Lebensdaten
1823 – 1897
Beruf/Funktion
evangelischer Theologe ; Präsident des bayerischen Oberkonsistoriums
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 117202401 | OGND | VIAF: 69702025
Namensvarianten
  • Stählin, Adolf von
  • Stählin, Adolf von
  • Stählin, Adolf
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Stählin, Adolf von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117202401.html [28.03.2024].

CC0

  • Biographie

    Stählin: D. Adolf von St., Oberconsistorial-Präsident in München. St. ist am 27. October 1823 in Schmähingen bei Nördlingen geboren, wo sein Vater Pfarrer war. Die Mutter war eine geb. Brack. Nach einigen Jahren wurde der Vater nach Westheim versetzt. Dort wuchs der Knabe unter einer großen Schar von Geschwistern, im regen Verkehr mit der ländlichen Jugend, frei und ungezwungen, aber umhegt von der frommen Zucht und Sitte eines evangelischen Pfarrhauses auf. Den Unterricht nahm der Vater, ein sehr tüchtiger Schulmann, selbst in die Hand. Später besuchte St. die Lateinschule in Memmingen und München, bis er in das Collegium von St. Anna in Augsburg Aufnahme fand, einer Stiftung Augsburger Bürger aus der Reformationszeit zu dem Zweck, der evangelischen Kirche tüchtige Diener und Vertreter heranzubilden. Eine Reihe trefflicher Lehrer wirkte dort in anregendster Weise auf den lebhaften Geist des Jünglings ein; unter ihnen besonders der spätere langjährige Rector des Gymnasiums von St. Anna, Mezger, der zugleich den Religionsunterricht gab. Es war die Zeit, wo in Baiern das wieder erwachende evangelische Glaubensleben den bis dahin herrschenden Rationalismus ablöste. Stählin's Vater gehörte noch dem letzteren an. Und so war auch der Sohn unter diesen Einflüssen aufgewachsen. Mezger's Religionsunterricht aber war durchaus positiv. Und Pfarrer Bomhard predigte mit Geist und Kraft das alte Evangelium. Allmählich wurde sich der redlich strebende Jüngling des Unterschieds bewußt, ohne daß er aber schon jetzt zu voller Klarheit hindurchdrang. So verließ er, in allen Fächern der erste, namentlich mit den alten Classikern aufs beste vertraut, aber noch schwankend in seinem Innern, das Gymnasium. Nach dem Höchsten strebend, viele Fragen im Herzen, wanderte der Siebzehnjährige der Universität Erlangen zu.

    Dort hatte eben mit Harleß, Hofmann und Thomasius die glänzende Aera begonnen, welche in den folgenden Jahrzehnten die „Erlanger Theologie“ weithin berühmt machte und der Theologie Tausende von begeisterten Schülern aus allen Landen zuführte. St. durfte aus dem neu erschlossenen Quell die ersten frischen Züge thun und verspürte bald, wie wohlthuend dies seinem innersten Verlangen entgegenkam. Die glaubenswarmen Predigten des reformirten Pfarrers Krafft gingen den begeisternden Vorträgen der theologischen Lehrer zur Seite. Und so stand St. bald auf dem „Grund, der unbeweglich steht": der Rechtfertigung aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben. Neben dieser theologischen Förderung und christlichen Vertiefung ging das regste wissenschaftliche Interesse auch für andere Wissensgebiete her. Insbesondere setzte St. bei Döderlein und Nägelsbach seine philologischen Studien mit größtem Eifer fort, wie er denn durchs ganze Leben den Bund zwischen Humanität und Christenthum als den Höhepunkt menschlicher Culturentwicklung betrachtete. Ein gleichstrebender Freundeskreis, den er in der ersten christlichen Studentenverbindung fand, brachte nicht nur nach angestrengtem Studium die nöthige Erholung, sondern bot zugleich in gegenseitigem Austausch die werthvollsten Anregungen. So waren die Universitätsjahre eine Zeit ununterbrochener, treuer Aussaat, die reiche Frucht versprach. Aber nicht ohne viel Seufzen wurde sie bestellt. Die bescheidene Einnahme des Vaters mußte für eine Familie von 14 Kindern ausreichen. Diese legte dem auf der Universität befindlichen Sohn übergroße Beschränkungen auf. Es war das um so empfindlicher, als sein ohnehin schwächlicher Leib der sorgsamsten Pflege bedurft hätte. Vielfach kränklich, schleppte er sich durch Wochen und Monate hin. Als ein Kranker ging er er ins Examen, das er aber gleichwohl mit Auszeichnung bestand.

    Unmittelbar darauf wurde St. in das Predigerseminar in München einberufen. Immer die drei tüchtigsten Candidaten des Jahrgangs sollen hier zwei Jahre hindurch in die Praxis des geistlichen Amtes eingeführt werden, während ihnen dabei die nöthige Muße bleibt, um sich wissenschaftlich weiter fortzubilden und die mancherlei Anregungen der großen Stadt auf sich wirken zu lassen. Hier hat sich Oberconsistorialpräsident Roth mit väterlicher Liebe und Güte des jungen, rastlos vorwärts strebenden Candidaten angenommen, wofür dieser ihm zeitlebens dankbar blieb. Anstatt aber, wie er wünschte und hoffte, nach der Seminarzeit sein reiches Innenleben im Dienste der Kirche erfolgreich verwerthen zu können, mußte St. durch lange Jahre immer wieder, wenn er kurze Zeit ein Vicariat bekleidet hatte, mit gebrochener Kraft ins Vaterhaus zurückkehren. Erst als er im J. 1850 als Vicar zu Decan Brandt in Kattenhochstadt kam, besserte sich allmählich sein leidender Zustand. Brandt war in den Tagen seiner Kraft der Gründer und Leiter des „Homiletischliturgischen Korrespondenzblatts“ gewesen, das den siegreichen Kampf gegen den Rationalismus in der Landeskirche geführt hatte. Als Decan von Windsbach hatte er sich große Verdienste durch die Gründung des dortigen Pfarrwaisenhauses erworben. Nun durfte St. in dem Hause dieses ehrwürdigen Veteranen sechs reich gesegnete Lehrjahre des geistlichen Amtes verleben. Zwar ging es auch da noch durch viel leibliche Schwachheit und durch sie veranlaßte innere Noth. Aber der Glaube war doch in all diesen Leidensjahren bewährt und köstlich erfunden worden. Und allmählich singen unter der sorgsamen Pflege, die sie fanden, auch die leiblichen Kräfte an, sich zu heben. — Elf Candidatenjahre waren so vergangen, als St. die erste Anstellung als Pfarrer in Tauberschockenbach bei Rothenburg o. d. T. fand. Zu Ende des Jahres 1855 zog er mit seiner jungen Frau, Lina geb. Brandt, in das dortige Pfarrhaus ein. Die überaus glückliche Ehe blieb kinderlos. Und so lebte die sorgsame Hausfrau nur für ihren Gatten. Ihrer treuen Sorgfalt ist es, menschlich angesehen, hauptsächlich zu danken, daß das theure Leben erhalten blieb und dessen Kraft und Gesundheit von Jahr zu Jahr sich steigerte. Mit dem Feuer der ersten Liebe griff St. die Arbeit an seiner Gemeinde an. Und sie blieb nicht ohne Frucht. Bald wurde die Kirche für die zuströmenden Hörer zu klein. Die Gemeinde blickte mit Stolz und Freude zu ihrem Hirten empor. Diesem ließ die kleine Pfarrei noch Zeit genug zu wissenschaftlicher Arbeit, die ihm innerstes Bedürfniß war. Und sie kam ihm sehr zu statten, als er bald darauf in die theologische Prüfungscommission berufen wurde. Hier war St. ganz in seinem Elemente. Mit gründlicher Gelehrsamkeit, die den Stoff vollkommen beherrschte und dem Examinator die freieste Bewegung gestattete, verband sich größte persönliche Liebenswürdigkeit. In seinem Urtheil war er ebenso gerecht als mild und verstand die edle Kunst, während er forderte, zugleich zu geben. Es war eine Freude, von ihm geprüft zu werden, und Viele nahmen einen Gewinn fürs Leben von der Prüfung mit hinweg.

    So befriedigt sich St. in seiner Landgemeinde fühlte, so war es ihm doch willkommen, als der Ruf der Stadtgemeinde Nördlingen ihn im J. 1864 in größere Verhältnisse führte. Er konnte dort vor einer größeren Schar von Zuhörern, die auch höheren geistigen Interessen zugänglich waren, seine Predigtgabe erst voll entfalten. Man könnte St. mit Recht einen gottbegnadeten Prediger nennen. Seine Predigten waren nicht nur aus der Tiefe des göttlichen Wortes geschöpft; sie athmeten auch einen aus eigenster Heilserfahrung stammenden Zeugengeist, der bei Niemand ohne Eindruck blieb. Dazu kam seine umfassende Bildung, seine natürliche Gabe der Rede, eine|hohe Begeisterung, die Alles mit sich fortriß. Man hat ihn wohl niemals ohne Schwung der Rede sprechen hören. Besonders kam diese ihm ganz natürliche gehobene Stimmung seinen Festpredigten zu statten. Aber auch sonst führte er immer auf geistige Höhen. Weite Ausblicke auf das Gebiet der Welt- und Kirchengeschichte wußte er von da zu eröffnen. Ganz ungesucht war seine Predigt durch ihre von innerster Ueberzeugung getragene Kraft und den Reichthum großer und hoher Gedanken stets zugleich eine Apologie des Christenthums. Es ist begreiflich, daß die Gemeinde Nördlingen, obwohl an tüchtige Leistungen gewöhnt, doch bald in Liebe und Verehrung ihrem neuen Pfarrer besonders zugethan war. Als Stadtpfarrer war er zugleich Stadtschulcommissär. Es war ihm daher willkommen, sich mit den schon damals viel erwogenen Fragen über das Verhältniß von Kirche und Schule auseinander zu setzen. Anlaß dazu gab ihm eine in ihren Forderungen ziemlich weitgehende Denkschrift des bairischen Volksschullehrervereins. In einer kleinen Schrift unter dem Titel „Zur Schulreformfrage“ (Nördlingen 1865) ging er näher auf die Gedanken jener Denkschrift ein. Er hielt darin an dem guten Recht der Kirche auf die Schule und auch an der Localschulinspection durch die Geistlichen fest, forderte aber, daß die letzteren zu diesem Amte besser vorgebildet würden. Dagegen empfahl er, auf berechtigte Wünsche der Lehrer, wie Enthebung derselben vom niederen Kirchendienst, Sitz und Stimme in der Localschulcommission und Aufbesserung ihres Gehalts einzugehen. Die Schrift hat durch ihre besonnene, nach beiden Seiten klug abwägende Haltung den besten Eindruck gemacht. So zufrieden fühlte sich St. in seinem Nördlinger Arbeitskreise, daß er selbst an keine Veränderung seiner Stellung dachte, wie er denn am liebsten für immer im Pfarramte geblieben wäre. Als daher Harleß, der, schon längst auf ihn aufmerksam geworden, durch die von St. gehaltene Schlußpredigt bei der Generalsynode ganz für ihn gewonnen war, einen Ruf in das Consistorium Ansbach an ihn ergehen ließ, begegnete er zuerst dem entschiedensten Widerspruch. Nur auf die bestimmte Erklärung hin, daß die kirchlichen Oberen besser beurtheilen könnten als er selbst, wofür er geeignet sei, gab St. endlich nach. Und so hieß es, nach nur 2½jähriger Thätigkeit von der lieben Nördlinger Gemeinde scheiden. Er that es nicht ohne bei der Abschiedsfeier sich selbst ewige, von keinem Actenstaub beeinträchtigte Jugend zu geloben.

    So siedelte er im October 1866 als Consistorialrath nach Ansbach über. Und gewiß hat es nicht viele Kirchenmänner gegeben, die so wenig von bureaukratischem Geiste angehaucht waren wie er. Alles, was er auch im kirchenregimentlichen Amte that, war Geist und Leben. Am wenigsten drückte ihn, was manchen Anderen so schwer fiel, die Eingliederung in den festen Organismus der Landeskirche. Es war ihm Bedürfniß, sich hierüber auch nach außen hin auszusprechen. Zu diesem Zweck schrieb er im Anschluß an Dr. Theodor Harnack's Schrift „Die freie lutherische Volkskirche“ über „das landesherrliche Kirchenregiment und seinen Zusammenhang mit Volkskirchenthum“ (Leipzig, Dörffling u. Francke 1871). Ohne die landeskirchliche Verfassung für die beste zu halten, hielt er sie doch auch nicht für die schlechteste. Er sah in ihr etwas geschichtlich Gewordenes und Gegebenes, einen Bau, der die Kirche der Reformation durch schwere Zeit hindurchrettete und namentlich dazu diente, sie als Volkskirche zu gestalten und zu erhalten. Darin sah er auch jetzt noch ihre segensreiche Aufgabe; und er war der Meinung, daß man, wo das Bekenntniß gewahrt sei und der Dienst an Wort und Sacrament frei im Schwange gehen könne, über manche Mängel hinwegsehen dürfe. So ging denn St. mit Freudigkeit an sein neues Kirchenaufsichtsamt. Zu seinen vornehmsten Pflichten gehörten hier auch die Generalvisitationen. Sie standen früher nicht in sehr großem Ansehen, da sie häufig in mehr formal-bureaukratischer Weise gehalten wurden. St. verkannte die Aufgabe des Visitators nicht, nach dem Rechten zu sehen, vorhandene Mängel in der Geschäftsführung aufzudecken und abzustellen, überhaupt das Kirchenwesen in geordneten Bahnen zu erhalten. Aber das alles trat ihm doch weit hinter das zurück, was er als die Hauptsache erkannte: das Band der Gemeinschaft des Glaubens zu stärken, mit Geistlichen und Gemeinden in innere Fühlung zu treten, geistliches Leben zu wecken und zu erhalten. Der Ernst, die Weihe und die seelsorgerliche Art, mit welcher der Visitator dem Pfarrer und der Gemeinde, Kindern und Erwachsenen begegnete, bewirkte, daß niemand ohne Segen blieb und die Visitationstage als Tage der Erquickung in dem Gedächtniß aller Betheiligten lebendig blieben. In diesem Sinne sprach sich St. auch in dem Artikel über Kirchenvisitationen in Herzog's Realencyklopädie aus. Neben den übrigen Aufgaben des Consistoriums ging das Amt des Hauptpredigers her. Auch die Zeit des deutsch-französischen Krieges mit seinen großen Opfern wie mit seinen glänzenden Siegen fiel in diese Thätigkeit. Mit ernster Mahnung, mit heiliger Begeisterung wußte der gefeierte Prediger die Gemeinde dazu aufzurufen, der gottgeschenkten großen Zeit auch würdig zu wandeln. Viel beachtete Recensionen neu erschienener theologischer Werke gaben davon Zeugniß, daß neben der kirchenregimentlichen und praktischen Thätigkeit eifrig fortgesetzte wissenschaftliche Arbeit herging. So haben Vilmar's „Vorlesungen über theologische Moral“, Martensen's „christliche Ethik" und „Christenthum und Lutherthum“ von Kahnis in der „Zeitschrift für lutherische Theologie und Kirche“ eingehende Besprechung gefunden.

    Im J. 1879 wurde St. in das Münchener Oberconsistorium berufen. Das einmüthige Vertrauen der Geistlichkeit, mit der er so vielfach in gesegnete persönliche Beziehung getreten war, begleitete ihn in die neue Stellung. Und man begrüßte es mit Freuden, als er schon drei Jahre darnach Präsident des Oberconsistoriums wurde. War er doch für das hohe Amt in jeder Hinsicht trefflich vorbereitet. Nicht nur, insofern er alle Stadien des kirchlichen Dienstes persönlich durchlaufen und reiche Erfahrungen dabei gewonnen hatte — es waren auch Wenige mit der Anfangsgeschichte der bairischen Landeskirche und ihrem bisherigen Verlaufe so vertraut wie er. Einem seiner hervorragendsten Vorgänger, dem Präsidenten Roth, war er als junger Mann persönlich nahe getreten. Mit kundiger Hand hat er später das Bild seines Lebens und Wirkens gezeichnet. Eine ausführliche Biographie des Präsidenten Harleß, dem er fast unmittelbar folgte, schrieb er in die Realencyklopädie für protestan-Theologie und Kirche. Roth hatte für das gute Recht der protestantischen Landeskirche Baierns, Harleß für ihr gutes Bekenntniß manchen Kampf zu kämpfen. St. fiel die leichtere, seiner ganzen Geistesart entsprechendere Aufgabe zu, die Kirche bei ihrem neu gesicherten Rechts- und Bekenntnißstande zu erhalten. Das letztere nicht in dem ausschließenden Sinn, in welchem Löhe und seine Freunde es meinten, sondern in dem milderen, ökumenischen Sinn, in welchem die Vertreter der Erlanger Facultät es verstanden. Einem unter diesen, Professor Thomasius, dem Lehrer seiner Jugend, hat St. gleichfalls in der Realencyklopädie pietätvoll ein ehrendes Denkmal gesetzt, während er ebenda Löhe's Lebensbild mit eben so viel Verständniß für dessen confessionelle Eigenart wie für seine weitherzige, großartige Liebesthätigkeit zeichnete. Die Stellung in München ließ ihm Zeit zu solchen litterarischen Arbeiten. Zu ihnen gehört auch seine Schrift „Justin der Märtyrer und sein neuester Beurtheiler“, in welcher er gegen Moritz v. Engelhardt den trotz manches|heidnisch-philosophischen Einschlags doch echt christlichen Glaubensstand Justin's zu vertheidigen suchte. In Anerkennung seiner Verdienste, auch um die Wissenschaft, hat die theologische Facultät zu Erlangen St. bald nach seinem Eintritt in das Oberconsistorium zum Doctor der Theologie h. c. ernannt.

    Als Präsident hatte St. keinen Antheil an der Ausarbeitung der Berichte und Erlasse des Oberconsistoriums. Er bewahrte hierbei so große Zurückhaltung, daß er an dem Concept des Referenten persönlich nicht die geringste Aenderung vornahm. „Ich hätte es selbst ändern können,“ pflegte er wohl bei kleinen Verstößen zu dem Verfasser zu sagen, „aber es nimmt sich besser aus, wenn Sie es ändern“.

    Die Aufgaben, die an das Oberconsistorium herantraten, betrachtete er von den höchsten Gesichtspunkten, alles ethisch werthend und geistlich beurtheilend. Das war der Eindruck, den man auch bei den Berathungen gewann. Und so hauchte er, ohne sich in bureaukratische Einzelheiten zu verlieren, seinen hohen, idealen Sinn dem Ganzen ein. Man wußte auch, daß das Präsidialzimmer ein Heiligthum war, in dem viel gebetet wurde. Stets ging Licht und Wärme von ihm aus. So wurde unter seiner Leitung die Landeskirche still und im Segen, ohne viel Aufsehen nach außen hin, weitergeführt. Als Höhepunkte seiner Thätigkeit kann man die Leitung der Generalsynoden bezeichnen. Hier konnte im Verkehr mit den geistlichen und weltlichen Abgeordneten seine geistesmächtige, liebenswürdige Persönlichkeit ihren vollen Einfluß geltend machen. Von durchschlagender Wirkung waren namentlich seine Reden zum Beginn und bei dem Schluß der Synoden durch ihre Gedankenfülle, den tiefen Ernst und die freudige Zuversicht, von der sie Zeugniß gaben, wie durch die rhetorische Kraft und Begeisterung, mit der sie vorgetragen wurden. Die Ruhe freilich, mit der das Steuer geführt sein will, mochte man zuweilen vermissen. Wohl allzuviel und zuweilen mit andringender Gewalt griff er in die Debatte ein, wenn er eine Sache für wichtig und der Kirche förderlich hielt. Mancher Beschluß ist vielleicht nur dem Dirigenten zu Liebe gefaßt worden. Aber weil man ihn liebte und ihm vertraute, so sah man über solche formale Mängel hinweg.

    Gern betheiligte sich St. auch an der regelmäßig alle zwei Jahre in Eisenach stattfindenden Conferenz deutscher evangelischer Kirchenregierungen. Unter den dort von ihm erstatteten Referaten ist das über die Perikopenfrage (Allgem. Kirchenblatt für das evang. Deutschland 1890, S. 475—551) von bleibendem Werthe.

    Endlich ist noch seiner Thätigkeit als Reichsrath und Mitglied der ersten Kammer zu gedenken. Auch hier trat seine edle, von den höchsten sittlichen Motiven geleitete Gesinnung bei jeder Gelegenheit hervor. Ob es sich um die Einführung des siebenten Schuljahres in der Volksschule oder um die freie Bewegung der Wissenschaft an den Universitäten handelte — er trat stets mit Wärme für die höchsten geistigen Güter ein. Um so entschiedener widerstrebte er daher, wenn auch vergeblich, der Zulassung der Redemptoristen, die er mit Döllinger für nahe Geistesverwandte der Jesuiten hielt. Er fürchtete von ihnen eine Gefährdung der Geistes- und Gewissensfreiheit. Wir heben unter den vielen Reden, die er im Laufe der Jahre hielt, nur die über diese beiden Fragen als besonders charakteristisch hervor. Sein Verhältniß zur römischkatholischen Kirche war übrigens bei aller confessionellen Treue nicht ohne einen irenischen Zug. Oft mahnte er, daß die beiden Kirchen, sonst durch so Vieles getrennt, im Wetteifer barmherziger Liebe sich friedlich begegnen sollten, wie er denn selbst an dem zu seiner Freude namentlich in München aufblühenden Werke der Inneren Mission den lebendigsten Antheil nahm.

    Während St. früher stets mit körperlicher Schwachheit zu kämpfen hatte, fühlte er sich während seines Aufenthalts in München stets gesund. In ungeschwächter Kraft feierte er am 27. October 1893 inmitten eines großen Kreises von Verwandten und Freunden den 70. Geburtstag und führte hierauf noch fast vier Jahre sein Amt in fast jugendlicher Frische fort. Ende April 1897 leitete er noch die Sitzung. Es fiel den Collegen auf, daß ihn dabei ein starker Husten quälte. Am anderen Morgen constatirte der Arzt eine Masernerkrankung, die mit so heftigem Fieber auftrat, daß die Kräfte rasch dahinschwanden. Am 4. Mai 1897 ist er in Frieden entschlafen. Am 6. Mai trug man ihn zu Grabe. Es war ein stattliches Ehrengeleite, das seinem Sarge folgte. Eine herzliche, tiefe Trauer aber ging durch das ganze Land. Die evangelisch-lutherische Kirche Baierns wird ihren Präsidenten D. v. St. nicht vergessen.

    Schriften D. v. Stählin's: „Zur Schulreformfrage“, Nördlingen 1865; „Das landesherrliche Kirchenregiment und sein Zusammenhang mit Volkskirchenthum“, Leipzig 1871; „Justin der Märtyrer und sein neuester Beurtheiler“, Leipzig 1880; „Löhe, Thomasius, Harleß. Drei Lebens- und Geschichtsbilder, Leipzig 1887; „Karl Joh. Friedrich v. Roth“ (in der Allgem. Deutschen Biographie); „Zur Erinnerung an Christoph Gottlieb Adolf Frhr. v. Scheurl“ (in der allgem. ev.-luth. Kirchenzeitung 1893); „Kirchenvisitation“ (in der Real-Encyklopädie für prot. Theologie und Kirche. 1881); „Philipp Melanchthon, Festrede bei der Melanchthonfeier“, Augsburg 1897.

    • Literatur

      Th. Kolde, Adolf v. Stählin. Ein Gedenkblatt (Beiträge zur bair. Kirchengeschichte IV, S. 15 ff. Erlangen 1897). — D. v. Buchrucker (Neue kirchliche Zeitschrift 1897, 9. Heft). — Otto Stählin, Oberconsistorialpräsident D. Ad. v. Stählin. Ein Lebensbild mit einem Anhang von Predigten und Reden. München 1898.

  • Autor/in

    Jul. v. Kelber.
  • Zitierweise

    Kelber, Julius von, "Stählin, Adolf von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 54 (1908), S. 435-440 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117202401.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA