Lebensdaten
1903 – 1972
Geburtsort
Osnabrück
Sterbeort
Osnabrück
Beruf/Funktion
Jurist ; NS-Verwaltungsangestellter ; Notar ; Rechtsanwalt
Konfession
evangelisch-lutherisch
Normdaten
GND: 12350550X | OGND | VIAF: 18132916
Namensvarianten
  • Calmeyer, Hans Georg
  • Calmeyer, Hans
  • Calmeyer, Hans Georg
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Calmeyer, Hans, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd12350550X.html [28.04.2024].

CC0

  • Als Mitarbeiter der deutschen Besatzungsbehörde in den Niederlanden gehörte es seit 1941 zu Hans Calmeyers Aufgaben, in „rassischen Zweifelsfällen“ zu entscheiden, ob jemand nach den NS-Gesetzen Jude sei. In dieser Funktion bewahrte er mindestens 3000 Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager. 1992 von Yad Vashem mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet, ist Calmeyers Rolle als Teil des NS-Verfolgungsapparats heute umstritten.

    Lebensdaten

    Geboren am 23. Juni 1903 in Osnabrück
    Gestorben am 3. September 1972 in Osnabrück
    Grabstätte Heger Friedhof in Osnabrück
    Konfession evangelisch-lutherisch
    Hans Georg Calmeyer, Niedersächsisches Landesarchiv (InC)
    Hans Georg Calmeyer, Niedersächsisches Landesarchiv (InC)
  • Lebenslauf

    23. Juni 1903 - Osnabrück

    1912 - 1922 - Osnabrück; Gnesen (Posen, heute Gniezno, Polen); Naumburg an der Saale

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Ratsgymnasium; Kaiser-Wilhelm-Gymnasium; Domgymnasium

    1922 - 1925 - Freiburg im Breisgau; Marburg an der Lahn; München; Jena

    Studium der Rechtswissenschaften

    Universität

    1925 - Jena

    erstes Juristisches Staatsexamen

    1930 - Celle

    zweites Juristisches Staatsexamen

    Oberlandesgericht

    1930 - Dezember 1930 - Halle an der Saale

    Staatsanwalt

    Staatsanwaltschaft

    1931 - 1933 - Osnabrück

    Rechtsanwalt

    1933 - 1934 - Celle

    Rücknahme der Anwaltszulassung wegen „Betätigung im kommunistischen Sinne“

    Oberlandesgericht

    1934 - 1939 - Osnabrück

    Rechtsanwalt

    1939 - März 1940 - Niederlande

    Kriegsdienst

    Luftwaffe, Luftnachrichteneinheit

    1940 - 1945 - Den Haag (Niederlande)

    Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, Leiter der Abteilung „Innere Verwaltung“

    Reichskommissariat für die besetzten niederländischen Gebiete

    1945 - 1946 - Scheveningen (Niederlande)

    Kriegsgefangenschaft

    1946 - 1947 - Osnabrück

    Rechtsanwalt

    1947 - 1948 - Hannover

    Leiter der Abteilung Kunstangelegenheiten

    Niedersächsisches Kultusministerium

    1948 - 1972 - Osnabrück

    Rechtsanwalt und Notar

    3. September 1972 - Osnabrück
  • Genealogie

    Vater Georg Rudolf Calmeyer 1861–1929 aus Gehrde (Kreis Bersenbrück); Richter, zuletzt Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Naumburg an der Saale
    Mutter Elisabeth Calmeyer, geb. Abeken 1865–1955
    Großvater mütterlicherseits Johannes Abeken 1780–1866 Holzhändler in Osnabrück
    Großmutter mütterlicherseits Carolina Abeken, geb. Andre
    Bruder Alfred Calmeyer 1898–1918 Soldat, gefallen im Ersten Weltkrieg
    Bruder Rudolf Calmeyer 1899–1918 Soldat, gefallen im Ersten Weltkrieg
    Heirat 30.1.1930 in Berlin
    Ehefrau Ruth Hertha Calmeyer, geb. Labusch geb. 1905
    Schwiegervater Gerhard Labusch aus Dresden
    Schwiegermutter Ida Labusch, geb. Krause
    Sohn Peter Calmeyer 1930–1995 Archäologe; seit 1972 zweiter Direktor der Abteilung Teheran des Deutschen Archäologischen Instituts (Berlin-West); seit 1987 Mitherausgeber des Reallexikons der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie
    Kind ein weiterer Sohn
    Diese Grafik wurde automatisch erzeugt und bietet nur einen Ausschnitt der Angaben zur Genealogie.

    Calmeyer, Hans (1903 – 1972)

    • Vater

      Georg Rudolf Calmeyer

      1861–1929

      aus Gehrde (Kreis Bersenbrück); Richter, zuletzt Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Naumburg an der Saale

      • Großvater väterlicherseits

      • Großmutter väterlicherseits

    • Mutter

      Elisabeth Calmeyer

      1865–1955

      • Großvater mütterlicherseits

        Johannes Abeken

        1780–1866

        Holzhändler in Osnabrück

      • Großmutter mütterlicherseits

        Carolina Abeken

    • Bruder

      Alfred Calmeyer

      1898–1918

      Soldat, gefallen im Ersten Weltkrieg

    • Bruder

      Rudolf Calmeyer

      1899–1918

      Soldat, gefallen im Ersten Weltkrieg

    • Heirat

      in

      Berlin

      • Ehefrau

        Ruth Hertha Calmeyer

        geb. 1905

  • Biografie

    Calmeyer wuchs in einem konservativ-humanistisch geprägten Elternhaus in Osnabrück auf. Nach dem Abitur in Naumburg an der Saale studierte er von 1922 bis 1925 Rechtswissenschaften in Freiburg im Breisgau, Marburg an der Lahn, München und Jena. Das erste Examen und das Referendarexamen 1930 schloss er mit Prädikatsnote ab. Nach eigenen Angaben gehörte er um 1922 dem Jungnationalen Bund und in seiner Münchner Studienzeit einem Zeitfreiwilligenverband der Schwarzen Reichswehr an. 1931 ließ er sich in Osnabrück als Anwalt nieder.

    Da er mehrfach Kommunisten strafverteidigt hatte und eine jüdische Sekretärin beschäftigte, wurde Calmeyer im August 1933 die Anwaltszulassung entzogen. Im Mai 1934 erlangte er sie zurück, nachdem er dem NS-Kraftfahrkorps und dem NS-Rechtswahrerbund beigetreten war. Mitglied der NSDAP wurde er nie. Im Mai 1940 nahm Calmeyer als Soldat im Rahmen des Westfeldzugs an der Besetzung der Niederlande teil und wurde im März 1941 an das Reichskommissariat für die besetzten niederländischen Gebiete in Den Haag abkommandiert, wo er die Leitung der Abteilung „Innere Verwaltung“ übernahm. Eine seiner Aufgaben war es hier, auf Basis detaillierter Meldebögen in „rassischen Zweifelsfällen“ zu entscheiden, ob jemand Jude sei.

    Die von Calmeyer eingerichtete „Entscheidungsstelle“ hatte damit in den Niederlanden eine Rolle, die der des Reichssippenamts in Berlin vergleichbar war. Calmeyer ließ allerdings Beweismittel zu, die im Deutschen Reich nicht zugelassen waren. So mussten etwa Abstammungsgutachten nicht durch vom Reichssippenamt besonders bestellte Universitätsmediziner, sondern konnten von frei wählbaren Privatärzten ausgestellt werden. In hunderten Fällen akzeptierte Calmeyer Urteile niederländischer Gerichte, die ohne Prüfung der Aktenlage feststellten, dass Petenten, die sich in den Meldebögen selbst zum jüdischen Glauben bekannt hatten, angeblich nie einer jüdischen Gemeinde angehört hätten.

    In Calmeyers Abteilung wurden rund 6000 Fälle bearbeitet, wobei etwa 3600 Petenten zu Nichtjuden deklariert und so vor der Deportation in die NS-Vernichtungslager bewahrt wurden. Dazu zählten u. a. Jacqueline van Maarsen (geb. 1929), die Anne Frank (1929–1945) in ihrem Tagebuch als „beste Freundin“ bezeichnete, die spätere Literaturwissenschaftlerin Laureen Nussbaum (geb. 1927) sowie die Schauspielerin Camilla Spira (1906–1997). Im März 1944 ordnete das von Adolf Eichmann (1906–1962) geführte Referat IV B 4 des Reichssicherheitshauptamts in Berlin eine Überprüfung der Calmeyer-Akten durch den nach Den Haag abkommandierten Genealogie-Experten der SS Ulrich Grotefend (1907–1945) an. Die Revision kam kriegsbedingt jedoch nicht mehr zustande.

    Als Kriegsgefangener in Scheveningen (Niederlande) inhaftiert, erklärte Calmeyer 1946, ihm sei klar gewesen, dass in den Abstammungsverfahren systematisch getäuscht worden sei. Zahlreiche niederländische Anwälte bestätigten, dass Calmeyer und seine Mitarbeiter erfundene Abstammungsgeschichten und gefälschte Beweismittel wissentlich als echt akzeptiert hätten. Nach seiner Entlassung im September 1946 kehrte Calmeyer in seine Geburtsstadt zurück und wurde bereits im November 1946 von der britischen Besatzungsverwaltung als einer der ersten Anwälte in Osnabrück wieder zugelassen. Nach kurzer Tätigkeit 1947/48 als Leiter der Abteilung Kunstangelegenheiten im Niedersächsischen Kultusministerium unter Adolf Grimme (1889–1963) ging er zurück nach Osnabrück und praktizierte bis zu seinem Tod 1972 als Anwalt und Notar.

    Die ältere historische Forschung in den Niederlanden, v. a. Jacques Presser (1899–1970) und Louis de Jong (1914–2005), beurteilte Calmeyer überwiegend positiv. Die israelische Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem verlieh ihm im März 1992 postum den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“. In jüngerer Zeit sprachen Coen Stuldreher (1926–2007) und Geraldien von Frijtag Drabbe-Künzel (geb. 1965) Calmeyer einen Rettungswillen ab; er habe die Abstammungsverfahren nur deshalb so aufwendig ausgestaltet, um nicht zur Wehrmacht zurückversetzt zu werden, und sei als Teil der NS-Zwangsverwaltung in das Unrecht der Verfolgung verstrickt gewesen. Ruth van Galen-Herrmann (geb. 1926), Mathias Middelberg (geb. 1964) und Peter Niebaum (1942–2013) betonten, Calmeyer habe – ähnlich wie Oskar Schindler (1908–1974) und Berthold Beitz (1913–2013) – nur retten können, weil auch er angepasst im System agiert habe.

  • Auszeichnungen

    1989 Hans-Calmeyer-Platz, Osnabrück
    1992 „Gerechter unter den Völkern“, Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem, Israel
    1995 Justus-Möser-Medaille der Stadt Osnabrück
    1995 Gründung von „Die Hans Calmeyer – Initiative e.V.“
  • Quellen

    Nachlass:

    Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Osnabrück, Dep. 107.

    Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie, Amsterdam.

    Centrum voor familiegeschiedenis, Den Haag, Collectie Calmeyer.

  • Literatur

    Peter Niebaum, Ein Gerechter unter den Völkern. Hans Calmeyer in seiner Zeit (1903–1972), 2003.

    Mathias Middelberg, Judenrecht, Judenpolitik und der Jurist Hans Calmeyer in den besetzten Niederlanden 1940–1945, 2005.

    Bernd Rüthers, Der Widerstand der Namenlosen. Hans Calmeyer – zu Unrecht vergessen!, in: Juristische Zeitgeschichte 2005/06 (2006), S. 203–219.

    Coen Stuhldreher, De legale rest. Gemengd gehuwde Joden onder de Duitse bezetting, 2007.

    Geraldien von Frijtag Drabbe Künzel, Het geval Calmeyer, 2009.

    Ruth van Galen-Herrmann, Calmeyer, dader of mensenredder? Visies op Calmeyers rol in de jodenvervolging, 2009

    Peter Niebaum, Hans Calmeyer – ein „anderer Deutscher“ im 20. Jahrhundert, 2011.

    Mathias Middelberg, „Wer bin ich, dass ich über Leben und Tod entscheide?“ Hans Calmeyer – „Rassereferent“ in den Niederlanden 1941–1945, 2015.

    Petra van den Boomgaard, Voor de nazi's geen Jood. Hoe ruim 2.500 Joden door ontduiking van de rassenvoorschriften aan de deportaties zijn ontkomen, 2019.

    Laureen Nussbaum, Shedding Our Stars. A Story of Hans Calmeyer and How He Saved Thousands of Families Like Mine, 2019.

    Els van Diggele, Het raadsel van Femma. Prooi van een mensenredder, 2020.

  • Onlineressourcen

  • Porträts

    zwei Fotografien, ca. 1928 u. 1932, Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Osnabrück, Dep. 107.

  • Autor/in

    Mathias Middelberg (Berlin)

  • Zitierweise

    Middelberg, Mathias, „Calmeyer, Hans“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.01.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/12350550X.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA