Lebensdaten
1890 – 1944
Geburtsort
Bayreuth
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Gewerkschafter ; Politiker ; Widerstandskämpfer
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118572245 | OGND | VIAF: 27863467
Namensvarianten
  • Leuschner, Wilhelm
  • Leuschner, Karl Friedrich Wilhelm
  • Leuschner, Carl Friedrich Wilhelm

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Zitierweise

Leuschner, Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118572245.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Wilhelm (1852–1926), aus Sachsen stammender Töpfer u. Ofensetzer in Bayreuth;
    M Marie Dehler (1863–1909) aus Donndorf b. Bayreuth;
    Darmstadt 1911 Elisabeth (1885–1971), T d. Modellschreiners Franz Batz u. d. Katharina Schneider;
    1 S, 1 T.

  • Biographie

    Eine ausgeprägte künstlerische Begabung bewog den jungen L., dem durch die bescheidenen Verhältnisse seines Elternhauses eine Weiterbildung verwehrt war, den Beruf des Holzbildhauers zu erlernen. Nach Ausbildungszeiten in Bayreuth und Leipzig fand er 1908 eine Anstellung als Möbelschreiner in Darmstadt, unterbrochen durch ein Semester an der Nürnberger Kunstakademie (1909/10). Nebenbei war er ständig bestrebt, sein Wissen durch Selbststudium zu erweitern. Nach seinem Eintritt in den Bildhauerverband 1908 wurde er bereits 1909 Bezirksleiter des Zentralverbandes der Bildhauer Deutschlands. In dieser Funktion hatte sein Einsatz für die Verbesserung der Lage der Arbeiter einen großen Erfolg, als es ihm gelang, im Darmstädter Bereich die ersten Tarifverträge in der holzverarbeitenden Industrie durchzusetzen. Zu dieser Zeit wurde er auch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Im 1. Weltkrieg war er 1916-18 Soldat an der Ostfront. Nach dem Kriege ist sein rascher politischer Aufstieg durch folgende Stationen gekennzeichnet: 1918 Soldatenrat, 1919 Vorsitzender des Gewerkschaftskartells für Darmstadt und Umgegend, Landesvorsitzender der Arbeiterjugend Hessens und SPD-Stadtverordneter in Darmstadt, 1922 SPD-Parteivorsitzender in Darmstadt und Mitglied des Provinziallandtages, 1924 Wahl in den Hess. Landtag, dort Wahl zum Vizepräsidenten, 1926 Bezirkssekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) für Hessen und Hessen-Nassau, 1928 Hess. Innenminister im Kabinett Adelung. In diesen und den folgenden Jahren bis 1933 war L. unermüdlich für die Verwirklichung des republikanischen Staatsgedankens und den Sozialcharakter der Demokratie tätig. Er förderte systematisch die Errichtung von Volkshochschulen. Die Vereinheitlichung des hess. Polizeiwesens und die Umwandlung in ein zeitweilig verläßliches Instrument der republikanischen Regierung gehören ebenso zu seinen Erfolgen wie eine umfassende Reform der Städte- und Gemeindeordnung Hessens. Zu den damaligen Mitarbeitern L.s zählten die späteren Widerstandskämpfer Carlo Mierendorff als Chef der Presseabteilung seines Ministeriums und Staatsrat Dr. Ludwig Sohwamb. Die Jahre 1930-33 waren geprägt von L.s entschiedenem Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus. Die durch ihn veranlaßte Veröffentlichung der „Boxheimer Dokumente“ nach den Hessenwahlen 1931, eines bei einer Unterredung von NS-Größen protokollierten Umsturzplanes samt Terrormaßnahmen gegen politisch Andersdenkende, hatte L. die erbitterte Feindschaft der Nationalsozialisten eingetragen. Eine Blokkierung wirkungsvoller politischer Arbeit in Hessen durch ein 1931 entstandenes parlamentarisches Patt veranlaßte die Führung des ADGB, L. zusätzlich in Berlin mit Aufgaben zu betrauen. Es war vorgesehen, daß er in absehbarer Zeit die Nachfolge des ADGB-Vorsitzenden Theodor Leipart antreten sollte. Im Nov. 1932 delegierte man L. in den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes in Genf, und Ende Januar 1933 rückte er in den Bundesvorstand des ADGB auf. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gab L. im März 1933 sein Amt als Innenminister auf und versuchte, mit den christlichen und anderen Gewerkschaften eine gemeinsame Verhandlungsposition gegenüber den Nationalsozialisten aufzubauen, um die Existenz der bestehenden Gewerkschaftsbewegung zu retten. Doch am 2.5.1933 erfolgte die Zerschlagungsaktion|gegen die Gewerkschaften. L. fiel der SA in die Hände und wurde drei Tage lang eingesperrt und mißhandelt. Seine Freilassung erfolgte nur, weil der spätere NS-Arbeitsfrontführer Robert Ley hoffte, daß L. bereit sein würde, vor dem Internationalen Arbeitsamt in Genf die neu eingeführte „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) als rechtmäßigen Nachfolger der Gewerkschaften zu legitimieren. Jedoch auf der Anfang Juni 1933 in Genf stattfindenden Sitzung bestätigte L. durch beharrliches Schweigen auf die Fragen der Delegierten die Vorwürfe gegen die Nationalsozialisten und die Illegalität der Aktion des 2. Mai. Er wurde nach seiner Rückkehr nach Deutschland sofort festgenommen und blieb bis Juni 1934 in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern in Haft. In den folgenden Jahren nutzte er seinen Posten als Leiter einer kleinen Metallwarenfabrik in Berlin, um während beruflich bedingter Reisen Kontakte zu ehemaligen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern aufzunehmen und auszubauen. Zu seinen Vertrauten gehörten u. a. der ehemalige Reichstagsabgeordnete Julius Leber und der christliche Gewerkschaftsführer Jakob Kaiser. L. kam bereits vor Ausbruch des 2. Weltkriegs zu der Einsicht, daß eine Beseitigung der NS-Herrschaft nur mit Hilfe des Militärs möglich sei. Die Kontakte zu militärischen Widerstandskreisen wurden durch die Einbeziehung von L.s Betrieb in die Rüstungsindustrie gefördert, denn ein hier angewandtes Patent zur Aluminiumhärtung hatte starkes Interesse gefunden, und Offiziere gingen bei ihm ein und aus. Nach Kriegsausbruch kam es u. a. zu Gesprächen L.s mit General v. Hammerstein-Equord und dem bei Hitler in Ungnade gefallenen Generaloberst Ludwig Beck. L. fiel auch eine Vermittlerrolle bei den abweichenden Konzepten der Gruppe um den Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler und des progressiveren Kreisauer Kreises des Grafen Moltke zu. So wuchs L. mehr und mehr in eine Schlüsselfunktion innerhalb jener Widerstandskreise hinein, die an der Verschwörung des 20. Juli 1944 beteiligt waren. Er wurde als wichtigster Vertreter der Arbeiterschaft bzw. der Sozialdemokratie angesehen. In der von den Hitlergegnern erstellten Kabinettsliste für eine Übergangsregierung war L. für das Amt des Vizekanzlers vorgesehen, während Beck als Staatsoberhaupt den militärischen, Goerdeler als Kanzler den bürgerlichen Widerstand repräsentieren sollte. L.s Freund Leber sollte Innenminister werden. Nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler wurde L. am 16.8.1944 aufgrund einer Denunziation verhaftet und am 8.9.1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.

    In den von L. in der Widerstandszeit erarbeiteten Konzepten für ein Deutschland nach Hitler hatte er zwar zeitweilig die Vorstellung Goerdelers von einer Einführung der Monarchie akzeptiert, drängte jedoch auf eine stärkere Beteiligung der arbeitenden Bevölkerung an der politischen Willensbildung. L. hatte bereits in den Jahren vor 1933 die Idee einer vereinigten, von den politischen Parteien weitgehend unabhängigen Gewerkschaftsbewegung verfochten. Diese Forderung wurde von den wenigsten seiner Zeitgenossen in ihrer Bedeutung anerkannt und geteilt, war jedoch in ihrer Konzeption richtungweisend für die nach dem 2. Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland entstandene Einheitsgewerkschaft. Neben dieser vereinigten Gewerkschaftsbewegung sah L. in der Sozialdemokratie die zweite tragende Säule der Arbeiterbewegung in dem von ihm angestrebten neuen deutschen Staat, die jedoch nur durch eine grundlegende Reform dieser Aufgabe gerecht werden könne. In der Weimarer Republik begangene Fehler und Irrtümer sollten dabei vermieden werden.

  • Literatur

    A. Leber, Das Gewissen steht auf, 1955 (P);
    H. Rothfels, Die Dt. Opposition gegen Hitler, 1958, 1969;
    J. G. Leithäuser, W. L., Ein Leben f. d. Republik, 1962 (P);
    E. Kosthorst, Von d. Gewerkschaftsbewegung z. Arbeitsfront u. Widerstand, 1963;
    L. Reichhold, Arbeiterbewegung jenseits d. totalen Staates, Die Gewerkschaften u. d. 20. Juli 1944, 1965;
    B. Scheurig (Hrsg.), Dt. Widerstand, 1963;
    L. Reichhold, Arbeiterbewegung jenkraten gegen Hitler, 1976;
    E. Kogon, W. L.s pol. Weg, in: W. L. -
    Auftrag u. Verpflichtung, 1977 (P);
    F. Osterroth, Biogr. Lex. d. Sozialismus, 1960;
    Gesch. d. dt. Arbeiterbewegung, Biogr. Lex., 1970.

  • Porträts

    Phot. (Bonn, Archiv d. soz. Demokratie);
    Büste (Wiesbaden, Hess. Landtag;
    Foto Marburg).

  • Autor/in

    Eberhard Flessing
  • Zitierweise

    Flessing, Eberhard, "Leuschner, Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 380-381 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118572245.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA