Lebensdaten
1868 – 1944
Geburtsort
Heilbronn
Sterbeort
Theresienstadt
Beruf/Funktion
Internist ; Nephrologe
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 117676403 | OGND | VIAF: 795865
Namensvarianten
  • Strauss, Hermann
  • Strauß, H.
  • Strauß, Hermann

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Zitierweise

Strauss, Hermann, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117676403.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1836–1918, Kaufm.;
    M Röschen Oppenheimer (1841–91);
    B Moritz (1870–1936), Bankkaufm., Josef (1872–1942), Arzt in Frankfurt/Main, Schw Eva (1877–1942, Max Edel, * 1868, Dr. med., Leiter d. väterl. „Privat-Irrenanstalt“, S d. Karl Edel, 1837–1921, Dr. med., Sanitätsrat in Charlottenburg b. Berlin, 1869 Gründer e. Irrenanstalt, Stadtrat, s. Kreuter, Neurologen);
    1899 Elsa (1875–1945 Theresienstadt), Kliniksozialarbeiterin, Mitbegründerin d. Krankenhausfürsorge, Mitgl. d. Komitees Soziale Krankenhausfürsorge (s. Who is who d. Sozialen Arbeit, hg. v. H. Maier, 1998), T d. Julius Isaac (1843–99, Fischbeinfabr. in Berlin, Kaufm., Inh. d. Fa. Jonas Selig Nachf., KR (s. Juden in Preußen), u. d. Helene Simon (1849–1925;
    S Walter (1900–76, Tamara Berta Schneider, aus d. Baltikum), Dr. iur., 1949–63 Staatssekr. im Hess. Staatsmin. u. im Bundesmin. d. Justiz, 1963–70 Richter am Europ. Gerichtshof (s. L); Ov d. Ehefrau James Simon (1851–1932, Mitinh. d. Baumwollfa. „Gebr. Simon“, Berlin, seit 1901 Präs. d. Hilfsver. d. dt. Juden, Kunstsammler u. Mäzen, 1898 Initiator d. dt. Orientges., Dr. phil. h. c. (s. NDB 24).

  • Biographie

    S. wurde seit dem fünften Lebensjahr privat unterrichtet und besuchte danach die Elementarschule und das humanistische Gymnasium in Heilbronn. 1886 begann er mit dem Medizinstudium, zunächst in Würzburg, seit 1888 in Berlin, wo er 1890 mit einer neurologischen Arbeit promoviert wurde (250 Fälle v. rechts- u. linksseitiger Hemiplegie, 1890). 1892 begann S. mit der klinischen Ausbildung am Kaiserin-Augusta-Hospital Berlin bei Karl Anton Ewald (1845–1915), einem Experten auf dem neuen Gebiet der Gastroenterologie. Da S. als Jude dort kaum Aufstiegsmöglichkeiten sah, wechselte er 1893 an die Universitätsklinik Gießen zu dem Internisten Franz Riegel (1843–1904). 1895–1906 war S. an der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Charité als Mitarbeiter von Hermann Senator (1834–1911) tätig, einem jüd. Repräsentanten der Berliner Medizinischen Schule. Als Arzt und Forscher befaßte sich S. dort bevorzugt mit der Diagnostik und Therapie von Magen-Darm- und Nierenerkrankungen sowie mit Diätetik. 1897 habilitierte er sich an der Univ. Berlin (Über d. Bedeutung d. functionellen Diagnostik f. d. Therapie d. Magenkrankheiten, 1897) und wurde 1902 zum ao. Professor ernannt.

    Da Bewerbungen an Kliniken scheiterten, eröffnete S. 1906 in Berlin eine internistische Poliklinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie, inklusive Assistenten, Labor und Fortbildung. Zudem führte er eine ärztliche Praxis, war als Konsiliar tätig und betrieb eine weitere Privatklinik (ehem. Boas-Klinik). 1910 übernahm S. die Chefarztposition am Jüd. Krankenhaus in Berlin, an dessen Modernisierung (bis 1914) er maßgeblich beteiligt war. Im 1. Weltkrieg fungierte er als internistischer Fachbeirat, richtete ein Sonderlazarett ein, befaßte sich mit kriegsbedingten Nieren- und Magenerkrankungen, psychogenen Faktoren und Ernährung. Bis 1932 profilierte sich S. am Jüd. Krankenhaus als führender dt. Gastroenterologe, setzte bereits 1923 Insulin ein, etablierte eine klinische Diätküche und die Ernährungstherapie. Seit 1895 war S. in zahlreichen Fachgesellschaften aktiv, fungierte als Herausgeber und publizierte 430 Arbeiten sowie 25 Bücher zu fast allen Gebieten der Inneren Medizin.

    Obwohl S. nach 1933 eine Emigration in die USA, nach Brasilien oder Palästina möglich gewesen wäre, blieb er in Berlin, um seinen jüd. Patienten beizustehen. Infolge der NS-Rassegesetze wurde er aller Ämter enthoben, seine Vorlesungstätigkeit 1934 verboten und ihm 1938 die Approbation entzogen. 1942 beschlagnahmte die Gestapo das Vermögen des Ehepaars und verfügte die Deportation nach Theresienstadt. Hier war S. Mitglied des Ältestenrates und übernahm med. Schulungs- sowie Fortbildungsaufgaben. S. starb nach Angaben seiner Ehefrau an Herzversagen. Andere Quellen sprechen von Suizid angesichts drohender Deportation.

    S. war ein international anerkannter Pionier der modernen Gastroenterologie und trug wesentlich zum Fortschritt der Nephrologie und klin. Medizin bei. 1898 stellte er eine Flügelkanüle vor (Strauss-Kanüle), die für Laboranalysen ausreichend Venenblut liefert und noch heute verwendet wird. S. erforschte die Konzentrationsfähigkeit der Nieren, insbesondere die Wasser-, Kochsalz- und Harnstoffausscheidung sowie Nierenfunktionsparameter im Blut und Urin. Er etablierte die Reststickstoffbestimmung als Meßwert bei Niereninsuffizienz, benutzte die Kryoskopie und führte die kochsalzarme Diät als Basismaßnahme bei Niereninsuffizienz, Ödemen und Hypertonie ein (1910). Seit 1899 befaßte sich S. mit endoskopischen Studien des Enddarms und entwickelte ein modifiziertes Rektoskop mit Luftinsufflation, Sichtverbesserung und photographischer Befunddokumentation (1903). Er erkannte zudem das Potential dieser Methode (Schlingenabtragung v. Polypen, proximale Dickdarmendoskopie, Darmkrebsfrüherkennung). Das Rekto-Sigmoidoskop von S. war 50 Jahre lang Standardinstrument der rigiden Endoskopie des Enddarms. Er konstruierte ein Anoskop (Sphincteroskop) zur Behandlung anorektaler Erkrankungen, erfand Biopsiezangen, kombinierte Endoskopie- und Röntgendiagnostik und publizierte Monographien über die Proktorektosigmoidoskopie (1910, 1922). S. schlug erstmals Bluttransfusionen zur Behandlung von Blutungen bei Colitis ulcerosa vor und propagierte die Diättherapie bei Magen-Darm-Erkrankungen. Als Strauss-Zeichen wird eine tumorbedingte (Magenkrebs) Impression des Enddarms bezeichnet.

  • Auszeichnungen

    A Mitgl. u. a. d. Ges. f. Verdauungs- u. Stoffwechselkrankheiten (1913), d. Berliner Med. Ges., d. Dt. Ges. f. Innere Med., d. Dt. Insulinkomitees, d. American Gastroenterological Association u. d. Hufeland. Ges. (Ehrenmitgl. 1928);
    EK II (1917);
    Geh. Sanitätsrat (1918).

  • Werke

    Zur Technik d. Aderlasses, d. intravenösen u. subcutanen Infusion, in: Zs. f. Krankenpflege 20, 1898, S. 66;
    Die Blutzus.setzung b. d. verschiedenen Anämien, 1901;
    Die chron. Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung auf d. Blutflüssigkeit u. deren Behandlung, 1902;
    Zur Methodik d. Rectoskopie, in: Berliner Klin. Wschr. 40, 1903, S. 1100–04;
    Vorlesungen über Diätbehandlung innerer Krankheiten, 1908;
    Prakt. Winke f. d. Kochsalzentziehungskur durch chlorarme Ernährung, 1910;
    Die Procto-Sigmoskopie, 1910;
    Stoffwechselkrankheiten, 1912 (mit L. Bamberger);
    Zur Funktionsprüfung d. Leber, in: Dt. Med. Wschr. 39, 1913, S. 1780–83;
    Die Nephritiden, 1916;
    Magenkrankheiten durch Kriegseinwirkungen, 1919;
    Erkrankungen d. Rectum u. Sigmoideum, 1922;
    Die Krankheiten d. Nieren, 1923;
    Innere Sekretion u. prakt. Med., 1927 (mit F. Boenheim);
    Hg.: Archiv f. Verdauungs-Krankheiten, 1910–33;
    Slg. zwangloser Abhh. aus d. Gebiete d. Verdauungs- u. Stoffwechselkrankheiten, 1920–33.

  • Literatur

    C. Gossels, in: S. R. Kagan (Hg.), Essays on history of medicine, 1948, S. 105–12 (L, P);
    E. G. Lowenthal (Hg.), Bewährung im Untergang, 1966, S. 170 f.;
    H. Keller, in: Dt. Med. Wschr. 93, 1968, S. 2237 f.;
    G. Richet, Le prélèvement veineux à l`aiguille de H. S., in: Presse Médicale 21, 1992, S. 1053 f.;
    J. S. Cameron, One man and his needle, in: Seminars in Dialysis 19, 2006, S. 559 f.;
    M. S. Cappell The effect of Nazism on medical progress in gastroenterology, in: Digestic Diseases and Sciences 51, 2006, S. 1137–58;
    H. Jenss, H. S., 2010 (P, L);
    Pagel;
    BLÄ;
    zu Walter:
    F. Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker, Der Staatssekr. W. S. u. sein Staat, 2003;
    E. Lange, Wegbereiter d. Bundesrep., 1999, S. 93–105;
    Göppinger;
    Lex. Christl. Demokratie;
    Schumacher, M. d. B.

  • Autor/in

    Eberhard J. Wormer
  • Zitierweise

    Wormer, Eberhard J., "Strauss, Hermann" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 511-512 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117676403.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA