Lebensdaten
1775 – 1858
Geburtsort
Düsseldorf
Sterbeort
Siegburg
Beruf/Funktion
Psychiater ; Geheimer Obermedizinalrat
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 117603511 | OGND | VIAF: 49533130
Namensvarianten
  • Jacobi, Maximilian Karl Wigand
  • Jacobi, Max
  • Jacobi, Karl Wigand Maximilian
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Jacobi, Maximilian, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117603511.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Friedrich Heinrich (s. 3);
    Ov Joh. Georg (s. 4);
    - Wandsbek 1798 Anna (1777–1856), T d. Dichters Matthias Claudius ( 1815, s. NDB III);
    1 S. 5 T, u. a. Bernhard (1801–43), D. theol., Oberpfarrer, Präs. d. Westfäl. Provinzialsynode, Juliane ( Christian Kling, 1800–62, Prof d. Theol. in Marburg u. Bonn, s. ADB 16), Bertha (⚭ Karl Heinr. Sack, 1790–1875, Prof. d. Theol. in Bonn, dann Oberkonsistorialrat in Magdeburg);
    E Clarissa Voigt ( Bernhard v. Gudden, 1886, Psychiater, s. NDB VII).

  • Biographie

    J. erhielt Bildung und Ausbildung im kultivierten Elternhaus, 1793 begann er ein Medizinstudium in Jena (hier war er mit Goethe bekannt) und studierte 1795/96 weiter in Göttingen, Edinburgh und London. 1797 wurde er an der Univ. Erfurt promoviert. Nach kurzer ärztlicher Praxis 1799 in Vaels b. Aachen ließ er sich als Stiftsarzt in Eutin nieder, wobei er seine Einkünfte durch Übersetzungen von Herodot, Thukydides und Platon zu verbessern suchte. Es folgten Wanderjahre mit einer chirurgischen Weiterbildung in London (1802), praktischer Tätigkeit in Hamburg (1803) und abermals in Eutin (1804). 1805 folgte er seinem Vater nach München, wo er als Medizinalrat Leiter des bayer. Gesundheitswesens wurde. 1812 wurde ihm die ärztliche Leitung des St. Johann-Spitals in Salzburg übertragen; 1816 kam er als Regierungs- und Medizinalrat nach Düsseldorf. Hier reiften um 1820 Pläne des Ministers Altenstein zur Begründung einer Irrenanstalt für die Rheinprovinz, wobei schließlich die Wahl auf die Abtei Siegburg fiel. J., der im Herbst 1820 eine Studienreise zum Besuch von Irrenanstalten in Bayreuth, Sonnenstein und Waldheim in Sachsen u. a. unternommen hatte, wurde 1822 zum Direktor der Siegburger Anstalt bestimmt und 1831 definitiv ernannt. Am 1.1.1825 wurde die Heilanstalt in Siegburg eröffnet, deren Direktor J. 33 Jahre lang bis zu seinem Tode geblieben ist.

    J. gebührt das Verdienst, der jungen Psychiatrie eine erste wissenschaftlich tragfähige Theorie gegeben zu haben. In seinen „Sammlungen für die Heilkunde der Gemütskrankheiten“ (I, 1822, Vorrede) bedauert er das Fehlen eines „einigermaßen haltbaren Systems“ zur Grundlegung einer Psychiatrie, deren Basis das systematische Zusammentragen von alten und neuen „Erfahrungen und Erforschungen“ zu bilden habe. 1822 trat J. in engere Beziehungen zu Ch. F. Nasse, der seit 1819 der Medizinischen Klinik zu Bonn vorstand und sich ebenfalls für die ärztliche Betreuung der Geisteskranken einsetzte. Seit 1837 gaben beide eine „Zeitschrift für die Beurteilung und Heilung der krankhaften Seelenzustände heraus. Neben einer gründlichen Beschreibung der körperlichen Phänomene bildeten sich hier die Tendenzen zu einer somatischen Ätiologie des Irreseins heraus, während sich in der Therapie neben Diät und maßvollem Einsatz der Arzneimittel eine Beschränkung der Zwangsmittel durchsetzte, deren gänzliche Abschaffung aber als „unüberlegt, unweise und unheilsam“ (1844) verurteilt wurde.

    Um 1840 begann J. sein Lebenswerk über „Die Hauptformen der Seelenstörungen“, deren 1. Band „Über die Tobsucht“ 1844 erschien; der 2. Band sollte der Melancholie und dem Wahnsinn, ein 3. den übrigen seelischen Störungen gewidmet sein. Dieses Konzept konnte nicht ausgeführt werden, fand aber in zahlreichen anderen Publikationen einen deutlichen Niederschlag. An die Seite der empirischen Betrachtung stellte J. eine Naturphilosophie, die sich eher an Kant als an den damals modischeren Schelling anlehnte; psychisches Leiden gilt ihm als Begleitsymptom von krankhaften Veränderungen des Gesamtorganismus, ist daher auch Gegenstand der Heilkunde und nicht etwa der Psychologie oder gar einer Theologie.

    Mit Nasse kann J. als einer der Begründer der klinischen Analyse psychischer Erkrankungen angesehen werden. In Siegburg führte er detaillierte Krankenblätter und Kurzbiographien über das somatische Zustandsbild und kam mit diesem empirisch-klinischen Krankengut zu seiner Systematik psychischer Störungen. Während eine autarke Psychopathologie als ein „Chaos von Beobachtungselementen“ abgelehnt wurde, fand J. auf der Basis konstitutionell bedingter Grundleiden eine organische Klassifikation, wobei unter Abgrenzung der Gemütskrankheiten von den Aberrationen des intellektuellen Vermögens sich bereits die Umrisse einer Einheitspsychose mit depressiven oder exaltativen Formen abzeichnen.

    Das therapeutische Programm steht in engstem Zusammenhang mit seinen Erfahrungen in der Siegburger Heilanstalt. Schon 1839 behandelt J. in seinem Artikel „Irrenanstalten“ im Enzyklopädischen Wörterbuch (19. Bd., 1839, S. 62-198) ausführlich Geschichte und Begriff einer Irrenanstalt, ihre Lage und Bauart, eine Gliederung in Abteilungen, die Innenstruktur samt Hausordnung und Unterhaltung unter Beifügung einer detaillierten Literatur. In seiner Anstalt habe – so 1847 – als Grundsatz stets „die Idee der innigen Relativität und wechselseitigen Durchdringung des psychischen und somatischen Moments in dem menschlichen Organismus“ gewaltet, wodurch sie auch „immer entschiedener den Charakter einer reinen Heilanstalt“ behaupten konnte. Bei der Therapie selbst dominieren die diätetische Grundhaltung, eine maßvolle Beschäftigungstherapie, ausgesuchte Programme einer Erwachsenenbildung sowie eine Psychotherapie als „allgemeine, rein humane, dem Erfordern des Falles genau angemessene“ Behandlung unter Verzicht auf eine psychologische Theorie. Der Seelentherapie dienen die Hilfsberufe einer Anstalt, wobei neben erfahrenen Erziehern und einer Heranziehung von Landwirten die Anstellung eigener Hausgeistlicher empfohlen wird.

    Eine Synthese seiner Ideen und Erfahrungen hat J. mit einem Spätwerk „Naturleben und Geistesleben“ (1851) versucht, das den bezeichnenden Untertitel trägt: „Der Sinnenorganismus in seinen Beziehungen zur Weltstellung des Menschen: La divina commedia“. Hier geht J. nach einer terminologischen Klärung von Geisteszerrüttung, Seelenstörung, Irresein, Verrücktheit, Gemütskrankheit auf die Heilverfahren ein, die unter methodischer Berücksichtigung der individuellen Anlage und aller begleitender Krankheitssymptome durchgeführt werden müßten. Eine „eudämonistische Entwicklung“ der Menschheitsgeschichte sei nicht zu erwarten, wie auch „die äußere Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Zustände“ allein uns nicht weiter bringen würde. Der konkrete Sinnesorganismus bleibe daher „die Ausstattung, mit der der Mensch den Rückweg in seine Heimat antreten soll“.

  • Werke

    Weitere Werke u. a. Beobachtungen üb. d. Pathol. u. Therapie d. mit Irreseyn verbundenen Krankheiten, 1830;
    Über d. Anlegung u. Einrichtung v. Irren-Heilanstalten mit ausführl. Darst. d. Irren-Heilanstalt zu Siegburg, 1834;
    Ann. d. Irren-Heilanstalt zu Siegburg, 1837;
    Die Irrenheilanstalt Siegburg u. ihre Gegner, 1841;
    Bemerkungen üb. d. Bedeutung d. Ausdrucks „Seelenstörung“ in d. Psychiatrie, in: Allg. Zs. f. Psychiatrie 1, 1844, S. 353-422;
    Ueber d. gänzl. Beseitigung körperl. Beschränkungsmittel b. d. Behandlung v. Irren, ebd., S. 583-90;
    Aerztl. Ber. über d. Wirksamkeit d. Heilanstalt zu Siegburg, ebd. 4, 1847, S. 410-14;
    Gutachtl. Aeußerung betr. d. Fürsorge f. blödsinnige Kinder, ebd. 16, 1859, S. 319-27 (Gutachten auf Anfrage d. Centralausschusses f. innere Mission d. dt. Ev. Kirche, 1857).

  • Literatur

    ADB 13;
    J. Herting, in: Th. Kirchhoff, Dt. Irrenärzte I, 1921, S. 83-94 (L, P);
    ders., Die erste rhein. Irrenheilanstalt Siegburg, in: Allg. Zs f. Psychiatrie 81, 1925, S. 164-241;
    ders., C. W. M. J., 1930 (W-Verz., P);
    H. W. Schulte, M. J. -
    Leben u. Lehre, in: Sudhoffs Archiv f. Gesch. d. Med. u. Naturwiss. 45, 1961, S. 350-69;
    F. Sioli,|M. J., d. erste rhein. Irrenarzt, o. J.;
    J. Steudel, Der Psychiater M. J., in: Heimatbuch d. Stadt Siegburg II, 1967, S. 776-94.

  • Porträts

    Reliefbüste v. Christen, 1813, Abb. b. J. Herting, C. W. M. J., 1930;
    Zeichnung v. A. Hohneck, Abb. ebd.

  • Autor/in

    Heinrich Schipperges
  • Zitierweise

    Schipperges, Heinrich, "Jacobi, Maximilian" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 226-228 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117603511.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Jacobi: Karl Wigand Maximilian J., Irrenarzt, geb. als jüngster Sohn des Philosophen Friedrich Heinrich J. zu Düsseldorf am 10. April 1775. Aufgewachsen im väterlichen Hause, das damals ein Sammelplatz der ersten geistigen Größen Deutschlands war, erhielt er seine erste Bildung durch Heinrich Schenk (später Geheimrath in München), dann auf dem Düsseldorfer Gymnasium. Zu Ostern 1793 bezog er die Universität Jena, wo er zu den Schülern Hufeland's, welcher eben seine Lehrthätigkeit begonnen hatte, gehörte. Auch Goethe zog ihn in seine Gesellschaft und frischte mit ihm seine anatomischen Studien auf. 1795 ging er nach Göttingen, von da nach Edinburgh; am 21. Februar 1797 wurde er an der später aufgehobenen Universität Erfurt zum Doct. med. promovirt. Im Holsteinischen, wohin sein Vater nach der französischen Invasion der Rheinlande gezogen war, vermählte er sich mit einer Tochter des „Wandsbecker Boten“, begann dann seine ärztliche Praxis in Vaëls bei Aachen, von wo er 1800 nach Eutin übersiedelte. Der Wunsch, sich in der Chirurgie weiter auszubilden, veranlaßte ihn nach London zu gehen, wo er anderthalb Jahre lang in verschiedenen Spitälern fungirte. Auf kurze Zeit nach Eutin zurückgekehrt, wo er auch seit 1801 Stiftsarzt war, folgte er 1805 seinem nach München berufenen Vater und trat als Obermedicinalrath in baierische Dienste. Er wurde jedoch der administrativen Thätigkeit bald müde und verließ München, wo ihn außer seinem Vater die befreundeten Familien Roth, Niethammer u. A. vergebens zurückzuhalten versuchten, 1812 um die Stelle eines Oberarztes und Vorstandes von St. Johann im damals baierischen Salzburg anzunehmen. Das J. 1816 führte ihn in die Heimath zurück, und zwar nach Düsseldorf in die|Stellung eines Regierungs- und Medicinalrathes. Vier Jahre später, mit 45 Lebensjahren betrat er endlich das Gebiet, auf welchem er bald einer der ersten Meister werden sollte. Als nämlich Minister Altenstein sich mit den Plänen zur Einrichtung und Leitung einer neu zu gründenden Irrenheilanstalt für die Rheinprovinz trug, wählte er J. zur Ausführung derselben. Eine größere wissenschaftliche Reise, auf welcher er sich mit dem Stande des Irrenwesens in den verschiedenen Anstalten vertraut gemacht hatte, bereitete ihn auf seinen künftigen Beruf vor, sodann nahm er — man hatte inzwischen die Gebäude der ehemaligen Abtei Siegburg bei Bonn als für die Einrichtung einer Anstalt geeignet befunden — seinen Wohnsitz in Bonn, um den Arbeiten näher zu stehen. Eine entzündliche Gehirnerkrankung, die ihn hier alsbald befiel, brachte ihn dem Tode nahe, doch genas er unter der aufopfernden Pflege des Klinikers Friedrich Nasse, mit welchem er innig befreundet wurde, und welcher sehr fördernd auf seine psychiatrische Richtung einwirkte. Außerdem fand er in Bonn einen Kreis hervorragender Männer, wie Windischmann, Sack, Nitzsch, Lücke, Brandis und seinen alten Stubenburschen Moritz Arndt, mit denen er in anregenden Verkehr trat. Am 1. Januar 1825 wurde die Anstalt zu Siegburg eröffnet, wo er fortan über 33 Jahre bis zu seinem Tode wirkte. Anfangs mit vielen veralteten Krankheitsfällen besetzt, so daß die Anstalt in Wahrheit fast eine Pflegekeine Heilanstalt war, gelang es seiner Thatkraft und Energie bald, ihr den Charakter des Heilinstitutes wiederzugeben. Die vielfachen praktischen Erfolge, welche die Anstalt dann aufzuweisen hatte, machten sie rasch berühmt und trugen zu gleicher Zeit viel dazu bei, daß auf dem Gebiet der Irrenfürsorge in Deutschland eine eifrige Thätigkeit sich entfaltete. Siegburg war von da ab die förmliche Hochschule für alle deutschen Aerzte, welche sich der Irrenheilkunde widmen wollten, ein Stelldichein für alle Fachgenossen, die hier Anregung und Belehrung fanden. Ueber Deutschland, ja über Europa hinaus drang der Ruf Siegburgs und ihres Leiters, welcher nicht nur als Praktiker, sondern auch als Forscher in höchstem Ansehen stand. Als er sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum feierte, wurden ihm von allen Seiten und aus allen Gegenden Deutschlands, von Frankreich, England und Amerika die ehrendsten Glückwunschbezeugungen zu Theil (vgl. Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. IV. pag. 346). J. hatte noch das Glück, dieses seltene Fest um 11 Jahre zu überleben in immer gleichem Eifer und Streben für seinen Beruf und seine Wissenschaft, obwol er in den letzten Lebensjahren viel an Migräne litt und fast völlig zu erblinden drohte. Eine Gesichtsrose setzte nach einem Krankenlager weniger Tage seinem Leben ein Ziel zu Siegburg am 18. Mai 1858. Wie es ihm schon im Leben nicht an äußeren Anerkennungen gefehlt hatte, er war Geheimer Obermedicinalrath, Ritter des rothen Adlerordens II. Classe mit der Schleife und Eichenlaub, Ehrendoctor der philosophischen Facultät zu Bonn, Ehrenmitglied vieler gelehrten Gesellschaften des In- und Auslandes, so folgte ihm auch im Tode die allgemeine Verehrung und Anerkennung nach.

    Während die erste Lebenshälfte Jacobi's wenig Spuren einer bedeutenden Thätigkeit hinterließ — zu erwähnen ist er nur als Uebersetzer des Herodot und Thucydides, als Verfasser einiger kleiner medicinischer Aufsätze und gemeinsam mit Sim. Häberl als Herausgeber der „Jahrbücher des Sanitätswesens im Königreich Bayern“, 1810 — hat er in seiner psychiatrischen Wirksamkeit geradezu Großartiges geschaffen. Als er sich der Psychiatrie zuwandte, lag das Irrenwesen Deutschlands im Argen, seine wissenschaftlichen Vertreter hatten sich in zwei Lager gespalten und bekämpften sich in ermüdendem Theorienstreite. Da trat J. auf und ging mit unbefangenem Blick und in thatkräftiger Weise an die praktische und wissenschaftliche Förderung der Irrenheilkunde. Gegenüber|der damals sich mehr und mehr ausbreitenden psychischen Schule der Psychiatrie stellte er dem Standpunkte des Psychologen und Philosophen den des Naturforschers entgegen, dessen Aufgabe die Erforschung des menschlichen Organismus und der Gesetze aller diesem eigenthümlichen Lebenserscheinungen sei, also auch der psychischen Erscheinungen, allein nur insoferne sie Naturerscheinungen seien. Die Nachweisung ihres Hervorgehens, ihres Zusammenhanges und ihrer Veränderungen aus den Gesetzen des Organismus sei vor Allem zu erforschen. Alle Seelenstörungen beruhten auf körperlichen Abnormitäten, oder seien vielmehr nur Symptome körperlicher Erkrankung. J. ging jedoch noch weiter, indem er, wie dies schon der Titel seiner „Beobachtungen über die Pathologie und Therapie der mit Irresein verbundenen Krankheiten“, 1830 andeutet, die Geistesstörungen nicht als selbständige Formen sondern nur als Symptome irgend einer somatischen Krankheit auffaßte und annahm, daß die mit Seelenstörung verbundenen Krankheiten bald diese bald jene Sphäre, bald dieses bald jenes einzelne Gebilde, bald diesen bald jenen Complexus von Gebilden des Gesammtorganismus ergriffen, während der Gehirnerkrankung selbst nur eine ganz untergeordnete, secundäre Rolle zukomme. In echt naturwissenschaftlicher Methode hat J. diese theoretisch aufgestellten Propositionen in der Praxis begründet. Obwol er nicht ganz auf der Höhe der ärztlichen Wissenschaft stand und nicht mit ihren Fortschritten gleichen Schritt zu halten vermochte, so daß er in späteren Jahren in den diagnostischen Behelfen und der pathologischen Anatomie manche Mängel zeigte, schuf er doch in seinen „Annalen der Irrenheilanstalt zu Siegburg“, 1837 und in den „Hauptformen der Seelenstörungen in ihren Beziehungen zur Heilkunde“, 1844, Werke von immer bleibendem Werthe. Flemming (Pathologie und Therapie der Psychosen, S. 17) nennt ihn in Anbetracht der Verdienste um die pathogenetische Untersuchung der Seelenstörungen den Baco der Irrenheilkunde. Das letztere Werk war ans drei Bände berechnet, leider ist nur der erste über Tobsucht erschienen. In diesem ist die ganze Symptomatologie der mit Tobsucht verbundenen Krankheitszustände, die Blutbewegung, die Respiration, die Verdauung, Ernährung etc. und schließlich die psychischen Erscheinungen mit solcher Gründlichkeit und Genauigkeit durchforscht, daß überall neue, zum Theil überraschende Resultate sich ergeben. In der Behandlung der Geistesstörungen verfolgte J. zwei Wege, die bald einzeln bald zugleich in Anwendung gezogen werden müssen: einerseits die Anwendung der zu Gebote stehenden Medicamente und diätetischen Mittel, andererseits directe Einwirkung auf die Gemüthskräfte, um durch deren Rückwirkung auf den Organismus, insofern ihre Aeußerung eine correspondirende organische Thätigkeit bedingt, die Krankheit zu heben. Diese psychische Einwirkung sei eine rein humane, rein individualisirende, unter Umständen sei aber auch Strenge nicht auszuschließen.

    Im Anstaltswesen verpflanzte J. zunächst die englischen Erfahrungen nach Deutschland, so schon bei der Einrichtung Siegburgs. Sein Werk „Ueber Anlegung und Einrichtung von Irrenheilanstalten mit ausführlicher Darstellung der Irrenheilanstalt Siegburg“, 1834 bezeichnet einen neuen Abschnitt in der Irrenfürsorge. In mehrere Sprachen übersetzt, diente es nicht nur in Deutschland sondern sogar im fortgeschrittenen England als Leitfaden in den einschlägigen Fragen (vgl. auch: „Nachrichten über einige öffentliche Irrenanstalten in England" in Jacobi's und Nasse's Zeitschrift, 1838, S. 311—595 und den Artikel „Irrenanstalt“ in Wagner's encyklopädischem Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, 1839, Bd. XIX). 1851 erschien sein letztes Werk: „Natur und Geistesleben, der Sinnenorganismus in seinen Beziehungen zur Weltstellung des Menschen“. Es behandelt die vielbesprochenen Fragen, welches die Beziehungen von Leib und Seele seien, und welches die verschiedene Stellung, welche|die organischen Wesen dabei einnehmen. Im Wesentlichen führen seine Ansichten nicht über den Kreis solcher Vorstellungen hinaus, welche schon sonst geltend gemacht worden sind, obwol manche Gesichtspunkte von ihm schärfer hervorgehoben, manche etwas anders gewendet, manche Unterschiede anders gefaßt und Grenzen anders gelegt worden, als man es sonst findet. Einen wesentlichen Fortschritt begründet die Schrift nicht, eine Klärung in den strittigen Gebieten giebt sie nicht. In der Vorrede spricht er die Absicht aus, in einem besonderen Werke zu demjenigen, was bisher insgemein als Psychologie der Thiere und zum Theil auch des Menschen behandelt wurde, als einem Zweig der Physiologie, wenigstens einen weiteren Beitrag zu liefern. Er kam nicht mehr zur Durchführung dieses Planes. Seine letzte Arbeit war die Abfassung eines Gutachtens über die Errichtung einer Anstalt für Blödsinnige (Allgem. Ztschr. f. Psych. Bd. XVI, S. 319).

    • Literatur

      Vgl. Allgem. medicinische Centralzeitung von Posner, 1858. Nr. 66, 82 und 83.

  • Autor/in

    Bandorf.
  • Zitierweise

    Bandorf, "Jacobi, Maximilian" in: Allgemeine Deutsche Biographie 13 (1881), S. 593-596 unter Jacobi, Karl Wigand Maximilian [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117603511.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA