Lebensdaten
um 1565 oder 1570 – 1642
Geburtsort
Schongau (Oberbayern)
Sterbeort
Brixen (Südtirol)
Beruf/Funktion
Plastiker ; Baumeister
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118788205 | OGND | VIAF: 44573102
Namensvarianten
  • Reichel, Hans
  • Richel, Hans
  • Reuchle, Hans
  • mehr

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Zitierweise

Reichle, Hans, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118788205.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V wohl Paul, Kunsttischler aus Sch., 1585 Bildschnitzer u. Tischler Ehzg. Ferdinands v. Tirol, 1587 v. bayer. Hzg.hof mit 1000 fl. entlohnt;
    M N. N.;
    1) Brixen 21.5.1602 Emma Mulletin, Wwe d. N. N., 2) Brixen 1617 N. N.

  • Biographie

    R.s Geburtsdatum wird aus den Nachrichten über seine Ausbildung erschlossen. 1586 Lehrjunge des Münchner Hofbildhauers Hubert Gerhard (um 1550–1620), der die Formen der höfisch-manieristischen Bronze- und Terrakottaplastik aus Italien nach Deutschland vermittelte, war R. 1587/88-94/95 selbst als Mitarbeiter des Giambologna am Florentiner Hof. Von dortigen Werken sind nur zwei Statuen aus ephemerem Material zur Hochzeit von Ghzg. Ferdinando I de' Medici 1589 im Stich überliefert. Seit 1587 arbeitete Giambologna am bronzenen Reiterstandbild des Cosimo I de' Medici für die Piazza della Signoria; 1591 und 1593 ist in den Quellen dazu R. als „Giovanni Tedesco“ erwähnt. Der Vertrag über den Guß des Pferdes nennt R. an erster Stelle unter den 18 Gehilfen Giambolognas. Offenbar waren es seine technischen und organisatorischen Fähigkeiten, die R. in der Werkstatt hervortreten ließen; in Abwesenheit des Meisters leitete er die Vorbereitungen zur Aufstellung des monumentalen Standbilds.

    1595 schuf R. in München für das Grabmal Hzg. Wilhelms V. v. Bayern (reg. 1579-97) in der Münchner Michaelskirche eine am Kreuzesstamm weinend niedergesunkene Maria Magdalena: sein frühestes erhaltenes Werk, nach Entwurf des Münchner Hofmalers Friedrich Sustris (um 1540–99) und eine seiner differenziertesten Figuren. Die spätere Manier, die Gesichter in großen kubischen Formen aufzubauen, ist hier noch nicht ausgeprägt; der Faltenwurf des weiten Mantels ist eine dekorativ arrangierte Kaskade.

    1596-1601 und 1607 lieferte R., an den Hof von Fürstbf. Kard. Andreas v. Österreich (1558-1600) nach Brixen übergesiedelt, 44 Terrakottafiguren von Vorfahren des Fürstbischofs für den Arkadenhof des geplanten Residenzbaus. Andreas' Nachfolger Christoph Andreas v. Spaur ließ die Statuen vergolden und im Festsaal aufstellen, im 19. Jh. wurden 24 davon bronzefarbig angestrichen in den Hof verbracht. Dabei bemühte R. sich nicht, seine Vorlage, die Habsburger-Bildnisstiche von Francesco Terzio, im Sinne des Florentiner Manierismus zu korrigieren, durch Massigkeit und reiche Ornamentierung erhalten sie eine gewisse wuchtige Würde, ganz im Geschmack der dt. Spätrenaissance.

    1601 wurde R. auf eigenen Wunsch in Brixen entlassen und ging nach Florenz, wo man seit 1596 unter Leitung des Gießers Domenico Portigiani an drei Bronzeportalen für den Pisaner Dom arbeitete. R.s Relief der „Geburt Christi“ (1601) verwendet Aufbauschemata Giambolognas. fügt aber naturalistische Details ein, so daß im Gesamteindruck eine perspektivisch nicht ganz durchgehaltene Kleinteiligkeit die kräftig modellierten Einzelfiguren überlagert.

    1603-07 schuf R. in Augsburg monumentale Werke in Bronze, die ihn auf der Höhe seiner Fähigkeiten zeigen und seinen Ruhm in der Kunstgeschichte begründet haben. In diesen Jahren entstand die überlebensgroße Bronzegruppe des Erzengels Michael, der Luzifer besiegt, für die Fassade des Zeughauses. R. rivalisierte hier mit der prominentesten zeitgenössischen Bronze Süddeutschlands, Gerhards Michael an der Münchner Michaelskirche. Sein zweites großes Werk in Augsburg ist die 1605 gestiftete bronzene Kreuzigungsgruppe für den Kreuzaltar von St. Ulrich und Afra, Teil einer Neugestaltung des Kircheninneren, für die Hans Degler die drei Hauptaltäre schuf und R. Chor und Schiff mit 32 Terrakottastatuen in Nischen (1873 bis auf Reste zerstört) ausstattete. Der Gekreuzigte und Magdalena zeigen Anlehnung an die Gruppe in der Münchner Michaelskirche, die, dort seit 1602 als Kreuzaltar aufgestellt, wohl die direkte Anregung zu dem Augsburger Projekt darstellte. Gegenüber R.s früherer Münchner Magdalenenfigur ist die Augsburger etwas voluminöser, Maria und Johannes sind pathetisch in den Raum ausgreifende Gestalten.|Mitunter läßt sich erkennen, daß R. sich auch an früheren Stilstufen als denen seiner Lehrergeneration orientierte, hier an gestalterischen Möglichkeiten der Dürerzeit.

    Das neuerbaute städtische Siegelhaus in Augsburg bekrönte R. 1606 mit einem Bronzeadler (heute Augsburg, Maximiliansmus.). Ein signiertes und 1605 datiertes Blatt mit Entwurfszeichnungen zu dem monumentalen Adler weist in der großzügigen, auf Weitsicht angelegten Modellierung auf barocke Formen voraus.

    1607 kehrte R. nach Brixen zurück, wo er noch über 30 Jahre – hochangesehen und offenbar vermögend – als fürstbfl. Baumeister wirkte. U. a. regulierte er die Wege zum Brennerpaß und erbaute die Türme des Brixener Doms. Aus diesen Jahrzehnten ist an plastischen Werken nur ein privat motiviertes, kleines Bronzerelief bekannt: eine von R.s Freund Hans Kempter für das Grabmal seines Vaters bestellte Kreuzabnahme. R.s plastisches Werk blieb ohne erkennbare Nachfolge; Schüler sind nicht bekannt. Dies erklärt sich zum einen aus seiner Biographie, zum andern aus dem Erliegen aller großplastischen Aufträge in den Zeiten des 30jährigen Krieges.

  • Werke

    Weitere W 44 Habsburger Fürsten u. 44 Wappen (Ton), 1596-1607 f. Brixen, Fürstbfl. Residenz (heute 32 in d. Residenz, 2 Innsbruck, Mus. Ferdinandeum, 1 Augsburg, Maximiliansmus.);
    Hll. Andreas, Georg u. Katharina f. Brixen, Dom, Hochaltar, sowie hll. Petrus u. Paulus am Tabernakel (Ton), vor 1600 (zerstört);
    Grabmonument d. Dompatrone Genuinus u. Albuinus (gefaßter Gips), 1602 (zerstört);
    Epitaph d. Kanoniker Eberhard Sturmfelder ( 1602) u. Heinrich Nagel v. Dirmstein ( 1601) mit Terrakottareliefs „Geburt u. Auferstehung Christi“, um 1602 (Augsburg, Domkreuzgang);
    Entwurfszeichnung zur Michaelsgruppe, um 1605 (ebd., Städt. Kunstslgg.);
    Stammbuchblatt: Allegorie d. Bildhauerkunst, Augsburg 26.5. (?) 1606 (Kopenhagen, Statnes Mus. for Kunst);
    32 überlebensgroße Heiligenfiguren f. Augsburg, St. Ulrich u. Afra (Terrakotta), 1603-07 (zerstört;
    5 Köpfe u. 1 Torso in Augsburg. Städt. Kunstslgg.;
    Zuschreibung);
    Epitaph d. Hans Kempter mit Bronzerelief d. Kreuzabnahme, 1629 (Bruneck/Südtirol, Liebfrauenkirche);
    Venus Callipygos, Kleinbronze (Oxford, Ashmolean Mus.;
    Zuschreibung).

  • Literatur

    R. A. Peltzer, Der Bildhauer H. Reichel aus Bayern u. seine Tätigkeit in Italien, Deutschland u. Tirol, in: Kunst u. Kunsthandwerk 22, 1919, S. 1-22;
    K. Feuchtmayr, Neues über H. Reuchlen, in: Kunstchronik u. Kunstmarkt 1922, S. 21-27;
    R. A. Peltzer, Reichels Entwürfe z. Michaelsgruppe in Augsburg, in: Das Schwäb. Mus. 2, 1926, S. 154 f.;
    F. Kriegbaum, in: Jb. d. Kunsthist. Slgg. in Wien, NF 5, 1931, S. 189-266;
    H. R. Weihrauch, Ein unbek. Werk v. H. R., in: Münchner Jb. d. bildenden Kunst 3. F, Bd. 2, 1951, S. 204-07;
    H. Geissler, Zeichnung in Dtld., Dt. Zeichner, 1540-1640, Bd. 1, Ausst.kat. Stuttgart 1979/80, S. 248 f.;
    D. Diemer, Quellen u. Unterss. z. Stiftergrab Hzg. Wilhelms V. v. Bayern u. d. Renata v. Lothringen in d. Münchner Michaelskirche, in: Quellen u. Studien z. Kunstpolitik d. Wittelsbacher v. 16. bis zum 18. Jh., hg. v. H. Glaser, 1980, S. 7-82;
    Welt im Umbruch, Augsburg zw. Renaissance u. Barock, Bd. 2, Ausst.kat. Augsburg 1980, S. 198-201, 264-66;
    Th. P. Bruhn, H. R. (1565/70-1642), A Reassessment of His Sculpture, Diss. Univ. of Pennsylvania 1981;
    Elias Holl u. d. Augsburger Rathaus, hg. v. W. Baer, H.-W. Kruft u. B. Roeck, Ausst.kat. Augsburg 1985, S. 163 ff.;
    J. Zimmer, J. Heintz d. Ä.: Zeichnungen u. Dok., 1988, S. 147 ff., 259;
    K. Kosel, Der Augsburger Domkreuzgang u. seine Denkmäler, 1991, S. 303-07;
    D. Diemer, Small Bronzes by Hubert Gerhard, in: Studies in the Hist. of Art 62, 2001, S. 195-209;
    ThB;
    Dict. of Art.

  • Autor/in

    Dorothea Diemer
  • Zitierweise

    Diemer, Dorothea, "Reichle, Hans" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 315-316 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118788205.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA