Lebensdaten
um 935 – nach 973
Geburtsort
im Herzogtum Sachsen
Sterbeort
Gandersheim
Beruf/Funktion
Dichterin ; Benediktinernonne ; Kanonisse
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118553941 | OGND | VIAF: 9927322
Namensvarianten
  • Hrotsvit
  • Roswitha von Gandersheim
  • Roswitha
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Zitierweise

Hrotsvit von Gandersheim, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118553941.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus sächs. Adelsfam.; die ältere Hrotsvit ( 927), d. v. 919 an Äbtissin in Gandersheim war, wird vielfach als Tante bzw. Großtante H.s angesprochen.

  • Biographie

    H. schrieb selbst ihren Namen gleichbleibend „Hrotsvit“ (mit zusätzlichem h in den flektierten Formen „Hrotsvithae“, „Hrotsvitham“ etc.) und deutete ihn als „starker Klang“ beziehungsweise „helltönende Stimme“. Philologisch ist diese eigenwillige Etymologisierung („hrôtswîth“ = ruhmstark) nicht ganz einwandfrei, unterscheidet sich aber vorteilhaft von späteren Deutungen des Namens als „Weiße Rose“, „Rascher Witz“, „Rauschewind“, „Roß- oder Rosenweide“ etc. Ja, sie erhellt höchst eindrucksvoll den Sinn und die Sendung dieses Lebens und läßt H.s dichterisches Werk als ein „literarisches Kompendium und Programm“ (R. A. Schröder) erkennen. Dagegen liegt der äußere Ablauf ihres Lebens im Dunkel, doch läßt sich aus ihren Dichtungen und insbesondere den Vorreden, Briefen und Widmungsschreiben, die sie diesen beigefügt hat, einiges Biographische erschließen.

    H. ist wohl schon in jungen Jahren in das Gandersheimer Stift eingetreten; sie war Kanonisse und keine Nonne, wie oft fälschlich angenommen worden ist. Doch neigte sie einem klösterlich strengen Keuschheitsideal zu und sah das Leben ihrer Stiftsschwestern im Zeichen entschiedener Jungfräulichkeit. Sie hat bereits früh zu dichten begonnen, und ihr wissenschaftlich anspruchsvolles Werk setzt einen jahrelangen, systematisch gründlichen Ausbildungsweg voraus. Entsprechend sind auch die moralischen Verdächtigungen der Dichterin als einer lüsternen Frau, die erst nach einer reichlich bewegten Vergangenheit den Schleier genommen habe und in den Darstellungen von Liebesszenen bedenkliche Erfahrung erkennen lasse, von allen Kennern entschieden zurückgewiesen worden. Was sich in ihren Dichtungen an Anstößigem findet, war nicht ihre eigene Erfindung, sondern stammte aus ihren Quellen. Überdies hat sie diese verfänglichen Stellen bemerkenswert gemildert. Ihre Werke sind die Frucht eines insgesamt ungefährdeten, tätig stillen Lebens in der Studierstube. Gandersheim bot ausgezeichnete Bildungsmöglichkeiten, und H. nennt zwei Lehrerinnen mit besonderer Dankbarkeit: die weise und gütige Rikkardis, die sie ins Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) einführte, und die vielseitig gebildete Äbtissin Gerberga II. ( 1001), die Schwester der Herzogin Hadwig, die sie in den humanistischen Fächern des Triviums (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) unterrichtete und zugleich ihre literarischen Ambitionen begünstigte. Auch der persönliche Kontakt mit führenden Gelehrten ist H. gewiß ebenso durch die hochgelehrte, in dem bayerischen Kulturzentrum Sankt Emmeram (Regensburg) ausgebildete Gerberga vermittelt worden wie die Verbindung mit der kaiserlichen Familie, mit Otto I. und Otto II., und mit EB Wilhelm von Mainz. Die Äbtissin erteilte ihr auch den Auftrag zu historischen Dichtungen. Überhaupt legte die lebenslange Freundschaft mit dieser aus der kaiserlichen Familie stammenden Lehrerin und Gönnerin weithin den Rahmen und die Richtung ihres Wirkens fest. Hinzu kam, daß H. selber aristokratischer Abkunft und von sächsischem Stammesstolz erfüllt war. Hieraus erklärt sich ihre dynastisch orientierte Geschichtsauffassung, ihr Engagement für die als gottgewollt erachtete Weltherrschaft der Sachsenkaiser. Wesentlich Gerberga verdankt H. die ausgebreitete Belesenheit (Alcuin, Boethius, Ekkehart I. u. II., Hieronymus, Horaz, Lucanus, Notker, Ovid, Prudentius, Sedulius, Statius, Terenz, Vergil und andere) und damit auch den Antrieb, ihre dichterischen Werke nach bestem Vermögen mit dieser erworbenen Gelehrsamkeit zu „schmücken“, sei es wie im „Pafnutius“ durch spitzfindige Darlegungen über Harmonielehre, sei es wie in der „Sapientia“ durch anspruchsvolles Dozieren über Zahlentheorie. Fest steht, daß Boethius ihre fleißig ausgeschöpfte philosophische Hauptquelle gewesen ist. Diese Höhe des Bildungsstandes muß als eine respektable Lebensleistung anerkannt werden. In der Anreicherung ihrer Dichtungen mit Elementen der Philosophie und Theologie hat sie eine ästhetische Erhöhung gesehen und|die Literatur wesentlich als eine Gelehrtenangelegenheit aufgefaßt. Es war ihr höchster Ehrgeiz, als Dichterin die Zustimmung der Gelehrten zu finden und sich als „magistra artium liberalium“ zu erweisen.

    Ihre Werke hat H. selber chronologisch und nach Kriterien des Inhaltes und der Form (Gattungen) in 3 Büchern zusammengestellt. Das 1. Buch, das durch eine Vorrede und Widmungsverse an die Äbtissin Gerberga eingeleitet ist, enthält 8 Legenden (7 in leoninischen Hexametern, 1 in Distichen). Ein kurzes Nachwort leitet zum Liber Secundus über, dem ebenfalls eine Vorrede sowie ein Brief an einige gelehrte Gönner vorausgeht; er bringt die Dramen der Dichterin: „Gallican“, „Dulcitius“, „Calimachus“, „Abraham“, „Pafnutius“, „Sapientia“ und ein Gedicht über die Johannesapokalypse. Auch das 3. Buch hat H. durch ein Vorwort eingeleitet; ihm folgen 2 Widmungsgedichte an Otto I. und Otto II. und eine Historie: „Carmen de gestis Oddonis I., imperatoris“. Historischen Inhaltes ist ferner H.s letzte (nur lückenhaft überlieferte) Dichtung „Primordia coenobii Gandeshemensis“, in der sie die Liudolfingische Gründung gegen Ansprüche der Hildesheimer Bischöfe verteidigte. Durch diese beiden Werke wurde H. die erste Geschichte schreibende Frau in Deutschland. Obwohl sie im Interesse der königlichen Familie manches verschleierte, hat sie doch viele wichtige Tatsachen und insbesondere im Gegensatz zu Widukind von Corvey, dem sie in der Beherrschung des Latein überlegen war, über die Ereignisse in Italien (Königin Adelheidl berichtet.

    H. dichtete zum Lobe Gottes und wollte insbesondere die heiligende Kraft jungfräulicher Christusbrautschaft in eindrucksstarken Beispielen vor Augen stellen. Ihre Dramen hat sie expressis verbis als Gegenstücke zu den lasziven (wenn auch formal eleganten) Komödien des Terenz entworfen: In der gleichen Darstellungsweise, in der man bisher von schändlicher Unzucht üppiger Weiber las, sollte nun die preiswürdige Keuschheit heiliger Jungfrauen gefeiert werden. Die Welt des göttlichen Wunders, der Heiligen und Märtyrer ist die Welt H.s, sowohl in den Legenden als auch in den Dramen und Historien. Immer geht es ihr um den Sieg des Ewigen über das Zeitliche, um die Realität des göttlichen Wunders, vor dem irdische Macht und Herrlichkeit zunichte werden. Die zum Teil grotesk mirakelhaften Begebenheiten, die sie darstellt, sollen sichtbar machen, daß bei Gott nichts unmöglich ist und daß gerade das Unglaubliche seine wirkende Wirklichkeit am stärksten bekundet. Denn wo das Absolute vergegenwärtigt werden soll, hat das Wunder eine legitime Funktion. Deshalb handelt es sich in diesen Dichtungen um schockierende Mirakel- und Märtyrergeschichten, um Verstrickungen in Sünde und reuige Umkehr, um Passionen und Konversionen, um „unerhörte Begebenheiten“, an denen demonstriert werden soll, wessen der Mensch im Guten wie im Bösen fähig ist. Um die Gefährdetheit der menschlichen Natur zu enthüllen, werden die Irrungen der von Gott Abgefallenen jeweils unretouchiert – in der radikalen Form des Exzesses – vergegenwärtigt und Heilige mit Dirnen konfrontiert. Dem entspricht die gestalterische Technik, insbesondere der Zug zur Konzentration und Kulmination der Handlung in einem einzigen Augenblick. Im „Abraham“, dem Meisterwerk H.s, ist das am vollkommensten gelungen. Bekehrung im Bordell – auf diese krasse Formel lassen sich Inhalt und Motiv dieses Dramas bringen.

    H.s Motive sind stets einfach und eindeutig. Die Welt der Werte, die sie vertritt, ist eng, aber stark empfunden und absolut gesetzt. Exemplarische Verdeutlichung der christlichen Heilslehre ist das Ziel. Als Letztes und Höchstes erscheint die Verwirklichung des geistlichen Lebensideals: aulam caelestis patriae cum palma virginitatis introire. Auch die Gesamtkomposition des dichterischen Werkes, der Parallelismus, der die Legenden- und Dramenreihe als „wohlgefügten doppelten Kreislauf“ (H. Kuhn) erscheinen läßt, verweist auf einen das Ganze bestimmenden gestalterischen Plan. Diese programmatische Bewußtheit der Gesamtplanung bezeugt sich auch in der Haltung H.s zu ihren Quellen. Gewiß will sie diese inhaltlich zuverlässig wiedergeben, aber sie leistete „mehr als nur die formale Umsetzung einer Prosaquelle in Verse: sie dichtete“ (Stach) und bewährte so eine bemerkenswerte gestalterische Selbständigkeit.

    H.s eigentliche Leistung und Bedeutung liegt ohne Frage im Bereich des Dramas. Ihr dramatisches Ingenium war so ausgeprägt, daß sie auch in den Legenden und Historien nicht lediglich berichtete, sondern die zu erzählenden Begebenheiten mit Vorzug in lebendig gestalteten Redeszenen vergegenwärtigte. Entscheidend ist jedoch, daß sie auch formal den Schritt zur dramatischen Gattung vollzog und religiöse Novellenstoffe zu aufführbaren Theaterstücken formte. In den Berichten der „acta sanctorum“ und „vitae patrum“ erspürte sie die in Rede und Gegenrede, Spannung und Lösung sich darbietende „dramatische“ Fabel. Zielsicher griff sie solche Stoffe heraus, die eine Mischung des Tragischen mit dem Burlesken aufwiesen und ihr dadurch ermöglichten, ihr darstellerisches Talent nach verschiedenen Seiten zu entfalten. Der „Dulcitius“ zeigt, daß sie wachen Sinn für bühnenwirksame Entfaltung des Komischen besaß. Ihre Hauptstärke aber lag in der Kunst des Dialogs, in der Fähigkeit, erregendes Geschehen allein durch den Redeauftritt zu vergegenwärtigen. Dieser autonom dramatischen Wortkunst entspricht die scharfe Profilierung der Charaktere. Spieler und Gegenspieler verkörpern jeweils moralische Kräfte. Infolgedessen sind die Helden und Heldinnen stets in unausweichliche sittliche Konflikte gestellt, die sie zum Selbstopfer für die vertretenen höheren Werte verpflichten. Heidnische Diktatoren und grausame Christenverfolger, Repräsentanten totalitärer Hybris also, oder Vertreter des Lasters stehen ihnen gegenüber, so daß sich diese Stücke auch durch die Problemstellung und die Eigenart der Personen als wirkungsvolle Theaterdichtung erweisen.

    Die Frage, ob diese Dramen von H. als Theaterstücke konzipiert und im Mittelalter auch aufgeführt wurden, ist bis heute umstritten. Doch spricht die größere Wahrscheinlichkeit dagegen. Es fehlt jeder historische Anhalt, und H. selbst äußerte kein einziges Wort, das solche Absichten erkennen läßt. Wie die Komödien des Terenz, die ihre formalen Vorbilder waren, hat sie wohl auch ihre Stücke als Lesedichtung aufgefaßt. So blieb es erst der neuesten Zeit vorbehalten, die Bühnenfähigkeit dieser Dramen zu erweisen. Seit 1900 sind sie wiederholt und mit zunehmendem Erfolg in Deutschland, England, Amerika, Dänemark und der Schweiz gespielt worden. Daß gerade die jüngsten theatralischen Darstellungen (Heidelberg 1962 und 1963) die stärksten Wirkungen zeitigten, ist kein Zufall. Denn diese Dramen aus dem 10. Jahrhundert wirken in ihrer gestalterischen Technik erstaunlich modern. Sie repräsentieren weithin „Episches Theater“ im Sinne Brechts, also „Lehrtheater“ mit ideologischen Demonstrationsabsichten. In einer exemplarischen Handlung werden jeweils Grunderfahrungen der Zeit als ausgebreitete Bilderfolge vor Augen gestellt.

  • Werke

    W Verz. b. Nagel, s. L;
    - Hss.: alle W außer d. „Primordia“ überliefert in: Clm 14448, 10. Jh. (Haupths., mit fragwürdigen Radierungen u. „Verbesserungen“ v. C. Celtis), danach Abschr., Ende 15. Jh., Pommersfelden (ohne d. Eingriffe v. Celtis);
    Primordia, in: Gandersheimer Hs. (verschollen, nach e. Abschr. a. d. 15. Jh. Editionen d. „Primordia“ v. Leibniz (1710) u. Pertz (1841), vgl. d. Verz. b. Nagel, s. L). - Editio princeps:
    Opera Hrosvite illustris virginis et monialis Germane gente Saxonica orte nuper a Conrade Celte inventa, 1501 (nach Clm 14448; mit Ill. v. A. Dürer u. W. Traut, fiktives P v. Dürer); 1. vollst. Ausg.:
    K. A. Barack, Die Werke d. H. 1858;
    - krit. Ausgg.:
    Hrotsvithae opera, hrsg. v. P. v. Winterfeld, 1902;
    Hrotsvithae opera, hrsg. v. K. Strecker, 1906, ²1930 (letztgültige Ed.). - Überss.: dt.: Sämtl. Werke, übers. v. H. Homeyer, 1936;
    dies., Hrotsvithae opera, 1970;
    Sämtl. Dichtungen, übertr. v. O. Baumhauer u. a., 1966;
    - franz.:
    Dramen, übers. v. Ch. Magnin, 1845;
    Legenden, übers. v. V. Rétif de la Bretonne, 1854; engl.:
    Dramen, übers, v. Ch. v. St. John, 1923, v. H. J. W. Tillyard, 1923;
    nicht dramat. Dichtungen, übers. v. M. G. Wiegand, 1936.

  • Literatur

    ADB 29 (unter Roswitha);
    G. Freytag, De H. poetria, Diss. Breslau 1839;
    Ch. Magnin, Théatre de H., 1845;
    F. Löher, H. u. ihre Zeit, 1858;
    J. Aschbach, Roswitha u. Celtes, ²1868;
    R. Köpke, Die älteste dt. Dichterin, 1869;
    K. Strecker, H. v. G., in: Neue Jbb. f. d. klass. Altertum 11, 1903;
    P. v. Winterfeld, H.s lit. Stellung, 1905;
    ders., in: Dt. Dichter d. lat. MA, hrsg. v. H. Reich, ⁴1922;
    B. Jarcho, Stilquellen d. H., in: Zs. f. dt. Philol. 62, 1925;
    ders., Zu H.s Wirkungskreis, in: Speculum 2, 1927, S. 343 ff.;
    F. Preißl, H. v. G. u. d. Entstehung d. ma. Heldenbilds, 1939;
    W. Stach, Die Gongolf-Legendu b. H., in: HV 30, 1935, wieder in: ders., Mittellat. Dichtung, 1969;
    E. Zeydel, Knowledge of H.s works prior to 1500, in: Modern Language Notes 59, 1944;
    ders., The reception of H. by the German humanists after 1493, in: Journal of English and Germanic philol. 44, 1945;
    ders., A chronological H.-Bibliogr. through 1700, ebd. 46, 1947;
    ders., Were H.s dramas performed during her lifetime?, in: Speculum 20, 1945;
    R. H. Five, H. of G., 1947;
    H. Kuhn, H.s v. G. dichter. Progr., in: Dt. Vjschr. 24, 1950;
    H. Goetting, Die Anfänge d. Reichsstifts Gandersheim, in: Braunschweig. Jb. 31, 1950;
    M.-M. Butler, H., The Theatricality of her plays, 1960;
    K. Kronenberg, Roswitha v. G., Leben u. Werk, 1962;
    R. Düchting, H. v. G., Adam Wernher v. Themar u. Guarino Veronese, in: Ruperto-Carola 33, 1963;
    B. Nagel, H. v. G., 1965 (W, L. Daten z. Überlieferung u. d. Aufführungen);
    H. v. G., Her life, time and works, and a comprehensive bibliogr., hrsg. v. A. L. Haight, 1965;
    K. Langosch, in: ders., Profile d. lat. MA, 1965, S. 189-225;
    M. Schmidt, Oriental. Einfluß auf d. dt. Lit., Qu.geschichtl. Stud. z. „Abraham“ v. H. v. G., in: Colloquia Germanica 2, 1968;
    M. Fuchs, Die niedersächs. Nachtigall, Aus d. Welt Roswithas v. G., in: Begegnung 24, 1969;
    Wattenbach;
    Manitius;
    Vf.-Lex. d. MA II, V;
    Eppelsheimer I, II, IV-IX.

  • Porträts

    Kein authent. Bildnis;
    Darst. e. Kanonisse d. H.-Zeit auf Gandersheimer Reliquienbehälter, 2. H. d. 10. Jh., in Elfenbeinschnitzerei, Abb. b. Kronenberg, s. L.

  • Autor/in

    Bert Nagel
  • Zitierweise

    Nagel, Bert, "Hrotsvit von Gandersheim" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 676-678 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118553941.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Roswitha: eigentlich Hrotsuitha, Benedictinernonne und erste deutsche Dichterin, aber in lateinischer Sprache. Was vorerst die Schreibweise des Namens betrifft, der in niederdeutscher Sprache die Form Hrôtsvîth hat, in oberdeutscher hingegen als Hruotsvintha sich darstellt, und auch sonst in verschiedenen Wendungen wie Hrosuind, Hroßwind, Hroadswind u. s. w. vorkommt, so ist zu bemerken, daß die Dichterin selbst in ihren Schriften sich gewöhnlich Hrotsuitha, einmal Hrotsvit nennt. Sie selbst deutet den Namen in ihrer Praefatio zu den Dramen als: clamor validus Gandeshemensis, die stark tönende Stimme von Gandersheim. Inbetreff der Erkenntniß ihrer|Lebensverhältnisse sind wir fast ausschließlich auf einzelne Aeußerungen in ihren Schriften angewiesen. Im Allgemeinen steht fest, daß sie eine Nonne des von dem sächsischen Herrscherhause gestifteten Klosters Gandersheim war und in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts lebte und schrieb. Ihrer Abstammung nach gehörte sie wohl nicht dem sächsischen Kaiserhause an; sie sagt nämlich in der Vorrede zum 1. Buche ihrer Werke, daß ihre Aebtissin Gerberga zwar jünger, aber viel gelehrter ut imperialem decebat neptem sei; damit entschuldigt R. gewissermaßen ihren niederen Bildungsgrad vor Gerberga damit, daß sie niederer Abstammung sei. Die Hypothese, R. sei eine griechische Prinzessin gewesen, stützt sich lediglich auf den Umstand, daß zur Zeit der Kaiser Otto II. und Otto III. Verbindungen zwischen dem sächsischen und griechischen Kaiserhause bestanden; auch spricht der Name R. entschieden gegen diese Aufstellung. Ebensowenig kann R. mit der Dichterin Hilda Heresvida, welche Aebtissin im Kloster Streonesheale und Tochter Hederich's, eines northumbrischen Königs war, identificirt werden, denn diese lebte um dreihundert Jahre früher ( 680). Nicht größeren Werth hat die Ansicht, R. sei der adeligen Familie Rossow entstammt; sie beruht auf einer unrichtigen Ableitung des Wortes Roswitha. Einer festen Stütze entbehrt auch jene Meinung, nach welcher die Heimath Roswitha's in der Nähe der Nordsee zu suchen wäre, weil sie in ihren Schriften so lebendig wie aus unmittelbarer Anschauung das Meer und seine Bewegungen schildert und so naturgetreu das Leben der Fischer am Meeresstrande beschreibt: dies Alles konnte R. recht wohl auch aus den Classikern kennen. Wahrscheinlichst stammte R. aus einem sächsischen adeligen Geschlechte, da durch mehrere Jahrhunderte in die Frauenklöster überhaupt, besonders aber in das so vornehme Stift Gandersheim nur Töchter des landgebornen Adels aufgenommen wurden. Die Zeit ihrer Geburt dürfte ziemlich sicher um 932 anzusetzen sein, da sie in der praefatio zu den Legenden sagt, daß sie etwas älter als Gerberga sei, wir aber von dieser bestimmt wissen, daß sie zwischen 939 und 941 geboren worden. R. trat ohne Zweifel sehr jung nach damaliger Sitte ins Kloster ein. Hier erwarb sie sich unter der Leitung mehrerer Lehrerinnen, unter welchen sie eine gewisse Riccardis und Gerberga (die spätere Aebtissin Gerberga II.) besonders erwähnt, jene Fülle von Kenntnissen, welche wir in ihren Schriften bewundern; von Gerberga namentlich wurde sie mit den alten römischen Classikern, mit Horaz, Ovid, Virgil, Plautus und Terenz, mit den christlichen Dichtern Prudentius und Sedulius vertraut gemacht. Ihre Schriften geben hiervon zahlreiche Belege, namentlich das von ihr geschriebene Drama: „Paphnutius“ führt uns in ihren Bildungsgang so ziemlich ein. Ob R. auch griechisch verstand, ist nicht sicher ausgemacht; doch beruft sich die bejahende Ansicht nicht mit Unrecht auf die vielen in ihren Werken vorkommenden griechischen Worte, wie usia, d iapanton, diatessaron, auf einige an das Griechische erinnernde Constructionen wie nocere aliquem, sowie insbesondere auf die Tradition, daß in Gandersheim zu Pfingsten alljährlich die Evangelien in griechischer Sprache gesungen worden seien und daß die griechische Kaiserstochter Theophano, die Gemahlin Otto's II., die Nonnen in Gandersheim zur Erlernung des Griechischen angeeifert habe. Nicht selten wird unsere Dichterin R. mit der gleichfalls gelehrten vierten Aebtissin von Gandersheim Roswitha (919—927) verwechselt. Sowie wir über die Lebensverhältnisse Roswitha's überhaupt wenig bestimmtes wissen, so sind die Berichte über die Zeit ihres Todes insbesondere noch mehr unsicher. Ohne Zweifel lebte R. noch einige Zeit nach 968, denn in diesem Jahre starb Erzbischof Wilhelm von Mainz, dem sie das Gedicht auf Kaiser Otto I. widmete; nach diesem Gedichte verfaßte sie erst später das „Carmen de primordiis coenobii Gandersheimensis“. Manche verlegen den Tod|Roswitha's ins Jahr 1002, indem sie nach einer alten Chronik der Bischöfe von Hildesheim (bei Leibnitz, Script. rerum Brunsvic. II, p. 787 und 788) die Thaten aller drei Ottonen besungen haben soll; dazu kömmt, daß nach einer verbürgten Tradition R. bald nach ihrer Aebtissin Gerberga II., deren Todesjahr 1001 feststeht, gestorben sei; so hätte sie also in ihrer stillen Klosterzelle ein Alter von ungefähr 70 Jahren erreicht.

    Im Gegensatze zu dem verhältnißmäßig wenigen, was wir über die Lebensumstände Roswitha's wissen, bieten die Werke derselben desto mehr Anhaltspunkte zu eingehenden Erörterungen. R. selbst theilte ihre Werke in drei Bücher ein, von denen das erste 8 geistliche Dichtungen, auch Legenden genannt, das zweite 6 Dramen, das dritte 2 historische Gedichte, eines De gestis Ottonis I. imperat., das zweite De primordiis coenobii Gandersh., enthält. Außerdem sind in neuerer Zeit noch zwei kleine Gedichte von R. bekannt geworden. Bevor wir jedoch diese Schriften im einzelnen behandeln, ist es durchaus nöthig, vorher die Geschichte derselben kurz zu besprechen.

    Im Mittelalter waren die Schriften Roswitha's fast ganz verschollen. Dies erklärt sich vorerst daraus, daß nach der Blüthezeit Gandersheims unter Gerberga und R. sehr bald das wissenschaftliche Studium daselbst in tiefen Verfall gerieth und so die Werke Roswitha's, die ursprünglich für einen kleineren Kreis berechnet waren und von denen anfänglich nicht gar viele Abschriften genommen worden waren, in Vergessenheit geriethen. Eine einzige flüchtige Spur jener Schriften begegnet uns im 12. Jahrhundert bei Eberhard, einem Priester zu Gandersheim, der das Carmen de primordiis benützte. Nach dem fernen berühmten Reichstifte St. Emmeram in Regensburg verirrte sich eine Handschrift der Werke Roswitha's, die um so werthvoller ist, als sie die einzige bekannte Handschrift ist, der Ausgangspunkt der Entdeckung der Werke Roswitha's und auch die mittelbare oder unmittelbare Grundlage aller Ausgaben wurde. Diese Handschrift kam bei der Säcularisirung in die königl. bairische Hof- und Staatsbibliothek zu München, wo sie unter der Signatur Cod. lat. 14485 aufbewahrt wird. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts machten fast gleichzeitig zwei wissenschaftlich gebildete Männer, die Humanisten Johann Trithemius, Abt von Sponheim, und der lorbeergekrönte Dichter Konrad Celtes auf die Schriften Roswitha's aufmerksam. Im J. 1494 gab Trithemius die Schrift De scriptoribus ecclesiasticis zum ersten Male heraus, in der er von R. und ihren Werken bereits spricht; im selben Jahre, am 24. Januar 1494, bestätigt der Prior von St. Emmeram, daß er dem Poeten K. Celtes ein Buch geliehen habe, das in Vers und Prosa die Editio cujusdam monialis enthalte (vgl. Klüpfel, De vita et scriptis C. Celtis II, 78). Es ist nun möglich, daß Trithemius von Celtes schon vor 1494 auf Roswitha's Werke aufmerksam gemacht wurde, und in diesem Falle wäre Celtes als der erste Entdecker, den er sich auch in seiner Ausgabe von Roswitha's Schriften nennt, wirklich anzusehen; es ist aber auch denkbar, daß Trithemius, bevor er den Codex von St. Emmeram aus erhielt, bei seinen mehrjährigen Forschungen nach Handschriften und bei seinen engen Beziehungen zu den verschiedenen Stiftern, früher Einsicht in den Codex zu St. Emmeram nahm und aus diesem die Notizen für sein oben genanntes Werk schöpfte; dann würde dem Trithemius die Palme der Entdeckung gebühren. Aus Trithem's Werke gelangte eine kurze Nachricht über R. über die Alpen, indem der 1483 abgesetzte Doge von Genua, Battista Fulgoso in seiner Schrift De dictis factisque memorabilibus collectanea, welche nach dessen Tode von Camillo Ghilino ins Latein übersetzt und 1509 zu Mailand herausgegeben wurde, im Capitel de claris seminis nach Sappho, Zenobia u. a. R. folgen läßt und von ihrer Gelehrsamkeit spricht. Sicher ist ferner, daß 1494—1495|Trithemius den oben genannten Codex von Celtes leihweise in Händen hatte und benützte; wahrscheinlich schrieb er damals den Codex ab und diese Abschrift scheint der sog. Pommersfelder Codex zu sein. Jedenfalls ist aber Celtes als der erste Herausgeber der Werke Roswitha's zu betrachten; seine Ausgabe 1501, Nürnberg, ist mit mancher Willkür gearbeitet, indem er die Reihenfolge der einzelnen Schriften abänderte, viele durchaus nicht immer glückliche Correcturen anbrachte, Ueberschriften und Summarien hineinsetzte u. dgl. Diese Ausgabe enthielt die 6 Dramen, die 8 Legenden und ein unvollständiges Gedicht, welches das Carmen de gestis Ottonis I. repräsentirt. Einen weiteren Fund betreffs der Werke machte Bodo, ein Mönch des von Gandersheim aus gegründeten Klosters Clus, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, indem er das Carmen de primordiis coenobii Gandersh. entdeckte; später veröffentlichte Schaten (in Annal. Paderborn. I, 128) im J. 1693 einige Verse dieses Carmens. Leuckfeld (in Antiquitates Gandersh. 410 sqq.) im J. 1709, Leibniz (Script. rer. Brunsvic. II, 319 sqq.) und Harenberg (Historisch Ganderh. p. 469 sqq.) im J. 1734 edirten das ganze genannte Carmen. Endlich brachten Bendixen und Barack in ihren Ausgaben zwei kleine, noch nie veröffentlichte Gedichte Roswitha's.

    Nach einigen Gesammtausgaben und zahlreichen Ausgaben einzelner Schriften trat Aschbach 1867 in einer in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften im Monate Mai veröffentlichten Abhandlung, die auch als Separatabdruck: Roswitha und C. Celtes, Wien 1867 erschien, mit der überraschenden Behauptung auf, daß sämmtliche, von Celtes unter dem Namen der R. herausgegebenen Schriften eine großartige Fälschung seien, welche Celtes und seine Genossen aus der Societas litteraria Rhenana auf Grundlage eines von Celtes aufgefundenen Legendenbuches der R. vollbracht hätten. Ja, Aschbach ging in der 2., vermehrten Auflage seiner Schrift (Wien 1868) soweit, die Echtheit des in München aufbewahrten Codex in Abrede zu stellen. Dennoch ist ganz entschieden an der Echtheit der Werke Roswitha's festzuhalten; denn a) der Codex Monacensis ist von den gründlichsten Paläographen, wie Pertz, Jaffé wiederholt eingehend untersucht und als Erzeugniß des 10. oder 11. Jahrhunderts anerkannt worden; ob derselbe Roswitha's Autograph sei, wie Celtes meinte, bleibt dahingestellt; über den Codex sowie sein Verhältniß zur Ausgabe des Celtes handelt Ruland im Serapeum, Würzburg 1857. b) Ein Hauptargument Aschbach's, nämlich daß der Codex, den Celtes in Regensburg fand, nur ein Legendenbuch Roswitha's, das dann Celtes vernichtet hätte, gewesen wäre, daß derselbe nicht aber die Schriften, die Celtes in seiner Ausgabe von 1501 veröffentlicht, enthalten habe, entbehrt jeden historischen Anhaltspunktes. c) Die Stellen, welche Aschbach aus dem Briefwechsel des Celtes mit seinen Freunden für die Hypothese der Fälschung anführt, sind unrichtig erklärt; insbesondere ist es d) unrichtig, daß Celtes jemals die R. mit dem im genannten Briefwechsel vorkommenden Ausdrucke: Cimbrica Barbara bezeichnete; Ruland (im Bonner Theol. Literaturblatte, Jahrgang 1869, Sp. 102 ff.) erbrachte den Beweis, daß Cimbrica Barbara nichts anderes sei als der Titel des 4. Buches der Libri amorum des Celtes; endlich e) kommt die gute Latinität der Gedichte Roswitha's, die ein Beweis sein soll, daß dieselben erst im Humanistenzeitalter entstanden sein könnten, auch in dichterischen Werken der Mönche des 11. und 12. Jahrhunderts z. B. bei Leutold von Mondsee ebenso bestimmt vor. Gegen Aschbach haben die Echtheit der Schriften Roswitha's vertheidigt G. Waitz in den Göttinger Gelehrten Anzeigen, Jahrgang 1867, S. 1261—1270; besonders aber R. Köpke in Hrotsuit von Gandersheim, Berlin 1869 (als 2. Band der Ottonischen Studien erschienen), vorzüglich Beilage 2, Ruland a. a. O.

    Nach der kurzen Darstellung der Geschichte der Entdeckung und der Echtheit der Werke Roswitha's sind dieselben nun im einzelnen nach Inhalt, Veranlassung, Plan, Disposition, Zeit der Abfassung u. s. w. zu besprechen.

    I. Die acht Legenden. Denselben geht, wie jedem der 3 Bücher, in welche R. selbst ihre Schriften gesammelt hat, eine Praefatio voraus, in der R. die Leser um nachsichtige Beurtheilung der folgenden Gedichte bittet und sich ferner entschuldigt, daß sie die Stoffe derselben, welche das Leben Christi, Mariens und der Heiligen behandeln, apokryphen Schriften entnommen habe; sie glaubt die Nachsicht der Leser um so eher beanspruchen zu dürfen, als sie ganz allein, ohne Unterstützung ihre Arbeiten verfaßt habe. Die Legenden sind sicher unter allen Schriften Roswitha's zuerst geschrieben; das geht aus der Stellung derselben hervor, indem die Reihenfolge der Schriften im Codex Monac. im allgemeinen auch die chronologische Aufeinanderfolge derselben bezeichnet, wie wir aus verschiedenen Momenten schließen können; ferner bekunden die späteren Schriften einen entschiedenen Fortschritt im Vergleiche zu den Legenden, endlich sagt R. in der Vorrede zu den Legenden, daß sie dieselben noch im jugendlichen Alter verfaßt habe. Nach der Zeit der Abfassung und Herausgabe können die Legenden in zwei Gruppen getheilt werden. Zuerst schrieb R. die ersten 5 Legenden und widmete sie in 6 Distichen ihrer Lehrerin Gerberga, welche sie verbessern sollte; diese ersten 5 sind vor 962, dem Datum der Kaiserkrönung Otto's I. geschrieben, da R. in den genannten Distichen Gerberga, welche eine Nichte Otto's I. war, mit den Worten: regalis proles stirpis anredet. Nicht lange darauf verfaßte R. die weiteren 3 Legenden und schrieb eine Praefatio, die sie der ganzen Sammlung vorausschickte, in welcher Gerberga imperialis neptis genannt wird, also sind diese nach 962 gearbeitet. Im Cod. Monac. finden sich vor den einzelnen Legenden Titel, die wahrscheinlich von R. selbst herrühren; hingegen sind von der Hand des Celtes Inhaltsangaben, argumenta genannt, die nicht immer gelungen sind, in den Codex hineingeschrieben, welche in die Gesammtausgabe von Celtes, Schurzfleisch und Migne aufgenommen, in jener von Barack hingegen mit Recht ausgelassen wurden. Erste Gruppe: 1) Maria oder: Historia nativitatis laudabilisque conversationis intactae Dei genitricis, quam scriptam repperi sub nomine s. Jacobi fratris Domini. Dieses erste Gedicht besteht aus 903 Versen, von denen die ersten 44 in 22 Distichen die Widmung des ganzen Gedichtes an Maria enthalten, die Verse 45—863 das Thema behandeln und die Verse 864—903 einen Epilog bilden; die Verse 45—903 sind Hexameter. Das ganze Gedicht hat zum Inhalte das Leben Maria's von ihrer Geburt bis zur Flucht mit dem Jesukinde nach Egypten und zwar nach dem apokryphen Proto-Evangelium des Jacobus; vgl. Tischendorf, Evangelia apocrypha 1 sqq. Lips. 1876. 2) De ascensione Domini, auch überschrieben (bei Bodo): De resurrectione Domini, stellt auf Grundlage einer von einem Bischofe Johannes aus dem Griechischen ins Latein übersetzten Geschichte in 146 Hexametern die Himmelfahrt Christi, seine Ansprache an Maria und an die Jünger legendenhaft dar. R. folgt besonders genau der genannten Vorlage, nur erwähnt sie, was ihr eigenthümlich ist, unter der Zahl der Heiligen, welche Christum empfangen, den König David, welcher harfenspielend das Lob Christi im Anklange an messianische Psalmen des A. B. besingt. In einem Epiloge von 4 Hexametern bittet R. die Leser, zu beten, daß Gott zu weiteren Dichtungen ihr seine Gnade gebe. 3) Passio sancti Gongolfi martyris. Dieses Gedicht, von vielen für die schönste der Dichtungen Roswitha's gehalten, enthält zuerst in 9 Distichen ein Gebet zu Gott, ihr beizustehen, die Passion des hl. Gangolph würdig zu singen. In weiteren 282 beschreibt R. nach einer Vorlage, die so ziemlich mit der von den Bollandisten herausgegebenen Vita s. Gangolphi (Acta SS.,|Mai, Tom. II, 644 sqq.) übereinstimmt, die Tugendhaftigkeit Gangolph's, eines burgundischen Großen, der zur Zeit Pipin's, des Vaters Karl's des Großen lebte. Gangolph, schon zu Lebzeiten Wunder wirkend, wird auf Anstiften seiner treulosen Gattin von deren Buhlen getödtet; die ehebrecherische Frau, welche die beim Grabe Gangolph's gewirkten Wunder höhnisch in Abrede stellt, wird auf eine ans Komische streifende Weise bestraft. 4) Passio sancti Pelagii, pretiosissimi martyris, qui nostris temporibus in Corduba martyrio est coronatus. Nach einer Vorrede von 11 Hexametern an den hl. Pelagius wird erzählt, wie Pelagius, der 14jährige Sohn des Königs von Galicien in Spanien für seinen Vater, der vom maurischen Herrscher Abderrhaman III. zu Cordova besiegt und gefangen genommen worden war, diesem als Geißel sich ergab. Abderrhaman, der Päderastie fröhnend, wollte den mit großer Schönheit begabten Pelagius liebkosen, allein dieser versetzte dem Herrscher einen Schlag ins Gesicht, worauf Abderrhaman ergrimmt den keuschen Jüngling nach verschiedenen Qualen enthaupten ließ. Die Kunde von diesen Vorgängen, die zwischen 921 und 925 sich ereigneten, mochte R. von Zeitgenossen, etwa von Mitgliedern einer Gesandtschaft, welche Abderrhaman an Otto I. im J. 950 schickte, erhalten haben. Das Gedicht Roswitha's über Pelagius findet sich in den Acta SS., Februar, tom. I, 470 sqq., auch wurde dasselbe von spanischen und portugiesischen Geschichtschreibern benützt. 5) Theophilus. Lapsus et conversio Theophili vicedomini. Der Inhalt dieses aus 455 Hexametern bestehenden Gedichtes ist folgender: Theophilus, um 532 Vicedominus der Kirche zu Adona in Cilicien, wäre zum Bischofe von Adona gewählt worden, wenn er nicht selbst aus Demuth die Wahl abgelehnt hätte. Der an seiner Stelle gewählte Bischof, eifersüchtig wegen des Ansehens, in dem Theophilus bei Clerus und Volk stand, entsetzte ihn seines Amtes, worüber Theophilus so sehr erbittert ist, daß er dem Teufel sich verschreibt, durch dessen Hülfe er seine Stelle wieder vom Bischofe, der sein Unrecht einsieht, erlangt. Allein bald erkennt Theophilus seine That, bereut seinen Abfall von Gott, erlangt durch Maria's Fürbitte Verzeihung und erlangt auch die dem Teufel übergebene Verschreibung seiner Seele wieder zurück. Der Inhalt dieser Dichtung wird von Vielen mit Recht als die älteste Bearbeitung der mittelalterlichen Faustsage aufgefaßt. Als Vorlage scheint R. eine Vita des Theophilus benützt zu haben, welche Eutychianus, der Freund des Theophilus ursprünglich griechisch verfaßt haben soll, die von Paulus, Diacon zu Neapel, ins Latein übersetzt worden war. Die zweite Gruppe der Legenden wird von R. in 3 Distichen der Gerberga gewidmet; sie bezeichnet die 3 neuen Legenden als versiculi novelli; es sind folgende, im Anschlusse an die vorhergehenden gezählt: 6) Conversio cujusdam juvenis desperati per s. Basilium episcopum. Dies Gedicht, dessen Object wieder die Lösung eines Teufelsbündnisses bildet, erzählt nach einer Einleitung von 16 Hexametern in weiteren 249 Versen, wie ein Sklave zu Cäsarea mit Hülfe eines Dämons, dem er durch eine Handschrift sich übergibt, die Gegenliebe der einzigen Tochter seines Herrn, des reichen Senators Proterius gewinnt. Als diese dem Sklaven vermählt ist, bemerkt sie, daß er nie die Kirche besuche, worauf er zur Rede gestellt, seinen Bund mit dem Teufel eingesteht und nach langer Buße durch den hl. Basilius jene Handschrift zurückerhält. Quelle für diese Dichtung scheint eine Vita s. Basilii gewesen zu sein, die dem Amphilochius von Ikonium zugeschrieben und im 9. Jahrhundert vom römischen Subdiakon Ursus ins Latein übersetzt wurde. 7) Passio sancti Dionysii, egregii martyris. Der Inhalt dieser aus 266 Hexametern bestehenden Dichtung ist die Bekehrung und die Passion des hl. Dionysius, wobei der Areopagite Dionysius, Bischof von Athen,|der vom hl. Paulus zum Christenthum bekehrt wurde und Dionysius, der erste Bischof von Athen (c. 270) in eine Person verbunden werden, wie dies ja bis auf die neuere Zeit sehr häufig geschah. Als Vorlage dürfte R. die vom Abte Hilduin von St. Denys verfaßte Vita Dionysii benützt haben. 8) Agnes. Dies letzte Gedicht behandelt in 459 Hexametern das bekannte Martyrium der römischen Jungfrau Agnes nach einer dem hl. Ambrosius fälschlich zugeschriebenen Epistola ad sacras virgines.

    II. Die Dramen Roswitha's. Sowie das 1. und 3. Buch der Werke Roswitha's, so haben auch die Dramen eine praefatio, in der sie ihre Absicht bei Abfassung der Dramen ausspricht, nämlich den lasciven Komödien des römischen Dichters Terenz, welche von vielen Katholiken selbst der hl. Schrift vorgezogen würden, Schauspiele entgegen zu stellen, in denen der Triumph der Keuschheit gefeiert wird. Außer dieser praefatio ist aber den Dramen noch eine „epistola ad quosdam sapientes hujus libri fautores“ vorangeschickt, eine Art Begleitschreiben zu den Dramen, worin sie die Kritiker ihrer früheren Werke, sapientes genannt, welche dieselben gelobt und die Dichterin zu weiterer Thätigkeit aufgemuntert hatten, bittet, die Dramen zu lesen und mit den etwa anzubringenden Correcturen versehen, ihr wieder zurückzusenden. Aus dem Schreiben geht hervor, daß R. dreien solcher Kritiker ihre Dramen zukommen ließ; sie sind nicht genannt, vielleicht waren es gelehrte Mönche aus St. Benedicts-Orden, da sie denselben einen „fraternus affectus“ zuschreibt. Die Schauspiele Roswitha's werden unter dem Titel: „Comoediae“ angeführt; diese Bezeichnung stammt nicht von der Dichterin, sondern von Celtes, der diesen Titel in den Codex von St. Emmeram hineinschrieb; auch dem Inhalte nach, der meist ein tragischer ist, sind es nicht Komödien im engeren Sinne. Die Absicht Roswitha's bei Abfassung ihrer Dramen ist schon oben auf Grund ihrer praefatio angegeben; mit Unrecht wird oft behauptet, sie habe Terenz nachahmen wollen: diese Nachahmung, von der sie selbst zwar auch spricht, ist nur eine gegensätzliche im Inhalte und in der Tendenz, eine mehr äußerliche, bloß im Dialoge, am meisten noch im Drama Gallicanus, auch kann R. nicht die Absicht zugeschrieben werden, den römischen Dichter aus der Lectüre gänzlich zu verdrängen. Wenig wahrscheinlich ist auch die Ansicht, die Dramen seien zur theatralischen Aufführung bestimmt gewesen oder etwa gar in Klöstern, vielleicht in Gandersheim selbst aufgeführt worden. Das erstere wurde vorzüglich von den phantasiereichen Franzosen vertheidigt, von Charles Magnin, der die Dramen ins Französische übersetzte (Paris 1845) und in Acte und Scenen eintheilte, noch mehr von Philarète Chasles (in Naissance du drame chrétien), welcher die Kirche zu Gandersheim in eine Bühne umgestaltet sieht, die einzelnen Rollen unter die Nonnen vertheilt sich denkt u. dgl. In Deutschland schlossen sich dieser Ansicht Bendixen und Dorer an. Sicher ist, daß die Argumente der Dramen von R. herrühren. Die Zeit der Abfassung derselben dürfte zwischen 962 und 967 zu setzen sein. Obwohl die Dramen einen Fortschritt in dichterischer und sprachlicher Ausbildung gegenüber den Legenden bekunden, so darf an dieselben doch nicht der strenge Maßstab des antiken oder des modernen Drama's angelegt werden; die dramatischen Gesetze von Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit sind vielfach nur wenig beachtet; die Handlung selbst ist meist gering und dürftig, die Hauptmasse bilden die Dialoge, daher Roswitha's Schauspiele vielfach nicht so sehr den Charakter von Dramen als den von dialogisirten Erzählungen besitzen. Die Charakterzeichnung der handelnden Personen ist nicht immer zutreffend. Trotzdem verdient R. die vielen ihrem dichterischen Genius gespendeten Lobsprüche, wenn man bedenkt, daß sie ganz auf sich angewiesen war und in|einem Jahrhunderte, welches in Bezug auf wissenschaftliches Streben nicht mit Unrecht das bleierne genannt wird, lebte. Ja, obwohl ihre Dramen in lateinischer Sprache geschrieben und dem Studium der alten Classiker zum Theile formell entsprungen sind, werden sie dennoch, weil sie fachlich vielfach als Erzeugnisse deutschen Geistes gelten und theilweise deutsche Charaktere zur Grundlage der Zeichnung der handelnden Personen machen, für die deutsche Litteratur beansprucht und von vielen Litteraturhistorikern sogar als die ersten Anfänge dramatischer Poesie in Deutschland bezeichnet. Die Sprache der Dramen Roswitha's ist eine rhythmische Prosa. Es erübrigt noch, den Inhalt der 6 Dramen kurz darzulegen: 1) Gallicanus. Dieses Drama, welches das umfangreichste ist und in 2 Theile zerfällt, erzählt, wie Gallicanus, ein erprobter Heerführer Kaiser Constantin's gegen die Scythen ziehend, die Tochter Constantin's, Constantia, welche ewige Keuschheit gelobt hatte, zur Gattin begehrt; im Kriege sehr bedrängt, wird er durch die Hofbeamten Johann und Paul zum Christenthum bekehrt und steht von seinem Vorhaben, Constantia zur Frau zu nehmen, ab; unter Kaiser Julian wird Gallicanus ins Exil verwiesen und mit dem Martertode gekrönt; ebenso erleiden Johann und Paul für ihren Glauben den Tod. Die Vorlage dieses Dramas bildet die Legende in den Acta SS., Juni tom. V. zum 25. und 26. Juni. 2) Dulcitius. Der heidnische Präfect Dulcitius will die christlichen Jungfrauen Agape, Chionia und Hirene in unzüchtiger Absicht besuchen; kaum hat er ihre Wohnung betreten, wird er irrsinnig und umarmt die Töpfe und Geschirre statt der Jungfrauen, so daß sein Angesicht und seine Kleider ganz schmutzig werden. Hierauf überliefert er wuthentbrannt die Jungfrauen dem Comes Sisinnius, damit sie gestraft würden; nachdem die Versuche, die Jungfrauen in ein Haus der Unzucht zu bringen, durch Gottes wunderbares Eingreifen vereitelt sind, werden sie theils enthauptet, theils verbrannt. Als Vorlage diente wohl die Legende in den Acta SS. zum 3. April. 3) Callimachus. Dieses Stück hat mehr den Charakter eines Dramas und wurde vielfach mit „Romeo und Julie“ verglichen. Der Heide Callimachos liebt Drusilla, die Frau des Christen Andronicus; diese, von des Callimachos Leidenschaft hörend, fleht zu Gott, sie durch den Tod dessen Nachstellungen zu entziehen. Drusilla stirbt plötzlich, nichtsdestoweniger versucht Callimachos auch noch die todte Frau zu liebkosen, weshalb er von einer Schlange gebissen todt zu Boden stürzt. Durch das Gebet des Apostels Johannes werden Drusilla und Callimachos zum Leben erweckt, letzterer bekehrt sich von seiner Leidenschaft und nimmt die Taufe an. Als Vorlage benutzte R. apokryphe Acien des Apostels Johannes (bei Fabricius, Codices apecryphi N. T. II, 542; vgl. auch Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden I, 348 ff). 4) Abraham. Dieses Drama wird von allen Kritikern als das beste der dramatischen Leistungen Roswitha's bezeichnet; man nannte dieses Stück ein Seelengemälde; der psychologische Entwicklungsgang ist wahrheitsgetreu und überraschend zart und fein dargestellt. Der Eremit Abraham zieht ein ihm verwandtes Mädchen Maria bei seiner Klause in strenger Ascese auf; zur Jungfrau herangewachsen, entflieht Maria, irrt in der Welt umher und wirft sich endlich dem Laster in einem Hause der Unzucht in die Arme. Abraham, der davon gehört, verkleidet sich als Ritter, sucht Maria auf, welche in ihm einen gewöhnlichen Buhlen vermuthet; im entscheidenden Augenblicke gibt Abraham sich zu erkennen und führt die reuige Maria wieder zur Tugend zurück. Als Quelle diente eine Vita Abraham's, in griechischer Sprache von Ephraem, einem Zeitgenossen Abraham's verfaßt (bei den Acta SS. März I, 741 ff., in lateinischer Sprache unter dem Titel: Lapsus et conversio Mariae l. c. p. 433 sqq). Einen ähnlichen Inhalt hat 5) Paphnutius, erreicht aber bei weitem nicht das|vorhergehende an künstlerischer Auffassung und Darstellung. Der Eremit Paphnutius führt ähnlich wie Abraham die sündige Thais zur Buße. Die zu Grunde liegende griechische Vita der Thais, die im 4. Jahrhundert zu Alexandrien lebte, in lateinischer Uebersetzung bei den Acta SS., October, IV. 225 sqq. 6) Sapientia. Dieses letzte der Dramen Roswitha's hat viele Aehnlichkeit mit Dulcitius. Eine christliche Mutter, Namens Sapientia, wird mit ihren drei kleinen Töchtern Fides, Spes und Charitas vor den Kaiser Hadrian geführt; trotz dessen Drohungen verharren dieselben fest im christlichen Bekenntnisse, weshalb sie vor den Augen der Mutter nach einander qualvoll hingerichtet werden; die Mutter preist sich ob des Martyriums ihrer Kinder glücklich, bestattet dieselben mit Hülfe christlicher Matronen in der Nähe Roms; am 40. Tage stirbt Sapientia nach einem inbrünstigen Gebete am Grabe ihrer Töchter. Eigenthümlich ist in diesem Stücke die arithmetische Erklärung des Alters der drei Töchter vor Kaiser Hadrian. Als Vorlage mag R. hierbei benützt haben jene in griechischer Sprache geschriebene Legende des Simeon Metaphrastes, welche sammt der lateinischen Uebersetzung sich findet in Migne, Patrol. graeca 115, 497 ff.

    III. Die historischen Gedichte Roswitha's. Hieher gehören: 1) das carmen de gestis imperat. Ottonis I. Demselben geht eine praefatio voraus, nach welcher R. von ihrer Aebtissin Gerberga, einer Nichte Kaiser Otto I. aufgefordert wurde, die Thaten Otto I. in heroischem Versmaße zu schildern; Erzbischof Wilhelm von Mainz, ein Sohn Otto I. sollte sein Urteil über das Werk abgeben. R. schildert in diesem Gedichte, das in dem jetzt noch erhaltenen Umfange 912 Hexameter zählt, nach einem Prologe an Otto I., und einem zweiten Prologe an Otto II., der sich das Werk vorlegen ließ, zuerst in einer Einleitung von 124 Versen kurz die Geschichte Heinrich I., des Vaters Otto I.; dann beschreibt sie, zum eigentlichen Thema übergehend a) die verschiedenen Kämpfe Otto I. von seiner Erhebung zum deutschen Könige bis zum Tode seiner ersten Gemahlin Editha (936—48); b) die Drangsale, die Flucht und Vermählung der Königin Adelheid (950—953); c) die Kämpfe, Empörungen unter den Verwandten Otto I. gegen diesen selbst. Hier ist aber eine Lücke von etwa 388 Versen, die ganz ausgefallen sind. Ebenso ist uns der vierte Theil d) welcher die Ereignisse von 957—962 schildern will, nur in einigen Versen erhalten; auch hier sind etwa 290 Verse verloren gegangen. Roswitha wollte die Geschichte Otto I. nur bis zu dessen Kaiserkrönung (962) fortführen; doch gibt sie noch in den Versen 878—912 einen kurzen geschichtlichen Ueberblick über die Ereignisse von 962—967, indem noch. der Kaiserkrönung Otto II. a° 967 Erwähnung geschieht. Die gesta Ottonis I. sind also 967 oder 968 vollendet worden, da Erzbischof Wilhelm von Mainz und Königin Mathilde, welche beide 968 starben, noch als lebend erwähnt werden. Die Quellen, woraus R. ihren Stoff für die gesta schöpfte, waren meistens mündliche Mittheilungen von Personen, die den geschilderten Ereignissen nahe standen, meistens von Verwandten und Bewunderern Otto I. Daraus, sowie aus dem Zwecke der ganzen Arbeit geht hervor, welchen historischen Werth die gesta beanspruchen dürfen: sie sind ein Panegyricus auf Otto I., in welchem nur ruhmvolles für den Kaiser berichtet wird, die Schattenseiten hingegen nicht zur Geltung kommen, war ja Gandersheim ganz und gar von dem sächsischen Kaiserhause abhängig; indeß ist zu bemerken, Roswitha hat nicht darin gegen den unparteiischen Charakter der wahren Geschichtschreibung gefehlt, daß sie unwahres Lob dem Helden ihrer Geschichte andichtete, sondern dadurch, daß sie wahre Schwächen verschwieg; aber auch in formeller Beziehung kleben ihrer Darstellungsweise manche Mängel an; demungeachtet ist Roswitha's Gedicht für die Geschichte Otto I. in manchem wichtig, in einigen Punkten geradezu einzige Quelle; besonders genau ist ihre|Darstellung der Schicksale Adelheid's. Ueber den Werth der gesta vgl. Pertz, Monum. Germ. Scriptt. IV, 303. Maurenbrecher, de historiae decimi seculi scriptoribus, qui res ab Ottone gestas memoriae tradiderunt, dissertatio, Bonnae 1863. Zint, Ueber Roswitha's carmen de gestis Oddonis dissertatio, Königsberg 1875.

    2) Das carmen de primordiis coenobii Gandersheimensis. Dieses aus 600 Hexametern bestehende Gedicht gibt eine ziemlich genaue Darstellung der Gründung Gandersheims und der Schicksale desselben bis zur Aebtissin Christina, umfaßt also den Zeitraum von 856—919. Quellen hiefür hatte R. in mündlichen Mittheilungen älterer Ordensschwestern, ferner in dem Werke des Agius de vita et obitu Hathumodae, primae abbatissae Gandersheim. (bei Migne 137, 1169 ff.), wahrscheinlich auch im Klosterarchive. Dem historischen Werthe nach verdient das carmen de primordiis gewiß mehr Glaubwürdigkeit als die gesta Ottonis. Wie schon früher bemerkt, fand sich das genannte carmen im Codex Monac. nicht vor, sondern wurde von Bodo entdeckt, von Schaten, Leuckfeld u. a. herausgegeben. — Den Schluß von Roswitha's Werke bilden zwei kleine Gedichte, welche zuerst Bendixen und Barack veröffentlichten; das erste beginnt mit den Worten: Quicunque viam cupit ire salutis, dicat Amen. enthält hierauf fünf Disticha; die Anfangsbuchstaben der Hexameter dieser Disticha geben (akrostichisch) das Wort Amen; die letzten drei Worte eines jeden Pentameters sind dieselben Worte, mit denen jeder der Hexameter beginnt. Das zweite Gedicht besingt in 35 Hexametern das Lob des heiligen Johannes des Täufers. Wenn Bodo sagt, R. habe noch Lebensbeschreibungen der Päpste Anastasius I. und Innocenz I. verfaßt, so ist darunter wahrscheinlich der erste Theil des carmen de primord. zu verstehen. Noch weniger Beachtung verdient die Mittheilung Oudin's (de script. eccl. II, 507), R. habe eine Reisebeschreibung der hl. Willibald und Wunibald gearbeitet.

    Die Sprache der Schriften Roswitha's ist vielfach eine eigenthümliche; es kommen fremdartige Worte vor, wie: altithronus. astriger, perpes; scius als Adjectiv u. dgl.: eigenartige Substantive: almities, piaclum, factura (Geschöpf), poenitudo u. s. w.; sie setzt häufig die Grundzahl statt der Ordnungszahl; oftmals gebraucht sie die Infinitivform auf ier z. B. exponier, vescier, tenerier, liebt besonders Diminutiva, gebraucht eigenthümliche Constructionen u. s. w.

    Der kirchliche Standpunkt Roswitha's ist in jeder Beziehung orthodox; besonders zeichnet sie sich durch eine innige Liebe zur Mutter Gottes aus. Der Gesammtwerth der Schriften Roswitha's wurde von manchen, welche sie eine christliche Sappho, ja eine zehnte Muse nannten, in enthusiastischer Weise überschätzt, von anderen ungerecht in abfälliger Weise herabgedrückt; die richtige Mitte scheint Ebert in: Allgemeine Geschichte der Litteratur des Mittelalters im Abendlande, 3. Bd. Leipzig 1887 getroffen zu haben, welcher R. ein „fruchtbares dichterisches Talent nennt, dem selbst nicht der Trieb und der Muth des dichterischen Genies fehlte, ganz neue Bahnen einzuschlagen.

    Die Ausgaben der Werke Roswitha's zerfallen in Gesammtausgaben und in Ausgaben einzelner Schriften. Zu den ersteren gehören: Conr. Celtes, Opera Hrosvite illustris virginis et monialis germane gente saxonica orte nuper a C. Celte inventa, Norimbergae (mit Holzschnitten von Albr. Dürer). Diese erste, jetzt sehr seltene Ausgabe ist beschrieben bei Maugerard, Esprit des journaux, Avril 1788, p. 257—262. Panzer, Annales typogr. VII, 439. XI, 468. — Henr. Leon. Schurzfleisch, Opera Roswithae, partim soluto partim vincto sermonis genere ab ea inscripta, a Conr. Celte formis primum expressa, nunc denuo recognita et repurgata, Vitembergae 1707; wieder abgedruckt|1717 mit biographischen und sprachlichen Bemerkungen. Diese Ausgabe ist nur ein Abdruck der Celtes’schen Ausgabe mit einigen wenigen selbständigen Verbesserungen. — Migne, Patrol. lat. Tom. 137, Col. 938—1168; das Carmen de primord. Gandersh. ist nach Pertz, alles übrige nach Schurzfleisch. — K. A. Barack, die Werke von Hrothsvitha, Nürnberg 1858. Es ist dies die vollständigste Ausgabe; s. darüber Bartsch in der Germania 3, 375 ff. —

    Die Legenden wurden im lateinischen Texte mit französischer Uebersetzung herausgegeben von Vignon Retif de la Bretonne, Poésies latines de Rosvithe, religieuse saxonne du X. siècle avec la traduction, Paris 1854. — Von den Dramen wurde „Abraham“ bereits 1503 von Adam Werner von Themar ins Deutsche übersetzt und herausgegeben. Hierauf folgte eine lange Pause bis ins 19. Jahrhundert, in welchem Gustav Freytag in seiner dissertatio de Hrosuitha poëtria, 1839 das Drama Abraham veröffentlichte und Ch. Magnin alle Dramen ins Französische übersetzte: Théâtre de Rhotsvitha, religieuse allemande du X. siècle, traduit la première foi en français avec le texte latin, revu le manuscrit de Munich, précédé d'une introduction et suivi de notes, Paris 1845. — Bendixen, Das älteste Drama in Deutschland oder die Comödien der Nonne R., Altona, 1. Theil 1850, 2. Theil 1853. — Derselbe: Hrosvithae Gandeshemensis comoedias sex ad fidem codicis Emmeramensis typis expressas edidit, praefationem poetriae et ejus epistolam ad quosdam sapientes praemisit, versiculos quosdam Hrotsvithae nondum antea editos eodem ex codice iis adjunxit, Lubecae 1857. — Das Carmen de gestis Ottonis I. wurde zuerst allein herausgegeben von Justus Reuber in: Scriptt. rer. German. 1584 (novae edit. ab Joannis procuratae, Maguntiae 1726). — Henricus Meibomius Senior in: Widukind, Francof. 1621. — Henr. Meibom. jun. in: Scriptt. rer. Germ., Helmostad. Tom. II, 709 sqq. — Pertz, Monum. Germ. IV, 306 sqq. — Eine Uebersetzung der gesta Otton. von Nobbe im Programme der Nicolaischule zu Leipzig 1851. — Das „Carmen de primord. coenob. Gandersh.“ wurde, wie schon oben erwähnt, von Leuckfeld, Leibnitz und Harenberg edirt. Ins Deutsche wurde es übersetzt von Schmidt in den Nordalbingischen Blättern, I, 4—33. Beide Gedichte, die gesta und die Primordia wurden übersetzt von G. Pfund: Der Hrotsuitha Gedicht über Gandersheims Gründung und die Thaten König Otto I. in den Geschichtschreibern der deutschen Vorzeit, Berlin 1860.

    • Literatur

      Ueber das Leben und die Schriften Roswitha's vgl. Trithem. de Script. eccl. edit. 1546 p. 165 und de illustribus viris German. p. 135;
      Bruschius, Centuriae Sec. p. 234.
      Mabillon, Annales ord. s. Bened. III, 588 sqq.
      Ziegelbauer, Hist. rei litterar. O. S. B. I, 503, III, 491—494 u. s. w. —
      Fabricius, (ed. Mansi) III, 283.Biographie universelle LXVII, 384.
      Dorer, R., die Nonne von Gandersheim, Aarau 1857. — Hugo Graf v. Walderdorff: Hrotsuit von G. in: Verhandlungen des histor. Vereins f. Oberpfalz und Regensburg Bd. 29, 1874. —
      Aug. Koberstein, Grundriß der Geschichte der deutschen Nationallitteratur bis zum Ende des 16. Jahrb., fünfte, umgearbeitete Auflage von Karl Bartsch, S. 375 Note 8. 1872. —
      Wilh. Scherer, Geschichte der deutschen Litteratur S. 57 ff. 1883. —
      W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. 5. Aufl. 1885, Bd. I, S. 313 f. — Ad. Ebert, Geschichte der Litteratur des Mittelalters im Abendlande, 3. Bd. Leipzig 1887, welcher in drei Capiteln über R. handelt und das Verdienst hat, die Vorlagen und deren genaue Recensionen, welche R. benützt haben dürfte, namhaft gemacht zu haben. —
      Otto Grashof, Das Benedictinerinnenstift Gandersheim und Hrotsuitha, die Zierde des Benedictinerordens in: Wissenschaftl. Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner- und Cisterc.-Orden, Brünn, Jahrg. 1886 und 1887. — Am eingehendsten aber|R. Köpke, Hrotsuit von Gandersheim, Berlin 1869, wo überhaupt die Litteratur über R. und ihre Schriften am sorgfältigsten verzeichnet ist.

  • Autor/in

    Otto Schmid.
  • Zitierweise

    Schmid, Otto, "Hrotsvit von Gandersheim" in: Allgemeine Deutsche Biographie 29 (1889), S. 283-294 unter Roswitha [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118553941.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA