Lebensdaten
1822 – 1897
Geburtsort
Windischholzhausen bei Erfurt
Sterbeort
Blumenau (Brasilien)
Beruf/Funktion
Biologe ; Naturforscher
Konfession
evangelisch?
Normdaten
GND: 118737457 | OGND | VIAF: 302402774
Namensvarianten
  • Müller-Desterro, Fritz
  • Müller, Johann Friedrich Theodor
  • Müller, Johann Fritz Theodor
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Müller, Fritz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118737457.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann Friedrich (1794–1873) aus Schmira b. Erfurt, Pfarrer in W., später in Mühlberg (Thüringen), S d. Johann Friedrich (1756–1820) aus Kühnhausen b. E., Pfarrer in Auerstedt, Schmira u. E., hier zugl. Rektor d. Gymnasiums (s. NDB 18*), u. d. Christine Friederike Wilhelmine Weltz (1757–1829);
    M Caroline ( 1843), T d. Johann Bartholomäus Trommsdorf (1770–1837), Pharmazeut, Chemiker in E. (s. ADB 38), u. d. Martha Hoyer ( 1836);
    Ov Hieronymus (1785–1861), klass. Philologe (s. ADB 22);
    Tante-m Maria Dorothea Trommsdorf ( Johann Friedrich Möller, 1789–1861, Gen.sup. d. Prov. Sachsen, s. ADB 22);
    B August (1825-n. 1897), studierte Theol., Kunstgärtner in Mühlberg, später in B., Hermann (s. 2);
    Halb-B Wilhelm (1857–1940), Prof. d. Zool. in Greifswald (s. Kürschner, Gel.-Kal. 1931);
    Vt August Nauck (1822–92), klass. Philologe (s. NDB 18); Cousine Lina Walther (1824–1907), Schriftst. (s. Mitteldt. Lb. II, 1927);
    Loitz 1852 Carolina Tollner (1826–94) aus Loitz, T e. Tagelöhners; 10 K;
    N Hermann (M.-Sagan) (1857–1912), Dr. phil., Lehrer, Verleger, Teilh. d. Fa. Carl Flemming in Glogau, 1892-1907 MdR, Freisinnige Volkspartei (s. Wi. 1912; BJ 18, Tl.; Kosch, Biogr. Staatshdb.).

  • Biographie

    Zunächst in der Dorfschule und vom Vater unterrichtet, bezog M. 1835 das Gymnasium zu Erfurt, das er 1840 mit dem Reifezeugnis verließ. Danach trat er in eine Apotheke in Naumburg ein, nachdem er bereits im letzten Schuljahr Unterricht in Pharmazie genommen hatte. Doch verließ er bereits nach einem Jahr die Apotheke, studierte in Greifswald und Berlin Naturwissenschaften und Mathematik, legte das Oberlehrerexamen ab und wurde mit einer Dissertation „De hirudinibus“ 1844 zum Dr. phil. promoviert. Er studierte dann in Greifswald Medizin, wurde aber zur medizinischen Pflichtpromotion nicht zugelassen, da er sich weigerte, den dabei üblichen Eid mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ zu sprechen. 1849 wurde eine neuerliche Bitte M.s, den Eid wie die jüdischen Promovenden, d. h. ohne die Schlußformel, leisten zu dürfen, abgelehnt. Nach dreijähriger Tätigkeit als Hauslehrer entschloß er sich 1852 zur Auswanderung nach Brasilien. Er lebte zunächst als Farmer bei Blumenau, erhielt aber 1856 eine Stelle als Lehrer am Lyzeum in Desterro (jetzt Florianopolis) auf der Insel Santa Catharina. Als er 1867 durch Jesuiten aus dieser Stellung vertrieben wurde, siedelte er sich in Blumenau an und wurde 1876 als „reisender Naturforscher“ („naturalista viajante“) des Nationalmuseums angestellt. Auswärtige Naturforscher, z. B. Andreas Franz Wilhelm Schimper, Heinrich Schenck, Alfred Möller, nahmen bei ihm für längere Zeit Quartier zu botanischer Forschungsarbeit. Als M. sich der 1892 von der republikanischen Regierung befohlenen Umsiedlung nach Rio de Janeiro widersetzte, wurde er ohne Entschädigung entlassen. Zum 70. Geburtstag erhielt M. ein großes Album mit 119 Porträtphotos von Zoologen und Botanikern, das sich jetzt im Ernst-Haeckel-Museum in Jena befindet.

    M. beschäftigte sich vor und nach seiner Auswanderung vor allem mit der Morphologie und Entwicklungsgeschichte von Egeln, Würmern, Krebsen und Quallen. Darwins „Origin of Species“ (1859) und die daran anschließende Diskussion regten M. an, die Deszendenztheorie an einer bestimmten Tiergruppe nachzuprüfen, und er wählte dazu die marinen Krebse. Das Ergebnis dieser Untersuchungen veröffentlichte er in dem Buch „Für Darwin“ (1864) unter dem Motto, das auch über seinem gesamten Lebenswerk steht: Nullius verba jurans … quae ipse quaesivi, reperi. M. erkannte, daß die individuelle Entwicklung (Ontogenie) eine kurze Rekapitulation der stammesgeschichtlichen Entwicklung (Phylogenie) darstellt, wobei durch Änderung der Lebensweise gewisse Abweichungen stattfinden können. Diesen Befund hat später Ernst Haeckel (1872) mit dem noch heute verwendeten Terminus „Biogenetisches Grundgesetz“ bezeichnet. M. befaßte sich weiterhin mit der Entwicklungsgeschichte und Ökologie wirbelloser Tiere, besonders der Egel, Ostracoden, Asseln, Termiten, Köcherfliegen und stachellosen Bienen, sowie mit dem Problem der Mimikry. Daneben wandte er sich zunehmend botanischen Problemen zu, besonders der Blütenökologie (Differenzierung der Antheren zur Anlockung und Bestäubung, Abschuß der Pollen auf bestäubende Insekten, Bestäubung durch Vögel), dem anatomischen Bau der Lianenstamme, den Verbreitungsmechanismen von Früchten und Samen. Die Ergebnisse dieser Forschungen veröffentlichte M. in 250 Abhandlungen in deutschen, engl. und brasilian. Zeitschriften.

    M. stand in regem Briefwechsel mit vielen Biologen, besonders mit Darwin, Haeckel, August Weismann und mit seinem Bruder Hermann, dem Begründer der neueren Blütenökologie. Darwin nannte M. „the prince of the observers“ und schrieb: „I feel the greatest respect for him as one of the most able naturalists living“.|

  • Auszeichnungen

    Korr. Mitgl. d. Sociedad nacional de ciencias in Buenos Aires (1884);
    Mitgl. d. Leopoldina (1884);
    Ehrenmitgl. d. Entomological Society in London (1884).

  • Werke

    Weitere W Werke, Briefe u. Leben, hrsg. v. A. Möller, 5 Bde., 1915-21 (P).

  • Literatur

    E. Haeckel, in: Jenaische Zs. f. Naturwiss. 31, 1897, S. 156-73;
    E. Loew, in: Berr. d. Dt. Botan. Ges. 15, 1897, S. (13)-(19);
    F. Ludwig, in: Botan. Cbl. 71, 1897, S. 291-302, 347-62, 401-08 (P);
    E. Roquette-Pinto, in: Boletim Museu Nacional, Rio de Janeiro, 5, 1929, S. 1-23 (P);
    DSB.

  • Autor/in

    Karl Mägdefrau
  • Zitierweise

    Mägdefrau, Karl, "Müller, Fritz" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 332-333 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118737457.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Müller: Johann Friedrich (Fritz) Theodor M. wurde am 31. März 1822 in Windischholzhausen bei Erfurt als Sohn des dortigen Pfarrers geboren. Den ersten Unterricht erhielt er in der Dorfschule zu Mühlberg, dann unterrichtete ihn sein Vater selbst und brachte ihn so weit, daß er in die Tertia des Gymnasiums in Erfurt eintreten konnte. Nach Absolvirung dieser Anstalt trat M. als Lehrling in eine Apotheke in Naumburg ein, um sich der Pharmacie zu widmen. Doch gab er diesen Vorsatz bald wieder auf und bezog 1840 die Universität in Berlin, um Mathematik und Naturwissenschaften zu studiren. Nachdem er 1844 auf Grund seiner Dissertation: „De Hirundinibus circa Berolinum observatis“, Berolini 1844, promovirt, veröffentlichte er noch in demselben Jahre zwei kleine Abhandlungen: „Ueber „Hirundo tessulata“ im Archiv f. Naturgesch. 1844, Jahrg. 10, Bd. 1, S. 370—376, und „Ueber Gammarus ambulans“, ebd. 10. Jahrg., Bd. 1, S. 296—300. 1845 bestand er das Staatsexamen für den höheren Schuldienst und fand am Gymnasium zu Erfurt Beschäftigung. Allein die Lehrthätigkeit sagte ihm nicht zu. Seine Liebe zu der Natur erweckte in ihm das unwiderstehliche Verlangen, das Thier- und Pflanzenleben fremder Länder kennen zu lernen. Schon nach einem halben Jahre gab er seine Stellung auf, bezog die Universität Greifswald und studirte dort von 1845—48 Medicin. Daneben trieb er jedoch eifrig zoologische Studien und veröffentlichte mehrere kleinere Arbeiten. Zunächst betheiligte er sich an der Herausgabe einer Uebersetzung des Werkes von Steenstrup: „Untersuchungen über das Vorkommen des Hermaphroditismus in der Natur. Aus dem Dänischen von C. F. Hornschuh. Mit Bemerkungen von Creplin, Fr. Müller, Karsch, Max Schulze und dem Uebersetzer“, Greifswald 1846. Dann schrieb er: „Ueber die Geschlechtstheile von Clepsine“ in Müller's Archiv f. Anatomie 1846; „Ueber Begattung von Clepsine complanata“ in Zeitschr. f. Zoologie, Bd. 1, 1848 und „Ueber Orchestia Euchore und Gryphus“ im Archiv f. Naturgeschichte, 14. Jahrgang 1848.

    Die Promotion in der medicinischen Facultät unterblieb, weil ein kirchlicher Eid verlangt wurde, den er als Freidenker nicht leisten zu können glaubte. Nachdem er noch kurze Zeit als Hauslehrer thätig gewesen war, entschloß er sich 1854, wie er schreibt, der religiösen Unduldsamkeit in Preußen müde, nach Brasilien auszuwandern. Dort ließ er sich als Farmer in der|Colonie Blumenau nieder und schuf sich mit unermüdlichem Eifer ein neues Heim, aber seine wissenschaftlichen Arbeiten mußten während dieser Zeit ruhen. Er war daher sehr erfreut, als er 1855 eine Stelle als Lehrer der Naturwissenschaften am Lyceum zu Desterro erhielt. Hier beschäftigte er sich mit der Erforschung der Meerthiere und namentlich mit der Entwicklung der Krustaceen. Bald erschienen eine Reihe von kleineren Abhandlungen, die ebenso wie seine früheren Arbeiten, von einer außerordentlich gründlichen Beobachtungsgabe Zeugniß ablegen. Ich erwähne nur: „Die Magenfäden der Quallen“ in Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 9, 1858; „Zwei neue Quallen von Santa Catharina“, Halle 1859; „Polypen und Quallen von Santa Catharina“ im Archiv f. Naturgesch., Jahrg. 25, 1859, Bd. 1; „Das Colonialnervensystem der Moosthiere“, ebd. 26. Jahrg. 1860, Bd. 1; „Ueber Balanus armatus“, ebd. 33. Jahrg. 1867, Bd. 1.

    Als Darwin's Werk über die Entstehung der Arten erschien, wurde M. ein begeisterter Anhänger der neuen Lehre. 1864 erschien sein Werk „Für Darwin“, welches großes Aufsehen erregte. Es zeichnet sich durch Exactheit der Forschung und großen Scharfsinn in der Deutung des Beobachteten höchst vortheilhaft aus. Er entwickelt in demselben auch zuerst die Ansicht, welche Häckel später weiter fortsetzte, daß die Entwicklung des Individuums (Ontogenie) eine kurze Wiederholung der Entwicklung des Stamms (Phylogenie) ist. Dieses Werk trug viel zur Verbreitung der Darwin’schen Lehre in Deutschland bei.

    Als 1865 die Schule zu Desterro einging, kehrte M. nach Blumenau zurück. Es gelang ihm, die Stelle eines „Naturforschers der Provinz Santa Catharina“ und bald darauf die eines „naturalista viajante“ des Museums zu Rio de Janeiro zu erhalten. In dieser Stellung hatte er vollkommen Muße seine naturwissenschaftlichen Studien fortzusetzen und er lieferte auf den verschiedensten Gebieten der biologischen Wissenschaft ein unschätzbares Material. Leider sind seine zahlreichen Schriften aus dieser Periode sehr zerstreut. Darwin, welcher ihn den „Fürsten der Beobachter“ nennt, spricht in einem Briefe den Wunsch aus, daß er seine zahllosen und höchst interessanten Entdeckungen zusammenstellen möge, denn, sagt Dr. Krause, seine Beobachtungen sind derartig in in- und ausländischen Zeitschriften zerstreut, vielfach sogar nur in Briefen niedergelegt, daß nur wenig Menschen eine Ahnung davon haben, wie unendlich viele und wichtige Beobachtungen dieser deutsche Naturforscher der brasilianischen Regierung auf den verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften zu Tage gefördert hat. Dabei war er für das Museum außerordentlich thätig, und dasselbe verdankt ihm eine Fülle des werthvollsten Materials. Aber nur Undank war sein Lohn. 1891 wurde ihm mitgetheilt, daß alle „naturalistas viajantes“ in Rio de Janeiro ihren Wohnsitz nehmen sollten und er also auch dorthin übersiedeln müsse. Aber seine Besitzung in Blumenau war seine Beobachtungsstation. Diese konnte er nicht aufgeben, ganz abgesehen davon, daß sein Gehalt ihm in der Stadt nur eine sehr kärgliche Existenz bot. Als M. sich weigerte, der Aufforderung nachzukommen, setzte die brasilianische Regierung den verdienstvollen Naturforscher, dem sie so viel zu danken hatte, ab. Die brasilianische Regierung hielt es nicht einmal der Mühe werth, ihn sogleich davon zu benachrichtigen. Er erfuhr die Thatsache durch den Steuereinnehmer, der ihm sein Gehalt nicht mehr auszahlte, und aus den Zeitungen. Wenn seine Besitzung ihm bei seinen bescheidenen Ansprüchen auch die nöthigen Existenzmittel gewährte, so sah er sich doch beschränkt in den Ausgaben für seine wissenschaftlichen Arbeiten, da er sich die nöthigen Werke aus Berlin kommen ließ. Aber wenn M. auch bei der brasilianischen Regierung keine Anerkennung fand, das Vaterland versagte sie ihm nicht. Zu seinem 70. Geburtstage übersandten ihm 117 deutsche Naturforscher, Darwinisten und Anti-Darwinisten, ein künstlerisch ausgestattetes Album mit ihren Photographien und einer Adresse, in welcher es hieß: „Es führt uns der Wunsch zusammen, Ihnen, dem scharfsinnigen Meister biologischer Forschungen die herzlichsten Glückwünsche bei Vollendung des 70. Geburtstages auszusprechen“. Zugleich wurde ihm eine kleine Summe für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt. Doch nur wenige Jahre waren ihm noch beschieden. Er starb am 21. Mai 1897.

  • Autor/in

    W. Heß.
  • Zitierweise

    Heß, Wilhelm, "Müller, Fritz" in: Allgemeine Deutsche Biographie 52 (1906), S. 516-518 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118737457.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA