Lebensdaten
1572 – 1652
Geburtsort
Böhmisch-Kosteletz (Čestín [Kostel], Bezirk Kuttenberg, Böhmen)
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
böhmischer Staatsmann ; Historiker ; Regierer des Hauses Neuhaus ; kaiserlicher Geheimer Rat ; Obersthofmeister ; Oberstkanzler von Böhmen ; Hofpfalzgraf
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 1018376615 | OGND | VIAF: 21079102
Namensvarianten
  • Slawata von Chlum und Koschumberg, Wilhelm Graf von (seit 1621)
  • Slavata z Chlumu a Košumberka, Vilém Graf
  • Slawata von Chlum und Koschumberg, Wilhelm Freiherr von (bis 1621)
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Verknüpfungen auf die Person andernorts

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Slawata, Wilhelm Graf von (seit 1621), Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd1018376615.html [24.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus ostböhm., seit dem 13. Jh. nachgewiesener tschech. Adelsfam., seit 1451 böhm. Herrenstand, im 16. Jh. v. Vermögenskonfiskationen betroffen, im 17. Jh. eine der bedeutendsten böhm. Magnatenfamilien, 1621 Reichsgrafenstand, seit 1627 Mundschenkenamt d. Kgr. Böhmen, 1712 mit Johann Karl Joachim (s. u.) im Mannesstamm erloschen;
    V Adam Frhr. v. S. (1546–1616, böhm.-mähr. Brüder-Unität), böhm. Kammergerichtsrat u. Lehenshptm., Verw. d. Besitzungen d. Hauses Neuhaus, S d. Dionys Wilhelm (Diviš Vilém) (1519–75), Landrichter u. Kreishptm. v. Chrudimer, u. d. Elisabeth Freifrau v. Neuhaus-Rosenberg (Eliška z Hradce) (1520–85, kath.);
    M Dorothea (Dorota Kurcpachovna) (1548–86, luth.), T d. Heinrich II. Frhr. v. Kurzbach zu Trachtenberg u. Militsch ( 1590, luth.), ksl. Rat, u. d. Eva Freifrau v. Wartenberg (?);
    Neuhaus 1602 Lucia Ottilia (Lucie Otýlie) (1587–1633, kath.), T d. Adam II. Frhr. v. Neuhaus-Rosenberg (1549–96, kath.), böhm. Oberstkanzler u. Burggf. v. Prag, u. d. Katharina Gfn. v. Montfort (1556–1631), Hofdame d. Hzgn. Maria v. Bayern;
    5 S u. a. Adam Paul (Adam Pavel) (1601–57, Maria Margarethe Gfn. v. Eggenberg, 1617–57, Ehe 1632 ungültig erklärt), böhm. Oberstmundschenk u. Reichshofrat, Joachim Ulrich (Jáchym Oldřich) (1605–45, Francisca Gfn. v. Meggau, 1610–76, Hofmeisterin d. Kinder Ks. Ferdinands III.), ksl. Kämmerer;
    E Johann Karl Joachim (Pater Felix a Sancta Theresia) (1641–1712), seit 1608 Gen. d. Karmeliter-Ordens, mit ihm erlosch d. Fam. S. im Mannesstamm.

  • Biographie

    Auf Familiengütern durch tschech. Lehrer der Brüder-Unität erzogen, verbrachte S. einige Jahre am Hof der Rosenberger in Neuhaus. Sein Studium in Prag seit 1590 und seine Kavalierstour durch Italien 1592–96 wurden durch Adam II. v. Neuhaus gefördert. S. besuchte Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Sizilien und Malta sowie die Universitäten Padua und Siena, wo er Jura studierte. Aufgrund seiner ital. Erfahrungen mit dem tridentinischen Reformkatholizismus und unter dem Einfluß der seit 1594 in Neuhaus wirkenden Jesuiten sowie seiner späteren Schwiegermutter konvertierte er 1597 gegen den Willen seines Vaters zum Katholizismus. Sein Übertritt erfolgte, als die kath. Position noch in der Defensive war, und erregte im böhm. Adel großes Aufsehen. S. betonte in einer Rechtfertigungsschrift Autorität, Alter, Geschlossenheit, Größe und Internationalität der röm.-kath. Kirche sowie seinen persönlichen Glauben an die Heiligen und an Wunder. Seine von innerer Überzeugung geleitete Konversion ebnete ihm den Weg für eine Karriere am Kaiserhof und für seine Heirat mit Lucia Ottilia v. Neuhaus (1602, nach päpstl. Ehedispens). 1597–99 reiste S. durch Deutschland, Holland, England, Schottland, Frankreich (Studium an der Univ. Orleans), Spanien und Anfang 1600, zur Feier des Heiligen Jahrs, erneut nach Italien.

    Seit 1600 böhm. Kämmerer, amtierte S. 1600–04 als böhm. Hofmarschall Ks. Rudolfs II. und 1601–03 als Beisitzer des böhm. Landrechts (oberstes Gericht Böhmens). Nach dem Tod seines Schwagers Joachim Ulrich v. Neuhaus (1579–1604) folgte er diesem als Burggraf von Karlstein, bis er dieses Amt 1611 an seinen prot. Gegenspieler Heinrich Matthias Gf. v. Thurn u. Valsassina (1567–1640) abtreten mußte. Durch den an seine Frau gefallenen Besitz der Herren v. Neuhaus wurde S. zu einem der größten Grundbesitzer Südböhmens und Südmährens. Zwischen 1607 und 1615 vertrat er mehrfach den Kaiser auf dem mähr. Landtag. 1608 war er Mitunterzeichner des habsburg. Familienvertrags zwischen Rudolf II. und Matthias. Aus religiösen Gründen lehnte er als einer von wenigen böhm. Adligen den 1609 von Ks. Rudolf II. erlassenen Majestätsbrief zur Religionsfreiheit ab und verweigerte auf dem böhm. Landtag seine Unterschrift. Unter dem böhm. Kg. Matthias 1611 im Herrenstand bestätigt, diente S. 1611–17 als Oberstrichter der dt. Lehen in Böhmen, danach als Oberstlandrichter. 1612 stieg er zudem zum böhm. Kammerpräsidenten auf und wurde einer von acht böhm. Statthaltern. In dieser Funktion und als exponierter Vertreter der gegenreformatorischen Linie von Ferdinand II. wurde er nach einer improvisierten Gerichtsverhandlung – gemeinsam mit Jaroslav Bořita Gf. v. Martinitz (1582–1649) sowie dem Schreiber Philipp Fabricius (um 1580–1631) – am 23.5.1618 von seinen prot. Standesgenossen aus einem Fenster der Prager Burg geworfen (Defenestration, 2. Prager Fenstersturz) und flüchtete sich mit einer Kopfverletzung in das Lobkowitz-Palais. Diese ständische Fehdeerklärung an die Habsburger gilt als Beginn des 30jährigen Krieges. Nach seinem von den opponierenden Ständen erzwungenen Verzicht auf alle Ämter in Böhmen und der Rückkehr auf seine Güter stand S. unter Hausarrest und begann, seine Erinnerungen aufzuzeichnen. 1619 flüchtete er über Teplitz nach Sachsen und dann weiter in das vom habsburg. Ehzg. Leopold V. regierte Fürstbistum Passau, wo er bis 1622 blieb.

    Nach der Schlacht am Weißen Berg (1620), in der sich die Habsburger gegenüber den Ständen und dem „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz durchsetzten, wurde S. 1621 als Kammerpräsident, Oberstlandrichter und Statthalter bestätigt. Als finanzielle Entschädigung wurde ihm 1622–45 die Domäne Melnik (Mělnik) übertragen. 1621 in den Reichsgrafenstand erhoben, war er 1622 an der mähr. Untersuchungskommission gegen die opponierenden Stände beteiligt. 1623 zum böhm. Oberstkämmerer ernannt, trat er dem|von Ks. Ferdinand II., Hans de Witte und Albrecht v. Wallenstein gegründeten böhm. Münzkonsortium bei. Von den konfiszierten Gütern profitierte er nur wenig, vielmehr konzentrierte er sich auf die Absicherung und Entschuldung des Familienbesitzes. Seit 1623 mit dem Titel „Regierer des Hauses Neuhaus“ (1629 und 1642 Wappenverbesserungen) und mit dem Recht versehen, auf dem Landtag an erster Stelle auf der Grafenbank zu sitzen, führte er auf seinen Herrschaften die Gegenreformation durch und förderte kontinuierlich die Jesuiten. An den Fenstersturz erinnerte er mit einem Gedenkstein auf dem Hradschin in Prag und einem marianischen Schutzmantel-Votivbild, seine 1633 verstorbene Frau ließ er in Altötting bestatten. Seit 1625 nahm er als Geheimer Rat an zahlreichen diplomatischen Missionen des Kaisers teil. 1622 legte er einen Vorschlag zur politischen Neuordnung Böhmens vor und beteiligte sich maßgeblich an der Ausarbeitung der „Verneuerten Landesordnung für Böhmen“ vom 10.5.1627, mit der für Böhmen der Katholizismus und die erbliche Thronfolge für die Habsburger festgeschrieben wurden. 1627/28 war er Obersthofmeister und seitdem auch böhm. Oberstmundschenk. 1628–52 prägte er als Oberstkanzler der böhm. Länder die Landespolitik und verlegte seinen Wohnsitz von Prag an den Wiener Hof. Als Gegner Wallensteins war er nach dessen Ermordung 1634 Mitglied des Untersuchungsausschusses gegen dessen verhaftete Anhänger. Nach dem Tod Ferdinands II. 1637 ließ sein Einfluß auf die ksl. wie auf die böhm. Politik nach, sein Amt als Oberstkanzler behielt S. aber bis zu seinem Tod. Seit 1630 Hofpfalzgraf, wurde er 1644 in den Orden vom Goldenen Vließ aufgenommen und erhielt auch den Herrenstand in Oberösterreich.

    Nach 1636 verfaßte der mehrsprachige S. als Gegendarstellung zur „Defensionsschrift“ des Heinrich Matthias Gf. v. Thurn u. Valsassina seine Erinnerungen über die Jahre 1608–19. Daraus entstand eine bis zum Beginn der Habsburgerherrschaft zurückgreifende 13bändige Geschichte Böhmens in tschech. Sprache. Daneben legte er eine Geschichte Ungarns unter Ferdinand II. sowie eine böhm. Religionsgeschichte vor und wurde nicht zuletzt durch seine zahlreichen Verhandlungsnotizen und Briefe zu einem der bedeutendsten Geschichtsschreiber seiner Zeit.

    S. stellte sich als tschech. Adliger in den Dienst des kath.-habsburg. Kaisertums, um für die Länder der böhm. Krone eine – aus seiner Sicht – zukunftweisende zentralistische Verfassung und konsequente Katholizität durchzusetzen. In seiner Kompromißlosigkeit gegenüber Protestanten ging er in grundsätzlichen Fragen häufig über die habsburg. Herrscher hinaus und war für seine streng kath., papsttreue „altspanische“ Position bekannt. Auf seinen Gütern betrieb er hingegen eine konziliantere Rekatholisierungspolitik. Mit zunehmendem Alter wandte S. sich verstärkt der Marienverehrung und einem wundergläubigen Mystizismus zu, um sich schließlich im Jesuitengewand bestatten zu lassen. In der dt. und tschech. Forschung wird S. häufig negativ und einseitig verengt als religiöser Fanatiker, als von Böhmen entfremdeter ksl. „Fürstendiener“ und als „Germanisator“ dargestellt. Jüngere Studien ringen seit 1990 noch um eine Neubewertung seiner politischen, konfessionellen, dynastischen und historiographischen Bedeutung für Böhmen und im mitteleurop. Kontext.

  • Auszeichnungen

    GR (1625);
    Orden v. Goldenen Vlies (1644).

  • Werke

    | Maria virgo immaculate concepta publico voto Ferdinandi III. romani imperatoris in Austriae patronam electa, 1648; Děje království uherského za panování Ferdinanda I., svazek I: Od 1526–1546 [Gesch. d. Kgr. Ungarn unter d. Herrschaft Ferdinands I., Bd. I, 1526–46], hg. v. J. Jireček, 1857; J. Jireček, Přestoupení Viléma Slavaty k církvi katolické [Der Übertritt v. W. S. z. kath. Kirche], in: Časopis katolického duchovenstva 3, 1862, S. 401–35; Paměti nejvyššího kancléře království českého Viléma Hraběte Slavaty z Chlumu a z Košmberka [ . . . ] od l. 1608 do 1619 [Die Erinnerungen d. Oberstkanzlers d. Kgr. Böhmen W. Gf. S. v. C. u. v. K. [ . . . ] 1608–19], hg. v. J. Jireček, 2 Bde., 1866–68; Dopisy Viléma hraběte Slavaty Jaroslavu Bořitovi hraběti z Martinic z let 1631–1635 [Briefe v. W. S. an Jaroslav Borsita Gf. v. Martinitz 1631–1635], hg. v. F. Tischer, in: Sborník historický 1, 1883, S. 305–22, ebd. 2, 1884, S. 32–37 u. 92–98, ebd. 3, 1885, S. 193–202 u. 283–92, ebd. 4, 1886, S. 352–63; Zápisky Viléma Slavaty z let 1601–1603 [Notizen v. W. S. aus d. J. 1601–03], hg. v. A. Rezek, 1887; Přehled náboženských dějin českých [Überblick über d. böhm. Rel.gesch.], hg. v. H. Opočenský, 1912; F. Teplý (Hg.), Proč se stal Vilém Slavata z Chlumu a Košumberka z českého bratra katolíkem [Warum W. S. v. Ch. u. K. vom böhm. Bruder zum Katholiken wurde], in: Sborník Historického kroužku 13, 1912, S. 205–21, ebd. 14, 1913, S. 25–41 u. 171–81; F. Teplý (Hg.), Vilém Slavata vybízí svého bratrance Krištofa Slavatu k návratu do církve katolické a do Čech [W. S. fordert seinen Vetter Christoph S. z. Rückkehr in d. kath. Kirche u. nach Böhmen auf], ebd. 18, 1917, S. 65–70;
    Nachlaß: u. a. Fam.archiv S. im Staatl. Gebietsarchiv Wittingau (Třeboň), Zweigstelle Neuhaus (Jindřichův Hradec) sowie Staatl. Gebietsarchiv Prag (Praha), Zweigstelle Beneschau (Benešov).

  • Literatur

    | F. M. Pelzel (Pelcl), Abb. Böhm. u. Mähr. Gelehrten u. Künstler, Bd. 1, 1773, S. 12–15 (P); J. Schiffner, Begebenheiten W.s ersten Grafens v. S., obersten Kanzlers d. Kgr. Böhmen, in: ders., Gallerie d. interessantesten u. merkwürdigsten Personen Böhmens, Bd. 5, 1804, S. 8–64; J. Jireček, Leben d. obersten Hofkanzlers v. Böhmen W. Grafen Slavata, 1876; J. Dvorský u. R. Chadraba, Votivní obraz Viléma Slavaty v Telči [W. S.s Votivbild in Teltsch], in: Umění 38/2, 1990, S. 128–40; P. Mat'a, Zrození tradice (Slavatovské vyústění rožmberského a hradeckého odkazu) [Die Entstehung e. Tradition (Die Übernahme d. Nachlasses der Herren v. Rosenberg u. Neuhaus durch d. S. v. C. u. K.)], in: V. Bůžek (Hg.), Poslední páni z Hradce [Die letzten Herren v. Neuhaus], 1998, S. 513–52; ders., Svět české aristokracie (1500–1700) [Die Lebenswelt d. böhm. Aristokratie (1500–1700)], 2004 (P); ders., Von d. Selbstapologie z. Apologie d. Gegenref., Konversion u. Glaubensvorstellungen d. Oberstkanzlers W. S. (1572–1652), in: U. Lotz-Heumann u. a. (Hg.), Konversion u. Konfession in d. Frühen Neuzeit, 2007, S. 287–322; Th. Winkelbauer, Fürst u. Fürstendiener, 1999, S. 107–19 (P); ders., Konfese a konverze, Šlechtické proměny vyznání v českých a rakouských zemích od sklonku 16. do poloviny 17. století [Konfession u. Konversion, Adelskonversionen in d. böhm. u. österr. Ländern v. ausgehenden 16. bis z. Mitte d. 17. Jh.], in: Český časopis historický 98/3, 2000, S. 476–540; J. Hrdlička, Konflikt jindřichohradeckých měšt'anů s Vilémem Slavatou v pamětech Jiříka ze Kře [Der Konflikt d. Neuhauser Bürger mit W. S. in d. Memoiren v. Jiřík v. Kře], in: Jihočeský sborník historický 69–70, 2000–2001, S. 188–208; Ottův slovník naučný 23; Biogr. Lex. Böhmen.

  • Porträts

    Kupf. v. J. A. Böner nach e. Entwurf v. J. Loets ab Arches, Abb. u. a. in: Winkelbauer, Fürst u. Fürstendiener, 1999 (s. L), S. 108.

  • Autor/in

    Robert Luft
  • Zitierweise

    Luft, Robert, "Slawata, Wilhelm Graf von" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 496-499 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd1018376615.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA