wurde aber nur das Mißlingen aller politischen Pläne gefühlt, die Verstimmung und der Kleinmuth durch keinen Trost, kaum durch eine ferne Hoffnung gemildert. Zieht man die Summe aus Dahlmann's Leben, so entdeckt man den großen persönlichen Gewinn, den er aus dieser kampfreichen Wirksamkeit zog. Seine politische Bildung kam hier erst zur vollen reifen Entwicklung und wenn D. bei aller Strenge der Grundsätze doch nie zum platten Doctrinär wurde, so dankt er dieses den in seiner Stellung als Secretär der Ritterschaft erworbenen Erfahrungen. Die „gegebenen Zustände“ blieben ihm fortan der einzig berechtigte Standpunkt des Politikers. In Kiel selbst aber kam dieser Gewinn nicht zum vollen Bewußtsein, hier fühlte vielmehr D. seine Thätigkeit in jeder Richtung gelähmt. Die Ungnade des Königs, welche der Secretär der Ritterschaft sich zugezogen, entlud sich über dem Haupte des Professors. Trotz seiner Lehrerfolge und seiner hochgepriesenen wissenschaftlichen Wirksamkeit (außer den schon erwähnten Forschungen gab er den „Neocorus“ 1827 heraus und nahm|regen Antheil an den Kieler Blättern und Kieler Beiträgen) blieb die längst verheißene und verdiente Beförderung zum Ordinarius aus. Auch sonst hatten sich die Verhältnisse in Kiel so gestaltet, daß er sich nicht mehr gegen einen Wechsel des Wohnortes unbedingt sträubte, vielmehr den festen Willen aussprach, einen ehrenvollen Ruf nach „Deutschland“, wie man vielfach in Holstein das Land südlich der Elbe nannte, anzunehmen Einen solchen bot ihm durch Pertz' Vermittlung, der wieder von Niebuhr und Stein angespornt wurde, die Universität Göttingen. Im Herbst 1829 trat er hier die Professur für Politik, Cameral- und Polizeiwissenschaft, sowie für deutsche Geschichte an und begann einen neuen Lebensabschnitt. Seine Lehrthätigkeit nahm erst jetzt den vollen Aufschwung und machte in wenigen Jahren seinen Namen zu einem der geachtetsten und bekanntesten in der deutschen Universitätswelt. Aber ebensowenig wie in Kiel war es ihm vergönnt, in stiller wissenschaftlicher Muße zu leben, auch hier drängten ihn die Ereignisse auf den politischen Schauplatz. D. war kaum in Göttingen eingebürgert, als die sogenannte Göttinger Revolution ausbrach, lächerlich in ihrem Verlaufe, aber bedeutsam für Hannover, indem sie zu einer Verfassungsreform mit den Anlaß gab, bedeutsam auch für D., welcher als Deputirter der Universität durch seinen klaren Blick und sein ruhiges Urtheil dem Generalgouverneur, Herzog von Cambridge, ein so großes Vertrauen einflößte, daß dieser ihn fortan zu allen wichtigen politischen Berathungen zog. Er nahm Theil an der Feststellung des Verfassungsentwurfes, welcher den Ständen sollte vorgelegt werden, und erhielt den Auftrag, ein neues Hausgesetz auszuarbeiten. Die natürliche Folge seiner hervorragenden politischen Action war seine Wahl in die zweite Kammer als Vertreter der Universität. Nach modernem parlamentarischen Sprachgebrauche würden wir D. zu der conservativen Partei rechnen, welche, ohne dem Ministerium unbedingt zu huldigen, doch fest daran hält, die Regierungsautorität unversehrt zu erhalten, eine damals doppelt schwierige Aufgabe, da die Masse der Liberalen jede Regierung vom Uebel zu halten geneigt war. In der That stieß auch D. durch seine Reden (über die Göttinger Revolution, über das Zweikammersystem, über die Judenemancipation und über die berüchtigten Bundestagsbeschlüsse vom 26. Juli 1832) wie durch seine Abstimmungen vielfach an und fand sich in der Kammer fast gänzlich isolirt. Aehnlich ging es ihm mit seiner journalistischen Thätigkeit. Beinahe jeder Artikel, welchen er in die von Pertz redigirte censurfreie Hannoversche Zeitung einschickte (insbesondere seine Rede eines Fürchtenden) hatte diplomatische Einsprache zur Folge. Dieses alles reifte seinen Entschluß, eine Neuwahl in die Kammer nicht anzunehmen, überhaupt jeder öffentlichen politischen Thätigkeit zu entsagen und sich auf sein Lehramt und die Wissenschaft zurückzuziehen. So gewann er die Muße, ein längst begonnenes Werk zu vollenden und andere ausgedehnte vorzubereiten. Sein Buch die „Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt“, welches auf die politischen Anschauungen einer ganzen Generation den größten Einfluß übte und lange Zeit ein wahrhaft canonisches Ansehen genoß, und seine „Geschichte Dänemarks“ verdanken der Göttinger Zeit ihr Dasein. Die Politik erschien zuerst 1835; die Geschichte Dänemarks wurde zwar mehrere Jahre später gedruckt, doch fällt die erste Anlage noch in die Göttinger Periode. Sehr gegen seinen Willen auf grausame Art sollte er aus seiner Muße gerissen und in den Streit des öffentlichen Lebens gerissen werden. Nach dem Tode König Wilhelms IV. von Großbritannien kam Hannover (1837) nach der braunschweigisch-lüneburgischen Erbfolgeordnung an den Herzog von Cumberland, Ernst August, dessen erste Regierungshandlung darin bestand, die zu Recht bestehende Verfassung aufzuheben und thatsächlich ein absolutistisches Regiment, welches aus den Staatsbeamten königliche Diener machte,|einzuführen. D. und mit ihm das ganze deutsche Volk, einige Fürsten und Diplomaten ausgenommen, sahen darin einen groben Rechtsbruch. Das deutsche Volk hatte für diese Ueberzeugung keine urkundliche Stütze, D. aber war sicher, die Papiere in den Händen gehalten zu haben, welche sein Verdammungsurtheil über den König und dessen Anhang rechtfertigten. Sichergestellt ist, daß der Prinz niemals einen öffentlichen, lauten Protest gegen das Hausgesetz und Staatsgrundgesetz ausgesprochen hatte, auch sichergestellt, daß die Minister 1834 D. schriftlich mitgetheilt, die Zustimmung zu dem Hausgesetze sei von den volljährigen königlichen Prinzen, also auch von dem Herzog von Cumberland erfolgt; leugnete jetzt der König diese Thatsache, so waren entweder die Minister oder durch diese D. getäuscht worden. Jedenfalls erschien D. in seinem unbedingten Rechte, wenn er die königlichen Patente vom 30. und 31. October 1837 als einen Staatsstreich betrachtete, welcher das Gewissen jedes ehrlichen Bürgers bis zur Unerträglichkeit belaste. Dieses auch auszusprechen, hielt er nach seiner ganzen Stellung als unabweisbare Pflicht, mit ihm noch sechs Göttinger Professoren, welche am 18. November 1837 den berühmten Protest dem Universitätscuratorium überreichten, welcher das Auftreten des Königs und das Verfahren der Regierung in vernichtender Weise geißelte. Dieser Schritt fand die allgemeinste Zustimmung im Geheimen, doch keine öffentliche Nachfolge. So wurde es dem Könige möglich, Rache an den wenigen pflichttreuen Männern zu üben. Die sieben Göttinger wurden ihrer Aemter entsetzt, D. überdies, auf dessen Haupte sich der königliche Zorn gesammelt hatte, mit Jakob Grimm und Gervinus des Landes verwiesen. Am 19. December wanderte er in die Verbannung. Fünf Jahre währte das Exil, welches D. mit seiner Familie theils in Leipzig, theils in Jena überstand. Die Sorge für die materielle Existenz nahm ihm der Göttinger Verein in Leipzig ab, welcher die eingezogenen Gehälter der sieben Professoren durch freiwillige Sammlungen ersetzte. Doch fehlte längere Zeit die Muße zu wissenschaftlichen Arbeiten. Zunächst galt es die vollbrachte That in ihrer wahren Bedeutung weiteren Kreisen zu erklären und gegen erbärmliche von Hannover aus geschleuderte Anschuldigungen zu vertheidigen. D. schrieb das classische Pamphlet „Zur Verständigung“, er vermittelte ferner den Druck der Brochuren, welche die beiden Leidensgenossen Jakob Grimm und Ewald verfaßt hatten und begleitete das Gutachten deutscher Universitäten über den hannoverschen Verfassungsstreit mit kräftigen Worten. Erst als er von Leipzig nach Jena (1838) übersiedelte, gewann er die volle Ruhe zu wissenschaftlichen Arbeiten. Er nahm die Geschichte Dänemarks wieder vor, die zu den Perlen unserer historischen Litteratur gehört und daß sie im unvollendeten Zustand — sie reicht nur bis zur Reformation — blieb, noch immer bedauern läßt. Die Hauptschuld daran trägt der übrigens glückliche Wechsel seines Schicksals, der ihn in andere Kreise führte und neuen großen Interessen nahe brachte. Der Thronwechsel in Preußen gab endlich Hoffnung zur Rückkehr Dahlmann's zu einer geordneten öffentlichen Thätigkeit. Die Rehabilitation des alten Arndt, die Wiederanstellung der eigenen Leidensgenossen ließ auch Dahlmann's Berufung an eine Universität zuversichtlich erwarten. Sie wurde durch unklare Pläne verzögert, seine Kraft in Berlin selbst an der Spitze einer großen Zeitung, die man sich aber doch wieder nur kleinlich loyal, in ministeriellen Banden befangen denken konnte, zu verwerthen. So kam der Herbst 1842 herbei, ehe ihn der wirkliche Ruf an die Bonner Universität als Professor der deutschen Geschichte und der Staatswissenschaften erreichte. Wenn die Göttinger Jahre die wissenschaftlich tiefsten und fruchtbarsten waren, so bezeichnet die Bonner Periode bis 1848 die Zeit seines höchsten äußern Ruhmes. Sogar Popularität erwarb sich D., so wenig seine Natur sonst danach angelegt war, volksthümlich zu erscheinen. Der Schimmer des erlittenen Marterthums, verbunden mit der vornehmen Ruhe seines Wesens, der Glaube an seine politische Weisheit, vereint mit der Ueberzeugung von seinem unbeugsamen Charakter, die sittliche Würde, die in jedem Worte, jeder Zeile, die er sprach und schrieb, sich offenbarte, verliehen seinen Vorlesungen damals die höchste Anziehungskraft und gewannen seinen jetzt veröffentlichten Schriften als nationalen Lesebüchern die weiteste Verbreitung. Seine „Geschichte der englischen Revolution“ 1844, welcher im nächsten Jahre die „Geschichte der französischen Revolution“ folgte, half mit der neuen Auflage der Politik die öffentliche politische Meinung in Deutschland bilden und trug wesentlich dazu bei, daß maßvolle Anschauungen wenigstens in den mittleren Kreisen des Volkes die Herrschaft bewahrten.

    Leichter und rascher als den meisten andern Männern, die sich mit dem Staat und dessen Verfassung beschäftigten, ward D., als der Revolutionssturm 1848 losbrach, seine Gedanken zu sammeln, seinen Wünschen eine klare Form zu geben und ein festes Reformprogramm aufzustellen. Die leitende Rolle Preußens im deutschen Staatswesen, die Nothwendigkeit einer bundesstaatlichen Einigung, waren in ihm seit Jahrzehnten festgewurzelte Grundsätze, die er mit der gleichen Energie jetzt gegen weiterstrebende Radicale vertheidigte, wie ehedem gegen ängstliche Conservative. Der Mittelpartei, welche den Staat nicht in eine bloße Assecuranzgesellschaft verwandlen, nicht mit dem bloßen schlechten Reste unveräußerlicher Volksrechte ausstatten wollte, die auch für nationale Anliegen Verständniß besaß, wurden Dahlmann's Lehren eine feste Richtschnur; daß er auch als der persönliche Führer derselben aufgetreten wäre, verhinderte die geringe Beweglichkeit seines Wesens, seine Unfähigkeit augenblickliche Entschlüsse zu fassen, Gegenreden behend und rasch zu entwerfen. So kam es, daß seine Grundsätze triumphirten, seine Persönlichkeit dagegen verhältnißmäßig nur wenig in den Vordergrund trat. Die Mittelpartei, zu welcher die Mehrzahl unserer geistig hervorragendsten Männer gehörte, nannte sich nach Gagern, handelte aber in der Regel nach D. Seine Schicksale in den so bewegten Revolutionsjahren sind deshalb weniger mannigfach und dramatisch wechselvoll, als die Wichtigkeit seiner Stellung eigentlich erwarten läßt. Als die Bonner Universität in den Märztagen wie alle anderen Corporationen des Vaterlandes eine Adresse an den König zu richten beschloß, war es selbstverständlich D., der sie verfaßte. Als die preußische Regierung durch die Noth des Augenblicks gedrängt, um den Volkssturm abzuwehren und die Verfassungsreformen vorzubereiten, Vertrauensmänner in ihren Rath berief, fiel ihre Wahl natürlich auch auf D. Neben dem ordentlichen Gesandten vertrat D. die preußische Stimme im Bundestage, den Gesandtschaftsposten selbst anzunehmen weigerte er sich unerbittlich. Als Mitglied der „Siebzehner-Commission“ arbeitete er gemeinsam mit Albrecht den Verfassungsentwurf aus, von der zuversichtlichen Hoffnung erfüllt, daß derselbe einmüthig von den Fürsten und den Vertretern des Volkes werde angenommen werden. Bekanntlich kam es anders. Die Nationalversammlung in dem berauschenden Vollgefühl ihrer jungen Souveränität ging über die Arbeit, wie über den Bundestag selbst zur Tagesordnung über. Doch wurden Dahlmann's Gedanken nicht vollständig begraben. Denn in dem Verfassungsausschusse des Parlamentes saß abermals D., welchen nicht Bonn, wie allgemein erwartet wurde, sondern aus alter Anhänglichkeit ein holsteinischer Wahlbezirk, Segeberg, in das Frankfurter Parlament gesendet hatte. Die Spuren seiner Wirksamkeit sind deutlicher in den Protocollen des Verfassungsausschusses ausgeprägt, als in den stenographischen Berichten der Nationalversammlung, in welcher er gewöhnlich nur als Referent des Ausschusses die Tribüne bestieg. Nicht immer zum Beifall der eigenen Partei. So schwamm er gleich in seiner ersten Rede gegen den Strom der Majorität, als er die Errichtung der Centralgewalt ausschließlich durch das Parlament, wie sie Gagern|in begeisternder Rede vorgeschlagen hatte, bekämpfte. Tadelte er diesmal Gagern's „kühnen Griff“, so wagte er am 1. Sept. selbst einen solchen. Er setzte es durch, daß die Anerkennung des Malmöer Waffenstillstandes, wenn auch nicht gleich verweigert, doch aufgeschoben wurde. Die starke sittliche Empfindung überwog bei ihm alle politischen Erwägungen und ließ ihn die Verwirrung in der eigenen Partei, das bedenkliche Lob seiner bisherigen Feinde, die mögliche Schädigung der preußischen Macht, die doch unversehrt bleiben mußte, gering achten. Er machte aber bald die Erfahrung, daß die sittliche Empfindung allein ohne das Machtbewußtsein nicht ausreiche, um die politische Welt zu lenken. Das Ministerium trat nach der Annahme des Dahlmann’schen Antrages zurück, und D. wurde von dem Reichsverweser berufen, ein neues Ministerium zu bilden. Nach wenigen Tagen schon gab D. die Mission als unausführbar zurück. Unausführbar war aber auch die Politik, die D. empfohlen hatte. Er entzog sich dieser Einsicht nicht, brauchte aber doch längere Zeit, ehe er den vollen Gleichmuth wieder fand. Er zog sich seitdem noch mehr, als es früher seine Gewohnheit war, zurück und trat nur, wenn es sich um Principienfragen handelte, in den Vordergrund. Als Eckstein der Verfassung sah er den berühmten §. 2 an, welcher die Vereinigung deutscher Länder und nicht deutscher Länder verbot und gegen Oesterreich gerichtet war. D. hatte denselben gemeinschaftlich mit Droysen festgestellt. Ebenso hielt er ein Staatenhaus neben dem Volkshause, das absolute Veto und die Erblichkeit der Kaiserwürde für unentbehrlich in der Verfassung und vertheidigte diese Punkte öffentlich auf der Rednerbühne. Für die Uebertragung der Kaiserwürde an die Preußenkönige stimmte er, obgleich er aus den mit König Friedrich Wilhelm IV. das Jahr zuvor gewechselten Briefen wußte, daß an eine Annahme derselben nicht zu denken war. Eben deshalb erschien ihm nicht die Weigerung des Königs für das Schicksal des Parlamentes, wie den meisten Gesinnungsgenossen, entscheidend. Er zögerte, den Gedanken von dem Austritt aus dem Parlamente zur That werden zu lassen, bis ihn endlich die Ueberzeugung, nichts Gedeihliches mehr wirken zu können, dazu bestimmte. Sein Name steht an der Spitze der 65 Abgeordneten, welche am 21. Mai 1849 den Austritt aus der Nationalversammlung ansagten. Er unterschrieb auch die Erklärung, welche im Juni von zahlreichen Parteigenossen in Gotha ausging und zwischen den Beschlüssen des Parlamentes und den Absichten der preußischen Regierung die Brücke schlagen wollte. Doch war er mit dem Wortlaut derselben keineswegs einverstanden, vielmehr einer schärferen, einschneidenderen Politik jetzt zugeneigt. Dies hinderte nicht, daß seine Persönlichkeit mit der Gothaer Partei identificirt wurde, gerade so, wie man die Heidelberger Deutsche Zeitung als sein Organ ansah, obschon er an der Gründung keinen Antheil hatte. Nur als Nachspiel seiner parlamentarischen Wirksamkeit kann seine Anwesenheit in der ersten Kammer in Berlin und im Erfurter Parlamente 1849—50 gelten. Pflichttreue lehrte ihn auszuharren, doch sein Muth und seine Zuversicht auf eine baldige Klärung der deutschen Staatsverhältnisse waren stark gesunken. Im Herbste 1850 kehrte er nach Bonn zurück, um fortan nur seinem akademischen Amt und seinen Freunden zu leben. Er fühlte sich, da diese alle vor ihm starben, allmählich allein und einsam in der Welt; auch die gelichtete Zuhörerschaft in seinen Vorlesungen wirkte auf die Stimmung nicht erfreulich. Diese hob sich erst am spätesten Lebensabende wieder und auch der gute Glaube an Deutschlands Zukunft kehrte zurück, als er die Wendung in Preußen zum Bessern erblickte. Er starb 75jährig am 5. December 1860.

    • Literatur

      A. Springer, Friedrich Christoph Dahlmann, mit Bildniß, 2 Bände, Leipzig 1870—72.

  • Autor/in

    A. Springer.
  • Zitierweise

    Springer, "Dahlmann, Friedrich" in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876), S. 693-699 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523368.html#adbcontent

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