Lebensdaten
1873 – 1948
Geburtsort
Edenkoben (Pfalz)
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Hämatologe ; Histologe ; Anatom ; Paläoanthropologe
Konfession
jüdisch
Namensvarianten
  • Weidenreich, Franz

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Zitierweise

Weidenreich, Franz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz139692.html [25.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus pfälz. Kaufmannsfam.;
    V Carl (Weil-)W. (1817–94), aus Freiburg-Kippenheim, Textilkaufm., zuletzt in E., S d. Jacob W.-Weyl (1773 / 89?-1855), u. d. Juliana Bär (1782–1871 / 72?);
    M Friederike (1831–1903), aus Bühl (Baden), zuletzt in E., T d. Michael Edesheimer (* 1811) u. d. Fanny Wolf (* 1806);
    B Maximilian Ludwig (1854–1929, 1] N. N. Brahn, 1913–2009, 2] Walter Zürcher, Dr., T d. Max Brahn, 1873–1944 Auschwitz, ao. Prof. f. Psychol. in Leipzig, Leiter d. Inst. f. experimentelle Päd. u. Psychol. in Leipzig, s. Sächs. Lb. VI, u. d. Johanna Hedwig Cahn, 1880–1944 Auschwitz, T d. Wilhelm Cahn, 1839–1920, Dr. iur., Geh. Legationsrat, Mitarb. im Ausw. Amt, Schriftst., s. DBJ II, Tl., Biogr. Hdb. Auswärtiger Dienst, 2] Rosa Jacob, 1877–1938), Insp. d. jüd. Friedhofs Berlin-Weißensee, Julius (1857–1940, 1] Karolina Klara Bloch, 1863–88, 2] Helene Gernsheim, 1867–1943 Sobibor), Textilkaufm., emigrierte in d. Niederl.;
    Mannheim 1904 Mathilde (1883–1960, jüd.), zuletzt in N. Y., T d. Hermann Neuberger (* 1855), aus Ruchheim b. Ludwigshafen/ Rhein, Kaufm. in Mannheim, u. d. Jenny Haas (1861–1944 verschleppt);
    4 T Elise Friederike (* 1905), Elisabeth Charlotte (1906–2000, Walter Paul v. Scheven, 1905–96, Artdirector, Designer in N. Y.), Künstlerin, 1943 n. Auschwitz deportiert, seit 1946 in d. USA, später in Waterbury (Connecticut, USA), zuletzt in Foulkeways b. Philadelphia (Pennsylvania, USA), Ruth (1907–98, Italo Piccagli, 1909–44 erschossen, ital. Marinefliegerhptm., Widerstandskämpfer), Dermatol. in Florenz, 1944 n. Dachau u. Auschwitz deportiert, seit 1947 in N. Y., Ärztin an d. Medical School ebd., Marion (1909–2001), Dr., Soz.philos., emigrierte 1936 n. N. Y., zuletzt in Wilton, Fairfield County (Connecticut, USA);
    N Erich (1886–1971, 1] Helen Silberstein, Ps. Leni Stein, Sopranistin, 2] Alice Ottilie Foyer, 1898–1971), Untern.;
    Gr-N Peter H. (Wyden) (1923–98, 1] Edith N. N., 2] Barbara N. N., 3] Else [Edith] Rosenow, 1920–2011), Journ., Schriftst.;
    Ur-Gr-N Ron Wyden (* 1941), US-amerik. demokrat. Pol., 1996 Senator v. Oregon.

  • Biographie

    W. absolvierte das Humanistische Gymnasium in Landau (Pfalz) und studierte seit 1893 Medizin an den Universitäten München, Kiel, Berlin und Straßburg, wo er 1899 zum Dr. med. promoviert wurde und sich 1901 für Anatomie habilitierte. Prägend für W. war der Straßburger Anatom und Anthropologe Gustav Schwalbe (1844–1916). Nach kurzer Tätigkeit am Institut von Paul Ehrlich (1854–1915) übernahm W. 1902 eine ao. Professur für die gesamte Anatomie an der Univ. Straßburg. Schwerpunkte waren die Gewebe- und Zellehre (Histologie) sowie das Blut und die blutbildenden Organe (Hämatologie). Zudem hielt er Vorlesungen über Entwicklungsgeschichte, vergleichende Anatomie, Anthropologie, den Bewegungsapparat und das Nervensystem.

    Seit 1914 widmete sich W. ausschließlich politischen Fragen und war als Abgeordneter der Demokratischen Partei Elsaß-Lothringens in der Straßburger Stadtversammlung aktiv. 1918 mußte W.s Familie Straßburg verlassen. 1919 übersiedelte er nach Heidelberg, gab private Anatomiekurse und vertiefte seine Kenntnisse in Biologie, Zoologie und Botanik. In dieser Zeit befaßte er sich mit der Evolutionstheorie und legte diesbezüglich eine umfangreiche empirische, vergleichend-anatomische Studie des menschlichen Fußes vor. Seit 1921 ao. Professor am Institut für Krebsforschung in Heidelberg, widmete sich W. der Histologie von Knochen und Zähnen. Nach Schließung des Instituts und W.s Emeritierung 1924 übernahm eine Stiftung Institutsteile und ernannte W. zum Leiter eines Biomechaniklabors.

    1928 erschien W.s erste paläoanthropologische Arbeit über den Fund und die Fundsituation eines Neandertaler-Schädels in Weimar-Ehringsdorf. Zunehmend mit der Bedeutung von Menschenrassen für die Evolution beschäftigt, wollte er mit seiner Forschung dem bedrohlichen Aufstieg der NSDAP und deren Rassenkonzept mit rationalen, wissenschaftlichen Argumenten begegnen. Dies förderte W.s Berufung auf den 1928 neu gegründeten, mit Mitteln von Henry Rothschild für den Centralverein dt. Staatsbürger jüd. Glaubens finanzierten Lehrstuhl für Physische Anthropologie an der Univ. Frankfurt/M. Hier lehrte W. Rassentheorie und Anthropologie und publizierte in Fach- und Publikumsmedien seine Kernthese, wonach „nicht eine isolierte, sondern gerade die Rassendurchdringung zur höchsten Kulturentwicklung führt“ (F. W., Die phys. Grundlage d. Rassenlehre, in: Rasse u. Geist, hg. v. d.|Senckenberg. Naturforschenden Ges., 1932, S. 21).

    Noch vor der drohenden Entlassung trat W. 1934 eine Gastprofessur an der University of Chicago an. 1935 übernahm er die Leitung des von der Rockefeller Foundation etablierten „Peiping Union Medical Centre“ in Peking und des Cenozoic Research Laboratory. Hier arbeitete er an der anatomisch detaillierten Beschreibung der 1929 in Zhoukoudian entdeckten Fossilien von Hominiden („Peking-Menschen“, seit 1941 verschollen), die er als Vorläufer des Neandertaler-Typs einstufte. Nach Übergriffen der japan. Besatzer wurden die Arbeiten in Zhoukoudian 1937 eingestellt. 1938 trat W. eine Vortragsreise an, die ihn in die USA, nach Europa und Niederl.-Indien führte, wo er Fossilien des Java-Menschen begutachtete. Nach dem Besuch des Internat. Anthropologie-Kongresses in Kopenhagen kehrte er nach Peking zurück. Aufgrund der bedrohlichen Situation reiste er 1939 nach New York aus (US-Staatsbürger 1940). Hier setzte W. seine Forschungen, insbesondere zur evolutionären Rekonstruktion des Menschenschädels und zu formgebenden Faktoren, am American Museum of Natural History fort. Mit dem Buch „Apes, Giants, and Man“ veröffentlichte er 1946 seine Sicht zur Evolution des Menschen.

    W. gilt als einer der einflußreichsten Paläoanthropologen des 20. Jh. Ihm zufolge gab es in Europa, Afrika und Asien Menschentypen unterschiedlicher Entwicklungsstufen, belegt durch Fossilien gleichen geologischen Alters in weit voneinander entfernten geographischen Regionen. Daraus schloß er auf eine polyzentrische (multiregionale) Evolution im Gegensatz zur monozentrischen Evolutionstheorie („Out of Africa“). Die dem Homo erectus zugeordneten Peking- und Java-Menschen (älter als 400000 Jahre) hatten nach W. die gleiche Entwicklungsstufe erreicht und unterschieden sich dennoch anatomisch. Migrationen trugen zur Durchmischung regional bedingter Eigenschaften bei. Zu seinen Lebzeiten wurde W.s Evolutionstheorie kritisch diskutiert, er blieb aber bei seiner Auffassung vom Kontinuum der Entwicklung menschlicher Arten. In den 1980er Jahren griff die Forschung W.s Theorie wieder auf, präzisierte sie und arbeitete sie weiter aus.

  • Auszeichnungen

    |Mitgl. d. Leopoldina (1908), d. Wiss. Ges. Straßburg (1913), d. Dt. Ges. f. dentale Anatomie u. Pathol. (1926);
    Vors. d. Frankfurter Ges. f. Anthropol., Ethnol. u. Vorgesch. (1933);
    Präs. d. American Ass. of Physical Anthropology (1944 / 45);
    Viking-Fund-Medal (1946);
    – F.-W.-Inst. (Anthropol. Inst. d. Univ. Frankfurt/M., 1959).

  • Werke

    W Zur Anatomie d. zentralen Kleinhirnkerne d. Säuger, in: Zs. f. Morphol. u. Anthropol. 1, 1899, S. 259–312 (Diss.);
    Das Gefäßsystem d. menschl. Milz, in: Zs. f. Mikroskop. Anatomie 58, 1901, S. 583–622 (Habil.schr.);
    Der Menschenfuß, in: Zs. f. Morphol. u. Anthropol. 22, 1921, S. 51–282;
    Das Evolutionsproblem u. d. individuelle Gestaltungsanteil am Entwicklungsgeschehen, in: Roux’ Vortrr. u. Aufss. über Entwicklungsmechanik d. Organismen 27, 1921, S. 1–120;
    Über Aufbau u. Entwicklung d. Knochens u. d. Charakter d. Knochengewebes, in: Zs. f. Anatomie u. Entwicklungsgesch. 69, 1923, S. 382–466;
    Rasse u. Körperbau, 1927;
    Der Schädelfund v. Weimar-Ehringsdorf, 1928;
    The Sinanthropus Population of Choukoutien (Locality 1) with a Preliminary Report on New Discoveries, in: Bull. of the Geological Soc. of China B 14, 1935, S. 427–61;
    Observations on the Form and Proportions of the Endocranial Casts of Sinanthropus pekinensis, Other Hominids and the Great Apes, a Comparative Study of Brain Size, in: Palaeontologia Sinica D 3, 1936, S. 1–50;
    The Mandibles of Sinanthropus pekinensis, a Comparative Study, ebd. D 7, 1936, S. 1–162;
    The Skull of Sinanthropus pekinensis, ebd. D (NS) 6, 1943, S. 4–291;
    The Brain and its Role in the Phylogenetic Transformation of the Human Skull, in: Transactions of the American Philosophical Soc. 31, 1941, S. 321–442.

  • Literatur

    | W. K. Gregory, in: American Anthropologist 51, 1948, S. 85–90 (P);
    H. v. Eggeling, in: Anatom. Nachrr. 1, 1950, S. 149–67 (L, P);
    J. J. McCort, in: New England Journ. of Med. 257, 1957, S. 670 f.;
    C. Hertler, Anthropol., d. Humananatom F. W., in: D. Reitz u. L. Evenari (Hg.), Exodus d. Wiss. u. d. Lit., 2004, S. 183–206 (L, P);
    dies., F. W. u. d. Anthropol. in Frankfurt, in: J. Kobes u. J.-O. Hesse (Hg.), Frankfurter Wissenschaftler zw. 1933 u. 1945, 2008, S. 111–24;
    H. Hartkopf, F. W., e. pfälz. Weltbürger, 2012 (P);
    Fischer;
    BHdE I;
    Drüll, Heidelberger Gel.lex. I;
    Lex. Pfälzer;
    Complete DSB (P).

  • Porträts

    |Photogr., 1941 (American Mus. of. Natural Hist., New York).

  • Autor/in

    Eberhard J. Wormer
  • Zitierweise

    Wormer, Eberhard J., "Weidenreich, Franz" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 578-579 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz139692.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA