Lebensdaten
1877 – 1940
Geburtsort
Posen
Sterbeort
Cambridge (England)
Beruf/Funktion
Jurist
Konfession
jüdisch?
Normdaten
GND: 118720724 | OGND | VIAF: 37047121
Namensvarianten
  • Kantorowicz, Hermann
  • Flavio, Gneo
  • Flavius, Gnaeus
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Zitierweise

Kantorowicz, Hermann, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118720724.html [24.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Wilhelm (* 1850), Kaufm. (Spirituosengroßbetrieb) in P., dann in Berlin, 1899/1900 Ältester d. Berliner Kaufm.schaft;
    M Rosa Gieldzinska;
    B Alfred (1880–1982), Prof. d. Zahnheilkde. in Bonn, 1933-47 in Istanbul (s. Fischer; Rhdb.; s. L);
    1) 1904 Thea Rosenstock ( 1920), Kaufm.-T aus Berlin, 2) 1923 Hilda Kalin; Schwager Eugen Rosenstock-Huessy ( 1973), Philosoph, Rechtshistoriker;
    4 S, 1 T; N (T d. Alfred) Dorothea ( Hermann Joseph Muller, 1890–1967, Prof. d. Biol., Nobelpreisträger 1946).

  • Biographie

    Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin, Genf und München, promovierte K. 1904 in Heidelberg mit einer strafrechtshistorischen Arbeit zum Dr. iur. Mit der Arbeit „Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik“ (2 Bände, 1907/24) habilitierte er sich 1907 in Freiburg, nachdem er sich während eines mehrjährigen Aufenthalts in Italien mit der Geschichte der europäischen Rechtswissenschaft beschäftigt hatte. Zunächst Privatdozent für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Geschichte der Rechtswissenschaft, wurde K. 1913 zum außerordentlichen und 1923 zum planmäßigen außerordentlichen Professor für juristische Hilfswissenschaften ernannt. 1928 erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Strafrecht nach Kiel. Der nationalsozialistische Staat entließ ihn 1933. Im Winter 1933/34 wurde K. Professor an der Graduate Faculty der New School of Social Research in New York. 1934 und 1935 hielt er Vorlesungen am City College in New York, an der School of Economics in London und am All Souls College in Oxford, seit 1936 Vorlesungen und Seminare in Cambridge, wo er 1937 Assistant Director of Research in Law wurde.

    Erste wissenschaftliche Bedeutung erwarb K. mit Arbeiten zu Methodenfragen der Rechtswissenschaft. In seiner Streitschrift „Der Kampf um die Rechtswissenschaft“ (1906, italienisch 1908, unter Pseudonym Gnaeus Flavius) forderte er, der Richter dürfe nicht allein Rechtsnormen auf den Einzelfall anwenden, sondern müsse sich bei Lücken im Gesetz seiner rechtsschöpfenden Tätigkeit bewußt sein. Dem Gesetzespositivismus und der Begriffsjurisprudenz, die den Richter zum „Subsumtionsautomaten“ werden lassen, sagte K. den Kampf an. Neben das formelle Recht stellte er als weitere Rechtsquelle das „Freie Recht“ (daher der Name „Freirechtslehre“), das durch Gewohnheiten, Richterspruch und die Meinung der Wissenschaft repräsentiert wird. Angesichts der heftigen Kritik an der Freirechtslehre sah er sich in der Folgezeit zur Präzisierung seiner Position veranlaßt. Hierbei erfuhr K.s Auseinandersetzung mit der in den USA herrschenden Richtung des Realismus viel Beachtung (Some Rationalism about Realism, 1934). Gegen die voluntaristische These, das Recht bestehe allein aus richterlichen Entscheidungen, wandte K. ein, die Mehrheit der richterlichen Urteile müsse auf allgemeinen Regeln fußen; nur bei Lücken|im förmlichen Recht dürfe „freies Recht“ geschöpft werden. In seinen strafrechtlichen Werken beschäftigte er sich mit Strafrechtsvergleichung, Geschichte und aktuellen Problemen des Strafrechts. In der Schrift „Tat und Schuld“ (1933) trat die Sorge um den Rechtsstaatsgedanken in den Vordergrund; in der Bindung des Richters an das Gesetz sah er die wichtigste Garantie für die Rechtssicherheit des einzelnen. Neben seinen strafrechtlichen und methodologischen Arbeiten wandte sich K. frühzeitig der Soziologie zu. In einem Vortrag auf dem 1. deutschen Soziologentag in Frankfurt (1910) grenzte er Jurisprudenz und Soziologie gegeneinander ab. Die Jurisprudenz betrachtete er in erster Linie als eine „Wertwissenschaft im Dienste von Zwecken des sozialen Lebens“, während er die Soziologie als Tatsachenwissenschaft und „vornehmste Hilfswissenschaft“ der dogmatischen Jurisprudenz bezeichnete. In welchem Maß K. zeit seines Lebens eine Kämpfernatur war, zeigt sich an seiner leidenschaftlichen Beschäftigung mit Problemen der Politik. In dem Gutachten über die Kriegsschuldfrage im Auftrage des Untersuchungsausschusses des Reichstages wies er eine erhebliche Mitschuld der deutschen Regierung am Kriegsausbruch 1914 nach. Hinter seinen politischen Schriften steht gleichsam als Leitmotiv die Sorge um den Frieden der Völker.

  • Werke

    Weitere W Goblers Karolinen-Kommentar u. s. Nachfolger, 1904;
    Probleme d. Strafrechtsvergleichung, in: Mschr. f. Kriminalpsychol. u. Strafrechtsreform 4, 1907, S. 65-112;
    Zur Lehre v. richtigen Recht, 1909;
    Über d. Entstehung d. Digestenvulgata, 1909;
    Rechtswiss. u. Soziol. 1911;
    Was ist uns Savigny?, 1912;
    Volksgeist u. Hist. Rechtsschule, in: HZ 108, 1912, S. 295-325;
    Thomas Diplovatatius, De claris iurisconsultis I, 1919 (mit F. Schulz);
    Einführung in d. Textkritik, 1921;
    Staatsauffassungen, Eine Skizze, in: Jb. f. Soziol. I, 1924, S. 101-14;
    Aus der Vorgesch. d. Freirechtslehre, in: Rechtsgesch. Stud. 2, 1924;
    Legal Science, A summary of its Methodol., in: Columbia Law Review, Jg. 1928, S. 679-707;
    Der Geist d. engl. Pol. u. d. Gespenst d. Einkreisung Dtld.s, 1929;
    Some rationalism about realism. in: Yale Law Journal 43, 1934, S. 1239-53;
    The Definition of Law, hrsg. v. A. H. Campbell, eingel. v. A. L. Goodhart, 1958, ital. 1962, dt. 1963, span. 1964;
    Rechtswiss. u. Soziol., Ausgew. Schrr. z. Wiss.lehre, hrsg. u. eingel. v. Th. Würtenberger, 1962 (P);
    Gutachten z. Kriegsschuldfrage 1914, hrsg. u. eingel. v. I. Geiss, 1967;
    Rechtshist. Schrr., hrsg. v. H. Coing u. G. Immel, 1970 (W-Verz.).

  • Literatur

    G. Radbruch, in: Schweizer Zs. f. Strafrecht 60, 1946, S. 262-76;
    A. Berger, in: ZSRGR 68, 1951, S. 624-633 (W-Verz.);
    Th. Würtenberger, in: Internat. Enc. of the Social Sciences VIII, 1968, S. 350-52;
    K. Riebschläger, Die Freirechtsbewegung, 1968. - Zu B Alfred: I. Rose, A. K., Sein Leben u. s. Bedeutung f. d. Zahnheilkde., Diss. Bonn 1969 (W, L, P).

  • Autor/in

    Thomas Würtenberger junior
  • Zitierweise

    Würtenberger, Thomas jun., "Kantorowicz, Hermann" in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 127-128 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118720724.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA