Lebensdaten
1752 – 1831
Geburtsort
Frankfurt/Main
Sterbeort
Dorpat
Beruf/Funktion
Dichter
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118563319 | OGND | VIAF: 19692845
Namensvarianten
  • Klinger, Fedor Iwanowitsch
  • Klinger, Friedrich Maximilian von
  • Klinger, Friedrich Maximilian
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Zitierweise

Klinger, Friedrich Maximilian, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118563319.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johannes (1723–60), Konstabler, Büchsenmeister b. d. städt. Artillerie in F., S d. Johannes, Müller in Pfaffen-Beerfurth/Odenwald, u. d. Anna Barbara Müller;
    M Cornelia (1727–1800), T d. Georg Eberhard Fuchs (1705–41), Sergeant b. d. Konstablern in F., Hofbüchsenmacher in Homburg, u. d. Anna Catharina Melchior;
    Schw Agnes (⚭ Joh. Georg Authäus, 1747–1822, Pfarrer u. Stiftsdechant in Lich);
    - St. Petersburg 1788 Elisabeth Alexejewa (1761–1844), illeg. T d. Fürsten Grigorij Orlow u. d. Helena Stepanowa Fürstin Kurakin geb. Apraxin;
    3 S (2 früh †), Alexander (* 1791, 1812), russ. Stabskapitän, Adjutant d. Gen. Barclay de Tolly;
    Groß-N Max Rieger (1828–1909), D., Dr. phil., Philologe, Präs. d. hess. Landessynode, Lit.historiker, Vf. d. ersten K.-Biogr. (s. BJ 14, u. Tl.).

  • Biographie

    Die Herkunft aus der Unterschicht des reichsstädtischen Bürgertums und die wirtschaftliche Notlage, in die nach dem frühen Tod des Vaters die Familie geriet, bestimmten K.s Entwicklung. Er unterstützte die Mutter, die den Lebensunterhalt als Wäscherin verdiente, schon während der Gymnasialzeit mit dem geringen Entgelt, das er für Nachhilfestunden, als Kurrendesänger und Ofenheizer der Schule erhielt. Nach dem Abitur (1772) blieb er noch zwei Jahre in Frankfurt bei der Familie. Während dieser Zeit trat er zu Goethe, den er wohl seit der Kindheit flüchtig kannte, in nähere Beziehung. Auf K.s Stube traf sich allsonnabendlich ein Kreis gleichaltriger und gleichgesinnter Freunde, dem außer Goethe, dem Musiker Ch. Ph. Kayser und dem K. auch späterhin am engsten verbunden gebliebenen Ernst Schleiermacher zeitweilig unter anderem J. M. R. Lenz und Heinrich Leopold Wagner angehörten. Durch Goethes finanzielle Hilfe wurde ihm vom Frühjahr 1774 an das Studium der Rechtswissenschaften in Gießen ermöglicht, wo er, ebenfalls durch Goethes Vermittlung, bei dem Juristen Höpfner wohnen konnte. Schnell nacheinander entstanden jetzt K.s erste Dramen. Ohne Studienabschluß verließ er Gießen im Mai 1776 in der Hoffnung, als Goethes Freund in Weimar Aufnahme zu finden. Nach anfänglich enthusiastischer Wiederbegegnung kam es jedoch bald zu Verstimmungen und Mißhelligkeiten, die ihre Ursachen sowohl in der persönlichen Diskrepanz zwischen begonnener Überwindung des Sturm und Drang bei Goethe und verstärktem Fortwirken bei K., als auch in den Umgangsformen des Hoflebens hatten. Die durch seine bedrängte Lage hervorgerufene Forciertheit übersteigerten Selbstbewußtseins machte schließlich K.s Fortgang von Weimar unabwendbar. Erst 1801 wurde durch einen Brief Goethes die Verbindung wiederhergestellt. Als Dramaturg und Theaterdichter schloß K. sich der Seylerschen Truppe an (Oktober 1776-Februar 1778). Mit ihr ging er nach Leipzig, Dresden, Mannheim, Köln, Frankfurt und Mainz. Schwere Depressionen und Zweifel am Sinn der bloßen Schriftstellerexistenz führten ihn zu dem Entschluß, im Soldatenleben einen Ausweg für seinen leidenschaftlichen Tätigkeitsdrang zu suchen. Auf einer Reise nach der Schweiz besuchte er Goethes Schwager Johann Georg Schlosser in Emmendingen. Zwar blieben dessen Bemühungen, für K. durch Vermittlung K. G. Pfeffels und Benjamin Franklins die Aufnahme in das amerikanische Heer zu erwirken, ohne Erfolg, K. nahm statt dessen zunächst am Bayerischen Erbfolgekrieg teil (1778/79). Im folgenden Jahr gelang es Schlosser jedoch, seinen Einfluß auf den mit der Zarenfamilie verschwägerten württembergischen Herzog zugunsten K.s geltend zu machen, wodurch ihm der Eintritt in den russischen Militärdienst als Leutnant eines Marinebataillons und Ordonnanzoffizier beim Thronfolger Großfürst Paul ermöglicht wurde. Dies bedeutete die entscheidende Lebenswende für K. und den Anfang seiner glänzenden Laufbahn in Rußland. Im Gefolge des Großfürstenpaars unternahm er 1781/82 eine Europareise, am 22.9.1782 war er auf der Stuttgarter Solitude bei jener Illumination anwesend, die Schiller Gelegenheit zur Flucht gab. Als Oberleutnant in einem Petersburger Infanterieregiment nahm er 1783-85 unter Suwarow an den Operationen gegen die Türkei im Moldaugebiet teil. Sein Aufstieg zu leitenden militärischen und bildungspolitischen Ämtern vollzog sich im Zuge der Liberalisierung nach der Thronbesteigung Alexanders I. Bei der Beförderung zum Direktor des 1. Kadettenkorps und des Pagenkorps (1802) fiel ihm die Neuordnung der Ausbildung des Offiziersnachwuchses zu. Mit seiner Ernennung zum Kurator der Universität Dorpat (1803) war die Oberaufsicht über alle Schulen der Gouvernements Livland, Estland, Finnland und Kurland verbunden. Durch seine Mitgliedschaft in der Hauptschulverwaltung beim Ministerium für Volksbildung, im Rat der Lehranstalten für weibliche Schüler (Smolni-Institut u. Sankt Katharinen-Schule), seit 1805 auch im Rat der Kriegsschulen, erhielt er großen Einfluß auf die Reform des Schulwesens. K.s Intention ging dahin, seine stark von Rousseau geprägten Erziehungsgrundsätze mit der Idee der sittlichen Verantwortung des einzelnen gegenüber der Allgemeinheit im Sinne einer liberalen Aufklärung zu verbinden. Die nach dem Wiener Kongreß einsetzende Restauration nötigte ihn bis 1820 zum Rücktritt von fast allen öffentlichen Aufgaben. Von da an lebte er zurückgezogen in Dorpat und starb dort, ohne Deutschland noch einmal wiedergesehen zu haben.

    K.s Gesamtwerk umfaßt 23 Dramen und 14 Romane. Es läßt sich in drei Schaffensperioden aufgliedern, von denen nur die erste, ausschließlich dramatischer Produktion gewidmete (1774-77), im literarischen Bewußtsein der Zeitgenossen eine Rolle gespielt hat und lange Zeit auch allein von der Literaturwissenschaft berücksichtigt worden ist. K.s Jugenddichtungen standen ganz im Bann der Geniebewegung. Er begann mit dem Ritterdrama „Otto“ (1774), das unter dem Einfluß von Goethes „Götz“ dessen Shakespearisieren noch zu überbieten suchte. Demgegenüber brachte bereits das Ende 1774 entstandene Trauerspiel „Das leidende Weib“ einen beachtlichen Fortschritt zu größerer Selbständigkeit. In dem hier gezeichneten Bild vom Leben in einer kleinen deutschen Residenzstadt des absolutistischen Zeitalters zielen die gesellschaftskritischen Akzente nur auf die Entartungen am Hof, während Ehe und Familie als sittliche Ordnungen unverbrüchliche Geltung behalten. Die Darstellung des aus ihrer Verletzung entstehenden Unglücks blieb vor der Gefahr der Veräußerlichung zum gesellschaftlichen Skandal bewahrt, indem K. statt der einfachen Entgegensetzung von bürgerlicher Konvention und natürlichem Recht der Leidenschaft beiden Seiten gleich positive Gefühlswerte zusprach und auf diese Weise moralisierende Lehrhaftigkeit ebenso vermied wie ein Bekenntnis zur Libertinage. Den Parallelhandlungen teilte er eigene Aufgaben zu: Sie dienen satirischer Literaturkritik (gegen J. G. Jacobi, Batteux, Wieland, Richardson), bewußter Literarisierung des Erlebens (nach Lessings „Minna von Barnhelm“, Rousseaus „Nouvelle Héloise“, Shakespeares „Romeo und Julia“, Petrarcas „Canzoniere“) und einer werkimmanenten Gefühlsästhetik. 1915 hat Carl Sternheim den Versuch einer aktualisierenden Bearbeitung unternommen, indem er die Handlung in den Spätherbst 1914 verlegte und den Konflikt zwischen Pazifismus und soldatischem Patriotismus hinzufügte.

    Als „intensivste Verwirklichung des Sturm und Drang-Dramas“ (May) werden weithin „Die Zwillinge“ (1775, gedruckt 1776) angesehen. Zeittypisch ist zweifellos das durch den Vater-Sohn-Konflikt ausgelöste Motiv des Bruderhasses. Nicht zufällig behandelten alle drei Einsendungen zu dem Preisausschreiben der Hamburger Schauspieltruppe von Sophie Ch. Ackermann und Friedrich Ludwig Schröder dieses Thema. K. wurde der Preis mit der Begründung zuerkannt, daß er durch die Erfindung der unentschieden gebliebenen Erstgeburt seinem Stück „die mächtige gewaltige Triebfeder“ gegeben habe. Zur Dramatisierung veranlaßt hatte ihn vermutlich J. M. Millers Bericht über das zu jenem Zeitpunkt bereits vollendete Trauerspiel „Julius von Tarent“ von Johann Anton Leisewitz. Die Teilnahmebedingungen des Preisausschreibens erzwangen einen streng klassizistischen Aufbau. Das Werk hat sehr unterschiedliche Deutungen erfahren. Lange Zeit galt es als Charaktertragödie des genialen Kraftmenschen und idealtypische Ausprägung des Lebensgefühls der Sturm- und Dranggeneration. Problemgeschichtlich bot sich das Verständnis der Handlung als Konflikt zwischen dem naturgesetzlichen Herrschaftsanspruch des Stärkeren und der gesellschaftlichen Rechtsordnung an. Ausgehend von K.s Beschäftigung mit Holbachs „Système de la nature“ konnte aber auch in der Getriebenheit Guelfos und in der Zwangsläufigkeit des zur Katastrophe führenden Geschehens ein Bekenntnis zum philosophischen Materialismus der französischen Aufklärung gesehen werden. Neben Versuche|, durch Betonung der fatalistischen Grundstimmung „Die Zwillinge“ als Vorform des spätromantischen Schicksalsdramas zu betrachten, traten psychologische Analysen. Die Aufmerksamkeit richtete sich dann auf das Pathologische im Charakter Guelfos, auf die Ambivalenz von Kraftmenschentum und zerquälter Passivität, auf das Vorwalten der Melancholie. Als Verurteilung des Feudalsystems ohne Ansätze zu einem positiven Gegenbild bot sich das Werk der sozialkritischen Interpretation dar. Für die Wirkung auf K.s Zeitgenossen ist die Schilderung charakteristisch, die K. Ph. Moritz im „Anton Reiser“ gegeben hat: Nach einer Aufführung des Stücks identifiziert sich der junge Reiser mit der Gestalt des Guelfo, weil er in ihr die eigene bedrückte Lage wiedererkennt, die Zurücksetzung gegenüber den Begünstigten, die Behinderung der Entfaltungsmöglichkeiten für die in ihm angelegte Begabung und die daraus entstehenden „schwarzen Phantasien“.

    Mit seinen nächsten Dramen kehrte K. zur shakespearisierenden Technik zurück. In dem stofflich auf einer Episode bei Plinius beruhenden Trauerspiel „Die neue Arria“ (1775, gedruckt 1776) richtet sich das Hauptinteresse auf die seelische Entwicklung zweier Ausnahmemenschen: auf die zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit und Freiheit treibende Dämonie der Donna Solina und den durch erotische Faszination bewirkten Aufstieg Julios aus anfänglicher Schwäche zu vorbildlichem Handeln. Einen erfolgreich verlaufenden Aufstand gegen fürstliche Tyrannei machte K. zwei Jahre später zum Gegenstand des Trauerspiels „Stilpo und seine Kinder“ (gedruckt 1780). Ganz anders stellte er Charakter und Schicksal des Kraftgenies in „Simsone Grisaldo“ (1775/76) dar. Als Handlungsmuster diente ihm hier die biblische Geschichte von Samson und Dalila aus dem „Buch der Richter“, die er jedoch in die Zauberwelt der spanischen Reconquista verlegte und nach Verlauf und Ausgang ins Gegenteil umwandelte. Lustspielhafte Züge entnahm er der Erneuerung der Commedia dell'arte in Gozzis Märchenspielen. Der sprechende Doppelname des leichtfertigen, tollkühnen, immer erfolgreichen Feldherrn sollte im Anklang an Griseldis auf die Gegenkräfte frei gewählten Dienens und vorbehaltlosen Verzeihens in seinem Charakter verweisen.

    Während des Weimarer Aufenthalts im Sommer 1776 entstand das Schauspiel „Sturm und Drang“ (gedruckt Ende 1777), das einer ganzen Epoche den Namen gegeben hat. Es wurde in das Seylersche Repertoire aufgenommen und mit Sicherheit in Leipzig und Frankfurt, wahrscheinlich auch an anderen Orten von der Truppe gespielt. Die ausführliche Rezension der Frankfurter Aufführung durch H. L. Wagner ist ein aufschlußreiches Zeugnis für die stark gefühlsbestimmte Wirkung auf die Zeitgenossen. Ursprünglich sollte der Titel „Der Wirrwarr“ lauten. K. hat dieses Wort wiederholt zur Kennzeichnung seines damaligen äußeren und inneren Zustands verwendet. Das Hektische in der Sprache, die ins Extrem getriebenen Aufwallungen der Personen, ihre exzentrischen Verhaltensweisen und das „Aufeinanderhetzen“ des Gegensätzlichen erklären sich zu einem guten Teil aus dem zwanghaften Bemühen, Aufsehen zu erregen. Nach einer Vorlesung in Gotha wurde K. durch den „Genieapostel“ Chr. Kaufmann zu der zwei Leitbegriffe der Zeit formelhaft zusammenfassenden Umbenennung des Stücks veranlaßt. Aus brieflichen Äußerungen geht hervor, daß es ihm auf das stilistische Experiment einer Gattungsmischung ankam. So verdient denn auch das von K. als seine Lieblingsarbeit bezeichnete Werk einen markanten Platz in der Geschichte der deutschen Tragikomödie. Aus Shakespeares „Romeo und Julia“ entnahm er die tragischen Voraussetzungen für die Handlung, gab jedoch der Liebe zwischen den Kindern zweier miteinander verfeindeter Häuser einen glücklichen Ausgang. Die amerikanische Szenerie und das Zeitgeschehen des Unabhängigkeitskriegs sind nicht vorrangig aus politischer Sympathie gewählt, sie dienen weit mehr zur Schaffung von Ausnahmesituationen, in denen Unwahrscheinlichkeiten, Zufälle, bizarre Verhaltensweisen glaubwürdig werden. Lustspielhaft ist neben der Wahl des Wirtshauses als Schauplatz vor allem die Charakteristik der meisten Personen. In der Technik der Parallelisierung und paarweisen Zuordnung, sowie in der Berechnung der Kontrastwirkungen nahm K. sich Shakespeares Lustspiele zum Vorbild. Übertreibungen und Schablonisierungen ließen allerdings die grotesken und parodistischen Elemente allzu kraß in den Vordergrund treten. Mit einer bis in den letzten Akt sich erstreckenden Exposition gab K. dem Drama eine überwiegend analytische Struktur. Die Durchsichtigkeit eines fast schematisch strengen Aufbaus unterscheidet „Sturm und Drang“ von den vorausgegangenen Dramen. Das zeigt sich am auffälligsten in der Handlungsführung, die dem zentralen aristotelischen Begriff der Anagnoresis vollkommen Genüge leistet. Durch zwei Höhepunkte hat K. nicht nur eine mehrphasige Wiedererkennung erreicht, sondern auch die Handlung bis dicht an die Unvermeidlichkeit eines tragischen Verlaufs herangeführt, bevor die überraschende Wendung zum Guten eintritt.

    K.s erste Romane erheben sich kaum über das Niveau der Unterhaltungsliteratur. Unbedenklich knüpfte er an den Rokokostil der Feenmärchen und des galanten Romans an, löste ihn jedoch durch Häufung im Stofflichen und zynische Vergröberungen als Formkunst auf (Orpheus. Eine tragisch-komische Geschichte, 1778/80; Die Geschichte vom Goldenen Hahn, 1785). Gemeinsam mit Lavater und Jakob Sarasin entstand 1780 auf der Schweizerreise die Lebensgeschichte des Kraftgenies „Plimplamplasko“, ein Pasquill auf Ch. Kaufmann, das durch absichtlich unbeholfene Nachbildung der Sprache des 16. Jahrhunderts komische Wirkungen zu erzielen suchte. Ausdruck der Krise des Genieideals wurden im Drama das Fragment einer mythischen Farce „Der verbannte Göttersohn“ (1777) und die im Roman „Orpheus“ am Fürstenhof zur Aufführung gelangende politische Harlekinade „Prinz Seidenwurm“. Versuchen im gesellschaftskritischen Lustspiel (Die falschen Spieler, 1782; Der Schwur, 1783) ging 1780 anonym „Der Derwisch“ voraus, das einzige Werk, in dem es K. gelungen ist, ohne Polemik und verzerrende Schärfen aufklärerischen Ideengehalt humoristisch in Handlung und Charaktergestaltung aufgehen zu lassen. Inmitten der orientalisierenden Phantastik dreier kunstvoll ineinander verschlungener Märchenhandlungen mit Verzauberung, Erlösung und dem Motiv der vertauschten Köpfe erscheint die Menschlichkeit des Derwischs in allen positiven Eigenschaften eines Freigeistes.

    Die zwölf in Rußland entstandenen Dramen der 80er Jahre zeigen eine gegenüber der Sturm- und Drangzeit weitgehend veränderte Gestalt. K. strebte eine Rückkehr zur klassischen Bauform der Einfachheit, Geschlossenheit, des sittlichen Pathos in gehobener Sprachgebung an, möchte jedoch, selbst wenn er wieder von Corneille ausging, dem deutschen Drama den der Aneignung Shakespeares zu verdankenden Gewinn an psychologischer Charakterisierungskunst und den Gebrauch der Prosa auch im Trauerspiel erhalten wissen. Diesem Stilideal ist er in „Elfride“ (1783) am nächsten gekommen. Einem balladesken Stoff gab er die Form des analytischen Dramas, indem er nur die Katastrophe auf die Bühne brachte. Das psychologische Interesse konzentriert sich auf das Zusammentreffen äußerer Handlungsantriebe mit der charakterlichen Disposition, das dann die Entwicklung Elfriedes zur Verräterin des an ihr schuldig gewordenen Gatten herbeiführt. Die spätere Umarbeitung (1794) zugunsten eines aus Rechtsnormen abgeleiteten Gleichgewichts von Schuld und Sühne ergab sich aus K.s Hinwendung zur lehrhaften Zweckbestimmung der Literatur. Dieser Weg führte ihn von der historischen zur mythischen Tragödie, zur frei erfundenen dramatischen Parabel und zum Ideendrama. Schon die Hohenstaufentragödie „Konradin“ (1784, gedruckt 1786), die mit der Niederlage bei Tagliacozzo einsetzt und in ihrem ganzen Verlauf der Gegenüberstellung des idealisch gesinnten Gefangenen mit dem erfolgreichen Realpolitiker Karl von Anjou gewidmet ist, will am Einzelschicksal ein allgemeines Gesetz geschichtlicher Abläufe sichtbar machen. „Der Günstling“ (1785, gedruckt 1787), ein Gegenstück zu „Simsone Grisaldo“, abstrahiert bereits von historischen Ereignissen, um in der Form der Utopie den jederzeitigen Vorrang einer als absolut gesetzten staatlichen Ordnung gegenüber jedem gewaltsamen Umsturzversuch demonstrieren zu können. Noch formelhafter ist „Roderico“ (gedruckt 1790) auf die Erörterung moralischer Prinzipien eingeschränkt.

    Nur mit Vorbehalten darf K.s Aufnahme antiker Stoffe als Parallelentwicklung zur Weimarer Klassik angesehen werden. K. stellt archaisches Griechentum dar, statt Humanisierung strebt er ein schöpferisches, um- und neugestaltendes Verhältnis zum Mythos an, und die Wiedereinführung allegorischer Personifikationen verbindet ihn eher mit dem Barockdrama. Auch in der Antike sucht er nach beispielhaften Lösungsversuchen für überzeitlich gestellte Grundprobleme politisch-moralischen Verhaltens. Im „Aristodemos“ (1787, gedruckt 1790), der einer Beschreibung des Pausanias folgt, hat K. das durch den Mythos geforderte, von dem ausersehenen Opfer enthusiastisch angenommene patriotische Märtyrertum als kultischen Vorgang dargestellt. Der hier noch auf die Auseinandersetzung mit den Gegenspielern eingeschränkte Konflikt zwischen göttlichem und menschlichem Anspruch wurde in den beiden folgenden „Medea“-Dramen in die Seele der Hauptgestalt gelegt (Medea in Korinth, 1787; Medea auf dem Kaukasus, 1791). Die innere Zerrissenheit Medeas im Widerstreit von Liebe und Haß, Mütterlichkeit und grausamem Racheverlangen hat K. mythisch begründet. Als Enkelin des Sonnengotts und Tochter der Hekate gehört sie zugleich der Lichtwelt und der chthonischen Sphäre an. Mit dem freiwilligen Verzicht auf ihre magischen Kräfte aus Liebe zu Jason ist sie in den Zwiespalt halb menschlichen, halb göttlichen Wesens geraten. Schon der Prolog, den das Schicksal spricht, zwingt dazu, das hierdurch ausgelöste Verhängnis in seiner Unentrinnbarkeit als Manifestation des antiken Fatums zu verstehen. Während in der Tragödie „Oriantes“ (gedruckt 1790), gekoppelt mit einer abermaligen, gegenüber der Sturm-und Drang-Dramatik jedoch rollenvertauschten Behandlung des Konfliktes zwischen Vater und Sohn, noch einmal das rousseauistische Ideal des reinen Naturzustands verkündet wird und in dem Ideendrama „Damokles“ (1788, gedruckt 1790) der intellektuelle Gegenentwurf eines verfassungsrechtlich gesicherten Vernunftstaats sein Pathos aus dem Rigorismus des kategorischen Imperativs erhalten hat, ist K. in der „Medea auf dem Kaukasus“ unter dem Einfluß der Lektüre von N.-A. Boulangers „L'antiquité dévoilée“ zu einer pessimistischen Auffassung gelangt. Vergeblich sucht Medea einen unter despotischer Priesterherrschaft stehenden wilden Volksstamm aus dem triebhaft rohen Kult der Menschenopfer zu höheren Formen des Gottesdienstes zu führen. An die Stelle des zerstörten Traums einer Rückkehr in die Unschuld der Menschheitsfrühe ist der religionsphilosophische Gedanke der „Erziehung des Menschengeschlechts“ getreten. Aber auch die Lessing-Herdersche Entwicklungsidee unterliegt einer skeptischen Beurteilung. Nur indem sie sich selbst den Tod gibt, wird Medea vor dem Oberdruiden und der fanatisierten Horde gerettet. Bei einer Umarbeitung 1794 hat K. den Schluß näher mit dem ersten „Medea“-Drama verbunden. Hier widerfährt der Sterbenden die Vision ihrer Entsühnung.

    Das letzte Jahrzehnt der schriftstellerischen Tätigkeit K.s war ausschließlich dem Romanwerk gewidmet. Der als „Dekade“ bezeichnete Zyklus bietet keine kontinuierliche Aufeinanderfolge, sondern ist formal eher als Bildung von drei Gruppen um einen auch allen Einzelwerken gemeinsamen Mittelpunkt anzusehen. Die erste Gruppe umfaßt nach dem Modell des älteren Reise- oder Erziehungsromans aufgebaute Lebensbeschreibungen mit historischem Hintergrund (Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt, 1791; Geschichte Raphaels de Aquillas, 1793; Geschichte Giafars des Barmeciden, 1792/94), während die zweite zum orientalisierenden Stil zurückkehrt (Reisen vor der Sündflut, 1795; Der Faust der Morgenländer, 1797; Sahir, zur „Erholung“ des Lesers eingefügte Bearbeitung des Goldenen Hahns, 1797) und die dritte didaktische Zeitromane enthält (Geschichte eines Teutschen der neuesten Zeit, 1798; Der Weltmann und der Dichter, 1798). Ungeschrieben blieb eine Selbstbiographie, die auf den zweiten Zeitroman folgen sollte. Die ihr ursprünglich zugedachte Aufgabe im Ganzen des Zyklus suchte K. mit der großen Aphorismensammlung „Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und der Literatur“ (1803-05) stellvertretend zu erfüllen. Von dem geplanten Schlußband „Das zu frühe Erwachen des Genius der Menschheit“ liegen nur Bruchstücke vor (1798, gedruckt 1803).

    Die Romane der ersten Gruppe stehen als Schilderungen typologisch aufzufassender Verhaltensweisen zur Wirklichkeit untereinander in engem Wechselbezug. K.s „Faust“ ist unabhängig von Goethes 1790 veröffentlichtem „Faust“-Fragment konzipiert worden. Das Schema der Handlung – Teufelspakt, episodische Reihung der Abenteuer, Verdammung – folgt der Tradition des Volksbuchs. Gleiches gilt für die Beibehaltung des Zeithintergrundes. Indem K., ebenfalls im Anschluß an eine volkstümliche Version, Faust mit Fust, dem vermeintlich ersten Erfinder der Buchdruckerkunst gleichsetzte, konnte er die ihn unablässig beunruhigende Fragwürdigkeit des zivilisatorischen Fortschritts mit der ethischen und metaphysischen Problematik des Bösen verbinden, die stärker als die Vergeblichkeit der wissenschaftlichen Wahrheitssuche seinen Faust zu nihilistischer Verzweiflung treibt. In Fausts einseitig negativer Beurteilung der ihm gegenübertretenden gesellschaftlichen Verhältnisse, seinen unbeherrschten Gefühlsausbrüchen, dem angemaßten Richteramt trotz des haltlosen Schwankens zwischen der Attitüde des Weltverbesserers und bedenkenloser Genußsucht gibt K. eine Kritik an dem Genieideal seiner Jugend. Ohne Zweifel hat er mit seinem „Faust“-Roman die Absicht verbunden, vor diesem Weg zu warnen. Das düsterste Bild der geschichtlichen Welt zeichnete er dann im „Raphael“. Alle Versuche des Helden, während der Maurenverfolgung in Spanien unter Philipp III. Menschlichkeit und Gerechtigkeit zur Geltung zu bringen, brechen vor der Übermacht des weltlichen und geistlichen Terrors zusammen. Auch Raphael wird in extreme Einseitigkeit gedrängt: Nur in der Verabsolutierung des Prädestinationsglaubens vermag er eine Erklärung für die Ohnmacht des guten Willens zu finden. Als idealistisches Gegenmodell zu „Faust“ und „Raphael“ hat „Giafar“ zu gelten. In parabolischer Erzählweise führt K. seinen Helden aus lähmendem Fatalismus zur heroischen Bewährung des kategorischen Imperativs. Das aus Voltaires Roman „Le blanc et le noir“ übernommene Motiv der warnenden Vorwegnahme sittlicher Verfehlung im Traum und Leviathans ungewollte Erzieherrolle dürfen als Zeichen der Überwindbarkeit des bösen Prinzips verstanden werden. Daß Giafar sich einer widernatürlichen Bedingung unterwirft, diese jedoch nicht zu halten vermag, enthüllt den transzendental-formalen Charakter des Kantischen Pflichtgebots, das wohl im Untergang triumphieren, nicht aber in der materialen Welt sich ungetrübt behaupten kann. Insofern soll auch Giafars Unbedingtheitsideal, so sehr es der eigenen Zielsetzung K.s nahekommt, nicht als Vorbild für soziales Handeln innerhalb der zwangsläufig fehlerhaften Ordnungen menschlichen Zusammenlebens dienen.

    Durch einen gemeinsamen Rahmen, der die Erzählsituation zum Gegenstand hat, sind die „Reisen vor der Sündflut“ und „Der Faust der Morgenländer“ zusammengeschlossen. In Analogie zu orientalischen, der Fürstenerziehung dienenden Fabel- und Märchensammlungen bringen die allabendlichen Lesungen des fiktiven Autors vor dem Kalifen in sich abgeschlossene Episoden einer Erzählkette, deren kompendienhafter Lehrzweck am Schluß, wenn sich der Erzähler als Bruder des Kalifen zu erkennen gibt, offenbar wird. In den „Reisen“ bilden das einleitende und abschließende Streitgespräch zwischen Mahal und Gott einen zweiten Rahmen. Er enthält zu Anfang mit dem Zorn Gottes über die entartete Menschheit den Beweggrund für Mahals, des unverbildeten Primitiven, Abenteuerfahrt in die Welt der Zivilisation; am Ende führt er durch Mahals Zustimmung zu dem bevorstehenden Strafgericht der Sündflut an den Ausgangspunkt zurück. Die Binnenerzählungen bieten jeweils Schilderungen verschiedener Gesellschaftsformen und Herrschaftssysteme, die phantastisch-utopisch verbrämt insgesamt ein satirisches Panorama der europäischen Staatenwelt entrollen. Das Dilemma der Futurologie hat K. im „Faust der Morgenländer“ vorweggenommen und an Beispielen aus der Geschichte eines Günstlings zu erläutern versucht. Zur Vermeidung politischer Fehlentscheidungen verlangt Abdallah nach sicheren Mitteln einer rationalen Vorausberechnung der Zukunft. K. sieht darin die faustische Anmaßung, sich selbst an die Stelle Gottes setzen zu wollen. Er verurteilt ein Streben, dessen Erfüllung dem Menschen die Entschlußfreiheit zu moralischem Handeln rauben würde.

    Als zeitgenössischer Entwicklungsroman kann die „Geschichte eines Teutschen der neuesten Zeit“ insoweit angesehen werden, als chronologisches Erzählen mit einer ausführlichen Jugendgeschichte, eine Parallelfigur des andersgearteten, erfolgreichen Freundes, entgegengesetzte Einflußnahmen zweier Erzieher die Form, Orientierung an Rousseaus „Emilie“ und Auseinandersetzung mit Idee und Wirklichkeit der Französischen Revolution den Gehalt bestimmen. Aber K. läßt den Helden das Bildungsziel der Vereinigung einer Ethik des Herzens mit den einschränkenden Forderungen des Verstandes nicht erreichen, sondern ihn an seiner idealistischen Einseitigkeit scheitern. Erst in dem Dialogroman „Der Weltmann und der Dichter“ wird die Synthese erreicht. Die beiden Pole der eigenen Doppelexistenz als Schriftsteller und Staatsdiener hat K. hier zunächst durch Trennung in zwei Personen gegeneinander isoliert, die Unzulänglichkeiten einer jeden hervorhebend, um sie dann als Partner philosophischer Gespräche auf sokratische Weise aus gegenseitiger Verkennung zur|Verständigung, schließlich zu sich anbahnender Freundschaft zu führen. Es ist begreiflich, daß er damit sein literarisches Wirken als abgeschlossen betrachten konnte.

  • Werke

    Werke, 12 Bde., 1809/16 (P in I);
    Sämmtl. Werke mit e. Charakteristik u. Lebensskizze, 12 Bde., 1842;
    Ausgew. Werke, 8 Bde., 1878-80;
    Dramat. Jugendwerke, 3 Bde., hrsg. v. H. Berendt u. K. Wolff, 1912 f.;
    Werke, 2 Bde., ausgew. u. eingel. v. H. J. Geerdts, 1958, ³1970;
    Werke, Hist.-krit. Gesamtausg., hrsg. v. S. L. Gilman u. U. Profitlich unter Mitw. v. G. Bangen u. E. P. Harris, 1976 ff. -
    Ausw. in Textslgg. z. Sturm u. Drang: Stürmer u. Dränger, 1. T.: K. u. Leisewitz, hrsg. v. A. Sauer, o. J. (1883);
    Sturm u. Drang, Dichtungen aus d. Geniezeit, hrsg. v. K. Freye, 3. T.: K., o. J. (1911);
    Sturm u. Drang, Dramat. Schrr., Plan u. Ausw. v. E. Loewenthal u. L. Schneider, Bd. 2, S. 9-358;
    F. M. K., ³1972;
    Sturm u. Drang, Dichtungen u. theoret. Texte, Ausgew. u. mit e. Nachwort v. H. Nicolai, Bd. 2, 1971;
    K.s Romane (Auszüge), bearb. v. H. Spreckelmeyer, 1941, repr. Nachdr. 1970. -
    Neudr. einzelner Werke: Otto, Trauersp., hrsg. v. B. Seuffert, 1881;
    Plimplamplasko, der hohe Geist, Faks.dr. d. Ausg. 1780, Nachwort v. P. Pfaff, 1966;
    Fausts Leben, Taten u. Höllenfahrt, mit Textrevision u. Anm. v. G. Erler, 1958, Nachwort v. Ch. Siegrist, 1964;
    Betrachtungen u. Gedanken üb. versch. Gegenstände d. Welt u. d. Lit. (Ausw.), mit e. Essay v. H. Schweppenhäuser, 1967;
    Sturm u. Drang, Schausp., mit Anhang z. Entstehungs- u. Wirkungsgesch., hrsg. v. J.-U. Fechner, 1970;
    Die Zwillinge, Trauersp., mit Nachwort v. K. S. Guthke, 1972.

  • Literatur

    ADB 16;
    E. Schulte-Strathaus, Bibliogr. d. Originalausgg. dt. Dichtungen im Za. Goethes, 1913, S. 196-217;
    M. Rieger, F. M. K., 1. T.: K. in d. Sturm- u. Drangperiode, 1880 (P), 2. T.: K. in seiner Reife, mit e. Briefbuch, 1896;
    O. Smoljan, F. M. K., Leben u. Werk, Aus d. Russ. übers. v. E. M. Arndt, 1962;
    Ch. Hering, F. M. K., Der Weltmann als Dichter, 1966 (ausführl. L-Verz.);
    H. H. Borcherdt, K.s Romanzyklus, in: ders., Der Roman d. Goethezeit, 1949, S. 76-103;
    R. Pascal, Der Sturm u. Drang, Autorisierte dt. Ausg. v. D. Zeitz u. K. Mayer, 1963 (engl. 1953, ²1959);
    G. Zilk, Faust u. Antifaust, Eine Studie z. Denken u. Dichten K.s, 1965;
    A. Hillach, K.s Sturm u. Drang im Lichte e. frühen unveröff. Briefes, in: Jb. d. Freien Dt. Hochstifts 1968, S. 22-35;
    H. Kaiser, Zur Struktur v. K.s „Faust“, ebd., 1970, S. 59-97;
    ders., K.s „Gesch. Raphaels de Aquillas“, in: Festschr. f. D. W. Schumann, 1970, S. 185-202;
    H. Arntzen, Die ernste Komödie, 1968, S. 71-112;
    G. Mattenklott, Melancholie in d. Dramatik d. Sturm u. Drang, 1968, S. 59-86 („Die Zwillinge“);
    Ch. Schwinger, Transindividueller Lebensbezug in Dramen K.s, Diss. Bochum 1969;
    H. Moenkemeyer, K.s „Betrachtungen u. Gedanken“ üb. dt. „Dichter u. Denker“, in: Festschr. f. D. W. Schumann, 1970, S. 203-20;
    K. S. Guthke, K.s „Zwillinge“, Höhepunkt u. Krise d. Sturm u. Drang, in: German Quarterly 43, 1970, S. 703-14;
    J. Schönert, Fragen ohne Antwort, Zur Krise d. literar. Aufklärung im Roman d. späten 18. Jh., in: Jb. d. Dt. Schillerges. 14, 1970, S. 183-229;
    F. Martini, Die feindlichen Brüder, Zum Problem d. gesellschaftskrit. Dramas v. Leisewitz, K. u. Schiller, ebd. 16, 1972, S. 208-65;
    T. Doke, Faustdichtungen d. Sturm u. Drang, in: Goethe, NF d. Jb. d. Goethe-Ges. 32, 1970, S. 29-49;
    E. Harris, „Der Tyrann v. Syrakus“, An unknown Version of K.s „Damocles“, in: Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen 210, 1973, S. 263-78;
    C. Reschke, K.s use of language, A linguistic and stylistic analysis of four of his early plays, Diss. Cornell Univ. 1973;
    G. Kaiser, K.s Schauspiel „Sturm u. Drang“, Zur Typol. d. Sturm u. Drang-Dramas, in: Unterss. z. Lit. als Gesch., Festschr. f. B. v. Wiese, 1973, S. 15-35;
    H. Segeberg, K.s Romandichtung, Unterss. z. Roman d. Spätaufklärung, 1974;
    D. Hill, Widersprüche in K.s „Giafar“, in: Jb. d. Freien Dt. Hochstifts, 1974, S. 75-90;
    F. Martini, in: Dt. Dichter d. 18. Jh., hrsg. v. B. v. Wiese, 1977, S. 816-42;
    Goedeke IV, 1;
    Kosch, Lit.-Lex.

  • Porträts

    Kreidezeichnung v. Goethe, 1775 (Frankfurt/M., Goethemus.), Abb. in: Der junge Goethe, Neue Ausg. v. M. Morris, 1910, IV, Taf. 13;
    Dramat. Jugendwerke I, hrsg. v. H. Berendt u. K. Wolff, 1912;
    Wilpert, Literatur in Bildern;
    Zeichnung v. J. H. Lips (Wien, Nat.bibl.), Abb. b. Rave;
    Kupf., um 1775 (Weimar, Goethe-Nat.mus.), Abb. in: H. Holtzhauer, Goethe-Mus., 1969, S. 147.

  • Autor/in

    Adalbert Elschenbroich
  • Zitierweise

    Elschenbroich, Adalbert, "Klinger, Friedrich Maximilian" in: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 83-89 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118563319.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Klinger: Friedrich Maximilian (von) K., Dichter, geb. zu Frankfurt a/M. am 17. Febr. 1752 als Sohn des städtischen Constablers Johannes Klinger und dessen zweiter Frau, der Tochter des verstorbenen Sergeanten Fuchs, die nach dem Tode des Mannes (14. Febr. 1760) die Familie (den Sohn — ein zweiter war frühe gestorben — und die Töchter Anna Katharina, geb. 1751, und Agnes, geb. 1757) durch Kleinkram und Waschen erhielt. K. besuchte bis zum Herbste 1772 unter mancherlei Beschwerden das Frankfurter Gymnasium und wurde den 16. April 1774 in Gießen als Jurist immatriculirt. In der Zwischenzeit ward er mit Goethe und seinem Kreis intim. Ob K. in dem Nebenbau von Goethe's Geburtshaus geboren ist, steht dahin. In Gießen wohnte er bei Höpfner. Albertine von Grün liebte den schönen Jüngling. Der Darmstädter Ernst Schleiermacher, dessen Schwester Jenny ihn anzog, war nach dem Musiker Kayser sein Busenfreund. Er verkehrte in Wetzlar und trat 1775 den Grafen Stolberg und Miller nahe. 1776 reiste Lenz durch Frankfurt nach Weimar. Ende Juni verließ K. Gießen und traf am 10. Juli in Goethe's neuem Sitz ein; herzlich aufgenommen, von gefälligen Schönen in Weimar, Gotha etc. verwöhnt, allmählich Goethen durch ungebärdiges Wesen lästig, von Kaufmann verleumdet. Er ging darum Anfang October nach Leipzig und wurde, den Gedanken an Kriegsdienste in Amerika aufgebend, sogleich Theaterdichter der Truppe A. Seyler's, dem er „Sturm und Drang“ überreichte. Seine Bühnenerfolge waren gering. Früher ein sittenstrenger Gegner Wieland's, huldigte K. seit 1775, stärker noch seit dem Dresdener Aufenthalt einem heitern Epikureismus, gerieth während der süddeutschen Theatercampagne in bedenkliche Lage (Mannheim, Mainz, Frankfurt), befreundete sich mit dem Maler Müller und zu Köln mit Heinse, verließ Ende Februar 1778 die Seyler’sche Gesellschaft, sprach bei Goethe's Schwager Schlosser, Lenzens Pfleger vor, wurde, von Schlosser empfohlen,|Lieutenant in einem kaiserlichen Freicorps bei Ulm, zog mit nach Böhmen und wandte sich nach Beendigung des bairischen Erbfolgekrieges in die Schweiz, wurde Freimaurer, lebte vom Ertrag seiner Romane, that im Kreise Sarasins (Basel) und als Gast Schlosser's manche Unart seines gährenden Wesens ab, suchte Dienste und im August 1780 wurde zu Mömpelgard die von Schlosser durch Herzog Friedrich Eugen vermittelte Bestallung als Lieutenant im russischen Seebataillon und Ordonnanzoffizier beim Großfürsten Paul, dem Schwiegersohn des Herzogs, fertig. Er reiste von Basel über Frankfurt nach Hamburg und schiffte sich am 20. Septbr. zu Lübeck nach Petersburg ein.

    In K. hat der rheinische Most lange gebraust. Er war einer der ungestümsten Stürmer und Dränger der Geniezeit, heftig und rebellisch im Leben und Dichten. Im Sommer 1774 dichtete er den „Otto", ein wirres ungenießbares Trauerspiel, voll von Motiven des Götz und des Lear. 1774 auf 1775 entstand „Das leidende Weib", ein bürgerliches Drama in der Richtung der Emilia Galotti und des Hofmeisters, doch ohne Lenzens laxe Ausgleichung, antiwielandisch, für die Genies (der Doctor ist Goethe) und gegen die Schöngeister, der vornehmen Hofgesellschaft zur Schande, mit natürlichen Kinderscenen, die er bis zu den Medeen nach Gerstenberg's und Goethe's Vorgang liebt, und Liebesscenen in Nachahmung von „Romeo und Julia", in der Charakteristik der Aristokratie carikirt, Rousseauisch elegisch im Abschluß. Ein freches Pamphlet von Göntgen „Die frohe Frau" wies er würdig ab. Am productivsten im Drama war er 1775. „Pyrrhus" sollte eine freie Historie werden. „Die neue Arria", erst vielleicht „Donna Viola“ genannt, ist politisch revolutionär. Er führt in mehreren Stücken verbrecherische oder schwache Fürsten vor, erliegende oder siegende Freiheitshelden zum Contrast. Er vereinigt hier Anregungen der E. Galotti und Richards III. mit solchen des Clavigo. Sein Hyperbelstil wird maßloser Bombast. Ebenso im „Simsone Grisaldo": der Held, dem biblischen Simson ähnlich, nur glücklicher, ist der ideale Kraftmensch. Einfluß romanischer Epik und des Gozzi regt sich; sinnliche Lust tritt stark und anerkannt hervor. Die Komik ist widerwärtig. Im August 1775 schuf er, mit Leisewitz wetteifernd, an einem Stoff der italienischen Geschichte die beliebte Bruderfeindschaft ausmalend und zum Kampf um die Rechte der Erstgeburt gewaltig steigernd mit energischer Berücksichtigung der Bühnenfähigkeit „Die Zwillinge“, die Ostern 1776 den Schröder-Ackermann’schen Preis gewannen, zu Weimar den „Wirrwarr", den Kaufmann in „Sturm und Drang" umtaufte. Dieser Titel wurde die Devise der Zeit. Wildheit und Spleen verzerren die Gestalten. „Romeo und Julie" und „Claudine" wirken auf die zerfahrene Handlung und Charakteristik. Als Theaterdichter nahm er sich im „Stilpo" zusammen und baute auf dem sehnsüchtigen Rufe des Al Hafi und der Beobachtung des Cagliostro’schen Treibens den märchenhaften „Derwisch" auf. Rousseau’sche Gedanken durchziehen alle Dramen. Die Romane der ersten Periode „Der neue Orpheus", „Prinz Seidenwurm", „Formoso" fanden wenig Beachtung, keine Nachwirkung. Mit Anlehnung an Wieland und französische Feenmärchen enthalten sie, nachlässig hingeworfen, wichtige satirische Bekenntnisse Klinger's über manichfache Strömungen der Zeit. Das Geniethum, das er in dem „Verbannten Göttersohn“ burlesk-titanisch gefeiert, und namentlich den Apostel Kaufmann half er im grobianischen „Plimplamplasko“ (großentheils von Sarasin) zu Ehren des puro senso verlachen. Er wurde strenger, herber und wollte der schwindelnden und empfindelnden Zeit in den „Falschen Spielern“ (Die Grecs"), im Septbr. 1781 zu Wien durchgefallen, einen Spiegel vorhalten, nach den ersten russischen Erfahrungen der frivolen Gesellschaft, die keiner Umkehr fähig, im „Schwur gegen die Ehe“. Unerfreuliche Werke. Die stramme Mäßigung hielt an, doch gehört namentlich „Der Günstling“ 1785 eng zu den deutschen politischen Stücken. Wir denken an Coriolan und Fiesco. Die Privatrache schwindet gegen die Pflicht fürs Vaterland. Während in „Elfride“ ein anziehendes, doch dem Dramatiker gefährliches Liebesproblem etwas frostig abgehandelt wird (vgl. Augsb. Allg. Zeitung 13, II, 1878), zwingt sich K. 1784 im historischen Drama „Konradin" zur edlen Ruhe gegenüber einem „Simson" und dergleichen Löwenkämpfern, folgt im „Roderico" der durch Schiller's Don Carlos eröffneten Kunstwelse, sucht in „Aristodemus" und „Damokles" seinen politischen Freisinn in antikes Gewand zu hüllen und setzt an die Stelle der früheren Machtweiber und neuen Arrien die leidenschaftliche „Medea in Corinth“, welche dann als „Medea auf dem Kaukasus“ Sühnung findet.

    Die Hauptwerke der russischen Zeit sind Romane. 1785 „Der goldene Hahn" (später „Sahir"), orientalisch märchenhaft, mit Satire gegen Kant, dem er allmählich näher rückte (Erdmann, Altpreuß. Monatsschrift 1878, S. 1 ff.). Seine bittere Weltanschauung legte er 1790—1797, immer noch in dem Bannkreis Rousseau's, dessen Emil sein Lieblingsbuch war, gefangen, in Romanen, meist nach dem Prinzip der idealen Ferne nieder — vgl. an Goethe 26. Mai 1814 — weltliche und geistliche Tyrannei brandmarkend. „Tausend und eine Nacht“ etc. gaben mehrfach die Einkleidung; Wieland-Danischmende, Swift-Gulliver Anregungen. Besonnenes Maß fehlt. Faust, Faust der Morgenländer, Giafar der Barmecide, Reisen vor der Sündfluth. In der Gegenwart spielen — der zehnte Roman, über die französische Revolution, kam nicht ans Ziel — die „Geschichte eines Teutschen der neuesten Zeit“, ernste Confessionen des Rousseauisten, der im Ernst von Falkenburg sein eigenes Werden und Streben spiegelt, und der die alten Gegensätze und Conflicte in K. ausgleichende Dialog „Der Weltmann und der Dichter". Sein Stil wurde allmählich herb und fest, wie sein Charakter. Auf dem russischen Isolirschemel wahrte er seinen deutschen Patriotismus und nahm, obwol durch die Vereinsamung geschädigt, regen Antheil an den litterarischen, politischen, religiösen. socialen Wandlungen des Vaterlandes, Seine Ansichten darüber und die ethischen Eroberungen seiner Laufbahn bekannte er 1891 ff. in den „Betrachtungen und Gedanken“.

    Strenge Selbstzucht und makellose Ehrenhaftigkeit führten ihn in Rußland schnell empor. Er reiste 1781 mit dem Großfürsten nach Italien. Er wurde activer Militär und rückte von 1785—1798 bis zum Generalmajor des Cadettencorps auf. 1801 Director dieses, 1802 des Pagencorps, 1803 Curator der Dorpater Universität, 1811 Generallieutenant. Er war ein Liebling des Hofes, fühlte sich aber stets als Fremdling unter den Russen. 1790 heirathete er Elisabeth Alexejew. Zwei Kinder starben früh; Alexander v. K. aber wurde als Adjutant Barclay's 1812 in der Schlacht von Borodino verwundet und überdauerte die Amputation des Fußes nicht. K. verstummte. Aber die alte Freundschaft mit Goethe wurde erneuert. „Dichtung und Wahrheit“ suchte den Jüngling aufs günstigste zu schildern; den Greis K. haben Gäste wie Arndt bewundernd angeschaut. 1817 und 1820 gab er seine Aemter zurück. Er starb am 25. Febr. (3. März) 1831.

    • Literatur

      Otto 1775 (neu: Deutsche Literaturdenkmale I, Heilbronn 1881). Die ersten Romane nie wiederholt. „Theater“ 4, Riga 1786 f. „Neues Theater“, 2, Leipzig 1790. „Werke“, Königsberg 1809 ff. Stuttgart. Cotta 1841, ibid. (darin auch „Das leidende Weib") 1878 ff.; unvollständig. — O. Erdmann, „Ueber F. M. Klinger's dramatische Dichtungen“, Königsb. Programm 1877. —
      Prosch, „Klingers Romane“, 1882. —
      E. Schmidt. „Lenz und Klinger. Zwei Dichter der Geniezeit“, Berlin 1878. — M. Rieger. „Klinger in der Sturm- und Drangperiode. Mit vielen Briefen“, Darmstadt 1880 (2. Band in Vorbereitung). — Goethejahrbuch III.

  • Autor/in

    Erich Schmidt.
  • Zitierweise

    Schmidt, Erich, "Klinger, Friedrich Maximilian" in: Allgemeine Deutsche Biographie 16 (1882), S. 190-192 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118563319.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA